Historische Rolle von Halder und seine Bewertung

Melchior

Aktives Mitglied
...Am 11.August 41 notierte der Generalstabschef Halde, gründlich deillusioniert, in seinem Tagebuch:

[...] "daß der koloß Rusßland, der sich bewußt auf den Krieg vorbereitet hat, mit der ganzen Hemmungslosigkeit, die totalitären Staaten eigen ist, von uns untershätzt worden ist. Diese Feststellung bezieht sich ebenso auf die organisatorischen wie auf die wirtschaftlichen Kräfte, auf das Verkehrswesen, vor allem aber auf die rein militärische Leistungsfähigkeit. Wir haben bei Kriegsbeginn mit etwas 200 feindlichen Divisionen gerechnet. Jetzt zäheln wir bereits 360 Divisionen. Diese Divisionen sind sicherlich nicht in unserem Sinne bewaffnet und ausgerüstet, sie sind taktisch vielfach ungeügend geführt. Aber sie sind da. Und wenn ein Dutzen zerschlagen wird, dann stellt der Russe ein neues Dutzend hin. Die Zeit dazu gewinnt er dadurch, daß er nah an seinen Kraftquellen sitzt, wir immer weiter von ihnen abrücken." (2)
..."

@Turgot

Aus quellenkritischer Sicht wäre mir das Tagebuch von Halder suspekt, warum? Die Tagebücher sind weit nach Kriegsende erschienen, Wikipedia nennt 1962-1964. Gerne werden Tagebücher für die "Nachwelt" überarbeitet bzw. redigiert. Das KTB des OKW verzeichnet für August 1941 nur Erfolge [1]. Auch für den 11. August.

Das in Tagebüchern individuelle Erinnerungen und Gedanken zu finden sind, klar. Aber "totalitäre Staaten" (?). Den Begriff gab es zwar zu dieser Zeit, aber er war nicht virulent. Und bei Halder? [2]


M.:winke:

[1] KTB des OKW, Bechtermünz, 1940 - 1941, Teilband 2, 11. August 1941
[2] Zu Halder, IMT, der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher, Band 23 (Index-Eintragung zu Halder, dort alle namentlichen Erwähnungen, inkl. Aussage)
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
@Turgot

Aus quellenkritischer Sicht wäre mir das Tagebuch von Halder suspekt, warum? Die Tagebücher sind weit nach Kriegsende erschienen, Wikipedia nennt 1962-1964. Gerne werden Tagebücher für die "Nachwelt" überarbeitet bzw. redigiert. Das KTB des OKW verzeichnet für August 1941 nur Erfolge [1]. Auch für den 11. August.

Das in Tagebüchern individuelle Erinnerungen und Gedanken zu finden sind, klar. Aber "totalitäre Staaten" (?). Den Begriff gab es zwar zu dieser Zeit, aber er war nicht virulent. Und bei Halder? [2]


M.:winke:

[1] KTB des OKW, Bechtermünz, 1940 - 1941, Teilband 2, 11. August 1941
[2] Zu Halder, IMT, der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher, Band 23 (Index-Eintragung zu Halder, dort alle namentlichen Erwähnungen, inkl. Aussage)


Dann stellt sich mir die Frage, weshalb Halders Tagebücher immer wieder gerne Eingang in seriösen wissenschaftlichen Werken finden?
 
Halders KTB, insbesondere auch diese Stelle, wird eigentlich von allen Publikationen zum Ostfeldzug übernommen. Das KTB selbst ist handschriftlich verfasst, und nach dem Vorwort lediglich in der Entzifferung schwer lesbarer Passagen von Halder unterstützt worden. Nachträgliche Fälschungen sind natürlich denkbar, werden aber nirgends problematisiert.


Wenn ich das richtig sehe, liegt es am Begriff "totalitärer Staat". Allerdings war die Totalitarismus-Diskussion 1941 auf einem Höhepunkt, nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939. Ich würde vermuten, dass man den Begriff auch zeitgleich in der NS-Presse oder dem wissenschaftlichen Rußlandbild der Zeit finden kann. Bei dem Jahr Vorbereitung auf den Feldzug wird Halder im OKH eingehend die Landesbedingungen studiert haben, ökonomische, geographische, militärische, aber auch politische. In solchen Fällen werden üblicherweise Studien vorgelegt bzw. ausgewertet. Möglich, dass er den Begriff auch deswegen präsent hatte.
 
