Japanische Kriegsziele beim Angriff

Matze007

Aktives Mitglied
Hallo an alle,
mich bewegt die Frage, was das Kriegsziel Japans gewesen ist beim Angriff auf Pearl Harbour.
War man sich über die Kräfteverhältnisse klar ?
Man hoffte wohl kaum, die USA besetzen oder Pazifik und Atlantik kontrollieren zu können. Hat ein klar definiertes kleineres Ziel dahinter gestanden ? Wie gut ist die Motivations- und Kenntnislage der japanischen Führung vor dem Angriff erforscht ?
 
Danke schön...
...
Oder ist generell die Frage des Kriegsziels bzw. die strategische Vorstellung, wie er geführt werden soll, gemeint?

Nun ja, ich stellte mir die Frage was man sich von dem Angriff und dem dann unvermeidlichen Krieg versprach.
Es gibt ja mehrere Möglichkeiten, sei es dass
- man hoffte dadurch in eine günstige Verhandlungsposition zu kommen
- man Zeit zu gewinnen hoffte, warum auch immer
- man den Krieg ohnehin für unausweichlich hielt und in diesem Moment losschlug, weil man die Chancen zu diesem Zeitpunkt als am wenigsten ungünstig betrachtete. Nicht zuletzt wegen des Überraschungsmoments.

Dass man tatsächlich davon ausging, die USA zur Kapitulation zwingen zu können kann ich mir am wenigsten vorstellen.

PS:
Ich sehe gerade, das Buch scheint mir die Frage zu beantworten. Vielen Dank ! :winke:
 
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Um das mal zuzuspitzen:

Die japanischen Vorstellungen von 1941 über einen möglichen Kriegsausgang unterschieden sich materiell gar nicht so sehr von den Vorstellungen im Sommer 1945. Das Schema war ähnlich.
 
Die japanischen Vorstellungen von 1941 über einen möglichen Kriegsausgang unterschieden sich materiell gar nicht so sehr von den Vorstellungen im Sommer 1945. Das Schema war ähnlich.

Der komplette Konflikt zwischen den USA und Japan ist in den Kontext der Rivalität im Pazifik zu stellen und kann als "imperialistischer" Konflikt mit massiven wirtschaftlichen Interessen (Stichwort: Open door policy in China) interpretiert werden, angereichert durch gegenseitige Aufladungen "rassistischer" Ideologien bzw. Feindbilder (Stichwort: Yellow Peril) (vgl. z.B. U. Mehnert: Yellow Peril. in: J. Dülffer u.a. Vermiedene Kriege, S. 579 ff)

1. Die konkrete Entscheidung für Japan in den Krieg zu ziehen, also die "kurzen Wege" - im Gegensatz zu den obigen "langen Wegen" - orientierte sich an der harten US-Haltung (vgl. z.B. C. Hull: The Memoirs of Cordell Hull, Vol I, S. 888 ff und Vol. II 919ff) und kann unter japanischen Gesichtspunkten als "Selbstverteidigung" gesehen werden. Dieses vor allem da Japan abhängig war von US-Rohstoffimporten und das US-Embargo Japan als pazifische Großmacht in die Bedeutungslosigkeit beförderte, da die Flotte nicht mehr handlungsfähig gewesen wäre (vgl. beispielsweise die Tabellen zur Entwicklung der Rohstofflage in 1941 in: M. Barnhart: Japan prepares for total war, S. 237 ff)

2. Vor diesem Hintergrund blieb das "Schema" für die japanischen Kriegsziele ähnlich, dennoch würde ich mit Irye auf die Veränderung der hegemonialen Planungen hinweisen.

Ein Jahr nach Pearl wurde auf einer Konferenz am 10. Dezember 1942 in Anwesenheit von Hirohito durch Premierminister Tojo festgehalten, dass die Mittel, die Japan zur Verfügung hat, den Zielen nicht entsprechen.

Und vor diesem Hintergrund verschiebt sich die strategische Ausrichtung von der direkten militärischen Kontrolle von Territorien hin zu einer kooperativen informellen Hegemonie durch Japan.

Man will und muss weiterhin rohstoffreiche Gebiete kontrollieren, allerdings spielt man zusätzlich die antikoloniale Karte gegen die Europäer und versucht so, die Belastungen der repressiven militärischen Besetzung zu reduzieren und damit die Förderung und die logistische Behandlung von Rohstoffen zu erleichtern.

https://books.google.de/books?id=FmZ6zRR9X5sC&printsec=frontcover&dq=power+and+culture&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjJ9On9taHLAhVFDQ4KHYAQCZQQ6AEIQzAF#v=onepage&q=power%20and%20culture&f=false

3. Damit verbunden ist eine Machtverschiebung in Japan, die dem Militär deutlich macht, dass sie zunehmend für ihre militärischen Ziele auf die Kooperation mit zivilen Stellen angewiesen sind.

