Hanns Martin Schleyer und der Nationalsozialismus

chris8778

Neues Mitglied
Das Thema RAF ist im Moment durch die Freilassung von Brigitte Mohnhaupt und dem Gnadengesuch von Christian Klar in aller Munde. In diesem Zusammenhang meldete sich auch wieder die Witwe von Hanns-Martin Schleyer zu Wort, die Stellung gegen die Haftentlassung Mohnhaupts und Klars bezog.
Waltrude Schleyer zur Bild Zeitung: "Lasst den Mörder meines Mannes nicht frei"

Wenn ich an Hanns Martin Schleyer denke, so kommt mir vor allem das Bild des Arbeitgeberpräsidenten in den Sinn, das ihn als Gefangenen der RAF zeigt. Darauf ist ein verstört dreinblickender, mitleiderregender Mann mit einem Schild zu sehen.
Vor kurzem sah ich allerdings die Dokumentation "Schleyer - Eine deutsche Geschichte", in der Hanns Martin Schleyer nicht mehr ganz so gut wegkommt. Und auch der Wikipedia- Artikel erwähnt Schleyers Tätigkeit als "persönlicher Sekretär des Präsidenten Dr. Bernhard Adolf, der maßgeblich für die „Arisierung“ und Germanisierung der böhmischen Industrie verantwortlich war." Außerdem hatte Schleyer innerhalb der SS den Rang eines Untersturmführers inne.

Es ist mir klar, dass man Unrecht nicht gegeneinander aufrechnen darf, aber in meinen Augen hat Schleyer den Status als "unschuldiges" Opfer der RAF verloren.

Ich hoffe, dass das Thema nicht zu heikel ist, aber die Meinung der Mitglieder in diesem Forum interessiert mich sehr.
 
Es ist mir klar, dass man Unrecht nicht gegeneinander aufrechnen darf, aber in meinen Augen hat Schleyer den Status als "unschuldiges" Opfer der RAF verloren.


Die Begriffe "schuldig" und "unschuldig" sind hier völlig unangebracht. Was immer man an Schleyers Vergangenheit kritisieren mag, spielt hier keine Rolle: Schleyer war vor keinem Gericht angeklagt, und die RAF hat ihm auch keinen Prozeß gemacht, sondern wollte mit seiner Entführung die Bundesregierung erpressen. Als den Entführern klar wurde, daß sie damit keinen Erfolg haben würden, haben sie ihr Opfer ermordet.
 
Wenn du die Begriffe "schuldig" und "unschuldig" lediglich in dem Zusammenhang eines stattgefundenen Gerichtsprozesses verwendest, hast du sicher recht - derjenige, der vom Richter schuldig befunden wird, ist schuldig und derjenige, der freigesprochen wird ist unschuldig.

Dennoch musst du doch zugeben, dass die Sache nicht so einfach vom Tisch gewischt werden kann. Ja, Schleyer wurde von keinem Gericht angeklagt. Das heißt aber doch nicht, dass er sich nicht schuldig gemacht hat.
Festzuhalten ist doch, dass Schleyer kein unbeschriebenes Blatt war, was in den Medien viel zu wenig berücksichtigt wird. Hier ist immer nur vom "Opfer" Schleyer die Rede. Außerdem ging es der RAF nicht darum irgendjemanden zu entführen, um die Bundesregierung zu erpressen. Schleyer war für die RAF ein lebender Beweis dafür, dass die nationalsozialistische Vergangenheit nicht aufgearbeitet wurde.
Ich möchte an dieser Stelle nicht die Taten der RAF rechtfertigen, aber es stört mich einfach die Art und Weise der Berichterstattung. Ich finde, dass die Medien viel zu einseitig berichten und damit diese Zeit viel zu sehr verklären.
 
Wenn du die Begriffe "schuldig" und "unschuldig" lediglich in dem Zusammenhang eines stattgefundenen Gerichtsprozesses verwendest, hast du sicher recht - derjenige, der vom Richter schuldig befunden wird, ist schuldig und derjenige, der freigesprochen wird ist unschuldig.

Da braucht man kein Gericht dazu, es gehört zu den stinknormalen westlichen Moralnormen, dass niemandem vorsätzlich Gewalt anzutun ist; egal, ob nun dieser einen dunklen Fleck in der Vergangenheit hat.

(Ich spreche hier ausdrücklich von Normen. Falls jemand mit einzelnen Gegenbeispielen kommt, da würden mir selbst welche einfallen...')
 
Wenn du die Begriffe "schuldig" und "unschuldig" lediglich in dem Zusammenhang eines stattgefundenen Gerichtsprozesses verwendest, hast du sicher recht - derjenige, der vom Richter schuldig befunden wird, ist schuldig und derjenige, der freigesprochen wird ist unschuldig.

