Grundgesetz unabänderbar?

Na, ob diese Klausel wirklich eine Legitimierung zum Putsch darstellen soll, ist für mich fraglich. Der Widerstand ist ja nicht genau definiert.
 
Lukrezia Borgia schrieb:
Na, ob diese Klausel wirklich eine Legitimierung zum Putsch darstellen soll, ist für mich fraglich. Der Widerstand ist ja nicht genau definiert.
Stell dir vor, eine Regierung fängt an unsere demokratischen Grundwerte zu beschneiden. Da kannst dir sicher sein, dass die anderen, diese Regierung gewaltsam bekämpfen werden. Schliesslich hat jeder Bürger das Recht, verfassungsfeindliche Aktionen zu bekämpfen. Ob man dann später Putsch oder Wiederherstellung der Demokratie das ganze nennt, ist doch einerlei.
Dass der Widerstand nicht genau definiert ist, sollte einleuchten. Oder sollte man in dem Grundgesetz verankern: "Unser Grundgesetz ist bei Gefahr nur mit gewaltfreien Methoden wiederherzustellen?"
 
Um noch einmal auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Ich glaube trotz aller Einwände, das Grundgesetz ist nicht "unsinkbar".
Artikel 79 III abzuändern, widerspräche natürlich dem Geist des Grundgesetzes, aber dieser Geist muß ja vom Volk getragen sein, und wenn das einmal nicht mehr der Fall ist (was ich nicht hoffen möchte, schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb), warum sollte es dann unmöglich sein, den besagten Artikel zu ändern beziehungsweise gleich- wie vorgesehen- eine neue Verfassung auszuarbeiten?
In diesem Zusammenhang fände ich auch folgende Frage interessant: Wer könnte unter welchen Umständen die Ausarbeitung einer neuen Verfassung veranlassen?
 
Hurvinek schrieb:
Stell dir vor, eine Regierung fängt an unsere demokratischen Grundwerte zu beschneiden. Da kannst dir sicher sein, dass die anderen, diese Regierung gewaltsam bekämpfen werden. Schliesslich hat jeder Bürger das Recht, verfassungsfeindliche Aktionen zu bekämpfen. Ob man dann später Putsch oder Wiederherstellung der Demokratie das ganze nennt, ist doch einerlei.

Die Frage ist nur, ob das so legal ist, wie Du dir das vorstellst. Man kann ein Gesetz nicht einfach auslegen, wie es einem passt. Die Regierung kann erst dann unsere demokratischen Grundrechte zu beschneiden, wenn 2/3 des Bundesrates und 2/3 des Bundestages einer Änderung zustimmen. An solch eine Mehrheit zu denken nenne ich in Anbetracht der Parteienlandschaft in Deutschland utopisch.
 
Mit Juristerei kenne ich mich nicht so aus, aber rein praktisch ist jedes Gesetz inkl. unseres Grundgesetzes und aller seiner Artikel nur sollange gueltig, wie der Wille dazu bei denjenigen vorhanden ist, die fuer die Bewahrung des Gesetzes Verantwortung tragen.

Wenn jemand den Willen und die Macht hat, das Grundgesetz aufzuheben, dann kann er das auch tun.
 
Soeben hab ich per Post Kopien aus Kommenentaren den Art. 20 IV GG betreffend bekommen und bin somit in der Lage, das Widerstandsrecht näher zu erläutern.

Diese Klausel hat in erster Linie Symoblcharakter. "Nicht nur in subjektiver, sondern auch in objektiver Interpretation liegt der wesentliche, vor allem verfassungspolitische Wert des Art. 20 IV GG in seiner Symbolfunktion" (Dreier, 1998). Weiter wird ausgeführt, dass es den Menschen, die den Schutz des Grundgesetzes genießen, die Möglichkeit gibt, diese Ordnung zu verteidigen. Die Regelung soll auch als Appell verstanden werden, möglichst früh zu erkennen, wann die demokratische Grundordnung in Gefahr gerät.

Die Art und Mittel des Widerstandes sind im Gesetztestext nicht genau defniniert, "so dass aktiver und passiver Widerstand ebenso erfasst wird wie Widerstand mit oder ohne Gewalt " (Dreier, 1998). Es ist jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Im Folgenden wird auf die besondere Verbindung zu Art. 9 II. (Vereinigungsfreiheit), Art. 18 (Meinungs- und Pressefreiheit) sowie Art. 21 II (Verbot demokratiegefährdender Parteien) hingewiesen.

