Ist die Verwendung des Begriffs "Russen" ein abwertendes Klischee?

balticbirdy

Ehemaliges Mitglied
In Zusammenhang mit diesem Thread
http://www.geschichtsforum.de/f71/unsere-freunde-die-russen-23923/
bin ich per PN darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Titulierung nicht korrekt ist. Nun ist uns ja allen bewusst, dass Russland und erst recht die frühere Sowjetunion Vielvölkerstaaten sind bzw. waren.

Allerdings war doch schon immer stets von Russen die Rede war, vor allem wenn es nicht um bekannte Einzelpersonen ging. Das war schon im 18. Jahrhundert so. In der DDR propagierte man offiziell "Sowjetbürger", was im privaten Sprachgebrauch schon als lächerlich empfunden wurde. Unabhängig, wie hoch der Anteil der ethnischen Russen in einer Gruppe oder Militäreinheit wirklich war. Es ist klar, dass Balten, Kaukasier oder Asiaten mit der Titulierung als "Russen" nicht glücklich waren, so sie ihnen denn überhaupt zu Ohren kam.

Aber man sieht den Leuten ja nicht unbedingt an, zu welcher Volksgruppe sie konkret gehören, besonders wenn sie sich auf Russisch untereinander verständigen. Ist also "Russen" eine unzulässige Verallgemeinerung oder gar eine politisch inkorrekte Diffamierung der anderen Völker, vor allem zu Sowjetzeiten? Ich sehe das nicht so verbissen, wir sagen ja auch Inder zu den Bürgern Indiens. Aber es gibt anscheinend andere Ansichten.

Was meint ihr?
 
"Russen" ist in der heutigen Umgangssprache oftmals abwertend gemeint - vor allem wenn es um russische Jugendliche geht.
Ich sehe aber im Verwenden des Wortes "Russen" kein Problem.

Außerdem sind wir hier ein Internet-Diskussionsforum und kein wissenschaftliches Seminar für Geschichtsprofessoren - bei solchen Nebensächlichkeiten sollte man sich nicht aufhalten.
 
Ist also "Russen" eine unzulässige Verallgemeinerung oder gar eine politisch inkorrekte Diffamierung der anderen Völker, vor allem zu Sowjetzeiten?

In gewisser Weise schon, obwohl ich das unter den hier thematisierten Aspekten auch nicht so verbissen sehen würde - es geht ja "nur" um Freundschaft. Schlimm wird es, wenn z. B. die sowjetischen Opfer des NS-Vernichtungskrieges fortwährend als "Russen" bezeichnet werden (wie es beispielsweise in Schulbüchern durchaus noch üblich ist) und so das Leid der übrigen Bevölkerungsgruppen unter den Tisch fällt.

Was mich daneben interessiert: Ist analog nicht eigentlich auch der Titel "Unsere Freunde, die Amerikaner" eine politisch inkorrekte Diffamierung der anderen Völker auf dem amerikanischen Kontinent? :still:
 
Das die einzelnen Völker das zu Zar- und Sowjetzeiten schon nicht gut fanden, davon kann man ausgehen. Heute verstehen zwar viele von diesen noch russisch und sind zum Teil auch bereit selber russisch zu sprechen, aber wenn man sie als Russen bezeichnet hat man je nach Nationalität ein sehr ernstes Problem. Ob sie diese Bezeichnung als Diskriminierung oder Schimpfwort ansehen ist ja eigentlich egal.

@Balduin - Der größte Teil der heute in Deutschland lebenden russischsprachigen Jugendlichen kommt übrigens nicht aus dem heutigen Russland, sondern aus den ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken (Kazakhstan usw.) und behauptet von sich selbst deutscher Abstammung zu sein.
 
Was mich daneben interessiert: Ist analog nicht eigentlich auch der Titel "Unsere Freunde, die Amerikaner" eine politisch inkorrekte Diffamierung der anderen Völker auf dem amerikanischen Kontinent?

Kann man das vergleichen, obwohl ein Vergleich doch sehr nahe liegt?
Ich meine nein. Spreche ich z.B. mit einem Kanadier über Amerikaner, dann versteht er das und weiß genau, wer gemeint ist, es fällt ja "nur" das US vor dem Amerikaner weg. ;)

Rede ich dagegen mit beispielsweise mit einem Kasachen über Russen, dann wird die 1. Reaktion sein, daß mal wieder ein Ausländer vor ihm steht, der wie die anderen vor ihm auch Kasachen für Russen hält.

