Ideologie, Parteitage und Konflikte in der UdSSR zwischen 1927 und 1938

thanepower

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Das äußere Bedrohungsszenario der UdSSR Ende der 20er war, wenn ich mich richtig entsinne, innerparteilich bedingt und diente dem Kampf gegen Trotzki. Insofern war Tuchaschewski da auch nur Werkzeug für Stalin.

Der erste Teil der These ist durchaus korrekt, was die Instrumentalisierung der Außenpolitik des Jahres 1927 für innenpolitische Ziele angeht. Es war jedoch Trotsky, der die außenpolitische Fehlleistung von Stalin in China benutzte, um ihn - erfolglos - politisch in die Enge zu treiben [7, S. 288].

Die Vermutung in Bezug auf Tukhachevsky ist allerdings falsch, soweit die Literatur ein Urteil ermöglicht. Lässt man die komplizierte Fraktionsbildung innerhalb des Politbüros in den späten 20er Jahren mal außen vor (mit Stalin (eher eine eigenständige Position, aber fraktioniert mit der „Rechten“), Bukharin, Rykov und Tomski auf der „Rechten“ und Zienoviev, Kamenev und Trotsky auf der Linken)[2,S. 298], und betrachtet nur das Verhältnis von Stalin zu Tukhachevsky, dann ergibt sich bereits ein vielschichtiges Panorama.

Im obigen Zitat wird unterstellt, dass Stalin Tukhachevsky instrumentalisiert. Eine ausgesprochen „ungewöhnliche“ These, sofern man das komplizierte Verhältnis dieser beiden Personen betrachtet.

Zur Person: Tukhachevsky war einer der drei Marschälle (von insgesamt fünf) der RKKA, die während der großen Säuberung im Jahr 1937 exekutiert wurden. Die Gründe für seine Exekution sind zum einen in den generellen Kontext der Säuberungen eingebunden, zum anderen aber auch in der Rivalität zu Stalin und der Situation, dass Tukhachevsky über eine eigenständige Machtbasis verfügte. Diese Machtbasis konzentrierte sich um die Generalstabsakademie, die von ihm gegründet worden ist und die Spitze eines rasch größer werdenden Ausbildungsbereichs innerhalb der RKKA bildete [4, S. 86ff]

Dieser Bereich innerhalb der RKKA bildete am ehesten einen potentiellen organisatorischen Fokus, um im Rahmen eines „Coup d‘Etat“ einen Militärputsch zu inszenieren. Dieses Argument sollte nicht im Sinne einer Verschwörungstheorie verstanden werden, sondern lediglich unterstreichen, dass Tukhachevsky eine eigenständige politische Größe darstellte.

Der Ausgangspunkt für den Konflikt zwischen Tukhachevsky und Stalin liegt im Jahr 1920 und dem Vormarsch auf Warschau [9]. Zu diesem Zeitpunkt war Stalin der politische Kommissar der 1. Kavallerie Armee, zu der Budenny (Befehlshaber) [1] und Voroshilov [8] (Mitglied des revolutionären Rates) gehörten.

Durch die Nichtbefolgung des Befehls, so die Sichtweise von Tukhachevsky, konnte sein Flankenangriff auf Warschau nicht vollendet werden und ermöglichte den Gegenangriff der Polen mit katastrophalen Konsequenzen für den Angriff der Roten Armee. Der parallele Konflikt mit „Wrangel“ spielte zusätzlich eine Rolle für die Kriegsführung und eine Beendigung des Konflikts mit den Polen.

Dieser Konflikt führte zu einer deutlichen Trennungslinie im politischen-militärischen Bereich zwischen pro- Tukhachevsky-Unterstützern und den pro 1. Kavallerie-Armee- Protagonisten (z.B. Stalin und Shaposhnikov etc.) und wurde in zahlreichen Büchern und Artikeln sehr emotional und konträr diskutiert.

Im Mai 1924 wurde Tukhachevsky zum Stellvertreter von Frunze als Chef des Generalstabs, zusammen mit Shaposhnikov, gegen den Widerstand von Stalin und Voroshilov, berufen [5, S. 262]. In diese Periode der vertraulichen Zusammenarbeit mit Frunze fällt die Diskussion über die Reform der RKKA und die ersten Arbeiten zur Reformulierung der strategischen und operativen Kriegsführung im Rahmen der „Deep Battle“!

In diese Periode fallen ebenfalls kontroverse Diskussionen zwischen Trotsky und Frunze, die sich um die Frage der Organisation der RKKA als Kader- vs. Miliz-System drehten. Diese Diskussion war extrem ideologisch aufgeladen, da Trotzky im Rahmen der „Permanenten Revolution“ den revolutionären Charakter der Armee (als proletarische Miliz) erhalten wollte, während Frunze die Professionalisierung der RKKA, als Instrument des Inter-Staaten-Konflikts, vorantreiben wollte.

Entscheidender für die Rolle der RKKA war, die durch Frunze massiv in den Vordergrund gestellt wurde, dass die militärische Elite einen starken Einfluss auf die Politik zugestanden werden sollte, sollte sie ihrer revolutionären Verantwortung gerecht werden. Und formulierte in diesem Zusammenhang: „The Red General Staff will fulfill its task only when it succeeds in raising itself above the point of view of the nation-state.” [3, S. 174]. Insgesamt zielte Frunzes denken darauf ab, die sowjetische Gesellschaft in die Lage zu versetzen, einen umfangreichen konventionellen Krieg zu führen. In diesem konzeptionellen Denken ist der Nucleus der Militarisierung der sowjetischen Gesellschaft angelegt, den Tukhachevsky in seinen Ideen zur konventionellen Rüstung der UdSSR fortführt und noch in Friedenszeiten versucht voranzutreiben.

