Historizität Jesu von Nazareth

Nur eines ist ja klar: So man von der Existenz Jesu ausgeht, so können seine Aussprüche mitnichten von Epiktet oder Dion, die beide erst Jahrzehnte nach Jesu Tod geboren wurden, abhängig sein. Wenn man aber schließen möchte, dass Jesus nicht existiert haben kann, weil seine bzw. die ihm angedichteten Sprüche von den Sprüchen Epiktets und Dions abhängig sind, diese aber erst bald ein halbes Jahrhundert nach Jesu angeblichem Tod gewirkt haben, so ist das natürlich eine ziemliche Überbewertung jener inhaltlichen Überschneidungen ihrer Sprüche. Außerdem müsste man dann auch annehmen, dass Rabbi Schim'on von den Zynikern abhängig ist, was gemessen an der sonstigen ziemlichen Eigenständigkeit und Abgrenzung der jüdisch-rabbinischen Literatur und Gedankenwelt, die sich für griechische Philosophie nicht interessiert, reichlich gewagt sein dürfte.

In Bezug auf Epiktet und Dion (bzw. Dio, so wird er auch in dem Brief von Lukian von Samosata genannt, den Sepiola verlinkt hat) hast Du sicher Recht. Natürlich könnte man sich fragen inwieweit diese Zitate sich auf die Lehren der Begründer des Kynismus wie z.B.: Antisthenes, Diogenes oder Krates beziehen. Leider ist von deren Schriften nichts überliefert, daher bleibt es wohl letzten Endes Spekulation, wieviel kynisches Gedankengut im Christentum steckt, es sei denn es werden irgendwo mal wieder ein paar alte Schriftrollen entdeckt, die diese Frage klären können.
 
Ja, dieses Anliegen ist ein bisschen untergegangen; es wurde gewissermaßen von den Wanderpredigern unterwandert:D.
:grübel::D
porca miseria ... nicht dass sich gar das Urchristentum (verbreitet von Wanderpredigern) als von griechischen Philosophen unterwandert erweist... :D

Spaß beiseite:
die Frage nach Anlehnung an / Beeinflußung durch / Variation von / womöglich gar Ideenklau bei griech.-röm. philosophische Richtungen (Stoa, Kyniker) -- ganz egal wie man das formuliert -- wirft noch ganz andere Fragen auf, wenn sie speziell auf den Anfang, auf das "Urchristentum" und auf Jesus selber bezogen wird!
Denn es fragt sich dann:
- wie verbreitet in den kulturellen/städtischen Zentren Palästinas waren griechische philosophische Schriften oder Lehren?
- wie "hellenisiert" in kultureller und geistiger Hinsicht war die Oberschicht in dieser Gegend?
- wie verhielt sich die einheimische Religion / Religiosität zu den philosophischen Schulen/Richtungen? was hielt man in den Synagogen, im Jerusalemer Tempel von diesen Philosophen (und was kannte man tatsächlich von denen)?
- wer hatte Zugang zu dergleichen "intellektuellem Luxus"? ("Bücher", Schriftrollen, Kopien waren ein sehr teures Gut)
- müssten die Wanderprediger nicht enorm gebildete, an Akademien studierte Denker gewesen sein, wenn sie dergleichen Philosopheme zu variieren, zu adaptieren, umzudeuten vermochten?
- wer konnte sich wo und auf welche Weise vor der Integration ins röm. Imperium im Satrapenstaat des Herodes solchen Bildungsluxus leisten?

Mein Verdacht: ein Wanderprediger im 1.Jh. in Palästina, der tatsächlich Kentnisse in griech. Philosophie hatte, musste entweder einer hellenisierten Oberschicht angehört haben oder aufgrund seiner sonstwie privilegierten Herkunft Zugang zu dieser und deren Bildungsstätten gehabt haben.