@Melchior: Dass es (durch Halder) sprachlich kosmetisch angepasst wurde kann schon sein. Die Frage in welchem Grad, ist jedoch die zentrale.

Bisher habe ich keine Quellen gefunden, die seine Aussagen systematisch in Frage gestellt haben. Das würde zumindest für geringfügige post-WW2 Modifikationen sprechen.

@Turgot: Die Einschätzung von Halder steht vermutlich im Kontext der Äußerungen von Hitler zu Guderian über den quantitatven Umfang der sowjetischen Panzerwaffe (ca. Angriff auf Kiew 1941). Guderian sah es als Bestätigung seiner Vorkriegswarnungen hinsichtlch der russischen Leistungsfähigkeit (Zensierung der Zahl in "Achtung Panzer", soweit ich weiss)

Es gibt aber auch eine grundsätzliche Fehleinschätzung des Aufmarsches des RKKA. In seinem wirklich interessanten Tagungsband über die Grenzschlachten (von Glantz) wird das Ergebnis formuliert, dass die deutsche Aufklärung zuviele Infantrieeinheiten und zuwenige Panzereinheiten identifiziert hatte.

Sodass es bereits, beispielsweise bei der HG NOrd, schon frühzeitig zu sehr heftigen Panzerschlachten gekommen ist, die so nicht antizipiert waren.

Die nur dewegen glimpflich verliefen, weil die RKKA das kämpfen im Waffenverbund nicht praktizierte und die Luftwaffe die Logistik der Panzereinheiten unterband. Sodass diese Panzerverbände angriffen, sich verschossen haben und die Panzer entweder aufgegeben wurden oder sonstwie unschädlich gemacht wurden.

Und im Rahmen dieser Kämpfe wurde ebenfalls die Logistik der Wehrmacht ca. 3 mal so stark beansprucht wie in den vorherigen Kämpfen. Den beteiligten WM-Einheiten war somit sehr schnell klar, dass sie hier auf einen anderen Gegner getroffen sind wie in den vorherigen Feldzügen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nein, hier bin ich mißverstanden, wahrscheinlich weil ich mich mißverständlich geäußert habe.

Natürlich sind Halders TB keine Fälschungen, das wäre exorbitanter Blödsinn.

Ich halte TB für keine zuverlässigen Quellen, jenseits von Individualgeschichte, auch wenn sie quellenkritisch geprüft resp. überprüft wurden, was sie zweifelsohne in diesem Fall sind (sic!).

Halder gehört zum "Ostmythos" der Wehrmacht und beeinflußte in der Nachkriegszeit die Kriegsgeschichtsschreibung über den WK. II.

Ab jetzt o.t.

Ein Generalstabschef der am 11. August 1941 Zweifel in seinem Tagebuch äußert und in der Folge nicht beim Heerespersonalamt um Versetzung bittet bzw. bei der Adjudantur oder direkt beim Oberkommandierenden nachsucht und wahrscheinlich vielmehr am 12. August die vorbereiteten Befehle seines Ia gegenzeichnet ist nicht sehr glaubhaft.

Er hat sich in der Nachkriegszeit intrumentalisieren lassen und die Nachkriegszeit in der BRD brauchte ihn, den "sauberen" Offizier.

o.t. aus

M.

P.S.: Wissend, daß ich da "leicht reden" habe.
 
Er hat sich in der Nachkriegszeit intrumentalisieren lassen und die Nachkriegszeit in der BRD brauchte ihn, den "sauberen" Offizier.

War es nicht vielmehr so, das Halder mit seiner Tätigkeit für die Historical Division der Amerikaner ganz wesentlich das Bild der Wehrmacht, sein eigenes natürlich auch, in der Nachkriegszeit mitprägte. Inwiefern benötigte die Bundesrepublik einen "sauberen" Halder? Er war doch gar nicht für eine Tätigkeit in der Bundeswehr vorgesehen.
 
