Hexentraktate und ihre "Rechtsgültigkeit"?

Tobey

Neues Mitglied
Ich habe eine kurze Frage:

In wiefern besaß der Inhalt der Traktate Rechtsgültigkeit?

Bsp:
Laut der "Carolina" von Karl V. durfte nur gefoltert werden, wenn zwei Zeugen einen Verdacht bestätigten.

Bei Hexenprozessen wurde jedoch auch ohne Rückgriff auf die Zeugenregel gefoltert. Begründung war, dass laut dem Traktat vom Trierer Weihbischof Peter Binsfeld bei Hexerei ein "Crimen Exceptum" (Ausnahmeverbrechen) vorlag, wonach man sich nicht genau an die Gesetze halten brauchte.

Aber wie ist es möglich, dass ein weltlicher Richter einem Traktat mehr Gewicht beimaß, als "Rechtsnormen" des Kaisers?


Vielen Dank im Vorraus für die Hilfe!! :)
 
Die Carolina ist das wichtigste und bedeutendste der neuzeitlichen Reichsgesetze. Sie regelte Strafgerichtsverfahren, zu denen auch die Prozesse wegen Hexerei zählten.
Als Straftatbestand der Hexerei galt aber ausschließlich der verübte und erwiesene Schadenzauber.
Alle anderen den vermeintlichen Hexen unterstellten Verbrechen, die seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts den Hexenbegriff bilden, wie Pakt mit dem Teufel, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug und Teilnahme am Sabbat, waren nicht Gegenstand des Gesetzes.

Die vergleichsweise moderate Regelung der Hexenprozesse durch die Carolina hatte im 16. Jahrhundert oft nur formal Geltung, da das Reichsgesetz für die einzelnen Territorien und Herrschaften nicht verbindlich war. Diese durften auch weiterhin ihren verbürgten Landesrechten folgen, die sehr viel härter und unbarmherziger mit den Angeklagten verfuhren.
Zeitgenössische Kritiker der Hexenverfolgungen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Praxis der Hexenprozesse im Widerspruch zur Carolina stand.

Ausführlicher findest du das, auch zur Rolle des Peter Binsfeld, hier:
HEXENWAHN - Ängste der Neuzeit

Zu Peter Binsfeld ausführlich:
historicum.net: Binsfeld, Peter
 
Die Traktate hatten keine Rechtswirkung, es sind sozusagen gelehrte Meinungsäußerungen zu Rechtsfragen. Da Recht häufig ausgelegt und interpretiert werden muß, entfalten solche Meinungen natürlich indirekt Wirkung. Es gab übrigens auch mindestens genau so viele Traktate gegen Hexenprozesse.

Zur Folter und dem angeblichen Widerspruch zur Carolina: Die Carolina galt, wie Mercy geschrieben hat, nicht automatisch in den Reichterritorien. Man muß also genauer hingucken, was jeweils geschah. Jedes Land konnte sich da anders verhalten. In Tirol z.B. gab es, nachdem der Bischof den Heinrich Kramer, den späteren Verfasser des Hexenhammers, aus dem Land geworfen hatte, keine Hexenverfolgungen mehr.

Man muß außerdem bei den Hexenverfolgungen ja zwei Wellen unterscheiden, die erste kleinere ab 1410 bis ca. 1510, die noch relativ stark durch einige Inquisitoren initiiert war und die durch den erheblichen Druck von Theologen, Bischöfen, Juristen, Inquisitoren und Staatsbeamten eingedämmt und beendet wurde und die zweite ab 1560, die stark von der weltlichen Obrigkeit geführt wurde.

Bei der ersten Welle gab es die Carolina noch nicht. Bei der zweiten Welle wurde entweder das schärfere Landesrecht von früher angewandt, oder, wenn man sich der Carolina angepaßt hatte, das Landesrecht sogar wieder verschärft. So geschah es auf ein Traktat von Johannes Weyer hin, der auf die Rechtswidrigkeit der Toderurteile bei mangelndem Schadenszauber hingewiesen hatte, z.B. in Württemberg.
 