Mein zweiter Verdacht: Anklänge an bzw. Anlehnungen an griech. Philosophie(en) in den frühchristlichen Quellen sind erst später, Ende 1. und dann im 2. Jh. entstanden, als salopp gesagt die Buchreligion konstruiert und konstituiert und dabei mit Bildung aufgeladen wurde - umgekehrt bedeutet dieser Verdacht, dass der historische Jesus auf seinen Predigtwanderungen noch nicht mit griech. Philosophemen bzw. mit Variationen/Anlehnungen an solche argumentiert/gepredigt hatte (man fragt sich auch, wer im "einfachen Volk" dergleichen gekannt haben sollte und davon hätte angesprochen werden können)

(Achtung: das waren nur zwei "Verdächtigungen", keine Behauptungen) ;)
 
Ich beschränke mich auf das Epiktet- und das Dion-Zitat (Findest Du übrigens bei Doherty genauere Werk- und Stellenangaben?):

Gute Frage.
Das Epiktet-Zitat habe ich im Handbüchlein nicht und in den Lehrgesprächen in dieser Form nicht gefunden, vielleicht sind hier Aussagen aus 1,3 und 3,24 kombiniert.


Natürlich könnte man sich fragen inwieweit diese Zitate sich auf die Lehren der Begründer des Kynismus wie z.B.: Antisthenes, Diogenes oder Krates beziehen. Leider ist von deren Schriften nichts überliefert
Die drei, vor allem Diogenes, werden in den Lehrgesprächen Epiktets einige Male erwähnt und zitiert.
Der "sorgende Vater" wird aber keinem der drei zugeschrieben.
 
Mein Verdacht: ein Wanderprediger im 1.Jh. in Palästina, der tatsächlich Kentnisse in griech. Philosophie hatte, musste entweder einer hellenisierten Oberschicht angehört haben oder aufgrund seiner sonstwie privilegierten Herkunft Zugang zu dieser und deren Bildungsstätten gehabt haben.

Um mal auf dem Boden der Fakten zu bleiben:
Bereits die allerersten frühchristlichen Schriften, ob erhalten (Briefe des Wanderpredigers Paulus) oder rekonstruiert (Q mit Anweisungen für Wanderprediger) sind auf griechisch geschrieben. Das setzt schon mal einen gewissen Hellenisierungsgrad ihrer Autoren voraus, nicht?

Muss so ein Autor wirklich ein "enorm gebildeter, an Akademien studierter Denker gewesen sein"? Nur weil er dazu fähig war, eine Handvoll kynischer Zitate/Anspielungen in einem halbwegs sinnvollen Zusammenhang unterzubringen?
 
Um mal auf dem Boden der Fakten zu bleiben:
und in welcher Sprache soll Jesus gepredigt haben? griechisch? ;)

Bereits die allerersten frühchristlichen Schriften, ob erhalten (Briefe des Wanderpredigers Paulus) oder rekonstruiert (Q mit Anweisungen für Wanderprediger) sind auf griechisch geschrieben. Das setzt schon mal einen gewissen Hellenisierungsgrad ihrer Autoren voraus, nicht?
betrifft diese Hellenisierung auch das quasi selbstverständliche verfügen über allerlei griechische Philosophien? (nur so als blass-plumpe Analogie: man kann auf deutsch predigen, wettern, salbadern usw. ohne auch einen einzigen Satz von Kant oder Hegel zu kennen)

Muss so ein Autor wirklich ein "enorm gebildeter, an Akademien studierter Denker gewesen sein"? Nur weil er dazu fähig war, eine Handvoll kynischer Zitate/Anspielungen in einem halbwegs sinnvollen Zusammenhang unterzubringen?
lässt du da gerade nicht ein wenig die Zeit (wann war das?) und deren Umstände (wer hatte Zugang zu umfassender Bildung?) außer acht? Mich sollte sehr wundern, wenn im 1. und 2. Jh. dort, wo wie ersten christl. Quellen entstanden, eine Handvoll kynischer Zitate zum alltäglichen sprachlichen Gemeingut der gesamten Bevölkerung gezählt hätten, ohne Schulpflicht etc...

