Hunnen und die kimbrische Halbinsel

Im Ende des Hunnenreiches finden sich Faktoren wieder, die in dieser Form bei Awaren oder anderen späteren Reitervölker in Europa nicht anzutreffen sind. Parallelen zu den Awaren sind daher eher in frühen Stadien hunnischer Oberherrschaft zu finden, obwohl auch die Awaren eine zentrale Monarchie, eben das Khaganat kannten! Dagegen haben wohl die frühen Hunnen trotz ihrer Erfolge nur ein Bündnis zusammengehalten und eben nicht zentrale Führungspersönlichkeiten und ihre Stammesstruktur scheint sich erst in Pannonien sehr stark zentralisiert zu haben. Also die Parallelen halten sich sehr stark in Grenzen...

Das kommt nun darauf an, von welchen "Hunnen" man redet. Die Hunnen in Ungarn weisen deutliche Parallelen zu den später dort ansässigen Awaren auf. Auch finde ich es bei Heather etwas widersprüchlich, wenn er zunächst schreibt, dass das Bündnis nicht nur von Attilas Stellung abhing, um dann im nächsten Absatz seine überragende Position zu beschreiben.

Dass die Hunnen vorher aus verschiedenen, lockeren Bündnissen bestanden, sollte klar sein, es gerade darum KEINEN konzentrierten Angriff auf ein imaginäres Großreich unter Ermanarich gab.
Aber dieses galt genauso für die Awaren, die ebenfalls ihre auf den Khan zentralisierte Struktur erst in Pannonien herausbildeten, in Russlands Steppen noch wesentlich diffuser auftreten.
 
Dass die Hunnen vorher aus verschiedenen, lockeren Bündnissen bestanden, sollte klar sein, es gerade darum KEINEN konzentrierten Angriff auf ein imaginäres Großreich unter Ermanarich gab.
Aber dieses galt genauso für die Awaren, die ebenfalls ihre auf den Khan zentralisierte Struktur erst in Pannonien herausbildeten, in Russlands Steppen noch wesentlich diffuser auftreten.
Über die Führungsstruktur der Hunnen um 375 wissen wir doch eigentlich gar nichts Sicheres. Iordanes schreibt zwar von einem Hunnenführer Balamir, aber diese Angabe wird aufgrund des gotisch klingenden Namens angezweifelt. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass auch die Autoren anderer Völker, auch der Griechen und Römer, die Namen fremdländischer Personen mit arg fremd klingenden Namen gerne an ihre eigene Sprache anglichen. (Die Perserkönige hießen in Wahrheit ja auch nicht Kyros, Dareios, Artaxerxes und Xerxes, trotzdem bezweifelt man nicht aufgrund ihrer griechisch klingenden Namen ihre Existenz.) Warum also sollte das Iordanes nicht auch so gemacht und den für ihn und seine Leser unaussprechlichen realen Namen des Hunnenführers gotisiert haben?
Aber gut, wenden wir uns lieber dem zeitnahen Ammianus Marcellinus zu. Der schreibt über die Führung der Hunnen 375 rein gar nichts - weder, dass sie einen einheitlichen Führer hatten noch dass sie ihn nicht hatten. Wenn wir uns also nicht auf die Angabe des Iordanes verlassen wollen, müssen wir offen lassen, ob die Hunnen (zumindest ein größerer Teil von ihnen) 375 einen einheitlichen Führer hatte oder nicht. Wir sollten nicht von vornherein ausschließen, dass bereits früher Führern gelungen war, was kurzzeitig Attila gelang, denn auch der schuf ja keine institutionelle Monarchie, sondern wurde bloß aufgrund der faktischen Verhältnisse Alleinherrscher der meisten europäischen Hunnen. Auch Attilas Onkel Ruga hatte bereits zeitweise die Alleinherrschaft über die meisten europäischen Hunnen innegehabt.
 
