Günter Grass

El Quijote

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Wikipedia ist schnell. Schon heute morgen steht darinnen, was ich Euch gerne mitzuteilen gedachte:

In einem am 12. August 2006 in der FAZ veröffentlichten Interview räumte Grass ein, nach Ableistung des Arbeitsdienstes 1944 in die Division 'Frundsberg' der Waffen-SS eingezogen worden zu sein. Bis zu diesem Zeitpunkt hieß es in den veröffentlichten Biografien des Schriftstellers stets, er sei 1944 Flakhelfer geworden und danach als Wehrmachtssoldat einberufen worden.

Da wir derzeit ein Probeabo der FAZ beziehen, muss ich mir diese nicht einmal kaufen :)
 
Für mich hat das einen komischen Beigeschmack, nicht mal derart, dass ich Grass deswegen als Heuchler sehen würde. Spätestens seit dem Nobelpreis ist er zusammen mit Böll ja der nachkriegsdeutsche Über-Schriftsteller, der sich selbst und dem andere zig Denkmäler gesetzt haben. Es wirkt fast ein bisschen, als habe er sich diese Volte über all die Jahre aufgehoben, gerade richtig für seinen jetzigen Status, so dass selbst dieses Bekenntnis noch wie ein Staatsakt wirkt. Dies sieht man auch schön an dem Schirrmacher-Kommentar (den ich im übrigen ganz gut finde), bei dem jeder Zeile anzumerken ist: Bahnbrechende Neuheit! Grass war in der SS! Wie hätte es den Lauf der Geschichte verändert, hätte man das früher gewußt?
 
Dazu kann ich ehrlicherweise nur sagen, dass Walesa viel fordern kann:nono:

Aber einige der Kritiken finde ich doch zu hart. Es gibt soviele Leute, die aus Angst vor Schande, aus Angst vor Einsamkeit und aus Schuldgefühlen bis heute über ihre SS-Vergangeheit geschwiegen haben oder erst jetzt anfangen das zu verarbeiten, weil sie ihre Taten realisieren. Der einzige Unterschied bei Grass ist, dass er Prominent ist! Das macht ihn gleich zum großen "Bad-man", von dem sich alle enttäsucht fühlen. Einem Normalbürger wurde man sagen "Kopf hoch", "Ja, es ist schlimm", "Du musst es verarbeiten" oder Ähnliches.

Für mich bleibt Grass ein Großer.

Und diese Äußerung von Fest: "Ich würde nicht mal mehr einen Gebrauchtwagen von ihm kaufe", das ist einfach nur unqualifiziert und macht aus seinem Geständnis eine Bagatelle!
 
Martas schrieb:
Aber einige der Kritiken finde ich doch zu hart. Es gibt soviele Leute, die aus Angst vor Schande, aus Angst vor Einsamkeit und aus Schuldgefühlen bis heute über ihre SS-Vergangeheit geschwiegen haben oder erst jetzt anfangen das zu verarbeiten, weil sie ihre Taten realisieren.

Hat Grass da was versäumt?

Evangelischer Kirchentag 1969.
Ein Mann steht auf und ruft Ich grüße meine Kameraden von der SS!. Dann setzt er eine Flasche Zyankali an die Lippen und trinkt.
Auf dem Weg ins Robert-Bosch-Krankenhaus stirbt er, notiert Günter Grass, der diesen Manfred Augst in Aus dem Tagebuch einer Schnecke porträtiert hat.
 
sicher hat er etwas versäumt, hätte er zu anfang seiner karriere bekannt, dass er in den letzten kriegsmonaten als schütze a... ss-kragenspiegel getragen hatte, wäre so ein aufschrei gar nicht zustandegekommen. schliesslich waren hundertatusende deutsche soldaten in der waffen -ss gewesen. na und, mit 17, eingezogen, wen interessierte das?

vermutlich hat aber karassek recht, mit so einem makel hätte man 1999 den literatur-nobelpreis nicht erhalten. dies wird auch grass bewusst gewesen sein, er gehörte ja, fast schon jahrzehntelang, zu den "favoriten" und eine gewisse eitelkeit wird ihm ja nachgesagt. also lieber darüber schweigen.

und jetzt, ein talent für pr kam man ihm nicht absprechen, so kurz vor der veröffentlichung seiner autobiographie...
 
Nachdem die erste Empörung verraucht ist, wird Grass erst so richtig durchstarten und die Anerkennung aller Bevölkerungsschichten ungeteilt ernten können.