aber lassen wir mal die "Autoren" beiseite, denn die Schriftquellen (NT usw.) sind erst nach Jesus´ Tod entstanden und wohl mehrfach redigiert worden - überlegen wir, ob der angeblich "einfache Wanderprediger" (einfach im Sinne der Herkunft aus dem einfachen Volk, trotz angedichtetem Stammbaum) in dieser Zeit und unter deren Umständen weitläufige Kenntnisse der griech. pilosoph. Richtungen überhaupt gehabt haben konnte (((vielleicht sind ja die "gebildeten" Anklänge der späteren Quellen eben auch später entstanden und eben nicht die authentischen Jesusworte, oder anders gesagt: es muss wohl offen bleiben, ob der aramäisch predigende Jesus griech. Philosopien verarbeitet hatte)))
 
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die Frage nach Anlehnung an / Beeinflußung durch / Variation von / womöglich gar Ideenklau bei griech.-röm. philosophische Richtungen (Stoa, Kyniker) -- ganz egal wie man das formuliert -- wirft noch ganz andere Fragen auf, wenn sie speziell auf den Anfang, auf das "Urchristentum" und auf Jesus selber bezogen wird!
Denn es fragt sich dann: [...]

Nur nochmal, weil ich dass in meinem Beitrag #1453 vermutlich nicht so deutlich gemacht habe:
Ich gehe nicht von einer direkten Abhängigkeit der Reden und Aussprüche Jesu von irgendwelchen griechischen Philosophen aus, sondern maximal von einer minimalen Angleichung der religiösen Sprache der Juden im hellenistischen Zeitalter an philosophische Gedanken über Gott und die Welt. Ich denke nicht, dass sich der historische Jesus mit heidnischer Philosophie beschäftigt hat. Um das wahrscheinlich zu machen, eignen sich die drei von BZwo eingebrachten Zitate m. E. auch nicht.
In Qumran wurden m. W. keine philosophischen Schriften gefunden (die irgendwie zum Studium oder so hätten benutzt werden können). Die rabbinischen Schriften enthalten m. W. ebenso keine Anlehnungen an griechische Philosophie.
Vielleicht drückt der Babyl. Talmud, Traktat Sota XV die Einstellung der frommen Juden zur griechischen Philosophie ganz gut aus:
Verflucht sei, wer Schweine züchtet, und verflucht sei, wer seinen Sohn griechische Weisheit lehrt.

Die griechische Weisheit dürfte bei Essenern, Pharisäern und im volkstümlichen frommen Judentum eher ein Feindbild gewesen sein. Auf der anderen Seite ist Deine Frage berechtigt, wie es bei den Eliten der Juden aussah. Es folgt nämlich im Talmud:
Dem Hause Rabbi Gamliels haben sie die griechische Weisheit erlaubt, weil er der Regierung nahestand.
Dass zur Zeit Jesu Herodianer und wahrscheinlich auch Sadduzäer bei Interesse ohne schlechtes Gewissen griechische Philosophen gelesen haben, kann ich mir schon vorstellen. Die hellenistische Partei zur Zeit der Makkabäer und auch Herodes und seine Nachkommen haben ja auch überhaupt keine Probleme gehabt, sich für hellenistische Kultur zu begeistern. Für Teile der Elite war die griechische Philosophie bestimmt kein "Feind", wie für die "Frommen".

Man muss sich auch bewusst machen, dass der (ehemalige) Pharisäer Iosephus soweit hellenisiert war, dass er seinen Lesern gegen Ende des 1. Jhs. die jüdischen Religionsparteien gewissermaßen als Philosophenschulen beschreibt, um seinen Lesern den Zugang zu erleichtern ... und erst Philo von Alexandrien. Aber für Jesus und sein Umfeld ersehe ich eine Hellenisierung in diesem Grade aus den Evangelien überhaupt nicht; da ist eher alles sehr volkstümlich jüdisch.
 
betrifft diese Hellenisierung auch das quasi selbstverständliche verfügen über allerlei griechische Philosophien?
...
weitläufige Kenntnisse der griech. pilosoph. Richtungen

Werde doch mal konkret, damit wir über Fakten reden können:
Welcher frühchristliche Text zeigt "weitläufige Kenntnisse der griech. pilosoph. Richtungen"?