Theoderichs Rückkehr - keine Folge hunnischer Aktivitäten

Dengizich soll 469 gestorben sein, sein Kopf wurde in Konstantinopel ausgestellt. "Zufällig" das gleiche Jahr, in dem Theoderich von eben dort aufbrach, um die Führung seines Teilstammes zu übernehmen.
@Hunnen und Theoderich
Dengizich wurde tatsächlich 469 von römischen Truppen geschlagen und der Kopf im Triumph durch Konstantinopel getragen. Theoderich wurde vielleicht im Laufe jenes Jahres zu seinem Vater zurückgeschickt, der aber noch bis 474 lebte. Manche Historiker nehmen auch 471 als Jahr der Rückkehr an. Herwig schreibt 469/470.
Dengizich hatte im Jahr vor seinem Tode noch versucht die pannonischen Ostgoten in einem plötzlichen Angriff zu überwältigen und war kläglich gescheitert.

Im Jahre 469 als der Attilasohn im Kampf zugrundeging hatten die pannonischen Ostgoten einen sehr gefährlichen Angriff einer gentilen Koalition aus dem ehemaligen Herrschaftsbereich Attilas heraus abzuwehren. Also jener Gruppen die nach dem Tode des Hunnenherrschers wohl die Sieger über dessen Söhne gestellt hatten. Dabei war auch eine oströmische Armee im Rücken der Goten aufmarschiert und hatte sie bedroht. Weiterhin waren die Angreifer (ebenso wie die Ostgoten) mit Konstantinopel durch einen Bündnisvertrag verbündet. Die Ostgoten siegten an der Bolia. Der pannonische Oberkönig der Ostgoten, Valamir dürfte in diesem Kriege gefallen sein, womit der Vater des Theoderich in diese Stellung avancierte. Dass Theoderich in dieser Situation zu seinem Vater entlassen wurde muss somit als "vertrauensbildende Maßnahme" angesehen werden, da Ostrom mit großer Wahrscheinlichkeit der Drahtzieher hinter dem Krieg gewesen war. Er steht im engen Zusammenhang mit der damaligen, antigotischen Politik beider römischen Reiche – sowohl gegen die Westgoten als auch gegen die Ostgoten. Ein Zusammenhang mit dem Ende des zum „Marodeur“ herabgekommenen Attilasohn ist mehr als unwahrscheinlich. Theoderich griff bei seiner Rückkehr die Gelegenheit beim Schopf sich zu bewähren, versammelte vorgefundene ostgotische Krieger und eroberte selbstständig den Herrschaftssitz einen verfeindeten Sarmatenkönigs, welcher der Feindkoalition angehörte. Die Lage der Ostgoten in Pannonien blieb weiterhin prekär und man war auf Hilfsgelder angewiesen. Den ostgotischen Königssohn freizugeben war ein geschickter Schachzug der Römer, die damit vielleicht verhindern konnten, dass die Ostgoten Pannonien sofort verließen.

@Awaren: Gerade die Awaren auf dem Boden des späteren Ungarn haben besonders wenige Parallelen mit den Hunnen auf diesem Territorium. Ich weis nicht wo du diese findest, wo ich doch einige Unterschiede aufgezählt habe?

@Ermanarich: Wieso sollte es keinen massiven Angriff auf sein Großreich gegeben haben? Bitte erkläre mir warum Ammianus, dessen Geschichte deutlich vor einem nennenswerten Auftreten von Ostgoten/Amalern endet, in vorauseilendem Gehorsam in das Loblied eines Theoderich d.Gr. eingestimmt haben sollte, der noch längst nicht geboren war, als das Geschichtswerk endete? Einen Bund, basierend auf Gefolgschaftstreue des Ermanarich zu besiegen braucht es keinen Angriff wie von dir behauptet, zumal der Nachfolger des greisen Patriarchen in seinem Abwehrkampf auch hunnische Kontingente als Söldner angeworben hat! Auch hier war der Mann, dem die Loyalitäten galten (Ermanarich) während der Kämpfe von der Bühne verschwunden (siehe Attila)...