In der neuen Studie von R.D. Müller (Der Feind steht im Osten, 2011, S. 261) kommt er zu folgender Schlußfolgerung:
"Es ist an der Zeit die Vorstellung von Hitler als genialem Feldherren und Halder als letztem Generalstabschefs preußisch-deutscher Tradition endgültig ad acta zu legen. Barbarossa zeugt nicht nur vom moralischen, sondern auch vom professionellen Versagen einer vergangenen Militärelite..."

Dieses professionelle Versagen hat er anhand der Planungen von Halder für das Jahr 1940 illustriert.
 
thanepower schrieb:
In der neuen Studie von R.D. Müller (Der Feind steht im Osten, 2011, S. 261) kommt er zu folgender Schlußfolgerung:

Das Buch habe ich bei mir schon im Regal stehen; es muss nur noch gelesen, wie sehr viel andere Bände auch.:D
 
War es nicht vielmehr so, das Halder mit seiner Tätigkeit für die Historical Division der Amerikaner ganz wesentlich das Bild der Wehrmacht, sein eigenes natürlich auch, in der Nachkriegszeit mitprägte. Inwiefern benötigte die Bundesrepublik einen "sauberen" Halder? Er war doch gar nicht für eine Tätigkeit in der Bundeswehr vorgesehen.

@Turgot

Wie Du richtig schriebst, er hat ganz wesentlich das "Bild" der Wehrmacht in der Nachkriegszeit mitgeprägt. Er bot mit seinem "Bild" als "sauberer Offizier" eine Folie, an der sich Millionen von ehemaligen Soldaten der Wehrmacht orientieren und identifizieren konnten. Erinnere Dich, solange ist es noch gar nicht her, welcher "Aufschrei" durch die Republik ging, infolge der Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht".

Thane war so freundlich und hat ein Zitat eingestellt: "...Barbarossa zeugt nicht nur vom moralischen, sondern auch vom professionellen Versagen einer vergangenen Militärelite..."

Hervorhebung durch mich.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Larmoyanz dieser TB ist kaum ertragbar, prägte aber, ich wiederhole mich, wie Du richtig schriebst, das Nachkriegsbild der Wehrmacht.

M.
 
Melchior schrieb:
Thane war so freundlich und hat ein Zitat eingestellt: "...Barbarossa zeugt nicht nur vom moralischen, sondern auch vom professionellen Versagen einer vergangenen Militärelite..."

Das wird von mir auch gar nicht in Frage gestellt. Ich habe ja selbst in diversen Threads darauf hingewiesen, wie grotesk die Planungen zu Barbarossa aus der Retroperspketive anmuten.

Mit ging es in meinem Post bezüglich Halder darum, das bis heute seine Tagebücher hinsichtlich der Echtheit nicht in Frage gestellt worden sind.

In der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte wurde über so manches großzügig hinweggesehen. Immerhin waren ja sogar ehmalige Wehrmachtsgenerale, hier Speidel und Heusinger, in die Bundeswehr übernommen worden. Ehemalige Wehrmachtsgenerale haben von den Alliierten massiv gefordertet, erst einmal die "Diskriminierung" der deutschen Soldaten zu widerufen will heissen es sollte den Deutschen ein Persilschein ausgestellt werden. Vor dem Hintergrund der ungeheuren Verbrechen, für die die Wehrmacht vor allem im Osten Europas verantwortlich zeichnet, war das schon ganz schön heftig, denn die Generale wußten darüber Bescheid. Eisenhower tat den Deutschen den Gefallen, in er gegenüber Speidel eine entsprechende Ehrenerklärung abgab. Es ging damals um den Kampf gegen den Kommuismus und dem Schutz des alten Europas, ob da Halder als sauberer Generaloberst benötigt wurde, ich weiß es nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Larmoyanz dieser TB ist kaum ertragbar, prägte aber, ich wiederhole mich, wie Du richtig schriebst, das Nachkriegsbild der Wehrmacht.

Eine Anmerkung: die Halder-KTB wurden in den 60er Jahren herausgegeben, als Edition und bearbeitet durch Jacobsen. Die Prägung der 50er kann damit nicht in Zusammenhang stehen. Das KTB wurde - schon aufgrund seines Preises - überwiegend in der wissenschaftlichen Literatur ausgewertet.