Mich sollte sehr wundern, wenn im 1. und 2. Jh. dort, wo wie ersten christl. Quellen entstanden, eine Handvoll kynischer Zitate zum alltäglichen sprachlichen Gemeingut der gesamten Bevölkerung gezählt hätten, ohne Schulpflicht etc...

Dass die Zitate zum alltäglichen sprachlichen Gemeingut der gesamten Bevölkerung gezählt haben, hat bisher niemand behauptet.
Es ist immerhin sehr unterhaltsam, wie Du Dich über Deine eigenen Ideen wunderst. :)

aber lassen wir mal die "Autoren" beiseite, denn die Schriftquellen (NT usw.) sind erst nach Jesus´ Tod entstanden und wohl mehrfach redigiert worden - überlegen wir, ob der angeblich "einfache Wanderprediger"
... da sind wir wieder bei den Jesus-Wunschbildern. Ich würde ja lieber über Fakten diskutieren, z. B. über erhaltene Quellen, aus denen man immerhin einige vorsichtige Rückschlüsse auf die Autoren ziehen könnte.


Über Jesus, der nun mal keine Schriften hinterlassen hat, kann man halt nur sagen:
es muss wohl offen bleiben, ob der aramäisch predigende Jesus griech. Philosopien verarbeitet hatte
 
Mein Verdacht: ein Wanderprediger im 1.Jh. in Palästina, der tatsächlich Kentnisse in griech. Philosophie hatte, musste entweder einer hellenisierten Oberschicht angehört haben oder aufgrund seiner sonstwie privilegierten Herkunft Zugang zu dieser und deren Bildungsstätten gehabt haben.
;)

Es gab ja auch in Palästina Diasporajuden. In Alexandria lebten nach Schätzungen mehr als 50.000 Juden, einige gehen sogar von bis zu 100.000 Einwohnern aus, die sich zum mosaischen Glauben bekannten. Auch in Antiochia ad Orontem und Kyrene gab es große jüdische Gemeinden. Als Jesus auf der Via Dolorosa unter der Last des Kreuzes zusammenbricht, muss ein gewisser Simon von Kyrene das Kreuz tragen. Streitigkeiten zwischen aramäisch- und griechischsprachigen Judenchristen in der Jerusalemer Urgemeinde führten nach der Apg dazu, dass sieben Diakone, "Männer von Geist und Weisheit" gewählt wurden, die sich u. a. um die Witwen der griechischsprachigen Judenchristen kümmern sollten. Einer von diesen, dessen Name Stephanos auf hellenistische Herkunft schließen lässt, wurde zum ersten christlichen Märtyrer. Paulus von Tharsus predigte in der Athener Synagoge und diskutierte mit Epikureern und Stoikern, worauf er zu einer Disputation auf dem Areopag eingeladen wird, allerdings eher mit mäßigem Erfolg. Als Paulus die Auferstehung predigt, wird er ausgelacht, während einige andere sagen, er solle ein anderes Mal wiederkommen. Immerhin lassen sich einige Zuhörer bekehren, namentlich genannt wird ein gewisser Dionysius, ein Mitglied des Rates, eine Frau mit Namen Damaris und einige andere. (Apg 17, 16-34)
 
Zuletzt bearbeitet:
Werde doch mal konkret, damit wir über Fakten reden können:
Welcher frühchristliche Text zeigt "weitläufige Kenntnisse der griech. pilosoph. Richtungen"?
ich glaube, wir reden aneinander vorbei...
ein paar Beiträge zuvor ging es darum, ob möglicherweise Anlehnungen an griech. kyn. Philosophen in den urchristlichen Quellen enthalten sind (was ich weder bejaht noch verneint habe) und ich habe mir daraufhin erlaubt, zu fragen, wie wahrscheinlich Kenntnisse in griech. Philosophie unter Wanderpredigern des 1. Jhs. gewesen sein können (und da meine ich, dass das eher unwahrscheinlich ist - es sei denn, ein solcher Wanderprediger wäre der damaligen Bildungselite entsprossen; letzteres scheint auf den Wanderprediger Jesus nicht zuzutreffen) Zudem ist fraglich, ob in der ersten Hälfte des 1. Jhs. das Publikum von Wanderpredigern Anspielungen auf griech. Philosophie überhaupt als solche hätte wahrnehmen können.
 