Laut dem Kommentar von Bleibtreu & Klein soll die Widerstandsklausel so restriktiv wie möglich interpretiert werden, da diese Bestimmung sonst eine "Legalisierung des Faustrechts, das jeder rechtsstaatlichen Ordnung wiederspricht" darstellen könnte. Jaras-Pieroth führt hierzu aus: "Der Widerstandsleistende muss mildere Mittel einsetzen, sofern sie ausreichend wirksam sind."

"Ein Widerstandsrecht besteht nicht, wenn unter Einhaltung der von der Verfassung vorgeschriebenen Formen und Verfahren im Rahmen der von ihr gezogenen Schranken auf gesellschafts- oder verfassungspolitische Reformen [...] hingewirkt wird" (Bleibtreu, Klein). Sollte also mit legalen Mitteln (z.B. Änderung des GG durch 2/3-Mehrheit) die bestehende Ordnung verändert werden, besteht kein Recht nach Art. 20 IV GG.

Ich hoffe, dass das zur Klärung beigetragen hat. :)
 
mal theoretisch angenommen die regierung will das grundgesetz komplett abschaffen - z.b. zu gunsten einer gesamteuropäischen verfassung. dann müßte man also zuerst nach art. 146 eine neue verfassung beschließen, in der eine abschaffung vorgesehen ist, oder?
wäre eine politische kraft die das beabsichtigt grundgesetzwidrig?
warum heißt es eigentlich verfassungsschutz, wo wir doch nur ein grundgesetz haben?
gast-frank
 
Gast schrieb:
mal theoretisch angenommen die regierung will das grundgesetz komplett abschaffen - z.b. zu gunsten einer gesamteuropäischen verfassung. dann müßte man also zuerst nach art. 146 eine neue verfassung beschließen, in der eine abschaffung vorgesehen ist, oder?

Die Europäische Verfassung steht schon so gut wie.

Die Europäische Union und ihre Verfassung

Eine Abschaffung der Verfassungen der Mitgliedsstaaten ist darin nicht vorgesehen und wäre auch überflüssig, da die im Grundgesetz enthaltenen Grundrechte in keinster Weise mit Regelungen der Europäischen Verfassung konkurieren.

Gast schrieb:
wäre eine politische kraft die das beabsichtigt grundgesetzwidrig?

Nein, weshalb auch?

Gast schrieb:
warum heißt es eigentlich verfassungsschutz, wo wir doch nur ein grundgesetz haben?

Zwar war das Grundgesetzt als Provisorum gedacht, hat aber dennoch Verfassungscharakter.

Ich hoffe, dass ich deine Fragen beantwortet habe. :)
 
Lukrezia Borgia schrieb:
Die Frage ist nur, ob das so legal ist, wie Du dir das vorstellst. Man kann ein Gesetz nicht einfach auslegen, wie es einem passt. Die Regierung kann erst dann unsere demokratischen Grundrechte zu beschneiden, wenn 2/3 des Bundesrates und 2/3 des Bundestages einer Änderung zustimmen. An solch eine Mehrheit zu denken nenne ich in Anbetracht der Parteienlandschaft in Deutschland utopisch.

Liebe Lukrezia,
ich wollte mit meinem Posting deutlich machen, dass unsere demokratische Grundordnung nicht veränderbar ist, da eben Art.20 jede Form von Verfassungsänderung Gegenmaßnahmen zulassen, die von einigen wenigen auch eine legitimierte Regierung legal stürzen darf.
Bsp.: 2/3 der Bürger wählen aus "Protest" (welch irriger Glaube der jetzigen Parteien, Wähler zu Blödianen - Protestwähler genannt - zu machen) Parteien, die im Wahlprogramm zwischen den Zeilen eine Verfassungsänderung und Beschneidung demokratischer Grundwerte anstreben. Es wird zu keiner Vereidigung dieser neuen Regierung kommen, da Art.20 in diesem Fall die Verlierer der Wahlen erlaubt, legal eingreifen dürfen.
Schon in der DDR hieß es, dass der eingeschlagene Weg unumkehrbar sei. "Der Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf."
 