Die Ernüchterung eines großen Teils der europäischen Gesellschaft über Globalisierung, Multi-Kulti und Friedensbewegtheit, die Aussicht auf eine globalisierte Welt, in welcher die Armut für die Mehrheit der Bevölkerung das tatsächlich angepeilte Ziel zu sein scheint (80:20 Gesellschaft), und das Erkennen, dass die Befreiungsbewegungen für die ehemaligen Kolonien den unabhängig gewordenen Staaten nichts als wirtschaftliche Not, Hunger und Krieg gebracht haben, ermöglichen es heute, dass der einstige Fehltritt eines Jugendlichen als das erkannt wird, was er ist. Der Westen hat heute echt andere Probleme, als sich mit solchen Altlasten herumzuschlagen.


Liebe Grüße
 
Ich glaube Fest wurmt immer noch, dass er sich von Speer so hat hinters Licht führen lassen, das lastet er dem Grass jetzt mit an.
 
collo schrieb:
vermutlich hat aber karassek recht, mit so einem makel hätte man 1999 den literatur-nobelpreis nicht erhalten. dies wird auch grass bewusst gewesen sein, er gehörte ja, fast schon jahrzehntelang, zu den "favoriten" und eine gewisse eitelkeit wird ihm ja nachgesagt. also lieber darüber schweigen.

Nun diese von Grass gewählte Abfolge zeigt doch viel vom Charakter.

Andere, welche genauso 1944 in Schwarz gesteckt wurden , haben sich bekannt und haben dafür die stille oder offene Belastung passiver
Mittäterschaft kassiert --- und was weiss ich , welche Anerkennung
eben nicht bekommen......

Einer der Hauptbelaster war Grass.....

Welch edler Mensch.....
 
Es ist doch eigentlich überhaupt keiner Erwähnung wert, wenn ein 17-jähriger gegen Kriegsende zur Waffen-SS eingezogen wurde und seiner Einberufung folgte. Das war doch ein völlig natürlicher Vorgang.

Das, wie Ralph Giordano, zu einem politischen Irrtum zu stilisieren, zeigt die ganze Realitätsferne weiter Bereiche der heutigen Diskussion. Genauso unsinnig ist die Aeusserung von Joachim Fest, der von " tiefer Verstrickung" spricht.

Was indessen kein gutes Licht auf den Charakter des Nobelpreisträgers wirft, ist die späte Offenbarung eines völlig natürlichen Vorgang, den Günther Grass mit hundertausenden von damals jungen Deutschen teilt.
Und das insbesondere, nachdem er für Jahrzehnte sich als eine Art moralisches Gewissen der Nation präsentiert und dabei auch über seine Schicksalsgenossen den Stab gebrochen hat.

Diese späte Offenbarung, genau passend zum Erscheinungsdatum seiner Autobiographie, nun als "würdig und nobel" zu beteichnen, wie Walter Jens, ist eine Fehlbewertung, die Jens vielleicht gerade im Hinblick auf seinen eigenen Umgang mit seiner Mitgliedschaft in der NSDAP in den Sinn kam.

Die literarische Qualität von Grass ist von diesem Vorgang natürlich völlig unberührt, seine Glaubwürdigkeit aber schon. Künftig wird ein grosser Teil der Oeffentlichkeit seine moralischen Wertungen nehmen, wie sie nun genommen werden müssen, mit mehr als einem Körnchen Salz.
 
kwschaefer schrieb:
Es ist doch eigentlich überhaupt keiner Erwähnung wert, wenn ein 17-jähriger gegen Kriegsende zur Waffen-SS eingezogen wurde und seiner Einberufung folgte. Das war doch ein völlig natürlicher Vorgang.

Wie war das eigentlich? In den Zeitungsberichten wird immer von "Einberufung" gesprochen - kam man nicht nur als Freiwilliger zur Waffen-SS? Einberufen wurde man zur Wehrmacht oder zum Volkssturm vielleicht, aber zur Waffen-SS doch nicht? Oder liege ich da falsch?
 