Ich gehe nicht von einer direkten Abhängigkeit der Reden und Aussprüche Jesu von irgendwelchen griechischen Philosophen aus, sondern maximal von einer minimalen Angleichung der religiösen Sprache der Juden im hellenistischen Zeitalter an philosophische Gedanken über Gott und die Welt. Ich denke nicht, dass sich der historische Jesus mit heidnischer Philosophie beschäftigt hat. Um das wahrscheinlich zu machen, eignen sich die drei von BZwo eingebrachten Zitate m. E. auch nicht.
(...)
Die griechische Weisheit dürfte bei Essenern, Pharisäern und im volkstümlichen frommen Judentum eher ein Feindbild gewesen sein. Auf der anderen Seite ist Deine Frage berechtigt, wie es bei den Eliten der Juden aussah.
(...)
Die hellenistische Partei zur Zeit der Makkabäer und auch Herodes und seine Nachkommen haben ja auch überhaupt keine Probleme gehabt, sich für hellenistische Kultur zu begeistern. Für Teile der Elite war die griechische Philosophie bestimmt kein "Feind", wie für die "Frommen".

Man muss sich auch bewusst machen, dass der (ehemalige) Pharisäer Iosephus soweit hellenisiert war, dass er seinen Lesern gegen Ende des 1. Jhs. die jüdischen Religionsparteien gewissermaßen als Philosophenschulen beschreibt, um seinen Lesern den Zugang zu erleichtern ... und erst Philo von Alexandrien. Aber für Jesus und sein Umfeld ersehe ich eine Hellenisierung in diesem Grade aus den Evangelien überhaupt nicht; da ist eher alles sehr volkstümlich jüdisch.
exzellenter Beitrag!
ich kann da nur zustimmen :)
 
Man muss sich auch bewusst machen, dass der (ehemalige) Pharisäer Iosephus soweit hellenisiert war, dass er seinen Lesern gegen Ende des 1. Jhs. die jüdischen Religionsparteien gewissermaßen als Philosophenschulen beschreibt, um seinen Lesern den Zugang zu erleichtern ... und erst Philo von Alexandrien. Aber für Jesus und sein Umfeld ersehe ich eine Hellenisierung in diesem Grade aus den Evangelien überhaupt nicht; da ist eher alles sehr volkstümlich jüdisch.

Ich habe hier im Forum schon mal den von Hiltibold vorgestellten (verstorbenen) evangelikalen Theologen Thiede kritisiert, der den Anspruch erhob, historische und historisch lege artis sauber recherchierte Bücher zu verfassen. Gerade in diesem einen Punkt fand ich Thiede ausnahmsweise besonders stark: In seiner Annahme, dass Jesus und seine Jünger zwar Aramäisch sprachen, aber aufgrund ihrer Umwelt polyglott waren. Nun muss man leider sagen, dass auch diese Stelle bei Thiede einen Zweck in dessen heilsgeschichtlichen Programm verfolgte, der jenseits eines q-kritischen Umgangs mit den Quellen lag, dennoch habe ich ihm gerade dies aufgrund der hier stimmigen Argumentation als glaubwürdig abgenommen.
 
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@El Quijote:
Was Du für Wörter kennst?!:yes: "Polyglott" musste ich gerade erstmal nachschlagen: mehrsprachig.

