Homers Ilias, Voß-Schrott

Nimmt man aber den Text als Ganzes, betrachtet seine bildliche und sonstige traditionelle Rezeption und faßt die antiken Erläuterungen dazu zusammen, so kann man sagen, daß es für die Griechen in der klassischen Antike kaum Zweifel gab, daß die Dichtung auf ein Publikum des griechischen Mutterlandes und der kleinasiatischen Westküste zugeschnitten war.

Die oben gestellte Frage ist, ob man der Hypothese von Raoul Schrott Glauben schenkt, die Troja nicht in Hissarlik, sondern in Karatepe/Kilikien vermutet. Schrott macht das vor allem an topografischen Indizien fest und das ist m.E. etwas wenig an historischen Belegen. Und wenn man einen Überfall der mykenischen Griechen als gegeben annimmt, dann liegen Kilikien und Karatepe völlig außerhalb einer militärischen Invasion. Von mykenisch-griechischen Überresten ist dort meines Wissens jedenfalls nichts bekannt.
 
Die oben gestellte Frage ist, ob man der Hypothese von Raoul Schrott Glauben schenkt, die Troja nicht in Hissarlik, sondern in Karatepe/Kilikien vermutet. Schrott macht das vor allem an topografischen Indizien fest und das ist m.E. etwas wenig an historischen Belegen. Und wenn man einen Überfall der mykenischen Griechen als gegeben annimmt, dann liegen Kilikien und Karatepe völlig außerhalb einer militärischen Invasion. Von mykenisch-griechischen Überresten ist dort meines Wissens jedenfalls nichts bekannt.


Ja, genau und eben. Troja ist aber zuerst ein literarischer Topos, und der fragt nach seinen Rezipienten. Selbst wenn man archäologisch eine militärische Aktion mykenischer Griechen bis nach Kilikien nachweisen könnte, Kontakte in die Levante sind ja durchaus möglich, wäre das noch immer kein Beleg für das kilikische Troja von Schrott.
Das Troja der Illias ist eine literarische Stadt. Trotz durchaus vorhandener realer Elemente ist die Illias kein Tatsachen- oder Augenzeugenbericht.
 
Das Troja der Illias ist eine literarische Stadt. Trotz durchaus vorhandener realer Elemente ist die Illias kein Tatsachen- oder Augenzeugenbericht.

Neben dem literarischen Topos kann man jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, dass Troja/Ilion auch als reale Stadt existierte. Und wenn das so war, muss es eine geografische Lage gehabt haben, die nach damaligen logistischen Möglichkeiten eine mykenische Invasion inklusive einer kleinen Expeditionsarmee erlaubte. Die Theorie des leider früh verstorbenen Manfred Korfmann, dass das hethitische "Wilusa" und (W)ilios identisch sind, hat einiges für sich, auch wenn das sein Widersacher Frank Kolb energisch bestreitet.

Dass das kilikische Karatepe mit Troja identisch sein könnte, halte ich jedoch für sehr unwahrscheinlich. Auf die problematische Beweisführung Raoul Schrotts ist mehrfach hingewiesen worden. Problematische Beweisführung - Historikerstreit - FOCUS Online - Nachrichten
 
Grundsätzlich halte ich auch nichts von Schrotts Thesen, aber: Muss man das denn so eng im Sinne eines entweder-oder sehen? Auch wenn das reale Troja im nordwestlichen Kleinasien lag, könnte sich Homer (theoretisch - denn ich sehe keinen triftigen Anhaltspunkt für seine angebliche Assyrer-Kilikien-Connection) doch dennoch von Karatepe inspirieren lassen haben, weil er es kannte, die Gegend des echten Troja aber nicht. Ich verweise dafür auf spätmittelalterliche und frühneuzeitliche bildliche Darstellungen aus Europa von Städten wie Jerusalem, die oft deutliche Züge europäischer Städte tragen (wohl weil der Künstler einfach nie eine echte orientalische Stadt gesehen hatte, geschweige denn eine antike), ohne dass die Lage Jerusalems in Europa vermutet worden wäre.
 
troja

Hallo


@Ravenik
Auch wenn das reale Troja im nordwestlichen Kleinasien lag,

Wieso ?

Schliemann hast sich ausschließlich auf topografische Parallelen in der Ilias berufen, aber diese Hinweise sind ja auch bei Karatepe da.

Und die heutigen dt. Ausgräber zweifeln auch nicht an Troja und führen die Topographie ins Feld.

mfg
schwedenmann
 
Schliemann hast sich ausschließlich auf topografische Parallelen in der Ilias berufen, aber diese Hinweise sind ja auch bei Karatepe da.

Völlig richtig. Schliemann hat sich von den geografischen Schilderungen der Ilias leiten lassen.