Dazu ein Artikel aus der NZZ am Sontag vom 13. August 2006

Günter Grass war bei Waffen-SS

Der deutsche Nobelpreisträger spricht erstmals öffentlich über seine Vergangenheit als Rekrut der Waffen-SS. In einem Interview äussert er sich zu seinem langen Schweigen und zu seinem Bedürfnis, jetzt das Geheimnis zu lüften. Von Claudia Schwartz

Er ist, wenn man so will, der deutscheste Schriftsteller des späteren 20. Jahrhunderts, politischer Moralist und Gewissen der Nation. Nun irritiert Günter Grass, der in seinem literarischen Werk wie in seinen politischen Einsprachen selber immer hohe moralische Massstäbe an die Wahrheitsfindung auch bezüglich der NS-Vergangenheit ansetzte, die Deutschen mit einem verspäteten Geständnis: In einem Interview in der Wochenendausgabe der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» bringt der Autor zur Sprache, dass er in den letzten Kriegsmonaten Mitglied der Waffen-SS war. Der offizielle Lebenslauf, in dem der Literaturnobelpreisträger als «Flak-Helfer» und «Soldat» bezeichnet wird, erfährt damit eine Korrektur. Grass schildert in dem Gespräch, wie er sich zur U-Boot-Truppe gemeldet habe, dann aber von der Waffen-SS eingezogen worden sei, die in den letzten Kriegsmonaten genommen habe, «was sie kriegen konnte».


Schuldgefühle

Er habe sich «mit fünfzehn wohl» gemeldet und das danach vergessen. «So ging es vielen meines Jahrgangs: Wir waren im Arbeitsdienst, und auf einmal, ein Jahr später, lag der Einberufungsbefehl auf dem Tisch. Und dann stellte ich vielleicht erst in Dresden fest, es ist die Waffen-SS.» Damals, als Siebzehnjähriger, habe er keine Schuld empfunden. Wie Grass bereits zuvor erklärt hat, sei er in der Gefangenschaft erstmals mit Bildern aus dem KZ konfrontiert worden und habe erst nach Baldur von Schirachs Aussage im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess geglaubt, «dass die Verbrechen tatsächlich stattgefunden hatten».


Später habe ihn «dieses Schuldgefühl als Schande belastet». Es sei für ihn immer mit der Frage verbunden gewesen: «Hättest du zu dem Zeitpunkt erkennen können, was da mit dir vor sich geht?» Über die Verführbarkeit und das deutsche Verdrängen der Vergangenheit in der Nachkriegszeit sagt Grass weiter, es sei so getan worden, «als wäre das arme deutsche Volk von einer Horde schwarzer Gesellen verführt worden». Er aber habe als Kind miterlebt, wie alles «am helllichten Tag passierte. Und zwar mit Begeisterung und mit Zuspruch.» Nach dem Beweggrund gefragt, weshalb er sich freiwillig der Wehrmacht angeschlossen habe, erklärt Grass: «Mir ging es zunächst vor allem darum rauszukommen. Aus der Enge, aus der Familie.»


Die Waffen-SS verstand sich als die militärische Elite der nationalsozialistischen Bewegung. Zu ihr gehörten auch die für die Konzentrationslager verantwortlichen Totenkopfverbände. Während sich die Wehrmacht als unpolitische Organisation betrachtete, sahen sich die SS-Angehörigen als politische Kämpfer. Sie waren für einige der schlimmsten Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg verantwortlich. Im Kriegsverlauf verlor diese Einheit zunehmend ihren Charakter als Eliteformation; schrittweise wurde auch das Freiwilligenprinzip ausgehöhlt.


Auf die Frage, warum er erst jetzt darüber spreche, meint Grass, er wisse es nicht. Er sei einerseits überzeugt gewesen, er habe mit seinem Schreiben «genug getan». Aber es sei ein «restlicher Makel» geblieben. Sein «eigener Zwang» habe ihn nun zum Reden gebracht. Das Schweigen über all die Jahre habe ihn «bedrückt» und sei auch der Grund, weshalb er seine in Kürze erscheinenden Erinnerungen «Beim Häuten der Zwiebel» geschrieben habe: «Das musste raus, endlich», so Grass. Wenngleich seine SS-Zugehörigkeit nicht «das dominierende Thema» des Buches ist, so bezeichnet er den Krieg als «Dreh- und Angelpunkt» des neuen Werks, in dem der Schriftsteller seine Kindheit in Danzig, die letzten Kriegswochen als Soldat, in denen er knapp dem Tod entrann, die Kriegsgefangenschaft und die Wirren der ersten Nachkriegszeit beschreibt.


Geschichtsklitterung

Grass' literarische Bedeutung ist durch sein verspätetes Geständnis nicht in Frage gestellt, wohl aber sein Status als moralische Instanz der Bundesrepublik Deutschland. Die Glaubwürdigkeit des Mannes, der immer Wahrhaftigkeit verlangte und zugleich ein entscheidendes Faktum seiner Biografie verheimlichte, hat Schaden gelitten. Als 1984 der damalige Bundeskanzler Kohl mit US-Präsident Reagan den Soldatenfriedhof in Bitburg in der Eifel besuchte, auf dem auch Angehörige der Waffen-SS bestattet liegen, sprach Grass laut der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» von einer «Geschichtsklitterung, deren auf Medienwirkung bedachtes Kalkül Juden, Amerikaner und Deutsche, alle Betroffenen gleichermassen verletzte».