4. Abschließend ist jedoch auch anzumerken, dass es auch innerhalb der japanischen Marine Formen der "Hybris" gab, die sich in der Sicht der "invincible fleet" ausdrückten und dazu führten, dass kritische Stimme innerhalb der Marine unterdrückt wurden. Die Konsequenz war eine unrealistische Vorstellung in 1941 vom "zukünftigen Krieg" und eine gravierende Fehleinschätzung der Bedeutung der Logistik von Rohstoffen und ihrem Schutz (vgl. zur Kritik beispielsweise die Beiträge japanischer Autoren in Pacific war papers)

https://books.google.de/books?id=ar15RbkQ9jAC&printsec=frontcover&dq=the+pacific+war+papers&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=the%20pacific%20war%20papers&f=false
 
Die Frage ist, ob man den Entscheidungsprozess nicht weiter differenzieren muss.

Die Entscheidung, keine Revision der Eroberungspolitik in China vorzunehmen, wurde vom Kaiserlichen Heer in den "imperial meetings" getrieben.

Der Bremser war, auch unter Berücksichtigung der prognostizierten Verluste (zB bzgl. der Transportlogistik, der Treibstoffversorgung, Flugzeuge, Schiffsmaterial etc.) die Kaiserliche Marine.

Die (außen-)politische Gruppe dürfte am stärksten durch die Kriegsentwicklung in Europa beeinflusst worden sein, nach der nun im September 1941 die Prognose wegen des deutschen Russlandfeldzuges gestellt wurde, dass GB auch 1942, evt. 1943 im Krieg gebunden sein würde und im Pazifik nicht wesentlich eingreifen könne. Das trug zum Schwenk bei.

Der Ausgang dieses Ringens um die Kriegsentscheidung lief dann unter vier Prämissen:

- die USA würden innenpolitisch nicht in der Lage sein, einen verlustreichen längeren Krieg auszutragen ("spirit" - die konträre Auffassung vertrat hier ausdrücklich und warnend gerade die Marine -> Yamamoto)
- die "Südexpansion" und das "Einigeln" würde den Zugriff und die Sicherung der Ressourcen für eine längere, mehrjährige Kriegführung Japans gewährleisten
- die logistischen Kapazitäten würden unter den bestehenden Verlust- und Ersatzprognosen erlauben, die japanische Kriegswirtschaft ausreichend nach dem Engpass 1942 zu versorgen.
- der Erstschlag würde Voraussetzung für die Südexpansion sowie die Herstellung der Ausgangslage sein, die Kriegswirtschaft für einen mehrjährigen Abnutzungskrieg bis zu einer irgendwie gearteten politischen Lösung abzusichern

Dieser Erstschlaggedanke iVm den weiteren Vorstellungen ist in gewissen Grenzen mit der Kriegsentscheidung 1904 vergleichbar (wo dieses Vorgehen auch "geklappt" hatte.
 
Silesia, Deine Buchempfehlung ist großartig. Da tut sich manches auf:

Interessant finde ich, dass man in Japan auch davon ausging dass es früh zur entscheidenden Auseinandersetzung kommen würde.
Man rechnete mit einem schnellen, impulsiv geführten Gegenschlag und hoffte, unter den durch den Angriff auf Pearl Harbour geänderten Kräfteverhältnissen diesem siegreich standhalten zu können.
Dass der Angriff auf Pearl Harbour einen solchen Gegenschlag, der die Voraussetzung für die Vernichtung der US-amerikanischen Pazifikflotte gewesen wäre, gerade verhinderte erscheint wie eine seltsame Ironie.

If Yamamoto's attack on Pearl Habour was a success it would work against the only strategy Japan had for victory
https://books.google.de/books?id=25...LAhWFOBoKHYhMBFgQ6AEIHTAA#v=onepage&q&f=false

Das Bild welches der Autor zeichnet zeigt eine japanische Führung, die widersprüchliche Annahmen zugrunde legte und den Realitäten geradezu mit Vermeidungsstrategien aus dem Weg ging.