Das schließt natürlich nicht aus, dass sich auch an anderen Orten Kleinasiens ähnliche topografische Gegebenheiten finden. Doch mit mykenischen Überresten und einer Lage, die ökonomische und politische Beziehungen zum mykenischen Griechenland wahrscheinlich machen, sieht es mager aus.
 
Troja

Hallo


@Dieter
Doch mit mykenischen Überresten und einer Lage, die ökonomische und politische Beziehungen zum mykenischen Griechenland wahrscheinlich machen, sieht es mager aus.

So man denn Troja für einen Tatsachenbericht hält und nicht wie Schrott für eine fantasievolle Erzählung die nichtgriechische hist. Ereignisse in griechische Geschichte transponiert.
Die Sachen, die bei "Troja" zutreffen in Bezug auf die literarische Vorlage, könnten ja auch genauso für einige der tepes zutreffen, wenn sie genauso gut und seit Jahrzehnten kontinuierlich archäologisch untersucht worden wären, wie eben "Troja".

mfg
schwedenmann
 
Wieso ?

Schliemann hast sich ausschließlich auf topografische Parallelen in der Ilias berufen, aber diese Hinweise sind ja auch bei Karatepe da.
Dass für Homer Troja in Nordwestkleinasien lag, kann überhaupt keinem Zweifel unterliegen.
Z. B. erzählt Nestor im 3. Gesang der Odyssee, dass er über Tenedos und Lesbos heimsegelte. Tenedos ist eine Insel vor der Küste Trojas, Lesbos liegt etwas weiter südlich. Es wäre vollkommen sinnlos, von Kilikien aus nach Tenedos zu segeln, von dort dann wieder südlich nach Lesbos und dann ins eigentliche Griechenland.
Anderes Beispiel: Die Völker, deren Herrscher Troja mit Truppen zu Hilfe geeilt sein sollen, lebten im westlichen Kleinasien, nicht in der Nachbarschaft von Kilikien.

Das schließt nicht aus, dass sich Homer bei der Schilderung Trojas an Karatepe orientiert haben könnte, wenngleich ich auch dafür keinen echten Hinweis, geschweige denn einen Beweis, erkennen kann. Aber Troja hat er eindeutig in Nordwestkleinasien verortet.
 
So man denn Troja für einen Tatsachenbericht hält und nicht wie Schrott für eine fantasievolle Erzählung die nichtgriechische hist. Ereignisse in griechische Geschichte transponiert.
Die Sachen, die bei "Troja" zutreffen in Bezug auf die literarische Vorlage, könnten ja auch genauso für einige der tepes zutreffen, wenn sie genauso gut und seit Jahrzehnten kontinuierlich archäologisch untersucht worden wären, wie eben "Troja".

Hissarlik wird von der Fachwissenschaft ziemlich einheitlich als das homerische Troja anerkannt. Kontroversen wie die zwischen dem Archäologen Manfred Korfmann und dem Althistoriker Frank Kolb drehten sich vor allem um die Frage, ob Troja eine bedeutende Drehscheibe oder lediglich ein kleines Piratennest war. Ferner darum, ob das in hethitischen Quellen genannte "Wilusa" mit dem Hissarlik-Troja identisch sei. Troja-Debatte ? Wikipedia

Schaut man auf die historischen Quellen, so lag Troja für Homer an der NW-Ecke der ägäischen kleinasiatischen Küste, wo sich zur Zeit der griechischen Antike auch die Stadt Ilion befand. Dieser Platz geriet später in Vergessenheit, wurde aber mit dem legendären Troja gleichgesetzt. Den letzten ultimativen Beweis einer Identität von Hissarlik mit Troja haben wir noch nicht, oder besser gesagt: die Beweise sind nicht nicht ganz unumstritten.
 
Auf die problematische Beweisführung Raoul Schrotts ist mehrfach hingewiesen worden. Problematische Beweisführung - Historikerstreit - FOCUS Online - Nachrichten
Laut diesem Artikel leitet Schrott also aus dem "Fehlen von erotischen Beschreibungen" ab, Homer sei kastriert gewesen. Da drängt sich der Verdacht auf, dass Schrott lieber moderne Historienromane, die kaum noch ohne deftige Sexszenen auskommen, als antike Epen liest. "Erotische Beschreibungen" waren in letzteren unüblich, da müssten auch Hesiod, Silius Italicus, Lucanus, Quintus von Smyrna etc. allesamt Eunuchen gewesen sein.
Mit "phallischen Waffen" wird Schrott wohl Speere meinen, aber was kann Homer dafür, dass sie in der Antike zu den wichtigsten Waffen gehörten?
 
