Gewalt als Grund für das Scheitern der Weimarer Republik?

Durilon

Neues Mitglied
Hallo an alle Leser, ;)

mich würde eure Meinung zu folgendem Thema interessieren:
In der Weimarer Republik gab es ja bekanntlich einige, teils auch blutige, Auseinandersetzungen zwischen politischen Lagern, bspw. in Form von Straßenschlachten. Meint ihr, dass diese politische Gewalt auch zu den Gründen für das Scheitern der Weimarer Republik gezählt werden muss?
Oder sind Straßen- und Saalschlachten in der Weimarer Republik eher als eine Folge der bereits politisch gespaltenen Gesellschaft und deshalb nur als sichtbare Auswirkung eines Grundes für das Scheitern derselben anzusehen?

Vielen Dank schonmal für alle Antworten ;)
Durilon
 
Den aufgeführten Thread hatte ich durchaus schon gesehen, die dort gestellte Frage und diese sind allerdings in meinen Augen nicht identisch. Meine Frage bezog sich ja nur darauf, wie die Kämpfe im Hinblick auf das Ende der Weimarer Republik zu bewerten sind.
Ich kenne zwar nicht alle Beiträge auswendig, habe allerdings keinen in Erinnerung, der die Frage oben direkt beantwortet hätte. Der Link führt hauptsächlich zu einer Diskussion über die Aktualität einiger Autoren/Quellen und einigen Links zum Thema politische Kämpfe generell, die aber nicht unbedingt auf das Scheitern der Weimarer Republik und damit diesen Thread bezogen sind. (Die genannten Bücher stehen mir nicht zur Verfügung, über deren Inhalt kann ich also in diesem Zusammenhang keine Aussage treffen.)
 
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Meint ihr, dass diese politische Gewalt auch zu den Gründen für das Scheitern der Weimarer Republik gezählt werden muss?

Nein und ja!

1. Nein, weil die Machtübernahme durch Hitler nicht das Resultat der Straßenkämpfe war, sondern durch die Entscheidung von Hindenburg und seiner "Camarilla" getroffen wurde. Und die Weltwirtschaftskrise den Aufstieg von Hitler begünstigt hatte und zu einem hohen Prozentsatz den Zulauf bei den Wahlen dadurch erklärt wird.

2. Ja, weil vor allem der organisierte Terror der SA und die Einschüchterung durch die Ideologie der NSDAP mit das politische System destabilisiert haben. In Zusammenarbeit und teilweiser Übereinstimmung mit der hetzenden deutschnationalen "Hugenberg-Presse" Und damit bei den monarchistisch geprägten Eliten (Hindenburg, ex-Offiziere, Reichswehr etc.) die Bereitschaft stärkten, eine gewaltsame Beendigung der Demokratie von Weimar vorzunehmen. Und sich den Gefreiten Hitler als - vermeintliches - gefügiges Instrument ausgesehen haben.

Bei Bedarf liefere ich gerne eine entsprechende Literaturliste zum eigenen Nachlesen.
 
Thanepowers schöner Ja/Nein-Argumentation würde ich einen weiteren Aspekt beifügen: Die Gewaltspirale (NS, aber auch die extreme Linke) ist zugleich ein Spiegelbild des Versagens (von großen Teilen) der Justiz und des Sicherheitsapparates der Republik.
 
Die Bandbreite der Erklärungen für das Scheitern der Weimarer Republik ist relativ groß. Auch die Bewertung der Rolle der Gewalt im außerparlamentarischen Bereich.

Der Klassiker zu dem Thema kommt von Bracher u.a.. Interessant ist der Quellenband von Becker, der relativ authentische Einlicke liefert. Ähnlich der Quellenband von Deuerlein.

Als schnellen Einstieg kann man sicherlich den Beitrag von Bohr empfehlen.

In einer Vielzahl von Übersichtsdarstellungen, von renomierten Historikern, werden unterschiedliche Narrative formuliert.

Aufgenommen wurden auch eine Reihe von englischen Historikern, um den Stand der internationalen Diskussion ein wenig mit einzufangen.

Daneben gibt es eine Vielzahl von Aufsätzen zur Machtergreifung, die ich jetzt nicht mit berücksichtigt habe.