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In Tirol z.B. gab es, nachdem der Bischof den Heinrich Kramer, den späteren Verfasser des Hexenhammers, aus dem Land geworfen hatte, keine Hexenverfolgungen mehr.
Das ist falsch, vgl Die Hexen- und Zaubereiverfolgungen in Tirol:

Die erste größere Verfolgungswelle ist zwischen 1540 und 1553 anzusetzen, doch in erster Linie auf die Gerichte Gries-Bozen, Sarnthein, Wangen und Stein am Ritten beschränkt. Nach einer neuerlichen Phase mit relativ geringer Verfolgungspraxis kam es zu einem erneuten deutlichen Anstieg ab dem Jahr 1579/80. Diese zweite Prozesswelle ging geradezu nahtlos in die „Hochblüte“ der Hexen- und Zaubereiverfolgungen und damit in die dramatischste Entwicklung der Verfolgungspraxis über: Seit 1610 nahmen die Prozesse stetig zu und umfassten bis 1650 eine absolute Kumulation; die Spitzenwerte dieser zweiten Verfolgungswelle sind in die Jahre zwischen 1638 und 1644/45 zu datieren.
Zum Nachlesen:

Tirol: neue Ergebnisse
 
Interessant, das kannte ich nicht. Ich denke mal, die Aussage mit fehlenden Prozessen (Behringer) bezieht sich auf die erste Phase der vorreformatorischen Hexenprozesse. Aber auch das wäre ja falsch, wenn man die Völser Prozesse von 1506 und 1510 betrachtet. Da fragt sich nur noch, gehörte das Lehen Völs rechtlich zur Grafschaft Tirol, es soll 1497 an die Grafschaft überführt worden sein, aber wurde es damit Teil der Grafschaft? Sicherlich entschieden aber die selben Richter in beiden Gebieten.
 
Aber wie ist es möglich, dass ein weltlicher Richter einem Traktat mehr Gewicht beimaß, als "Rechtsnormen" des Kaisers?

Das hing wohl auch ganz stark mit der Persönlichkeit der jeweiligen Richters zusammen. Ein Großteil der Hexenprozesse wurden als Mittel zur Lösung sozialer Konflikte benutzt. In diese Konflikte waren die Richter oft genug persönlich involviert.

Mir fällt da ein Fallbeispiel ein: Maria Otto aus Dalwitz (Mecklenburg) wurde 1677 vom Gutspächter auf Prebberede, Andreas Ahrent, verhaftet und unter Hexereiverdacht gestellt. Dem Ganzen ging ein Totschlag voraus. Hans Mittag, Sohn der Maria Otto, erschlug seinen Stiefvater, Jacob Witte, im Streit mit einer Wagenrunge. Hans Mittag floh. Er kam in Wittenbeck (Amt Doberan) als Knecht unter, von wo aus er seine Mutter hin und wieder heimlich besuchte. Im Dorf war das bekannt und wurde toleriert. Als Hans Mittag dann jedoch ein Pferd stahl, war die Toleranzgrenze überschritten und man verriet ihn an den Gutspächter, der ihn verhaftete und in Prebberede auf seinem Gut einsperrte. Hans Mittag gelang es zu fliehen. Da Maria Otto den Pächter im Zusammenhang mit dem Diebstahl für alle offensichtlich belogen hatte, nahm dieser das persönlich (es untergrub seine Autorität) und ließ sie verhaften. In seinen Verhören warf er ihr dann Hexerei vor, mit der sie unter anderem ihren Sohn befreit hätte. Er forderte auch ein Gutachten der Rostocker Fakultät ein, die auf den Hexereiverdacht jedoch nicht weiter einging, da es dafür keinerlei Anhaltspunkte gab. Um nun doch noch zu seinem Ziel zu gelangen, unterwarf Andreas Ahrent die Maria Otto persönlich einer Folter. Dabei gingen ihm seine Frau und die Magd kräftig zur Hand. Letzte schraubte den Daumenstock und seine Frau schlug der Misshandelten einige Zähne aus. Allerdings gestand Maria Otto nicht. Der Vorwurf, dass sie ihrem Sohn beim Diebstahl und zur Flucht geholfen hatte, blieb und sie wurde dazu verurteilt, das Land auf ewig zu verlassen.
Dem Pächter entstand aus der "Privatfolter" kein juristisches Nachspiel, obwohl sich Maria Otto beim Landrat darüber beschwert hatte.

Den Fall habe ich aus "Hexenverfolgung in Mecklenburg", Verlag J.H. Röll, Dettelbach
 
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