Dazu kommt, daß historisch bedingt in Deutschland der Begriff Russe sehr abwertend und diskriminierend besetzt ist.
 
Ein Vourteil ist wohl Europaweit überall nachzuweisen.

Zu den jeweils östlichen Nachbarn wird ein Kulturgefälle unterstellt.

Die Briten unterstellen eines zu den Froschfresser, die Franzosen zu den Boches, die Deutschen schauen auf die Polaken herab, die Polen auf die uhrenklauenden Sowjetskis.

Was im Umkehrschluss natürlich heißt, die Polen, Deutschen, Franzosen, Briten schauen gemeinsam auf die russischen Kulturbanausen herab.
Die Deutschen, Franzosen, Briten auf die kulturlosen Polen und Russen,

usw.
bis zu den Briten, die dann wieder auf alle herabsehen.
 
Um es noch mal zu verdeutlichen:
1812, Napoleon zieht gegen das zaristische Russland. Schlacht bei Borodino; finnische und litauische Leibregimenter, Baschkiren, Tataren, Kosaken usw. - dennoch ist niemals in Frage gestellt worden, dass es in ihrer Gesamtheit RUSSISCHE Truppen waren.
1945 Kriegsende - Schreckensruf "Die Russen kommen!". Nicht etwa die Sowjetsoldaten kommen. Es kamen dann oft Kalmücken und Burjaten...
In den Kasernen der DDR lagen später dann eben "Russen" und nicht "Sowjetsoldaten".
Man muss einfach zwischen Staats- und Volkszugehörigkeit differenzieren. Und auch zu Sowjetzeiten waren Russen, allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz, das staatstragende Volk.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bei der Bezeichnung "Russen" geht es doch eigentlich nicht um eine ethnische Zugehörigkeit (zumal das eh Schwachsinn ist, da es sich im europäischen Teils sowieso fast ausschließlich um slawische Ethnien handelt und Rassenideologie ist insgesamt noch größerer Schwachsinn), sondern darum eine bestimmt Gruppe von Menschen mit "gleicher" Nationalität zu bezeichnen. In aller Regel versteht der durchschnittliche Gesprächspartner doch die Intention hinter der Bezeichnung. Ob "Russen" abwertend klingt, liegt doch immer auch am Zusammenhang der Äußerung der Art wie man es ausspricht (was in einem Internetforum allerdings schwer zu eruieren ist - die Aussprache :)).

Man sollte in diesem Zusammenhang vielleicht auch noch daran denken, dass die meisten Menschen gar nicht alle Staaten kennen, die aus der UdSSR hervorgegangen sind, geschweige denn, welcher ethnischen Gruppe sie angehören. Oder kann jemand von euch alle Kaukasusstaaten aufzählen und diese korrekt der jeweiligen Volksgruppe zuordnen?
 
Taiwanesen, Japaner... werden oftmals als Chinesen bezeichnet.
Das ist eine schlichte Verallgemeinerung, dass irgendein Mitglied hier ein Problem sieht, finde ich schlicht blödsinnig - man kann immer irgendwas irgendwo reininterpretieren.
Dass es eine abwertende Bezeichnung des Wortes "Russe" gibt, ist klar - aber in dem Pfad ist das wohl nicht der Fall
 
Zuletzt bearbeitet:
Was mich daneben interessiert: Ist analog nicht eigentlich auch der Titel "Unsere Freunde, die Amerikaner" eine politisch inkorrekte Diffamierung der anderen Völker auf dem amerikanischen Kontinent? :still:
Vom Autor des Blogs USA Erklärt über den Begriff US-Amerikaner
Wider den Begriff "US-amerikanisch"
Ein Analogieschlus erscheint mir hier nicht angebracht. Einmal haben wir eine Gruppe, die nur nach einem Teil ihrer Elemente benannt wird, also eine Ausweitung des Begriffes "Russen", auf der anderen Seite wird die Bezeichnung "Amerikaner" eingeengt.
Taiwanesen, Japaner... werden oftmals als Chinesen bezeichnet.
Ich gebe zu über das Verhältnis von China und Taiwan praktisch nichts zu wissen, aber Japaner als Chinesen zu bezeichnen ist imho sehr ignorant.
 
Dass es eine abwertende Bezeichnung des Wortes "Russe" gibt, ist klar - aber in dem Pfad ist das wohl nicht der Fall

Allerdings geht auch nicht darum. Es geht darum, ob sich andere Ethnien dadurch diskriminiert sehen, dass sie ebenfalls unter den Begriff "Russen" subsumiert werden.