Becker, Josef; Becker, Ruth (1983): Hitlers Machtergreifung. Dokumente vom Machantritt Hitlers 30. Januar 1933 bis zur Besiegelung des Einparteienstaates 14. Juli 1933. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (DTV)
Bohr, Felix (2018): Todesstunde der Republik. Soziale Not, Tumulte und Gewalt begleiten den Untergang der Demokratie. In: Uwe Klußmann und Joachim Mohr (Hg.): Die Weimarer Republik. Deutschlands erste Demokratie. Lizenzausgabe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung (Schriftenreihe / Bundeszentrale für Politische Bildung, 10112), S. 211–220.
Bracher, Karl Dietrich (1984): Die Auflösung der Weimarer Republik: Hans Herzfeld. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie. Düsseldorf: Droste Verlag.
Bracher, Karl Dietrich; Sauer, Wolfgang; Schulz, Gerhard (1962): Die Nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34. Köln, Opladen: Westdeutscher Verlag (Schriften des Instituts für Politische Wissenschaft, 14).
Broszat, Martin (1984): Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP und die Zerstörung der Weimarer Republik. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (Dtv, 4516).
Büttner, Ursula (2008): Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. Stuttgart: Klett-Cotta.
Deuerlein, Ernst (Hg.) (1974): Der Aufstieg der NSDAP in Augenzeugenberichten. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv-Augenzeugenberichte, 1040).
Erdmann, Karl Dietrich (1980): Die Weimarer Republik. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (19).
Eschenburg, Theodor u.a. (Hg.) (1963): Der Weg in die Diktatur. 1918 bis 1933. Zehn Beiträge. 13.-18. Tsd. München: Piper (Piper Paperback).
Evans, Richard J. (2005): The coming of the Third Reich. New York: Penguin Books.
McElligott, Anthony (2014): Rethinking the Weimar Republic. Authority and authoritarianism, 1916-1936. London, UK: Bloomsbury Academic.
Möller, Horst (2004): Die Weimarer Republik. Eine unvollendete Demokratie. 7., erw. und aktualisierte Neuaufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (Dtv, 34059).
Mommsen, Hans (2009): Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar. 1918 - 1933. 3. Aufl. Berlin: Ullstein.
Peukert, Detlev (1987): Die Weimarer Republik. Krisenjahre der klassischen Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Weitz, Eric D. (2013): Weimar Germany. Promise and tragedy. New and expanded edition. Princeton, New Jersey: Princeton University Press.
 
Als neuere Entwicklung einer kritischen Überprüfung in der Literatur wird seit einigen Jahren die "Brutalisierungsthese" in Frage gestellt.

Diese bezieht sich auch die Weimarer Jahre der unmittelbaren Kriegserfahrungen (der Armeeangehörigen, aber auch in der Heimat) und dem Systemkollaps 1918/19 (als nationale Erfahrung). Die These ist zu unterscheiden von der Diskussion um die "Generation 1900", Kindheit/Jugend mit Weltkriegserfahrung und Karriere im NS nach 1933.

Die Kritik an der Brutalisierungsthese erscheint mir nicht ganz nachvollziehbar, auch wenn da regionale Unterschiede oder Einschränkungen auf die Gewalt in den politischen Zentren bestehen mögen.

Neben den praktischen Konsequenzen, unmittelbare Gewalt in der politischen Konfrontation, kann man weiter auch auf "Gewalt" als Propagandaschema des NS abstellen. Nicht nur, weil sich um Gewalt als "Markenkern" bereits alles in "Mein Kampf" dreht, bei der Gewalterfahrungen des Einzelnen bis auf die Ebene "völkischer Gewalt" gestellt wird, als "Normalzustand": Gewalt als zukunftsstiftend, als Motor der Veränderung, der Verdrängung anderer. Auch Opfermythen spielten auf dieser Klaviatur.
 
Interessante Beiträge. Für mich war die politische Gewalt in der Weimarer Republik ein Ausdruck der Polarisierung der einzelnen Gruppen, der "Mangel" an Demokraten (im Sinn von adäquater politischer Auseinandersetzung),etc.
 
Als neuere Entwicklung einer kritischen Überprüfung in der Literatur wird seit einigen Jahren die "Brutalisierungsthese" in Frage gestellt......

Die Kritik an der Brutalisierungsthese erscheint mir nicht ganz nachvollziehbar,

Sehe ich genau so. In seinem Buch (Fraschka: Franz Pfeffer von Salomon) beschreibt er ja gerade die latente und manifeste Gewaltbereitschaft als Kennzeichen der SA-Führung und in diesem Sinne der - häufig - früheren Freikorps-Offiziere.

Ähnlich wird ja auch gerade argumentiert, dass mit dem faktischen Ende der Bedeutung der parlamentarischen Tätigkeit, in der Phase der Präsidialregierungen, sich die Politik auf die Straße verlagerte und hier gewaltsam ihren Ausdruck suchte.

Auch weil die Eskalation notwendig war als Voraussetzung für beispielsweise des "Preußenschlag". Und man auf die Interaktonswirkung der Gewaltbereiten auf der extremen Linken und Rechten im Umfeld von Hindenburg setzte. Die dann "brav" ihre Rolle als politische Statisten bei Straßenschlachten gespielt haben und so die NS-Revolution als "Folklore" mit begleitet haben.

Folklore deshalb, weil sie politisch direkt nichts bewirkt hatte, sondern lediglich als Vorwand für andere Aktionen (vgl. Preußenschlag etc.) diente.
 
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Abwesenheit/Mangel an und Anwesenheit/Präsenz von sind vermutlich zwei Seiten einer Medaille:
Interessante Beiträge. Für mich war die politische Gewalt in der Weimarer Republik ein Ausdruck der Polarisierung der einzelnen Gruppen, der "Mangel" an Demokraten (im Sinn von adäquater politischer Auseinandersetzung),etc.

Zur internationalen Sicht auf die kriegsfolgenbedingte politische Gewalt interessant:
Gerwarth: The Central European counter-revolution: paramilitary violence in Germany, Austria and Hungary after the Great War. Past & Present 2008, S. 175-209.

Und aus psychologischer Sicht, auf die Gewalterfahrungen der Freikorps als Wurzel der Brutalitätsspirale der 20er, grundlegend die Studie:
Klaus Theweleit, Male Fantasies, 2 Bände
(Band 1: Women, Floods, Bodies, History, sowie Band 2: Male Bodies, Psychoanalyzing the White Terror)
 
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