Die Inhalte sind völlig widersprüchlich: im krassen Gegensatz zu der hier zitierten Äußerung vom August steht zB die überhebliche Aussage vom Juli 1941, dass der Rußlandfeldzug in drei Wochen gewonnen werde. Die KTB-Inhalte betreffen durchweg trocken-militärische Ausführungen zur Lage, ohne Wertungen.
 
Die Larmoyanz dieser TB ist kaum ertragbar, prägte aber, ich wiederhole mich, wie Du richtig schriebst, das Nachkriegsbild der Wehrmacht.

Noch deutlicher wird diese Situation bei Halder bei seiner "Abrechnung" mit Hitler (Hitler als Feldherr. Der ehemalige Chef des Generalstabes berichtet die Wahrheit. München, Dom Verlag, 1949). Ich gebe zu, mir hat das Büchlein gefallen.

Aber auch eine wichtige Anmerkung:

So erklärt RM Göring in seiner Rede (Großkundgebung zu Ehren des deutschen Landvolkes im Sportpalast Anfang Oktober 1942) mit der Rolle der Generalstabsoffiziere.

Kurz zuvor war Halder gefeuert worden!

"Er stellte fest, daß der nationalsozialistsiche Generalstabsoffizier nur "Hilfsarbeiter" der Führung sei und betonte, man habe gottlob genügend "hervorragende Generale", wer nicht ausreiche, nicht hart oder stark genu sei, werde verabschiedet." (Görlitz: Die Schlacht um Stalingrad 1942-1943, S. 273 ff in: Entscheidungsschlachten des zweiten Weltkrieges, Jacobsen & Rohwer (Hrsg.) 1960)

Diese Äußerung deutet eine ausgesprochen zynische Haltung an und verweist darauf, dass Gehorsam nicht aufgrund von rationaler Loyalität erwartet wird, sondern ergebenster, untertänigster Gehorsam. (OT: In einer Dimension, die FdG vermutlich als anstößig empfunden hätte!)

In 44/45 hat sich Hitler (weiss die Quelle derzeit nicht) in diesem Sinne auch bedauernd geäußert, die Säuberungen der Offizier-Korps nicht mit der gleichen Gründlichkeit wie Stalin durchgeführt zu haben.

Will nur damit sagen, dass sie natürlich mitgemacht haben, manche als überzeugte Nationalsozialisten, einige als deutsche "Patrioten", manche als überzeugte Kommunistenhasser und wieder andere als "Mitläufer" (vgl. dazu auch die Dikussionen bei Neitzel: Abgehört).

Deswegen habe ich gerade bei Halder und auch bei Speidel, aus unterschiedlichen Gründen, meine Probleme, von der Seite der Verherrlichung in das Gegenteil einer Verdammung zu verfallen.
 
Um das Thema zu entzerren und übersichtlicher zu gestalten, habe ich den "Halder" mal rausgenommen. Vielleicht ist das Thema interessant, es weiter zu diskutieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Halders KTB, insbesondere auch diese Stelle, wird eigentlich von allen Publikationen zum Ostfeldzug übernommen. Das KTB selbst ist handschriftlich verfasst, und nach dem Vorwort lediglich in der Entzifferung schwer lesbarer Passagen von Halder unterstützt worden. Nachträgliche Fälschungen sind natürlich denkbar, werden aber nirgends problematisiert.


Wenn ich das richtig sehe, liegt es am Begriff "totalitärer Staat". Allerdings war die Totalitarismus-Diskussion 1941 auf einem Höhepunkt, nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939. Ich würde vermuten, dass man den Begriff auch zeitgleich in der NS-Presse oder dem wissenschaftlichen Rußlandbild der Zeit finden kann. Bei dem Jahr Vorbereitung auf den Feldzug wird Halder im OKH eingehend die Landesbedingungen studiert haben, ökonomische, geographische, militärische, aber auch politische. In solchen Fällen werden üblicherweise Studien vorgelegt bzw. ausgewertet. Möglich, dass er den Begriff auch deswegen präsent hatte.