Also oben habe ich mit jenem Hellenisierungs-Grad ja nur die Offenheit für und den Umgang mit griechische(r) Philosophie gemeint.
Ob Jesus außer Aramäisch (und vllt. Hebräisch? zumindest hat er es anhand der Tora wohl gelernt zu lesen) auch Griechisch sprechen konnte, kann ich nicht beurteilen. Ein paar Brocken Verkehrs- und Handelssprache traue ich den einfachen Schichten in Judäa allemal zu. Jüdische Händler, vielleicht sogar exportierende (im kleinen Maße) Fischer am See Genezareth, mögen im Arbeitsalltag hie und da ein bisschen Griechisch geschwatzt haben und es auch benötigt haben. Der ein oder andere mag auch aus der Kommunikation mit griechischsprachigen Verwandten und Bekannten aus der Diaspora ein bisschen was gelernt haben (wenn die z. B. zu einem der großen Feste im Hl. Land auf Besuch waren). So ein paar Grundkenntnisse traue ich einfachen Leuten in der Provinz Judäa schon zu.
Aber um eine Sprache (die nicht die Muttersprache ist) einigermaßen flüssig sprechen zu können, braucht man in der Regel ja schon Unterricht. Dass die jüdischen Knaben der Handwerker und Fischer in Galiläa in den Genuß von Griechisch-Unterricht kamen, halte ich schon für fraglich. Bei uns heute kann beinahe jeder ein bisschen Englisch sprechen, aber es hat auch so gut wie jeder ein paar Jahre Englisch-Unterricht gehabt, musste Grammatik und Vokabeln pauken.
Eine zweite Möglichkeit, eine Sprache zu erlernen, ist natürlich, sich in ein anderssprachiges Land zu begeben, wo man jeden Tag herausgefordert ist, die Sprache zu erlernen und anzuwenden, um sich verständigen zu können. Aber das wird für Jesus und die Jünger vermutl. nicht zugetroffen haben.

Also ein paar Griechisch-Brocken, die wenigstens eine Grund-Verständigung mit "Griechen" ermöglichten, kann ich mir bei Jesus u. den Jüngern durchaus vorstellen. Was darüber hinaus geht, beäuge ich persönlich im Moment noch mit Skepsis. Aber wer weiß.

Wenn Du Zeit und Muße hast, kannst Du ja mal bei Thiede gucken, womit er argumentiert und welche Indizien es gibt; würde mich zumindest interessieren.
 
Ich habe hier im Forum schon mal den von Hiltibold vorgestellten (verstorbenen) evangelikalen Theologen Thiede kritisiert, der den Anspruch erhob, historische und historisch lese artis sauber recherchierte Bücher zu verfassen. Gerade in diesem einen Punkt fand ich Thiede ausnahmsweise besonders stark: In seiner Annahme, dass Jesus und seine Jünger zwar Aramäisch sprachen, aber aufgrund ihrer Umwelt polyglott waren. Nun muss man leider sagen, dass auch diese Stelle bei Thiede einen Zweck in dessen heilsgeschichtlichen Programm verfolgte, der jenseits eines q-kritischen Umgangs mit den Quellen lag, dennoch habe ich ihm gerade dies aufgrund der hier stimmigen Argumentation als glaubwürdig abgenommen.

Das interessiert mich: Wie begründete Thiede denn seine These, dass Jesus und seine Jünger polyglott waren, also Griechisch als Lingua Franca des östlichen Teils des Imperium Romanum verstanden?

Im NT fallen mir spontan nur zwei, vielleicht drei Stellen ein, aus denen man vorsichtige Schlüsse ziehen könnte, dass Jesus und (einige) seiner Schüler Griechisch beherrschten. So wird berichtet von einem Abstecher Jesu nach Syrien in die Gegend von Sidon und Tyrus und die Heilung des Kindes einer Griechin(?). In Kafarnaum bittet ein Centurio Jesus, seinen Burschen gesund zu machen (Mt 8, 5-13, Lk 7, 1, Joh 4, 46-53)
 
Wenn Du Zeit und Muße hast, kannst Du ja mal bei Thiede gucken, womit er argumentiert und welche Indizien es gibt; würde mich zumindest interessieren.

Das interessiert mich: Wie begründete Thiede denn seine These, dass Jesus und seine Jünger polyglott waren, also Griechisch als Lingua Franca des östlichen Teils des Imperium Romanum verstanden.

Im Prinzip begründet er dies damit, dass es in Judaea eine Reihe Gruppen gab, die, teils jüdisch, teils heidnisch, in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander lebten.
Petrus' Bruder Andreas trägt einen griechischen Namen (ich weiß nicht, ob Thiede dieses Argument verwendet), ebenso Philippos. Das Namenargument ist natürlich schwach, insbesondere der Name Philippos dürfte einigermaßen populär gewesen sein, als makedonischer Königsname und der Situation Judaeas als Grenzland zwischen den Diadochenreichen Syrien und Ägypten.