Durch den mysteriösen Tod von Frunze wurde, auf Betreiben von Voroshilov, Tukhachevsky von diesem Posten 1928 entfernt und die Aufgabe des Befehlshabers des Leningrader Militärdistrikt übergeben. Obwohl er für drei Jahre aus dem unmittelbaren politisch-militärischen Zentrum entfernt war, entwickelte er die Theorie der „Deep-Battle“ weiter.

Auf Intervention von Ordzhonikidze, dem „Wirtschaftsminister“ (Vorsitzender des Rates für die Wirtschaft / VSNKh und späterem Kommissar für die Schwerindustrie) wurde Tukhachevsky am 19. July 1931 nach Moskau zurück geholt und war für die Bewaffnung und die Technology der RKKA zuständig.

Im Ergebnis seiner Arbeit stellt Naveh fest: „At the Beginning of 1934 the Red`s Army mechanized formations were armed with the most advanced weaponry and armoured fighting vehicles in the world, both in quality and in quantity.“ [5, S. 263].

Die ursprüngliche Feindschaft zwischen Stalin und Tukhachevsky war bis Mitte der 30er Jahre noch vertieft worden durch seine Unabhängigkeit von der Gunst durch Stalin durch die Protektion zunächst durch Frunze und dann durch Ordzhonikidze, einem der mächtigsten Männer im Umfeld von Stalin.

Neben der persönlichen Feindschaft stellte sich Stalin bis ca. 1931 gegen das Konzept der „Deep Battle“. Zum einen, weil er grundsätzlich die innovativen Ideen aus dem Umkreis von Tukhachevsky ablehnte, zum anderen orientierten sich Stalins Vorstellung an seinen archaischen Erfahrungen aus dem Bürgerkrieg und wurde darin durch Voroshilov und Budenny bestärkt. Und drittens lehnte er die Mechanisierung ab, da die notwendige Professionalisierung des Offiziers-Korps die Bildung einer relativ eigenständigen Elite verstärkte. [5, S. 265]

Komplementär zu dieser Sichtweise war die unterschiedliche Sichtweise, welche Rolle der Generalstab der RKKA spielen sollte. Aus der Sicht von Stalin war es ein ausführendes Organ des Politbüros, dass sich einer eigenständigen inhaltlich definierten politischen Position zu enthalten hätte. Eine Position, die Tukhachevsky nicht teilte und in Anlehnung an Frunze für eine aktive Rolle eintrat. Diese Sichtweise wurde beispielsweise 1935 durch Shchadenko (ebenfalls aus der Clique der 1. Kavallerie Armee) auf die Spitze getrieben, indem er Vorlesungen von Tukhachevsky zu strategischen Fragen untersagte, da ein Nachdenken über diese Fragen lediglich und einzig in das Aufgabengebiet von Stalin fallen würde [5, S. 266].

Diese politische Sichtweise auf militärische Aspekte hat Tukhachevsky teilweise im Konflikt mit Svechin sehr deutlich zu seinem persönlichen Vorteil ausgenutzt und diesen „kalt“ gestellt.

Das deutliche eigenständige militärisch politische Denken von Tukhachevsky akzentuierte sich in den 30er Jahren und vertiefte weiter den Konflikt. Auslöser war die unterschiedliche Sichtweise in Bezug auf die Bewertung der Zielsetzungen von Hitler. In Anlehnung an die Position von Litvinov sprach sich der francophile Tukhachevsky für die Idee der kollektiven Sicherheit aus und warnte vor den aggressiven Zielen von Hitler. Zudem warnte er 1936 vor einer weitergehenden Deutsch-Japanischen militärischen Kooperation.

Mit dieser Haltung war Tukhachevsky der einzige höhere Offizier in der RKKA, der sich ein eigenständiges Urteil über die Zielsetzungen des 3. Reichs zutraute, dass sich zudem noch im deutlichen Gegensatz zu dem latenten Wunsch Stalins befand, zu einem Ausgleich mit Hitler zu kommen. [5,268].

Die Eigenständigkeit und hohe Originalität der Theoriebildung des strategischen bzw. auch operativen Denkens von Tukhachevsky, dass ihn deutlich von Stalins Umgebung abgrenzte und auch keine Funktionalisierung zuließ, soll durch ein abschließendes Zitat unterstrichen werden: „ Until the emergence of the American air land battle theory in the 1980s, the Soviet theory of the deep operations represented the most advanced ideas ever attained in the history of military theory“ [5, Seite 270].

[1] V. Anfilov: S.M. Budenny in: Stalin`s Generals, H. Shukman (Eds), 1993, S. 57-65
[2] I. Deutscher: Stalin. A Political Biography, 1966
[3] J. Erickson: The Soviet High Command, 1984, S. 84ff
[4] P.G. Grigorenko: Memoirs, 1982
[5] S. Naveh: M. N. Tukhachevyky, in: Stalin`s Generals, H. Shukman (Eds), 1993, S. 255-274
[7] D. Volkogonov: Trotsky, 1996
[8] D. Volkogonov: K.Y. Voroshilov, in: Stalin`s Generals, H. Shukman (Eds), 1993, S. 313-324
[9] A. Zamoyski: Warsaw 1920, 2008
 
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