Manche bezeichnen Aly heute als Neoliberalen, das trifft es aber nicht ganz. Ich sehen ihn als Verfechter eines ideologiekritischen Individualismus, durchaus auf eine radikale Art. Zu einer seiner wichtigsten Thesen gehört, dass sozialstaatliche Einrichtungen, die staatliche Fürsorge, und Vermögensumverteilung von jüdischem bzw. in den besetzten Gebieten konfisziertem Besitz in individuellen wie politischen Kontext die wesentlichen Instrumente für die Akzeptanz des Nationalsozialismus in der deutschen Bevölkerung darstellten.
Danke
Ashigaru für die Infos und Einschätzung!
Interessant ist Deine Zusammenfassung einer seiner wichtigsten Thesen. Da sehe ich Parallelen zu Ungvárys Bemühungen, die ich weiter unten erwähne.
Sie sprüht vor allem vor Wiki-Halbwahrheiten. Und es sollte eigentlich selbstverständlich sein, wenn ich jemand diskreditieren möchte, dass ich seine Position wirklich kenne. Was bei Dir nicht der Fall ist in Bezug auf Götz Aly.
Stimmt, ich hätte mich über Aly besser informieren sollen. Leider hab ich mich bezüglich seiner Fenstersturzaffäre auf die dt.
Wikipedia verlassen, was ich sonst nicht tue; provoziert durch Alys Artikel hat mir die dort angegebene Aussage wohl zu sehr ins Bild gepasst. Wird mir jedenfalls eine Lehre sein.
Dennoch ging es mir nicht um die »Diskreditierung« des alten Mannes, sondern um dessen »diskreditierenden« Artikel.
Wenn ich einen für meine Begriffe seriösen Historiker - wie Götz Aly - „ans Bein pinkeln“ will, dann sollte ich wenigstens halbwegs mit dem vertraut sein, was er zu dem Thema geschrieben hat.
Das verstehe ich. Da aber Götz Aly für meine Begriffe kein seriöser Historiker ist, wie seinem Artikel zu entnehmen, kann mir seine sonstige Arbeit völlig wurst sein. Danke dennoch für die kleine Leseprobe… steht da auch was zum Thema »Nagy« drin?
So möchte ich schließlich auf das Wesentliche, auf paar Sätze aus Götz Alys Artikel einen kurzen Blick werfen:
»Vergangene Woche traf es Krisztián Ungváry, einen der profiliertesten Historiker Ungarns. Er wurde während des offiziellen Gedenkakts zum 60. Jahrestag des Ungarnaufstands von 1956 niedergeschlagen, weil er sich gegen neonationalistische Geschichtsverdrehungen wendet.«
Krisztián Ungváry sieht den Grund für den Antisemitismus in Ungarn in erster Linie in der ungleichen Verteilung des Vermögens, mehrheitlich im Besitz des Bürgertums deutscher Abstammung und der Juden, insofern Alys Thesen nicht unähnlich:
»Die einen wurden in Todesfabriken geschickt, die anderen in ein zerbombtes Deutschland.« (
»Ungarns Judenhasser brauchten keinen Hitler«,
Die Welt, 23. Okt. 2013.) Das Interview hat später zu etwas Aufruhr gesorgt:
»Antisemitismus hat kein Ratio«, ebd., 28. Okt. 2013; und fairerweise Ungvárys Antwort:
»Krisztián Ungváry reagiert auf die Kritik von WELT-Herausgeber Thomas Schmid«,
Hungarian Voice, 15. Nov. 2013. Auch wurde er in Ungarn vom auf die jüdische Sozialgeschichte spezialisierten Historiker Dániel Bolgár kritisiert, er sei von Antisemiten fingierten Statistiken aufgesessen:
»Historian Krisztián Ungváry rejects charges of plagiarism, unprofessional conduct«,
The Budapest Beacon, 27. Jan. 2015.
»Ungváry kritisiert zum Beispiel, dass der Führer des Aufstands, Imre Nagy, aus dem staatlichen Gedenken getilgt wurde.«
Dafür habe ich keine Anzeichen finden können. Es wird schon stimmen, dass auch in Ungarn manchmal ideologiegenehme Themen und Institute gefördert werden, aber auch, dass Benachteiligte solche Vorwürfe gerne vorhalten. Kommt das nicht auch in Westeuropa und beispielsweise in Deutschland vor? Worin äußert sich also die staatliche Verdrängung explizit im Fall von Imre Nagy? Orbáns würdigende Rede aus 1989 anlässlich der Beisetzung ist auf
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»Nagy war Reformkommunist, deshalb passt er nicht in das geistige Schrumpfformat von Ministerpräsident Viktor Orbán. Das reicht heutzutage, um vergessen zu machen, dass Nagy nach dem gescheiterten Aufstand wegen „konterrevolutionärer Umtriebe“ verurteilt und gehenkt wurde.«
Die Bezeichnung »Reformkommunist« ist absolut falsch. Nagy war während seiner Zeit in der Regierung durchwegs sowjettreu. Aly betreibt damit eindeutig Geschichtsverdrehung. »Schrumpfformat« ist außerdem Polemik der heftigen Sorte. Götz Aly versteht es auch, den Grund für die geforderte Verehrung von Imre Nagy auf dessen Ermordung zu reduzieren, um ihn als Märtyrer hinzustellen. Genau demgegenüber liegen aber tausende Leichen von Ermordeten als Nagy Teil der Regierung war. Nagy wurde zum Opfer seines eigenen bevorzugten Regimes. Der eigentliche Verdienst von Nagy liegt in der kurzen Zeit, als er Ministerpräsident war, was Aly übergeht, da dies auch an die Rákosy-Ära und deren Opfer erinnern könnte.
»Weder Ungváry noch Kochanowski stehen politisch links. Beide arbeiten strikt quellenorientiert.«
Ungvárys Arbeit wurde von manchen als gar etwas ›zu rigide quellenorientiert‹ abgelehnt, d.h. ohne seine Quellen zu hinterfragen.
»In immer mehr europäischen Staaten bevorzugen und fördern staatliche Geschichtspolitiker nationalistische Mythen. Zwischen Kiew, Wilna, Warschau und Budapest pflegen sie zunehmend die Verehrung finsterer Nationalisten und Antisemiten.«
Alys netter Rundumschlag, den
thanepower weggekürzt hat. Östlich von Berlin scheint es wirklich finster zu- und herzugehen. Doch keine Sorge: Aly sorgt mit seinen Artikeln für die Einheit.