Weiterhin wird Ermanarich nicht als direkter Vorfahr im Stammbaum des Amalers Theoderich und seiner Tochter (und praktischer Nachfolgerin) erwähnt. Daraus abzuleitende Ansprüche wären also mehr als vage und besser in einem Verschwörungsthread aufgehoben.

@Hunnenkönig Balamir:
H. Wolfram definiert die Wurzel des Namens als iranisch. Aufgrund der langen gemeinsamen Zeit mit Sarmaten in Südrussland ist diese Schreibweise wohl germanisiert?

@all: Hat das alles nicht eher etwas mt der Gotengeschichte oder den Hunnen allgemein zu tun?
 
@all: Hat das alles nicht eher etwas mt der Gotengeschichte oder den Hunnen allgemein zu tun?

Ja, hat es und aus der kimbrischen Insel ist ein richtig spannender, dynamischer Thread geworden.
Vielleicht findet ihr zwischendurch mal Zeit, ganz kurz über den Zwischenstand zu resümieren.:winke:
 
Ich kann mich erneut nur bedanken für Tejasons kenntnisreiche und geduldige Zusammenfassungen!

ein paar ergänzende Überlegungen:
-- das Scheinargument, dass "die Hunnen" nur sehr wenige gewesen seien
Woran bemisst sich so ein Vergleich? Nehmen wir "die Westgoten in Spanien" als Vergleichsgröße, so wundert, dass derart wenige Westgoten die doch recht bevölkerungsreiche iberische Halbinsel beherrschten (was bei Herwig Wolfram sehr schön nachzulesen ist - das Reich und die Germanen). Oder nehmen wir das römische Imperium (z.Z. von Diokletian), welches nur 3% der Bevölkerung unter Waffen hielt. Oder nehmen wir für militärisch agierende Gentes der Völkerwanderungszeit die Überfahrt der Vandalen nach Afrika, wo ca 80.000 Leute (Vandalen, Alanen u.a.) gezählt wurden, und deren aktives Militär aus ca 20.000 Kriegern bestand.
Diese ca 20.000 bedeuteten eine ordentliche und ernst zu nehmende Streitmacht.
Gotische Gruppen oder Verbände vor der durch die Hunnen ausgelösten Konfusion und Völkerlawine dürften besonders als gotische Konföderation, duchaus auf mehr als 20.000 Krieger taxiert werden. Derartige Truppenstärken können nicht von einer Handvoll Bogenschützen überwunden worden sein ---- mit anderen Worten: die Alanen und Goten sind von keiner kleinen hunnischen Heeresmacht überrannt worden.
Ich kann keinen Sinn darin erkennen, die Hunnen quasi wegzudiskutieren.
-- Ermanarichs Gotenreich
sollte nicht als Fiktion abgetan werden.
Mag das gotische "Kernreich" auf die gotische Besiedlung am schwarzen Meer eingeschränkt werden, so scheint doch der Einfluß desselben entlang von Handelswegen deutlich größer gewesen zu sein - wenigstens lässt sich u.a. aus Jordanes Völkerkatalog ein solcher erschließen (vgl. Gottfried Schramm). Die Grenzen der gotischen Einflußsphäre des Ermanarichreiches sind keine Grenzen im Sinne des Limes gewesen.
 
@Awaren: Gerade die Awaren auf dem Boden des späteren Ungarn haben besonders wenige Parallelen mit den Hunnen auf diesem Territorium. Ich weis nicht wo du diese findest, wo ich doch einige Unterschiede aufgezählt habe?

Sorry, auch bei nochmaligem Lesen finde ich diese Passage nicht.