Dennoch musst du doch zugeben, dass die Sache nicht so einfach vom Tisch gewischt werden kann. Ja, Schleyer wurde von keinem Gericht angeklagt. Das heißt aber doch nicht, dass er sich nicht schuldig gemacht hat.
Festzuhalten ist doch, dass Schleyer kein unbeschriebenes Blatt war, was in den Medien viel zu wenig berücksichtigt wird. Hier ist immer nur vom "Opfer" Schleyer die Rede. Außerdem ging es der RAF nicht darum irgendjemanden zu entführen, um die Bundesregierung zu erpressen. Schleyer war für die RAF ein lebender Beweis dafür, dass die nationalsozialistische Vergangenheit nicht aufgearbeitet wurde.

Diese Aussage kommt halt so rüber, das du Selbstjustiz für angebracht hälst und das geht in einem Rechtsstaat einfach nicht.

Warum wurde Schleyer entührt? Die RAF wollte elf inhaftierte Mitglieder freipressen. Das ist der Hintergrund der Entführung, dass er durch seine Vergangenheit (und der Aussage im TV das er stolz auf seine Vergangenheit sei) und seiner Haltung bei den Arbeitskämpfen ein ideales Feindbild der 68er-Bewegung war, war für die RAF ein guter Nebeneffekt.

Und wenn es der RAF "nur" um Schleyers Vergangenheit ging, hätten sie nicht den Chauffeur und die beiden Polizisten zu erschiessen brauchen.

Ich möchte an dieser Stelle nicht die Taten der RAF rechtfertigen, aber es stört mich einfach die Art und Weise der Berichterstattung. Ich finde, dass die Medien viel zu einseitig berichten und damit diese Zeit viel zu sehr verklären.

Die Taten der RAF wurden verklärt und es entstand ein Mythos der nun mal so nicht richtig ist. Heute sprechen auch einmal die Angehörigen der Opfer und die haben ein Rrecht dazu ihre Ansichten und Meinungen zu sagen wie die Täter auch. Und die Täter haben sich schon häufig geäussert, sei es im TV (gibt einige Sendungen wo die Täter red und antwort standen), in Büchern oder in den Zeitungen.

Vielleicht solltest du mal diese Diskussion und die Pressemitteilung hier im Forum durchlesen:

http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=14580

http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=15241
 
Zuletzt bearbeitet:
chris8778 schrieb:
Außerdem ging es der RAF nicht darum irgendjemanden zu entführen, um die Bundesregierung zu erpressen. Schleyer war für die RAF ein lebender Beweis dafür, dass die nationalsozialistische Vergangenheit nicht aufgearbeitet wurde

Dieser - in der Linken häufiger anzutreffende - Rechtfertigungsansatz ist uralt, wird aber mit den Jahren auch nicht richtiger. Die Schleyer-Entführung war durchaus eine strategisch geplante Aktion. Die Polizei hatte schon kurz vorher ein Notizblatt mit verschiedenen geplanten Aktionen gefunden, darunter eine mit dem Titel "Big Raushole" - es stellte sich später heraus, dass damit die Aktion gegen Schleyer gemeint war. Dass Schleyer auch mal Nazi gewesen ist, war ein Zufall - die Terroristen hielten ihn als Arbeitsgeberpräsident für wichtig genug, um ihre Gefangenen herauszubekommen. Vorbild war die geglückte Freipressung einer Gefangenen durch die Gruppe "Bewegung 2. Juni", die den CDU-Politiker Peter Lorenz 1975 entführt hatten. Neben der sinnlosen schlussendlichen Ermordung Schleyers darf man auch nicht vergessen, dass die Terroristen zu Beginn der Aktion den Fahrer und zwei Bewacher Schleyers umbrachten. Bei denen war der persönlich Hintergrund völlig egal...
 
Mir erschließt sich nich warum man zu Beurteilung dieses Faktes westliche Moralnormen heranzieht, wo doch offensichtlich die Täter anders gehandelt haben? Die Herangehensweise funktioniert doch gar nicht. Und wer bestimmt die westlichen Moralnormen? Ich denke schon, dass Gewalt in vielfältiger Form auftritt,sogar gewollt, zumindest aber toleriert wird.

Und wo sind die Dokumente dazu, dass es der RAF nur um den Arbeitgeberpräsident ging und nich zufällig auch noch um seine Vergangenheit, wenn es schon strategisch geplant wurde, dann wird man doch wohl auch was zur Vergangenheit suchen und wie waren die Ziele der 68er? Da war doch irgendwas mit Elterngeneration und Adenauermief und Nazi-Vergangenheit. Und gehört die RAF nich zur 68er Bewegung?
 