Ich finde die Behauptungen auch weit hergeholt, andere Werke kommen auch ohne die Beschreibung sexueller Handlungen aus und dennoch kann daraus nicht geschlussfolgert werden, dass die Autoren kastriert waren. In einem Literaturseminar in der Uni kam diese Vermutung auch einmal auf bzw. es wurde als auffällig herausgestellt, dass so mancher Epos ohne "gewisse" Szenen verzichtet, uns jungen Studis fällt so etwas ja gerne einmal auf ;) Die Bezeichnung von Speeren als "phallische Waffen" sollte vielleicht ebenfalls überdacht werden in dem Kontext, denn wie bereits erwähnt, handelt es sich um gängige Waffen. bei mir im Hinterkopf läutet da ein wenig der Gedanke an Freud, nach dessen Lektüre mutet ja immer alles phallisch an...
 
Laut diesem Artikel leitet Schrott also aus dem "Fehlen von erotischen Beschreibungen" ab, Homer sei kastriert gewesen.
falls die dahinter aufleuchtende These - keine erotischen Deskriptionen, ergo Autor/in kastriert/sterilisiert - richtig sein sollte, dann hat es enorm viele kastrierte Literaten/innen gegeben (sogar unter denen, die nachweislich Nachwuchs hatten) =)=)=)=)
 
Die "weibliche Perspektive" muss mir zwischen all den brutalen Kampfszenen in der Ilias entgangen sein.

Pass auf, dass du nicht von einer Horde Feministinnen für diese Äußerung erschlagen wirst. :D Was ist an Kampfszenen denn weibliche oder männliche Perspektive? Über sowas berichten kann man doch aus beiden.

Wenn man allerdings eine Art Augenzeugenperspektive feststellt, dann kann man wirklich sagen, die ist wohl eher männlich.

Die Perspektive ist aber in eine wie auch immer geartete Vergangenheit gerichtet, der "Erzähler" berichtet als Außenstehender und nicht wie ... ich glaub das war Archilochos? ... "an die Lanze häng ich mein Brot" oder sowas. ;)

Also wissen wir nicht wirklich, ob Homer vielleicht doch ne Frau war. Also die Teile, wo es um Ehe und sowas geht, die könnten sicher auch von einer Frau stammen. :D

Ist das denn jetzt "in" nach Gendergedöns-Perspektiven in der Ilias zu suchen? Würde mich nichtmal wundern... :pfeif:;)
 
Was ist an Kampfszenen denn weibliche oder männliche Perspektive? Über sowas berichten kann man doch aus beiden.
Ja.
Allerdings argumentierte der Wissenschaftler in meinem Link, dass Homer wegen der Frauenfiguren in seinen Epen selbst eine Frau gewesen sein müsse. Er geht also davon aus, dass nur eine Frau so über Frauen schreiben könne. Wenn man diese Logik zugrundelegt, ist es wohl logisch auch zu sagen, dass nur ein Mann so über Kämpfe schreiben könne.
Geschlechterklischees hier wie da also. Denn natürlich kann auch ein Mann so über Frauen schreiben - und hat es höchstwahrscheinlich auch, wenn man davon ausgeht, dass Homer ein Mann war.
Aber natürlich konnten auch Frauen "martialisch" schreiben. Z. B. feierte die Dichterin Nossis in einem Epigramm einen Sieg der Lokrer über die Bruttier und verspottete letztere auch noch. Die Art und Weise, wie die Dichterin Anyte in einem Epigramm den Schlachtentod des Pferdes eines gewissen Damis schilderte, erinnert durchaus an Homer.

Wenn man allerdings eine Art Augenzeugenperspektive feststellt, dann kann man wirklich sagen, die ist wohl eher männlich.
Ob Homer selbst Schlachterfahrung hatte, lässt sich, glaube ich, nicht sagen. Auch Vergil hat in seiner "Aeneis" Kämpfe geschildert, obwohl er, soweit bekannt, wohl nie im Krieg war. Natürlich war er massiv von Homer beeinflusst - aber auch Homer könnte sich seine recht drastischen Schilderungen von anderen Dichtern abgeschaut haben.

ich glaub das war Archilochos? ... "an die Lanze häng ich mein Brot" oder sowas.
Dieses Gedicht wird unterschiedlich übersetzt und interpretiert. Eine andere Variante ist, dass sich Archilochos durch die Lanze Brot und Wein verschaffte, also als Söldner diente.

Also wissen wir nicht wirklich, ob Homer vielleicht doch ne Frau war.
Es spricht nichts dafür.
Die Griechen hatten grundsätzlich auch kein Problem damit, Dichterinnen Anerkennung zu zollen - keineswegs nur Sappho und Korinna, sondern z. B. auch der argivischen Dichterin und Kriegerin Telesilla, der in ihrer Stadt noch Jahrhunderte nach ihrem Tod ein Fest gefeiert wurde.

Ist das denn jetzt "in" nach Gendergedöns-Perspektiven in der Ilias zu suchen?
Es ist wohl vor allem "in", mit immer neuen abgefahrenen Theorien auf sich aufmerksam zu machen.
 
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