@Ermanarich: Wieso sollte es keinen massiven Angriff auf sein Großreich gegeben haben? Bitte erkläre mir warum Ammianus, dessen Geschichte deutlich vor einem nennenswerten Auftreten von Ostgoten/Amalern endet, in vorauseilendem Gehorsam in das Loblied eines Theoderich d.Gr. eingestimmt haben sollte, der noch längst nicht geboren war, als das Geschichtswerk endete? Einen Bund, basierend auf Gefolgschaftstreue des Ermanarich zu besiegen braucht es keinen Angriff wie von dir behauptet, zumal der Nachfolger des greisen Patriarchen in seinem Abwehrkampf auch hunnische Kontingente als Söldner angeworben hat! Auch hier war der Mann, dem die Loyalitäten galten (Ermanarich) während der Kämpfe von der Bühne verschwunden (siehe Attila)...

Hmmm. Ich habe weder von einem Loblied des Ammanius auf Theoderich gesprochen, noch von einem - von mir ja gerade abgestrittenen - Großangriff der Hunnen auf Ermanarich. Ich bezweifle vor allem die Existenz des "Großreiches", da die Goten im 4.Jhd. dazu viel zu diffus auftreten, zudem wohl ein solch mächtiges Reich auch neben Ammianus noch in andere Überlieferungen eingeflossen wäre.
Wesentlich wahrscheinlicher ist da eine typisch römisch vereinfachende Sichtweise, "die Skythen", "die Hunnen", "die Goten", da wurde eben nicht differenziert, auch von Ammianus nicht.
 
Hmmm. Ich habe weder von einem Loblied des Ammanius auf Theoderich gesprochen, noch von einem - von mir ja gerade abgestrittenen - Großangriff der Hunnen auf Ermanarich. Ich bezweifle vor allem die Existenz des "Großreiches", da die Goten im 4.Jhd. dazu viel zu diffus auftreten, zudem wohl ein solch mächtiges Reich auch neben Ammianus noch in andere Überlieferungen eingeflossen wäre.
Bloß gibt es zum späten 4. Jhdt. außer Ammianus und Zosimos kaum sonstige Überlieferungen. Marcellinus Comes startet erst mit dem Jahr 379, Eutropius endet 364, Aurelius Victor endet ebenfalls davor. Werke anderer Autoren (wie die Epitome de Caesaribus) sind entweder zu knapp gehalten oder nicht erhalten.

Wesentlich wahrscheinlicher ist da eine typisch römisch vereinfachende Sichtweise, "die Skythen", "die Hunnen", "die Goten", da wurde eben nicht differenziert, auch von Ammianus nicht.
Ammianus hat sogar klar zwischen Hunnen und Alanen differenziert, und er unterscheidet bei der Schilderung des Zusammenbruchs des Ermanarich-Reiches und der nachfolgenden Auseinandersetzung der Terwingen mit Valens sehr wohl zwischen verschiedenen gotischen Gruppen.
 
Ich bezweifle vor allem die Existenz des "Großreiches", da die Goten im 4.Jhd. dazu viel zu diffus auftreten, zudem wohl ein solch mächtiges Reich auch neben Ammianus noch in andere Überlieferungen eingeflossen wäre.

Der Historiker Walter Pohl ist durchaus von einem Großreich bzw. einer herausgehobenen Machtstellung der Goten in ihrem Schwarzmeer-Reich überzeugt. Er schreibt:

Die Goten siedelten in der Mitte des 3 Jh. nördlich der Donaumündung und des Schwarzen Meers, wo sie rasch dominierende Kraft eines vielfältigen barbarischen Milieus wurden. Sie nahmen manches von der Lebens- und Kampfweise der Steppe an und wurden zur stärksten Kraft in diesem Bereich. Bald überwanden sie die älteren Mächte, wie Bastarnen, Carpen und sarmatische Gruppen, von denen sich wohl viele den Goten anschlossen ...

Um die Mitte des 4. Jahrhunderts gebot König Ermanarich über das mächtigste Reich nördlich des Schwarzen Meers.

