Johann Jacoby und das Schicksal der demokratischen Partei.

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Aktives Mitglied
Johann Jacoby wurde 1805 in Königsberg geboren. Er war Jude. Nach dem Studium der Medizin ließ er sich 1828 in seiner Geburtsstadt nieder. Bis an sein Lebensende praktizierte er als Arzt.

Schon in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts begann sein politisches Engagement. Jacoby gehörte zu den Demokraten, einer politischen Strömung, die sich aus dem Liberalismus heraus entwickelt hatte. Sie forderten ein allgemeines Wahlrecht (nur für Männer, leider), eine geschriebene Verfassung, die auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhte, die Vereidigung des Militärs auf die Konstitution und sozialpolitische Maßnahmen wie die progressive Einkommenssteuer.

Diese Haltung, die er auch als Publizist vertrat, führte mehrmals in seinem Leben zu Gerichtsverfahren. Hochverrat oder Majestätsbeleidigung, so lauteten in der Regel die Anklagepunkte. Seine letzte Haft verbrachte er 1870 auf der Feste Boysen bei Lötzen.

1848 zählte er zu den Mitgliedern des Vorparlaments und des Fünfzigerausschusses. Dem Paulskirchenparlament, der preußischen Nationalversammlung und dem Rumpfparlament gehörte er ebenfalls an.

Zwischen 1850 und 1858 zog er sich in das Privatleben zurück. 1861 trat er der Deutschen Fortschrittspartei bei, die er 1868 verließ. 1870 kandidierte er für die Königsberger Volkspartei bei der preußischen Landtagswahl. Zwei Jahre später wurde er Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. 1874 wählte ihn der Wahlkreis Leipzig in den Reichstag, doch er nahm das Mandat nicht an.

Wenn man so will, war Jacoby ein Politiker zwischen den Stühlen. In der Fortschrittspartei blieb er mit seinen demokratischen Äußerungen ein - wenn auch geachteter - Außenseiter. Die Arbeiterbewegung begrüßte der Bürger Jacoby als neue demokratische Kraft, doch zum Sozialisten wandelte er sich nicht. Die Lösung der sozialen Frage erhoffte er sich von einer Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in einem demokratischen Staat, der das Koalitionsrecht und das Streikrecht anerkannte - im Grunde ein sozialliberales Programm. Der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei trat er bei, ohne sich von der demokratischen Volkspartei zu trennen. Er wollte damit seiner Solidarität mit Liebknecht und Bebel Ausdruck verleihen, die sich wegen Hochverrats vor Gericht verantworten mussten.

Edmund Silberner hat ein wissenschaftliches Standardwerk über Jacoby vorgelegt; Bernt Engelmann veröffentlichte 1984 ein populärwissenschaftliches Buch über den streitbaren Demokraten.

Die politische Biographie des Königsbergers stellt für mich die Frage, warum es den Demokraten in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts nicht gelang, sich als eigenständige Partei zu etablieren. Zwischen den Liberalen und den entstehenden Arbeiterparteien blieben sie "auf der Strecke". Lediglich in Süddeutschland konnten sie - unterstützt von der Frankfurter Zeitung - sich noch eine Zeitlang halten.

Lag es daran, dass sie als Bürger doch zu wenig Sensibilität für die Arbeiterschaft hatten? Wirkten ihre sozialpolitischen Forderungen nicht glaubhaft? Wären nicht Facharbeiter, die auch in liberalen Gewerkvereinen engagiert waren oder Teile des Kleinbürgertums potentielle Wähler gewesen?
 
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