Und wo sind die Dokumente dazu, dass es der RAF nur um den Arbeitgeberpräsident ging und nich zufällig auch noch um seine Vergangenheit, wenn es schon strategisch geplant wurde, dann wird man doch wohl auch was zur Vergangenheit suchen und wie waren die Ziele der 68er? Da war doch irgendwas mit Elterngeneration und Adenauermief und Nazi-Vergangenheit. Und gehört die RAF nich zur 68er Bewegung?

1. Wo sind die Dokumente von vor der Entführung, dass gezielt ehemalige Nazis entführt werden sollten von Seiten der RAF?
2. Warum, wenn es um die Abstrafung von ehemaligen Nazis ging, wurde dann der Versuch der Freipressung von Gesinnungsgenossen überhaupt unternommen?
Und die 68er waren in der Mehrheit nicht gewalttätig und hingen nicht dem Gedanken der Selbstjustiz an.
Die RAF war nur nach eigener Auffassung ein Teil der 68er. Mit der Nazi-Vergangenheit von Herrn Schleyer hofften sie mit Sicherheit auf noch mehr Sympathisantentum. Das mag ihnen auch gelungen sein, nicht nur bei den 68ern. Aber mir fehlen vor allem die Dokumente, die die RAF wirklich als allgemein akzeptierten kamfbereiten Arm der 68er Zeit zeigen.
 
Zum Thema sei die Biographie Schleyers von Lutz Hachmeister empfohlen, die vor kurzem auch bei dtv erschienen ist. Sie analysiert die Rolle Schleyers im Dritten Reich und wertet auch die Aufnahmen aus, die die RAF-Mitglieder während seiner Gefangenschaft machten.
 
Mir erschließt sich nich warum man zu Beurteilung dieses Faktes westliche Moralnormen heranzieht, wo doch offensichtlich die Täter anders gehandelt haben?


Überleg mal, aus welchem Kulturkreis die Täter stammten, vielleicht fällt Dir dann etwas dazu ein.

Wenn nicht, dann überleg Dir doch mal, warum man zur Beurteilung von neonazistischen Straftaten nicht die Moralnormen der Neonazis heranzieht.

Jeder Kriminelle muß sich erst einmal an den zu seiner Zeit und in seinem Umfeld gültigen Moralnormen messen lassen, auch wenn er selbst sie nicht akzeptiert und Geiselnahme, Erpressung und Mord für moralisch super hält.

Die zweite Frage ist, nach welchen Moralnormen wir heute messen. Sind Geiselnahme, Erpressung und Mord nach heutigen Moralnormen zu billigen?
 
Wieger schrieb:
Mir erschließt sich nich warum man zu Beurteilung dieses Faktes westliche Moralnormen heranzieht, wo doch offensichtlich die Täter anders gehandelt haben? Die Herangehensweise funktioniert doch gar nicht. Und wer bestimmt die westlichen Moralnormen? Ich denke schon, dass Gewalt in vielfältiger Form auftritt,sogar gewollt, zumindest aber toleriert wird.
Das ist schon interessant - du willst also nur die Normen der Täter gelten lassen, um die Morde zu rechtfertigen. Die "Natürlich wird zurückgeschossen"-Norm, der letztendlich auch viele RAFler zum Opfer fielen, weil sie in aussichtlosen Situationen bei Verhaftungen rasch die Waffe zückten. Die "Polizisten=Pigs"-Norm, nach der sich auch die Morde an Beamten bei stinknormalen Raubüberfällen zur politischen Tat hochjazzen ließen. Und selbst wenn man sich auf diese verquere Sichtweise einließe, hat die RAF noch völlig unschuldige Menschen umgebracht - wie die ältere Schweizer Passantin, die bei einer chaotischen Schießerei im Jahr 1979 einfach im Weg stand. Und so "anders" haben die Täter auch nicht gehandelt - ideologisch gesehen, waren die RAFler sehr klassische und recht orthodoxe Kommunisten alten Stils - und dieser Kommunismus hat natürlich starke "westliche Wurzeln".

Wieger schrieb:
Und wo sind die Dokumente dazu, dass es der RAF nur um den Arbeitgeberpräsident ging und nich zufällig auch noch um seine Vergangenheit, wenn es schon strategisch geplant wurde, dann wird man doch wohl auch was zur Vergangenheit suchen und wie waren die Ziele der 68er?
Etwas zum Hergang der Ereignisse, die zur Schleyer-Entführung führten und zu deren Ursache:

Die sogenannte "Offensive 1977" wurde wahrscheinlich im Herbst 1976 geplant. Gegen Ende des Jahres nahm die Polizei den damaligen Anführer Siegfried Haag fest. In dessen Auto fanden sich Notizblätter mit geplanten Aktionen der RAF. Die Fahnder konnten nicht sofort feststellen, was genau im Rahmen der Operationen "Margarine", "Big Money" und "Big Raushole" geplant war. Später stellte sich heraus, dass "Margarine" die Ermordung Bubacks meinte, "Big Money" und "Big Raushole" die Schleyer-Entführung mit anschließender Freipressung der Stammheim-Gefangenen. Nach einer Verhaftungswelle lief die Offensive an, nachdem Brigitte Mohnhaupt im Februar 1977 freigelassen wurde. Sie wurde von den "Stammheimern" als geeignet für die Führung und Koordination der Operationen angesehen. Die "Offensive 77" begann an Ostern dieses Jahres mit der Ermordung von Generalbundesanwalt Buback. Danach soll endlich die Befreiungsaktion der Gefangenen geschehen. Dabei wählte die RAF zunächst Jürgen Ponto - aus ganz praktischen Gründen. Die Terroristin Susanne Albrecht ist Patenkind Pontos; so würde es wesentlich einfacher, so das Kalkül der Terroristen, sich Zugang zu Pontos Haus zu verschaffen. Dieses Kalkül geht auf, allerdings widersetzt sich Ponto den Entführern und wird erschossen. Danach konzentrierte sich die RAF auf die Schleyer-Entführung. Obwohl sogar mittlerweile öffentlich bekannt ist, dass Schleyer im Visier der Terroristen steht, gelingt es nicht, den geschickt geplanten Anschlag zu verhindern.
Das erste Bekennerschreiben nach der Schleyer-Entführung trifft am fünften September 1977 ein. Darin wird Schleyer knapp als "Präsident des Arbeitgeberverbandes und des Bundesverbandes der deutschen Industrie" beschrieben, aber es gibt keinerlei Hinweise auf seine Nazi-Vergangenheit. Dabei ließ es die RAF normalerweise nicht daran fehlen, ihre Taten auch moralisch zu begründen.
Nach der Ermordung Schleyers gab es in der RAF kein Bekennerschreiben, nur eine kurze Notiz. Erst etwas später gab es eine Erklärung zur "Offensive 77", in der die RAF darauf verweist: "Die Gefangennahme von Schleyer konfrontierte den BRD-Staat mit seinem Legitimationsproblem - durch diesen Funktionär des 3. Reichs und seines Nachfolgestaats, dessen Herrschaftsgrundlage lediglich von außen erbeutet und nach innen erzwungen wurde." Das ist alles, weiter wurde Schleyers Nazi-Vergangenheit von der RAF nicht genutzt - wobei sie in der Erklärung ohnehin vor dem Problem steht, Schleyer als besonders tragisches Opfer des faschistoiden Staates darzustellen.
Auch die damals in Stammheim inhaftierte Irmgard Möller begründete die Entführung Schleyers in einem späteren Interview nach ihrer Freilassung mit dessen beruflicher Position: "Ponto war ein Ziel, dass es bis dahin so nicht gegeben hatte, er war ebenso wie später Schleyer ein Wirtschaftsführer. So jemanden auszuwählen entsprach insofern unserer Analyse, als damals ökonomisch, gerade auf dem Weltmarkt, ungeheuer viel in Bewegung geraten war." Weiter heißt es:
"Beide Wirtschaftsführer, Ponto und Schleyer, standen in diesem historischen Moment im Schnittpunkt von Entscheidungen mit strategischen Wirkungen. Durch ihre Entführung die Machtfrage zu stellen und die Freiheit von elf Gefangenen zu fordern, musste Wirkung in die eine oder andere Richtung haben."
Quelle: http://www.ra-tolmein.de/cms2/documents-upload/pdf/1153328364.pdf
Wieger schrieb:
Da war doch irgendwas mit Elterngeneration und Adenauermief und Nazi-Vergangenheit. Und gehört die RAF nich zur 68er Bewegung?
Da sollte man doch die Realitäten sehen. Die RAF war kein munterer Debattierzirkel, sondern eine terroristische Gruppe. Es ging für sie immer auch darum, welche Aktionen überhaupt möglich waren und wie erfolgreich diese sein konnten. In den ersten Jahren der "zweiten Generation" war das Ziel, dass alles überlagerte, die Befreiung der Gefangenen. Sie musste Menschen als Entführungsopfer finden, die wichtig genug sein könnten, damit die Gefangenen ausgetauscht würden. Dass Schleyer Funktionsträger im Dritten Reich war, gibt dem ganzen zwar eine interessante ideengeschichtliche Note, war aber nicht - wie ich oben nachgewiesen habe - das Handlungsmotiv der RAF bei der Entführung. Wäre Schleyer SPDler gewesen (was zugegebenermaßen in seiner Position sehr unwahrscheinlich ist) hätte ihn die RAF genauso entführt.
 
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