Grass sieht sich nun mit dem Vorwurf konfrontiert, er hätte spätestens damals über seine eigene Verstrickung Auskunft geben müssen. So bleibt auch unbegreiflich, wie er vor wenigen Jahren mehrere Schriftsteller, die einst in die NSDAP eingetreten waren, verteidigen konnte, ohne sich öffentlich mit seiner eigenen Biografie auseinanderzusetzen. Es wirkt ein wenig so, als hätte Grass mit seinem Geständnis auf diesen Zeitpunkt gewartet, zu dem die Deutschen vermehrt über ihr eigenes Leid, über Bombenkrieg und Vertreibung debattieren.
 
Arne schrieb:
Wie war das eigentlich? In den Zeitungsberichten wird immer von "Einberufung" gesprochen - kam man nicht nur als Freiwilliger zur Waffen-SS? Einberufen wurde man zur Wehrmacht oder zum Volkssturm vielleicht, aber zur Waffen-SS doch nicht? Oder liege ich da falsch?


In den letzten Kriegsmonaten waren die Verluste der Waffen-SS so hoch, dass sie durch freiwillige Meldungen nicht aufgewogen werden konnten. Deshalb setzte das SS-Führungshauptamt durch, auch Rekruten zur Waffen-SS einzuberufen.

Auch Fachleute im Offiziersrang wurden kurzerhand vom Heer an die Waffen-SS abgegeben.
 
Jacobum schrieb:
In den letzten Kriegsmonaten waren die Verluste der Waffen-SS so hoch, dass sie durch freiwillige Meldungen nicht aufgewogen werden konnten. Deshalb setzte das SS-Führungshauptamt durch, auch Rekruten zur Waffen-SS einzuberufen.

Danke für die Klarstellung, Jacobum. Das Zitat von Ursi bringt noch weitere Klarheit:
Grass schildert in dem Gespräch, wie er sich zur U-Boot-Truppe gemeldet habe, dann aber von der Waffen-SS eingezogen worden sei, die in den letzten Kriegsmonaten genommen habe, «was sie kriegen konnte».

Also hat er sich freiwillig zum Kriegsdienst bei der Marine (U-Boote) gemeldet und wurde dann - wider Erwartens - zur Waffen-SS eingezogen.
 
Gehört zwar nicht unbedingt zum Thema Grass, aber zur Ergänzung:

Zur Freiwilligkeit habe ich soeben auf zdf.de noch einen Beitrag gefunden, in dem auch steht, dass neben "Berufsverbrechern" sogar politische Häftlinge zur Waffen-SS zwangsverpflichtet wurden. Mir war zwar die Aufgabe der Freiwilligkeit bekannt, dass aber "Politische" zur SS gepresst wurden war mir neu.

Der gesamte Text steht unter
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/30/0,1872,2022078,00.html

Gruß

Jacobum
 
Jacobum schrieb:
Zur Freiwilligkeit habe ich soeben auf zdf.de noch einen Beitrag gefunden, in dem auch steht, dass neben "Berufsverbrechern" sogar politische Häftlinge zur Waffen-SS zwangsverpflichtet wurden. Mir war zwar die Aufgabe der Freiwilligkeit bekannt, dass aber "Politische" zur SS gepresst wurden war mir neu.

Das bezieht sich aber offenbar nur auf die Dirlewanger-Einheit:
http://de.wikipedia.org/wiki/Oskar_Dirlewanger#Zweiter_Weltkrieg
.
Auf seine Anregung hin wurde das Sonderkommando Dirlewanger für Vorbestrafte wie ihn selbst von der SS im KZ Oranienburg aufgestellt.
 
Interessant finde ich einen anderen Umstand:

Grass war ja sicher nicht der einzige Soldat in seiner Einheit, der den Krieg überlebt hat. Und schon kurze Zeit später ist der Name Günter Grass im ganzen Land (und darüber hinaus) bekannt und berühmt geworden. Und da es sich auch nicht um einen Allerweltsnamen handelt, müsste doch spätestens in den 50er Jahren einer gesagt haben, "Mensch, der Günter, mit dem war ich in der SS".

Es scheint mir fast so, dass die Mitgliedschaft in der Waffen-SS wohl nie ans Licht gekommen wäre, wenn Grass nicht selbst diesen Umstand bekannt gemacht hätte. Eigentlich unglaublich, oder?

Jacobum
 
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