Ein weiterer Beleg dafür, dass Begriff "totalitär" in dieser Zeit schon verwendet wurde, hier durch den rumänischen Wissenschaftler Mircea Eliade bei seiner Würdigung Salazars 1942: "The Salazarian state, a Christian and totalitarian one, is first and foremost based on love".

Mircea Eliade - Wikipedia, the free encyclopedia
 
Noch deutlicher wird diese Situation bei Halder bei seiner "Abrechnung" mit Hitler (Hitler als Feldherr. Der ehemalige Chef des Generalstabes berichtet die Wahrheit. München, Dom Verlag, 1949). Ich gebe zu, mir hat das Büchlein gefallen.

...

So erklärt RM Göring in seiner Rede (Großkundgebung zu Ehren des deutschen Landvolkes im Sportpalast Anfang Oktober 1942) mit der Rolle der Generalstabsoffiziere.

Kurz zuvor war Halder gefeuert worden!

"Er stellte fest, daß der ... Generalstabsoffizier nur "Hilfsarbeiter" der Führung sei und betonte ...

Diese Äußerung deutet eine ausgesprochen zynische Haltung an und verweist darauf, dass Gehorsam nicht aufgrund von rationaler Loyalität erwartet wird, sondern ergebenster, untertänigster Gehorsam. (OT: In einer Dimension, die FdG vermutlich als anstößig empfunden hätte!)

...

@Thane

Das mit dem "Hilfsarbeiter" ist ja letztlich auch nicht falsch. Das Selbstverständnis bei der Verantwortungsübernahme durch Generalstabsoffiziere war ja auch das des "Führungsgehilfen". Das spielte im IMT-Prozeß eine große Rolle (Anklage gegen das OKW). Darin liegt aber auch ein Exculpationsmechanismus. Ich plane als Stabsoffizier, aber durch die Gegenzeichnung übernimmt der jeweilige OB die Verantwortung.

Das Problem dabei ist, daß dadurch sich die Generalstabsoffizierskorps in der Nachkriegszeit in der deutschen Öffentlichkeit gleichsam als verantwortungslose "Führungsgehilfen", also als "Technokraten des Krieges" darstellen konnten.

Das sie dabei eine führende Rollen hatten, wurde nach dem Krieg gerne übersehen.

Nur als Beispiel: Bundesarchiv, Findbuch RW 35, Militärbefehlshaber Frankreich, Abschnitt:

"..3.6.1.3.1 Entjudung der Wirtschaft (Ref. Wi I/1b)..."

http://startext.net-build.de:8080/b...ndex.htm?kid=AD01DC0559FA429594B391BAB1375124

M.
 
Wofür benötigte die Bundeswehr einen "sauberen" Halder? Die Bundeswehr wurde ja von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren aufgebaut. In diese Netzwerke, wie man heute sagen würde, war Halder eingebunden. Der militärischen Elite des NS-Regimes ging es darum, ihr professionelles Versagen zu vertuschen, und die Verstrickung von Soldaten der Wehrmacht (ich meine bewusst nicht die ganze Wehrmacht) zu leugnen.

Meines Wissens hat Christian Hartmann die beste Biographie über Franz Halder geschrieben. In dieser Dissertation wird deutlich, dass auch Halder im Hochsommer 1942 mit seinem Latein am Ende war. Dass seine Situation im "Führerhauptquartier" in Winniza nicht einfach war, ist bekannt. Keitel redete Hiltler nach dem Munde, und Jodl erlebte, wie wenig Widerspruch gegen Entscheidungen des Diktators ausrichten konnte.

Ich glaube, die führenden Militärs haben die Sowjetunion bei den Planungen für "Barbarossa" einfach unterschätzt. Und diesen Fehler wollten sie nach dem Krieg vertuschen.
 
Halder ist das Beispiel für den (apolitischen) "Nur-Militär" im Dritten Reich, der ausschließlich in seiner Profession lebte. Welche Rolle die von ihm geschilderten Ansätze zum militärischen Widerstand tatsächlich spielten, ist wohl nur schwer nachvollziehbar. Wenn seine Schilderungen und die seiner engen Umgebung zutreffen, ist es wohl eher ein Widerstand gegen "unprofessionelle" militärische Abenteuer Hitlers gewesen, als ein politischer Widerstand gegen das NS-System (zB in der Entscheidungsphase über die Angriffsoperation gegen Frankreich).