Bei Johannes 12,20 werden Griechen erwähnt, bei denen es sich aber um Juden handelt dürfte, diese sprechen Philippos an, in welcher Sprache sie also sprachen ist nicht unbedingt klar (die Historizitätsproblematik mal außen vor gelassen).
 
Im Prinzip begründet er dies damit, dass es in Judaea eine Reihe Gruppen gab, die, teils jüdisch, teils heidnisch, in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander lebten.
Petrus' Bruder Andreas trägt einen griechischen Namen (ich weiß nicht, ob Thiede dieses Argument verwendet), ebenso Philippos. Das Namenargument ist natürlich schwach, insbesondere der Name Philippos dürfte einigermaßen populär gewesen sein, als makedonischer Königsname und der Situation Judaeas als Grenzland zwischen den Diadochenreichen Syrien und Ägypten.

Bei Johannes 12,20 werden Griechen erwähnt, bei denen es sich aber um Juden handelt dürfte, diese sprechen Philippos an, in welcher Sprache sie also sprachen ist nicht unbedingt klar (die Historizitätsproblematik mal außen vor gelassen).

Von Philippos ist doch auch eine Episode überliefert, dass er einen Äthiopier und Eunuchen trifft, der Kandake, der Königin von Äthiopien als Kammerherr dient und sich auf Pilgerreise nach Jerusalem befindet. Um sich die Zeit zu vertreiben liest er aus dem Prophet Jesaja, kann das Gelesene aber nicht verstehen und als Eunuche nicht zum mosaischen Glauben konvertieren. Philippus erklärt ihm daraufhin die Schrift und verkündet ihm das Evangelium, worauf sich dieser von Philippus taufen lässt.
vorausgesetzt, die Geschichte wäre historisch, wie hätten die beiden wohl kommuniziert? (Apg 8, 26-39)
 
Das Szenario wonach Jesus evtl. griechische philosophische Schriften studiert hat und einige der darin enthaltenen Ideen mit seinem jüdischen Glauben verschmolz, woraus sich das später das Christentum entwickelte, kann man meiner Meinung nach getrost verwerfen. Ich glaube andererseits aber auch nicht das die bereits genannten Ähnlichkeiten zwischen Q-Weisheiten und kynischer Philosophie reiner Zufall sind. Ich kann ja mal versuchen ein plausibleres Szenario für diesen Ideentransfer zu entwerfen.

Wie ich bereits erwähnte wurde die kynische Lehre im Gegensatz zu anderen philosophischen Richtungen in erster Linie durch Wanderprediger (wandernde Philosophen) verbreitet. Daraus lässt sich denke ich schliessen, das nicht nur Angehörige der geistigen Eliten Zugang zu diesen Ideen hatten. Das sich einer dieser kynischen Wanderprediger allerdings bis nach Galiläa verlaufen hat, halte ich aber auch wieder für eher unwahrscheinlich. M.E. könnten aber durchaus einige dieser wandernden Philosophen ihre Lehren in den Hafenstädten der Levante verkündet haben. Dort könnten auch jüdische Händler, die ja wahrscheinlich schon aufgrund ihres Berufes ein ausreichend gutes griechisch beherrschten, einige dieser Ideen aufgeschnappt und weitergetragen haben. Auf diesem Wege könnten dann auch die urchristlichen Gemeinden mit diesen hellenistischen Ideen in Berührung gekommen sein, vermutlich sogar ohne etwas über den eigentlich Ursprung dieser Weisheiten zu wissen.

Wie ist Eure Meinung dazu?
 