Wenn man jetzt völlig korrekt sein wollte, dann müsste man - je nach Fragestellung - ethnologische oder völkerrechtliche und evtl. noch weitere Kriterien zugrundelegen, um zu einer angemessenen Terminologie zu gelangen.

Völkerrechtlich gesehen sollte man die Bürger eines Staates nach dem Namen des Staates benennen. Vor der Gründung der SU hätten wir es also mit "Russen" zu tun, danach mit Bürgern der Sowjetunion (um den ideologisch geprägten Terminus "Sowjets" zu vermeiden) und seit 1992 wieder mit Russen.

Ethnologisch gesehen müsste man die Differenzierung der unterschiedlichen Volksgruppen hingegen durchgängig beibehalten.

Beachtet man das nicht, kann es durchaus zu einer schwerwiegenden Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen kommen (siehe mein "Schulbuch"-Beispiel oben).
 
Um es noch mal zu verdeutlichen:
1812, Napoleon zieht gegen das zaristische Russland. Schlacht bei Borodino; finnische und litauische Leibregimenter, Baschkiren, Tataren, Kosaken usw. - dennoch ist niemals in Frage gestellt worden, dass es in ihrer Gesamtheit RUSSISCHE Truppen waren.
1945 Kriegsende - Schreckensruf "Die Russen kommen!". Nicht etwa die Sowjetsoldaten kommen. Es kamen dann oft Kalmücken und Burjaten...
In den Kasernen der DDR lagen später dann eben "Russen" und nicht "Sowjetsoldaten".
Man muss einfach zwischen Staats- und Volkszugehörigkeit differenzieren. Und auch zu Sowjetzeiten waren Russen, allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz, das staatstragende Volk.


zu 1812: es war Russland, warum sollte man die Truppen anders als "russische Truppen" nennen?
zu 1918 bis 1991: aus Sowjetrussland wird die UdSSR, auch verkürzt Sowjetunion. Sowjetisch ist keine Volksbezeichnung. Oder welcher Russe nannte sich Sowjet (auf deutsch "Rat")? Man kam auf den offiziellen Umweg des "sowjetischen Bürgers"
Ein identitätszerstörendes Prinzip vollzog die DDR. Es gab DDR-Bürger. In der DDR wurde Deutsche oder Deutscher im offiziellen Sprachgebrauch nicht (sehr selten) benutzt. Man war immer umständlich DDR-Bürger, um sich vom anderen deutschen Staat abzugrenzen.
 
Thema Russen: Wenn Sowjetbürger gemeint sind, ist "Russen" tatsächlich etwas nachlässig, sonst ist Russen OK, da die Ethnie bzw. ein Volk gemeint ist. Die Nachlässigkeit wenn man Sowjetbürger unter dem Ethnonym Russen subsumiert, wird allerdings problematisch, wenn das kollektive Gedächtnis an den schrecklichen Iwan (nicht Iwan, den Schrecklichen) denkt. Wenn es also heißt "Die Russen kommen" oder noch schlimmer "der Russe/Iwan kommt". Oder wenn das Volkslied vom Männlein im Walde umgedichtet wird. Hier wirkt dann meist die NS-Propaganda in irgendeiner Form nach, die auch in der BRD durchaus zu Stalins Lebzeiten und darüber hinaus weitergeführt wurde, wobei man auch gerne auf das Bild der "asiatischen Horden" zurückgegriff.

Thema Ostasiaten: Im Gegensatz zu den Japanern sind Taiwanesen Chinesen, ihr Staat eine chinesische Republik, nur eben in Opposition zur Volksrepublik!

Thema Amerikaner: Wenn man in der spanischsprachigen Welt unterwegs ist, versteht man den Begriff Amerikaner (americanos) ganz anders, als wir. In Spanien wie in Lateinamerika sind Ameriakner alle Einwohner von Ushuaia bis Fairbanks, im Dt. dagegen ist der Begriff im Alltag auf die Angehörigen der Nation der USA eingeengt.
 

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Ist statistisch gesehen Chinese ein guter Tipp, aber man begibt sich unnötig auf's Glatteis, wenn man Nationalitäten errät, statt zu fragen.
@ El Quijote
Die Wahlplakate scheinen mir keine gute Illustration der Diskussion zu sein. Keines vermengt offensichtlich Russen Sowjets und Sowjetbürger. Sie sind klar antisowjetisch ausgerichtet, aber nicht direkt gegen Russen. Das mittlere wäre vielleicht noch interessant aufgrund der Darstellung der SU.
 