Eine andere Widersprüchlichkeit scheint mir darin zu liegen dass Yamamoto die US-amerikanischen Schlachtschiffe als Primärziele betrachtete (auch durch den demoralisierenden Effekt welchen ihre Vernichtung auf die US-Bevölkerung ausgeübt hätte), während sein Plan vorsah diese eben durch Trägerflugzeuge auszuschalten.
Ein Erfolg seines Angriffs hätte die Ziele entwertet, da er die deutlich höhere Bedeutung der Träger bewiesen hätte. So gesehen, hätte er von vornherein den Schwerpunkt auf die US-Träger legen müssen.
 
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Damals waren die Flugzeugträger und Trägerflugzeuge noch in einer stürmischen Entwicklung und man wusste wohl noch nicht ob sie wirklich die Hoffnungen erfüllten, die man in sie setzte. Nicht umsonst hatte die Japanische Flotte für den Angriff auf Pearl Harbour auch Schlachtschiffe in ihren Reihen. Zumal die kommandierenden Offiziere meist auf Schlavhtschiffen groß geworden sind. Und eine neue Waffe bedingt eigentlich auch eine neue Gefechtstaktik, die auch noch in der Entwicklung war.

Apvar
 
Keine Frage, ich gehöre nicht zu den Leuten die im Nachhinein über andere sagen "das hätten die wissen müssen". Der Ausgang eines solchen Angriff ließ sich ja auch nur bedingt proben.
Mir scheint es nur, als sei bereits die Planung in sich widersprüchlich gewesen. Bei einem Erfolg hätte man den USA sozusagen lediglich eine vorzeitige und unumgängliche Modernisierung mit Schwenk auf die Trägerwaffe aufgezwungen.
Und der tatsächliche Effekt sah dann ja auch so aus.
Man stärkte die Position der Fortschrittlichen gegenüber den Traditionalisten beim Gegner, indem man den Beweis führte dass sie recht hatten, obendrein bewies man dass der eigene Angriff am wichtigsten Ziel vorbei führte.
Sicher hätte man auch Träger angegriffen. Aber gerade Yamamoto ging es vorrangig um die BSs.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein "Umdenken" bei einem japanischen Erfolg gegen die US-Schlachtflotte in Oahu kann man nicht so unterstellen.

Hierzu sind zwei Aufsätze empfehlenswert:

Reardon: Breaking the U.S. Navy's "Gun Club" Mentality in the South Pacific
JoMH 2011, S. 533
Fuquea: Task Force One: The wasted assets of the United States Pacific battleship fleet, 1942,
JoMH 1997, S. 707

Für die Japanische Marine mindestens zwei Bücher:
Evana/Peattie: Kaigun: Strategy, Tactics, and Technology in the Imperial Japanese Navy, 1887-1941
Willmot: Empires in the Balance: Japanese and Allied Pacific Strategies to April 1942

Die Schlachtflotten wurden im Kern des "Entscheidungsschlacht-Gedankens" unverändert als wichtig angesehen, die Träger auf beiden Seiten zunächst weiter als "Beiwerk". Das änderte sich auch nach dem erfolgreichen Angriff zunächst nicht.

Zu Yamamotos Plänen im Verlauf 1941 wäre eine ganze Menge anzumerken. Kern ist, dass ursprünglich nur 4 Träger vorgesehen waren, zwischenzeitlich mit unzufrieden-stellenden Planungsergebnissen sogar nur 3. Außerdem gab es stets die Konkurrenz zur Forderung des Kriegsstabes, Träger für die Südoperationen abzustellen und von der Hawaii-Operation abzuziehen.

Dass es dann 6 Träger wurden, entgegen den "Kriegsspielen" ab Januar 1941, lag an der Indienststellung der Zuikaku und Shokaku ab September 1941, die dann mit den Übungen rechtzeitig fertig wurden und einsatzfähig waren (und man sich dabei gegen die Widerstände durchsetzte, für die Südoperation 2 Flottenträger abzuziehen).

Die 2 schnellen Schlachtschiffe bei der Hawaii-Operation hatten lediglich Nah-Deckungsaufgaben. Der Kern der Schlachtflotte sollte die Kidō Butai ggf. wieder in der Nähe der japanischen Gewässer "aufnehmen".
 