(Walter Pohl, Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration, 2002/2005 Stuttgart, S. 47)
 
Der Historiker Walter Pohl ist durchaus von einem Großreich bzw. einer herausgehobenen Machtstellung der Goten in ihrem Schwarzmeer-Reich überzeugt. Er schreibt:

Richtig. Allerdings geht dein Einschub etwas am Thema vorbei. Gotische Gruppen dominierten die Schwarzmeerregion, dem widerspricht niemand. Eines der Reiche dort war das des Ermanarich. Vielleicht war es sogar das mächtigste. Dass es allerdings das EINZIGE war, schreibt Pohl gerade nicht. Wenn ich mich recht erinnere, geht Heather von 4-5 unterscheidbaren Herrschaftsbereichen in diesem Gebiet aus.
 
Dass es allerdings das EINZIGE war, schreibt Pohl gerade nicht. Wenn ich mich recht erinnere, geht Heather von 4-5 unterscheidbaren Herrschaftsbereichen in diesem Gebiet aus.

Welches andere große Reich nördlich des Schwarzen Meers sollte es denn zur Zeit des Ermanarich sonst noch gegeben haben?
 
Dass es allerdings das EINZIGE war, schreibt Pohl gerade nicht. Wenn ich mich recht erinnere, geht Heather von 4-5 unterscheidbaren Herrschaftsbereichen in diesem Gebiet aus.
Und worauf stützt er sich da? Dir ist doch das Zeugnis des Zeitgenossen Ammianus Marcellinus schon zuwenig, und über andere Reiche in der Gegend schreibt der nichts.
 
Hmmm. Lass mich überlegen.
Vielleicht ein gotisches?

Das Reich des Ermanarich WAR das Großreich der Schwarzmeergoten, das auch Alanen (Skythen), zeitweise Heruler und vielleicht auch die frühslawischen Anten am mittleren Dnjepr umfasste. Weitere Reichsbildungen gab es zu dieser Zeit nicht im südrussischen Raum.

Soweit mir bekannt ist, geht der Historiker Peter J. Heather von einer weniger geschlossenen Reichsbildung der Schwarzmeergoten aus. Vermutlich sind sich die Experten da nicht ganz einig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Soweit mir bekannt ist, geht der Historiker Peter J. Heather von einer weniger geschlossenen Reichsbildung der Schwarzmeergoten aus. Vermutlich sind sich die Experten da nicht ganz einig.

Und das ist genau das, was ich ein paar Beiträge weiter oben schreibe.

** Passt alles übrigens viel besser in den Amalerthread **
 
Und worauf stützt er sich da? Dir ist doch das Zeugnis des Zeitgenossen Ammianus Marcellinus schon zuwenig, und über andere Reiche in der Gegend schreibt der nichts.

Hab sein Buch jetzt leider nicht zur Hand.

Aber gut. Fangen wir mal damit an, was Ammianus denn tatsächlich über Ermanarich schreibt:

Ammianus schrieb:
In Gemeinschaft mit ihnen [den Taifalen] überfielen sie in einem unerwarteten Ansturm kühn die weit ausgedehnten und reichen Gaue Ermanarichs. Dies war ein sehr kriegerischer und infolge vieler und mannigfacher Heldentaten bei den benachbarten Völkern gefürchteter König.

Das ist alles. Benachbarte Völker erwähnt er schon. Wer sollen die denn sein, wenn das ganze Gebiet unter seiner Herrschaft stand?

Es erscheint sehr gewagt, aus diesen zwei Zeilen ein Großreich des Ermanarich ableiten zu wollen.
 
Immerhin schreibt Ammianus von "weit ausgedehnten und reichen Gauen". Außerdem hätte er es wohl kaum für erwähnenswert gehalten, wenn die Hunnen nur ein paar Dörfer eines lokalen Kleinkönigs überrannt hätten, wie es in den Steppen ständig passierte.