Wenn ich mich recht besinne ist im Markusevangelium(Mk, 5, 1-11 beschrieben, dass Jesus ins Gebiet der Dekapolis reist und dort einen besessenen Bewohner von Gerasa heilt, der von bösen Geistern besessen ist. Nach dem Exorzismus fahren die Geister in eine Herde von Schweinen. Bei der Geschichte der Heilung eines Kindes in Syrophönikien (Bei Mk die Gegend um Sidon genannt, steht Mk 7, 26 ausdrücklich, dass die Mutter des Kindes eine Griechin ist. Bei Mathäus (Mt, 15, 21-28) ist eine kanaäische Frau erwähnt, dessen Kind jesus anfangs aber nicht heilen will, denn "Ich bin gesandt zu den verlorenen Schafen Israels. Erst auf Bitten der Jünger und nachdem die Frau vor ihm auf die Knie fällt, entschließt er sich zur Heilung.
 
ein paar Beiträge zuvor ging es darum, ob möglicherweise Anlehnungen an griech. kyn. Philosophen in den urchristlichen Quellen enthalten sind

Wir sprechen also über den Kynismus.

und ich habe mir daraufhin erlaubt, zu fragen, wie wahrscheinlich Kenntnisse in griech. Philosophie unter Wanderpredigern des 1. Jhs. gewesen sein können
Die Frage lautete:
- müssten die Wanderprediger nicht enorm gebildete, an Akademien studierte Denker gewesen sein, wenn sie dergleichen Philosopheme zu variieren, zu adaptieren, umzudeuten vermochten?
Die Frage beantworte ich nochmal mit einem ganz deutlichen Nein.

Der Kynismus pfiff auf jegliche formale Bildung, betrieb nie irgendwelche Akademien, hat auch nie ein philosophisches System entwickelt, das man hätte studieren können. Die frühen Kyniker haben noch nicht mal irgendwelche Schriften hinterlassen, sondern nur Anekdötchen, aus denen sich ihre Nachfolger nach Belieben bedienten.
 
Wenn man sich anschaut, wo das antike Sepphoris lag, brauchte es kein Wanderpredigertum, um mit hellenistischem (und damit auch kynischem?) Gedankengut in Berührung zu kommen. Inwieweit die asketische Lebensform der Kyniker Auswirkungen auf Jesus gehabt haben könnte, würde mich schon interessieren. Die Lehre Jesu mit hauptsächlich transzendenten Inhalten wie Erlösung und Leben nach dem Tode scheint mir aber doch in pharisäischer und nicht kynischer Tradition zu stehen, in der - wenn ich mich richtig erinnere - der Seelenfrieden über Vernunft und Loslösen von irdischem Ballast im Hier und Jetzt zu erlangen wäre.
 
Wie ich bereits erwähnte wurde die kynische Lehre im Gegensatz zu anderen philosophischen Richtungen in erster Linie durch Wanderprediger (wandernde Philosophen) verbreitet. Daraus lässt sich denke ich schliessen, das nicht nur Angehörige der geistigen Eliten Zugang zu diesen Ideen hatten. Das sich einer dieser kynischen Wanderprediger allerdings bis nach Galiläa verlaufen hat, halte ich aber auch wieder für eher unwahrscheinlich. M.E. könnten aber durchaus einige dieser wandernden Philosophen ihre Lehren in den Hafenstädten der Levante verkündet haben. Dort könnten auch jüdische Händler, die ja wahrscheinlich schon aufgrund ihres Berufes ein ausreichend gutes griechisch beherrschten, einige dieser Ideen aufgeschnappt und weitergetragen haben. Auf diesem Wege könnten dann auch die urchristlichen Gemeinden mit diesen hellenistischen Ideen in Berührung gekommen sein, vermutlich sogar ohne etwas über den eigentlich Ursprung dieser Weisheiten zu wissen.

Wie ist Eure Meinung dazu?

Halte ich im Großen und Ganzen schon für plausibel.
Die Frage ist halt nur, ob man für die Evangelien überhaupt kynische Einflüsse annehmen muss.

Der Kynismus pfiff auf jegliche formale Bildung, betrieb nie irgendwelche Akademien, hat auch nie ein philosophisches System entwickelt, das man hätte studieren können. Die frühen Kyniker haben noch nicht mal irgendwelche Schriften hinterlassen, sondern nur Anekdötchen, aus denen sich ihre Nachfolger nach Belieben bedienten.

Danke für die aufschlussreiche, prägnante Charakterisierung.
 
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