Noch als weitergehende Empfehlung:

Japanese Monographs, insbesondere Nr. 147, 150, 152
(Die Teile III, IV und V zu Political Strategy Prior to the Outbreak of War)

Dort sind japanische Quellen zu Entscheidungen, Strategiefindung und Überlegungen zur Kriegsführung abgedruckt, zB die Anlage 2 im JM 150 (Teil IV):
http://ibiblio.org/pha/monos/
http://ibiblio.org/pha/monos/150/150app02.html
"Conclusions Reached After Study of "The Outline for the Execution of the Empire's National Policy," at the Liaison Conference from 23 to 30 October 1941"

(Absprachen mit Armee und Marine zur Kriegsführung, den einleitenden Operationen und der Vorstellung vom "langen Krieg" unter schlagartiger Sicherung der kriegsnotwendigen Ressourcen und der Gewinnung einer im Pazifik verteidigungsfähigen "strategischen Linie" als Abschirmung, Planungen gegen Hongkong und die Basis Singapur).

Die Armee hatte bereits früh in 1941 mit der Planung der "Südoperationen" begonnen, in diesen Kontext gehören Ziele wie Thailand und Indochina gegen die geschwächten europäischen Mächte und als Absprungbasen.

Die Situation in Europa trieb hier die Vorstellung, eine besonders günstige Situation vorzufinden, verbunden mit der drohenden Gefahr, dass sich Situation und Kriegsressourcen mittelfristig drastisch verschlechtern würden. Das Ganze trieb hier auf den Kulminationspunkt einer Kriegsentscheidung zu, wobei die Marine erklärte, die strategische Abschirmlinie gegen die USA unter den formulierten Bedingungen auch im längeren Krieg sichern zu können.
 
Gerade was Europa betrifft, war ja gar nicht abzusehen dass die USA militärisch eingreifen würden und sich so nur mit halber Kraft dem Pazifik widmen konnten. Es gab gewichtige Stimmen in den USA welche strikt gegen einen Krieg gegen Hitlerdeutschland waren.
Wovon ging die japanische Führung aus ?
 
Gerade was Europa betrifft, war ja gar nicht abzusehen dass die USA militärisch eingreifen würden und sich so nur mit halber Kraft dem Pazifik widmen konnten. Es gab gewichtige Stimmen in den USA welche strikt gegen einen Krieg gegen Hitlerdeutschland waren.
Wovon ging die japanische Führung aus ?

Das wechselte.

Gerade in der Endphase der Kriegsentscheidung (Oktober/November 1941) gab es Stimmen, mit dem Krieg bis zum Frühjahr zu warten. Das Argument war, die Lage könne sich noch günstiger gestalten, weil man gerade von einer unmittelbar bevorstehenden (unvermeidbaren) Verwicklung der USA in den europäischen Krieg und somit einer Bindungswirkung ausging.

Das Gegenargument war wie häufig die "Statistik": die Ressourcenlage würde sich weiter verschlechtern, so dass die verschlechterten Voraussetzungen für eine totale Kriegführung (hier wurden Vorstellungen von 3-4 Jahre geäußert) den Vorteil sozusagen überkompensieren würden.

Das war also alles nur eine Frage des günstigsten Zeitpunktes. Dass die USA in den europäischen Krieg bei einer drohenden Niederlage Großbritanniens (und nach der Einnahme Moskaus bei einer kollabierenden SU) eintreten würden und mit Teilen dort gebunden wären, davon ging man in allen Szenarien aus ("worst case" wäre lediglich ein schneller Friedenschluss zwischen Deutschland und Großbritannien, etwa 1942, gewesen).
 
Damals waren die Flugzeugträger und Trägerflugzeuge noch in einer stürmischen Entwicklung und man wusste wohl noch nicht ob sie wirklich die Hoffnungen erfüllten, die man in sie setzte. Nicht umsonst hatte die Japanische Flotte für den Angriff auf Pearl Harbour auch Schlachtschiffe in ihren Reihen. Zumal die kommandierenden Offiziere meist auf Schlavhtschiffen groß geworden sind. Und eine neue Waffe bedingt eigentlich auch eine neue Gefechtstaktik, die auch noch in der Entwicklung war.

Die Kidō Butai (Mobile Flotte) hatte neben den Trägerdivisionen zwei schnelle Schlachtschiffe in ihren Reihen, weil man gegen Überraschungen von Artillerieträgern gewappnet sein wollte. Die "Mischung" hatte nichts mit dem Angriffsziel zu tun. Vergleichbar agierten später die US-Task Forces aus Flugzeugträgern, nur war hier das Ziel der Beigabe die verstärkte Luftabwehr der Trägerkampfgruppe und die Aufsplittung möglicher Ziele (neben Kreuzern und Zerstörern).

Wer sich am Knacken des Japanischen Marinecodes 1941/42 (Pearl Harbor-Midway) üben möchte, für den gibt es hier eine Anleitung aus einem Mathekurs:

Cracking the Japanese JN-25 Cipher
 
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