Natürlich gab es benachbarte Völker. Ermanarich beherrschte schließlich nicht ganz Europa und Asien, sodass er keine Nachbarn gehabt hätte.
 
Es erscheint sehr gewagt, aus diesen zwei Zeilen ein Großreich des Ermanarich ableiten zu wollen.

Abgesehen davon, dass neben Pohl auch andere Historiker eine große Reichsbildung der Schwarzmeergoten vertreten, muss natürlich neben den Schriftquellen auch die archäologische Fundlage betrachtet werden. Und die zeigt sehr deutlich eine gotische Dominanz im fraglichen Raum.

Zeugnisse künstlerischer Darstellung sind z.B. Schnallen, Helmverzierungen, Waffen usw. Die Wielbark-Kultur zeigt die flächige Inbesitznahme zunächst Wolhyniens und dann der Südukraine ab etwa 250 n. Chr. Die Wielbark-Kultur und die vorangehende Cerniachow-Kultur sind klar definierbare ostgermanische Kulturgruppen, die in Verbindung mit kaiserzeitlichen Schriftquellen als greutungisch-ostrogotisch bezeichnet werden können. Gotische Gräberfelder mit reichhaltigen Funden vervollständigen die archäologische Aussage.

Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass sich die Goten im 3./4. Jh. als dominierende Schicht in Südrussland ausbreiteten. Es kann zudem kein Zweifel daran bestehen, dass sie das in festen Formen unter gotischen Königen bzw. Fürsten taten. Fraglich ist lediglich, ob es eine straff strukturierte gotische Herrschaft in Südrussland über Alanen Sarmaten/Skythen usw. gab, oder ob es sich eher um einen lockeren Herrschaftsverband handelte. Dass es aber eine große gotische Reichsbildung gab, daran kann kein Zweifel bestehen und daran hegt auch der Historiker Peter J. Heather keinen Zweifel.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Dieter, nochmal, es geht nicht um die unbestrittene Dominanz der Goten im Schwarzmeergebiet. Es geht darum, ob es jemals ein einheitliches Großreichs Ermanarich mit einer Herrschaft über alle Greutungen gab, oder ob dieses gotisch dominierte Gebiet sich in eine Reihe von gotischen Herrschaften unterteilte. Und da gehen die Ansichten auseinander. Leider hilft da der archäologische Befund auch nicht weiter.
Das die später von Cassiodor zusammengeschusterte Historie mehr Propagandazwecken diente, dürfte klar sein. Ansonsten haben wir zwei Zeilen von Ammianus, und indirekte Indizien über die frühen gotischen Kriegszüge sowie die spätere Entwicklung.
 
Dass es aber eine große gotische Reichsbildung gab, daran kann kein Zweifel bestehen und daran hegt auch der Historiker Peter J. Heather keinen Zweifel.

Dazu habe ich eine Frage.

Heather schreibt davon (2001), dass es - gestützt auf Ammianus - keine Reichseinheit gegeben habe, sondern mindestens zwei "political units", nämlich Tervingi und Greuthungi (S.16). [*]

Gibt es denn von Heather eine weitere Publikation?

[*] The Goths in the fourth century
 
Zuletzt bearbeitet:
Es geht darum, ob es jemals ein einheitliches Großreichs Ermanarich mit einer Herrschaft über alle Greutungen gab, oder ob dieses gotisch dominierte Gebiet sich in eine Reihe von gotischen Herrschaften unterteilte.

Das lässt sich heute nicht mehr eindeutig beantworten, vor allem kann es während der rund 150jährigen gotischen Dominanz in Südrussland zu unterschiedlichen Ausprägungen gotischer Herrschaft gekommen sein. Zu vermuten ist allerdings, dass der alte Ermanarich, wenn man den Quellen glauben darf, zumindest primus inter pares innerhalb einer gotischen Reichsbildung in Südrussland war.
 
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