Hurvinek schrieb:
...dass unsere demokratische Grundordnung nicht veränderbar ist, da eben Art.20 jede Form von Verfassungsänderung Gegenmaßnahmen zulassen, die von einigen wenigen auch eine legitimierte Regierung legal stürzen darf.
Bsp.: 2/3 der Bürger wählen aus "Protest" (welch irriger Glaube der jetzigen Parteien, Wähler zu Blödianen - Protestwähler genannt - zu machen) Parteien, die im Wahlprogramm zwischen den Zeilen eine Verfassungsänderung und Beschneidung demokratischer Grundwerte anstreben. Es wird zu keiner Vereidigung dieser neuen Regierung kommen, da Art.20 in diesem Fall die Verlierer der Wahlen erlaubt, legal eingreifen dürfen.
Schon in der DDR hieß es, dass der eingeschlagene Weg unumkehrbar sei. "Der Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf."


Sag mal, Hurvinek, wozu lass ich mir eigentlich juristische Kommentare kopieren und zuschicken, wenn das die Diskussionsbeteiligten nachher eh nicht lesen!?!

Lukrezia schrieb:
"Ein Widerstandsrecht besteht nicht, wenn unter Einhaltung der von der Verfassung vorgeschriebenen Formen und Verfahren im Rahmen der von ihr gezogenen Schranken auf gesellschafts- oder verfassungspolitische Reformen [...] hingewirkt wird" (Bleibtreu, Klein).
 
Lukrezia Borgia schrieb:
Diese Klausel hat in erster Linie Symoblcharakter. "Nicht nur in subjektiver, sondern auch in objektiver Interpretation liegt der wesentliche, vor allem verfassungspolitische Wert des Art. 20 IV GG in seiner Symbolfunktion" (Dreier, 1998). Weiter wird ausgeführt, dass es den Menschen, die den Schutz des Grundgesetzes genießen, die Möglichkeit gibt, diese Ordnung zu verteidigen. Die Regelung soll auch als Appell verstanden werden, möglichst früh zu erkennen, wann die demokratische Grundordnung in Gefahr gerät.

Die Art und Mittel des Widerstandes sind im Gesetztestext nicht genau defniniert, "so dass aktiver und passiver Widerstand ebenso erfasst wird wie Widerstand mit oder ohne Gewalt " (Dreier, 1998). Es ist jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Im Folgenden wird auf die besondere Verbindung zu Art. 9 II. (Vereinigungsfreiheit), Art. 18 (Meinungs- und Pressefreiheit) sowie Art. 21 II (Verbot demokratiegefährdender Parteien) hingewiesen.

Laut dem Kommentar von Bleibtreu & Klein soll die Widerstandsklausel so restriktiv wie möglich interpretiert werden, da diese Bestimmung sonst eine "Legalisierung des Faustrechts, das jeder rechtsstaatlichen Ordnung wiederspricht" darstellen könnte. Jaras-Pieroth führt hierzu aus: "Der Widerstandsleistende muss mildere Mittel einsetzen, sofern sie ausreichend wirksam sind."

"Ein Widerstandsrecht besteht nicht, wenn unter Einhaltung der von der Verfassung vorgeschriebenen Formen und Verfahren im Rahmen der von ihr gezogenen Schranken auf gesellschafts- oder verfassungspolitische Reformen [...] hingewirkt wird" (Bleibtreu, Klein). Sollte also mit legalen Mitteln (z.B. Änderung des GG durch 2/3-Mehrheit) die bestehende Ordnung verändert werden, besteht kein Recht nach Art. 20 IV GG.


Wer selbst zu Waffen also aktiven Widerstand oder Putsch,wie es weiter oben erwähnt wurde von Hurvinek,greift,um unsere Verfassung zu "verteidigen",ist nicht viel besser als derjenige,der mit denselben Waffen versucht die Verfassung zu "stürzen".
Es gibt genügend legale Wege,um solchen Auswüchsen entgegen zu steuern oder gar zu bekämpfen.Wir haben nicht umsonst eine sogenannte "wehrhafte Demokratie".
Es ist bestimmt sehr empfehlenswert,dass dieses Widerstandsrecht sehr beschränkt und mehr symbolischer Bedeutung ist.

@Paul: Ist nicht nach Beseitigung des NS-Regimes,welches auf der Weimarer Verfassung fußt,durch die Besatzungsmächte im Westen bestimmt worden,dass Deutschland eine neue Verfassung zu bekommen hat? Man hätte ja die Weimarer Verfassung wieder einrichten können,aber sie hat sich ja nicht gerade als sehr wirkungsvoll gegen antidemokratisch eingestellten Parteien erwiesen.
Das GG ist leicht abschaffbar auf legalem Wege mit den entsprechenden Mehrheiten,wie oben zitiert wurde :)


Gruß,
Liesjailaeki
 
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