Als der Angriff gegen Polen geplant und befohlen wurde, widmete er sich im engen militärischen Denken ausschließlich dieser Aufgabe. Bestandteil der Profession war es auch, die nachgeordnete Generalität einzustimmen, und die Stabsarbeit für die Operation planerisch zu erledigen: Hartmann/Slutsch: Franz Halder und die Kriegsvorbereitungen im Jahre 1939, VfZ 1997, S. 467. Von den ersten Exzessen und Morden der Einsatzgruppen in Polen hat er Kenntnis gehabt.

Vermutlich nur so weit "gedacht", war der Krieg für Halder damit zu Ende, erwarteten doch breite Kreise in der Generalität nach Realisierung des Groenerschen Zieles der Beseitigung Polens eine politische Lösung. Die trat indes nicht ein: weder dachten die Westmächte daran, die Okkupation hinzunehmen, noch suchte Hitler die politische Lösung (die Scheinangebote mal außen vor gelassen).

Der führenden Generalität des Jahres 1939, soweit sie Überblick hatte, kann man wohl zubilligen, dass sie einen Sieg über england und Frankreich nicht als möglich angesehen hatten. Umso größer war die Bestürzung darüber, dass Hitler nicht an eine Friedensregelung dachte, sondern schon während des Polenfeldzuges weiter gesteckte Ziele bekanntgab: die Offensive im Westen.

Nun war es die jüngere Generalität, die diese Initiative Hitlers aufgriff und planerisch verarbeitete. Es ist erneut Ausdruck von Halders militärischer Professionalität, dass er seinen (widerwillig erstellten) 08/15-Plan zum Angriff im Westen komplett aufgab, Mansteins Ideen adaptierte und in einen riskanten, aber vom rein militärischen Standpunkt aus perfektionierten Aufmarschplan goß. Hier wie in Norwegen (Narvik) zeigten sich dann die ersten massiven Eingriffe von Hitler in den Ablauf. Es folgte die militärische Niederlage Frankreichs.

Die nächste Offensive plante der Nur-Militär Halder im Fall Griechenlands. Mit ausreichend Vorlaufzeit konnte hier wenig schiefgehen, der gestaffelte Aufmarsch und die Offensivideen sollten die griechisch-britischen Truppen vom Festland werfen. Kurz vor der Realisierung der fein getakteten Operation kam die Jugoslawien-Krise quer: auch hier zeigte Halder kein Zögern und keinee Skrupel, binnen Stunden wurde improvisiert und der Aufmarsch um das Doppelte ausgedehnt. Vieles ging nun sogar leichter: so die Umgehung der Metaxas-Linie.

Als erstes lag danach dem militärischen Profi Halder das Afrika-Abenteuer völlig quer: Hitler wie das OKW und Göring zeigten sich aus Halders Sicht bar jeden logistischen Verständnisses, gingen über geographische Probleme hinweg. Mehr noch störten den Planungschef mit militärischem Tunnelblick jedoch die Folgewirkungen für den beauftragten Krieg gegen die Sowjetunion: hier sollten Halders Auffassung nach die Kräfte gebündelt werden, und die logistischen Abzüge nach Nordafrika würden "stören" (und wirkten dort nicht kriegsentscheidend).

Die Politisierung dieser anfänglich nur militärischen Planung und Inszenierung "Barbarossa" zum Vernichtungs- und Ausbeutungskrieg machte Halder kommentarlos und widerstandslos mit, obgleich zB beim Kommissarbefehl vereinzelt Bedenken wegen des eigenen Offizierskorps im Fall der Gefangennahme geöußert wurde. Auch die Bedeutung der Einsatzgruppen, die schon in Polen mordend hinter den Wehrmachtsverbänden herzogen, ist ihm nicht verborgen geblieben. Skrupel an dem geplanten Vernichtungskrieg sind jedenfalls nicht zu erkennen.

