Gesetze

fingalo

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Die Nordmänner zur Wikingerzeit waren ja echte Prozesshansel, wie den Sagas zu entnehmen ist, die sich im Wesentlichen um Rechtshändel drehen.

Nun gab es ja Gesetzbücher:
Gulathingslov, Frostathingslov, Graugans (zweimal, einmal die letzte Fassung des Frostathingslov und dann das Gesetzbuch in Island). Es gab noch viel mehr Landesgesetze, die aber nicht alle überliefert sind, teilweise sind nur Bruchstücke überliefert, insbesondere Christenrechte.

Ich schreibe gerade über Frostathingslov in der Wikipedia, die Grágás habe ich schon hinter mir.

Dabei ist mir folgendes aufgefallen:
Die Vorschriften sind unglaublich dicht, soll heißen, es wird z.B. bei der Körperverletzung alles mögliche an Varianten geregelt, nicht nur, was die Verletzung angeht, sondern auch die Tatumstände und die Beweisfragen. (z.B.: Was macht man, wenn drei Männer aufs Meer hinausfahren, aber nur zwei zurückkommen, weil einer getötet wurde? Wie stellt man den Täter fest? usw).
1. Ursprünglich wurden die Gesetze vom Gesetzessprecher frei vorgetragen, aufgeschrieben wurden sie erst später. Wenn diese Gesetze (das Frostathingslov hat in der Übersetzung von Meißner 256 Seiten; in der originalen Folio-Ausgabe von Norges gamle Love sind es immerhin noch 137 Seiten) hätten alle vorgetragen werden sollen, dann wäre bei den teilweise sehr verschachtelten Vorschriften mit Ausnahmen und Rückausnahmen auch ein recht gut geschultes Gedächtnis überfordert gewesen (wenn man mal Autisten und ähnliche Sonder-Charaktere außer Betracht lässt, denen kaum das würdige Amt eines Gesetzessprechers übertragen worden wäre). Außerdem wäre da der erste Tag der Versammlung bald rum gewesen und die Zuhörer wären eingeschlafen oder hätten sich den Text eh nicht merken können.
2. Die Strafen gehen in der Regel auf 3 Mark gewogenen Silbers oder auf Friedlosigkeit, was praktisch Verbannung bedeutet. Die Anwendung aller Gesetze hätte zur Verarmung der Bevölkerung und auch zur Entvölkerung geführt. Immerhin wurden Spottverse auf einen freien Mann mit Friedlosigkeit geahndet. Teuer (volle Mannbuße + Kränkungsbuße) war, wenn man jemanden ins Wasser schubste, während er über die Reling kackte. Oder: "Wenn ein Mann einen anderen schlägt mit hassender Hand, womit er ihn auch schlägt, da sei er friedlos und hat alles verwirkt, was er besitzt ..." Na, bei den Gelagen kam es ja wohl nicht gerade selten zu einer Schlägerei!
Ich denke, da sind die geltenden Gesetze bei der Aufzeichnung mit viel Phantasie aufgefüllt worden. Dass einige Vorschriften angewendet wurden, ist sicher: Olav der Heilige war prominentestes Opfer der Widerstandsvorschrift.
 
Oder: "Wenn ein Mann einen anderen schlägt mit hassender Hand, womit er ihn auch schlägt, da sei er friedlos und hat alles verwirkt, was er besitzt ..." Na, bei den Gelagen kam es ja wohl nicht gerade selten zu einer Schlägerei!
Fällt eine Saufprügelei unter "hassender Hand"? Das Attribut klingt so als, ob man aus der Situation geborenen und nicht auf lange Feindschaft begründete Schläge abgrenzen wollte. Oder bin ich hier zu wortklauberisch?
Fingalo schrieb:
dann wäre bei den teilweise sehr verschachtelten Vorschriften mit Ausnahmen und Rückausnahmen auch ein recht gut geschultes Gedächtnis überfordert gewesen
Unter gebildeten Griechen und Römern war es üblich möglichst große Teile der Ilias und der Odyssee auswendig zu könen. Hexameter lassen sich zwar vielleicht leichter behalten, aber mit dem Auswendiglernen langer Texte scheinen Menschen in verschiedenen Abschnitten der Vergangenheit wohl wenig Probleme gehabt zu haben.
 
Fällt eine Saufprügelei unter "hassender Hand"? Das Attribut klingt so als, ob man aus der Situation geborenen und nicht auf lange Feindschaft begründete Schläge abgrenzen wollte. Oder bin ich hier zu wortklauberisch?
Selbst dann bleiben noch genug Streitereien übrig. Im übrigen werden Verletzungen mit Bußen in Silbergeld abgegolten. Die gegen ja über einen Faustschlag hinaus.
Unter gebildeten Griechen und Römern war es üblich möglichst große Teile der Ilias und der Odyssee auswendig zu könen. Hexameter lassen sich zwar vielleicht leichter behalten, aber mit dem Auswendiglernen langer Texte scheinen Menschen in verschiedenen Abschnitten der Vergangenheit wohl wenig Probleme gehabt zu haben.
Na ja, also mehrere hundert Seiten unzusammenhängenden Prosatextes auswendig zu lernen ist schon was anderes. Das sind Leute wie die, die das Telefonbuch von New York auswendig können. Bei einer sehr dünnen Besiedlung solche Gedächtnisakrobaten in der Oberschicht immer parat zu haben, die auch sonst über die notwendige Autorität verfügen, ist kaum sicherzustellen.
 
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