"Russen" ist in der heutigen Umgangssprache oftmals abwertend gemeint - vor allem wenn es um russische Jugendliche geht.
Ich sehe aber im Verwenden des Wortes "Russen" kein Problem.
Ein Problem sehe ich darin auch nicht, aber hier in Deutschland wird die Bezeichnung "Russe" umgangssprachlich tatsächlich von Teilen der Bevölkerung abwertend verwendet. Auch die Steigerungsform "Vollrusse" ist mir schon zu Ohren gekommen. Ganz ähnlich sieht es mit Äußerungen aus wie: "Hier sieht´s ja aus, wie bei den Hottentotten", wobei jene dabei ebenfalls klar diffamiert werden. Dies sind natürlich Völkerverachtende Redewendungen, die sich klar in die Kategorie des "Nationalismus der untersten Schublade" einordnen lassen.

Ein echter Russe ist dagegen stolz, ein Russe zu sein, sodaß für ihn diese Bezeichnung auch keine Beleidigung darstellt. Kasachen, Usbeken, Georgier usw., ja sogar Ukrainer und Weißrussen, fühlen sich dagegen heute nicht, bzw. (im Falle der Ukrainer und Weißrussen) nicht mehr als Russen, sodaß hier eine solche Bezeichnung unangebracht ist.

Allerdings gibt es in allen ehemaligen "Sowjetrepubliken" einen relativ hohen Anteil an ethnischen Russen, was die Sache womöglich wieder verkompliziert. Als was die sich nun fühlen, weiß ich nun auch nicht.
:grübel:
 
Die Wahlplakate scheinen mir keine gute Illustration der Diskussion zu sein. Keines vermengt offensichtlich Russen Sowjets und Sowjetbürger. Sie sind klar antisowjetisch ausgerichtet, aber nicht direkt gegen Russen. Das mittlere wäre vielleicht noch interessant aufgrund der Darstellung der SU.

Da könnte man sich meiner Meinung nach streiten. Denn so richtig wissen wir nicht ob nun Angst vor der UdSSR, dem Marxismus, den "asiatischen Horden",
oder dem "Iwan" oder vor allem zusammen gemacht werden sollte.
 
Ja, die Wahlplakate sind ziemlich diffus. Aber die Texte dieser Zeit hätte ich länger suchen müssen und im Netz womöglich gar nicht gefunden.
 
Ja, die Wahlplakate sind ziemlich diffus. Aber die Texte dieser Zeit hätte ich länger suchen müssen und im Netz womöglich gar nicht gefunden.
Ich kann mich erinnern, daß in den ´70er und ´80er Jahren im "West-Fernsehen" (wie wir im Osten es immer nannten :D ) ebenfalls sehr oft verallgemeinernd von "den Russen" die Rede war, wenn man die SU meinte.
 
: "Hier sieht´s ja aus, wie bei den Hottentotten", wobei jene dabei ebenfalls klar diffamiert werden. Dies sind
:grübel:


Bei mir zu Hause sagt man:
"Da siehts aus wie z´ Haarta"
Haarta (schreibe ich jetzt besser nicht in der Hochsprache) ein Ort auf der wasserlosen Hochfläche der Schwäbischen Alb. Ergo: Wenig Wasser, und das vorhandene ganz bestimmt nicht zu Putzen. Und so soll es dann auch ausgesehen haben.

Die Haartaner haben diesen Spruch, so in ihrem Beisein, dann auch bis in die jüngste Vergangenheit mit Faustschlägen quittiert.

Wie heißt es bei Gottfried Keller (kein Deutscher!):
100 000 Schweine pflügen auf Wolyniens grünen Wiesen,
und Katinka dieses Saumensch geht im Dreck bis an die Knie.

Soll heißen: Vermutlich braucht der Mensch einen den er diffamieren kann.
 
Nun müsste man schon unterscheiden, was für wen Russe gewesen ist.

Ich bin damit aufgewachsen, zu jedem, der aus dem Sowjetreich stammte, Russe zu sagen. Nicht zu ihm, aber allgemein.
Heute weiss ich, das die Sowjetunion nicht Russland war.

Da fällt mir ein Beispiel ein. Der, dem ich meine Uhr verkauft hatte, sagte, ich bin Ukrainer, kein Russe. Das war in den 70er Jahren. darauf hat er bestanden.
 
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