Die ersten Tage verliefen plangemäß, Erfolg versprechend und sorgten geradezu für Euphorie: Halders Prognose nach würde die Sowjetunion binnen weniger Wochen total geschlagen werden. Ein schwerer militärischer Irrtum: der Planungschef hatte die umfassende Mobilisierung unterschätzt, die Kämpfe entwickelten sich an allen drei Heeresgruppen-Fronten zu einem zähen Ringen gegen immer neue Reserven der Roten Armee, mit schweren Verlusten für die Wehrmacht.

Das Festlaufen in den August 1941 hinein sorgte für die bis dahin schwerste Krise: die Frage des weiteren Vormarsches, die Fragen betreffend Leningrad, Moskau oder Kiew. Hitler setzte sich per expliziter Anweisung in diesem wochenlangen Ringen letztlich durch: Kiew. Im Herbst, nach Abschluss der Kesselschlachten im Süden, folgte die letzte große Umfassungsschlacht der Wehrmacht: Wjasma-Brjansk. Diese größte Kesselschlacht des Krieges verlief plangemäß und erfolgreich, der weitere Vormarsch blieb allerdings im Schlamm stecken. Der geplante Blitzfeldzug, Halders Planungen waren gescheitert, allerdings schon vorwärts der Dnjepr-Düna-Linie.

Noch zwei Hinweise:
1. Bernd Wegner: Erschriebene Siege. Franz Halder, die 'Historical Division' und die Rekonstruktion des Zweiten Weltkrieges im Geiste des deutschen Generalstabes, in: Hansen/Schreiber/Wegner, Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit
Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs.
2. James A. Wood: Captive Historians - Captivated Audience, The German Military History Program 1945-1961, in: JoMH 2005, S. 123-147.

Halder, der Planungschef des deutschen Generalstabes 1939/42, erhielt übrigens 1961 nach fünfzehn Jahren weiterer Tätigkeit in seiner Profession - Bewertung mag dahingestellt sein, und ist sicher dem Kalten Krieg geschuldet - den United States Meritorious Civilian Service Award. Begründung: " ...for a lasting contribution to the tactical and strategic thinking of the United States Armed Forces". Militärische Logik, militärischer Tunnelblick, militärische Expertise dem Wortsinn nach auf die Spitze getrieben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Besten Dank, sehr interessant.:winke:

"Darauf fixiert lernte die Militärelite aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs zwar taktisch - Wiedergewinnung der Bewegung durch den Panzer -, nicht aber operativ und strategisch. So mangelhaft vorbereitet trat die deutsche militärische Führung in den Zweiten Weltkrieg. Die schnellen Anfangserfolge verschleierten das. Diese "Blitzkriege" standen in der "Kontinuität des deutschen operativen Denkens" (201). Doch "das bis heute in vielen Köpfen festsitzende Bild der 'vollmotorisierten deutschen Blitzkriegsarmee' ist das Ergebnis einer NS-Propagandalüge. In der Realität war das deutsche Heer eine Pferdearmee". Operative Planung und Ausrüstung stimmten nicht überein."

Das Letztere war der Geschwindigkeit des Aufbaus der Wehrmacht und den Mängeln des rüstungsindustriellen Komplexes im Dritten Reich geschuldet. Hier wollte man "mehr", bekam es aber nicht in den 6 Jahren nach 1933.

Von daher bin ich auf das Buch gespannt. Prima vista würde ich das nicht in einer Kontinuität zum Ersten Weltkrieg, oder in Mängeln des Operativen Denkens beschreiben. Der Bewegungskrieg und seine Planung von Schlieffen über Moltke bis Halder/Manstein unterschied sich in Sinne nur durch unterschiedliche planbare Geschwindigkeiten, determiniert durch die Ausrüstung und den technologischen Fortschritt, allerdings nicht methodisch und damit auch nicht widersprüchlich zwischen Planung und Ausrüstung. Da würde ich dann auch keinen Unterschied im "Durchbruchsdenken" zum Ersten Weltkrieg sehen, sondern nur in den gegebenen Planungspotenzialen zur Ausnutzung des Durchbruchs.

Das Lesen wird sicher mehr hergeben.
 
Zurück
Oben