Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Angesichts des Transfers von öffentlichen Mitteln in Richtung Kalkriese finde ich den Informationstransfer in Richtung Öffentlichkeit alles in allem etwas dürftig.
Sagen wir mal so: Weil du nicht im einzelnen mitbekommst, was in Kalkriese passiert, ist das nicht die Schuld von Kalkriese. Auf der Website von Kalkriese kannst du dich über Termine informieren, du kannst die laufenden Grabungen im Sommer mehrfach besuchen (Termine werden regelmäßig angeboten) und im Winter eben auch immer den Vortrag von Rappe über die Grabung des Jahres. Ob du das Angebot nutzt oder nicht, liegt an dir, nicht am Angebot.
Nun ist die Frage die nach den Mitteln: Kalkriese finanziert seine Grabungen zu einem großen Teil über Stiftungen. D.h., K'Riese ist in erster Linie den Stiftungen verpflichtet. Die Stiftungen schütten aber Geld nur dann aus, wenn etwas vernünftig begründet ist.
Drittens: Bei Kalkriese liegt die wissenschaftliche Verantwortung mittlerweile nicht mehr in erster Linie bei der Kreisarchäologie Osnabrück und bei der Uni Osnabrück, sondern seitdem Ortisi dem Ruf nach München gefolgt ist, bei der Universität München. Rappe ist zwar der Archäologe vor Ort, aber er ist eben auch Ortisi als seinem Vorgesetzten verpflichtet. Wenn du weißt, dass selbst Wissenschaftliche Mitarbieter mit einer Viertel Stelle im Prinzip Vollzeit arbeiten, alleine um den Verwaltungsverpflichtungen nachzukommen und ihre Forschungen, sprich ihre wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten, also Dissertation oder als Postdocs Habilitationen, in ihrer Freizeit schreiben, dann kannst du dir in etwa ausrechnen, dass eine wissenschaftliche Publikation nicht eben ad hoc aus dem Ärmel geschüttelt werden kann, sondern schon mal ein paar Jahre dauert. Ortisi muss seine Lehrveranstaltungen in München planen, er muss prüfen, er muss verwalten, er muss Studierende betreuen und dann, ganz am Ende, kommen sie Obligationen, denen er in Kalkriese nachkommen muss.
 
Ich wollte am 11. November nach Kalkriese gehen, ging stattdessen aber leider viral, und einen weiteren Termin gibt es nicht. Und ich rede ja auch nicht von einer quadratzentimergenauen Funddokumentation, sondern über eine kurze Mitteilung wo man forschungsmäßig steht. Gerade was die Wälle angeht, wo wir ja im letzten Sommer mit Spekulationen überschüttet wurden, dass der Oberesch Wall und der 2016 neu gefundene nördliche Wall zusammengehören.

Aber du konntest den Termin ja offensichtlich wahrnehmen und kannst uns demnach berichten was Sache ist bei den Wällen.
 
Bei den Wällen nix Neues, da hat Rappe auf die Grabungen von 2016 und 2017 verwiesen. Die Schnitte in diesem Jahr verliefen Parallel zu Landschaftsschnitt. Rappe hat sogar wegen einer Anomalie die Grabung an einer Stelle über die Planungen hinaus erweitert, aber es ist noch nicht klar, was dabei rausgekommen ist.
 
Informationen nur vor Ort ist in der heutigen Zeit unverschämt.

Ich kann ja verstehen, wenn sie den Vortrag abwarten, aber dann wäre ein kurzer Standpunkt für alle, die nicht mal eben nach Kalkriese fahren können an der Zeit. Es muss ja nicht viel mehr sein als du schreibst. Vielleicht noch ein "Besonders schön war der Fund von ..." oder so etwas. Das wäre doch auch geschäftstüchtig: Den Vortrag mit Bilder könnte es ja als PDF für ein paar Euronen zum Herunterladen geben.

Aber sich ins 19. Jahrhundert zurückzuziehen, geht nicht. Egal wo das Geld herkommt, sind es doch öffentliche Angestellte oder Beamte und dadurch der Öffentlichkeit verpflichtet. Noch dazu in einer für Archäologen tollen Position, da ihre Forschung langfristig finanziell gesichert ist.

Gibt es da wirklich nirgends eine öffentlich zugängliche Pressemitteilung? Und was ist mit dem Varuskurier passiert? Da bekomme ich nur Fehlermeldungen.

Das bringt mich zu einer anderen Frage. Vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe werden jährlich kurze Ergebnisse der mittelprächtigen bis wichtigen Grabungen veröffentlicht. Gibt es so etwas eigentlich gar nicht in anderen Bundesländern?
 
Informationen nur vor Ort ist in der heutigen Zeit unverschämt.
Forderungen zu stellen, dass Leute, die du nicht bezahlst, dir freihaus Informationen liefern, das ist unverschämt. Zumal ja Daten auch erst einmal ausgewertet sein wollen, bevor du mehr sagen kannst als: Wir haben da Teile eines gladius bzw. zweier gladii 'Typ Mainz' und u.a. auch Wagenspuren gefunden.

Gibt es da wirklich nirgends eine öffentlich zugängliche Pressemitteilung? Und was ist mit dem Varuskurier passiert? Da bekomme ich nur Fehlermeldungen.
Die Seite auf der der Varuskurier bisher als PDF zu haben war, war die eines Studentenprojekts von der Uni Osnabrück, die im Rahmen einer Übung vor vieleicht 15 Jahren entstanden war. Sie ist seit diesem Sommer offline, warum ich mich auch schon ein paar mal geärgert habe.
Über die disejährigen Grabungen kannst du auf der Seite des Museums nachlesen.
Aktuelles aus Kalkriese | Forschung | Varusschlacht im Osnabrücker Land

Das bringt mich zu einer anderen Frage. Vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe werden jährlich kurze Ergebnisse der mittelprächtigen bis wichtigen Grabungen veröffentlicht. Gibt es so etwas eigentlich gar nicht in anderen Bundesländern?
Doch, gibt es.
 
"Damit sei die Arbeit bis mindestens Ende 2029 gesichert, sagte Annette Schwandner, Leiterin der Abteilung Kultur im Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Das Land stelle dafür jährlich 127.000 Euro zur Verfügung. Dieses Geld garantiere die wichtige Grundfinanzierung des Gesamtprojekts, betonte der Geschäftsführer des Museums, Joseph Rottmann. Zusätzlich werbe das Museum Drittmittel ein und werde vom Landkreis Osnabrück unterstützt, so dass jährlich zwischen 300. 000 und 500. 000 Euro für die Forschungsarbeit zur Verfügung stünden."

Varusschlacht: Forscher dürfen weitergraben

Dem gegenübergestellt die eigentliche Ergebnisdokumentation der Grabungssaison aus dem Link des Museums:

"Bei den diesjährigen Ausgrabungen hat das Grabungsteam um den örtlichen Grabungsleiter Marc Rappe eine Reihe von römischen Funden entdeckt, u.a. einen Schlüssel an einem römischen Fingerring oder eine schön gearbeitete Distelfibel. Wie auch bei anderen Grabungen in Kalkriese üblich, sind zudem viele Fragmente von römischen Ausrüstungsgegenständen aus dem militärischen und zivilen Bereich wie Schwertscheidenringe, Münzen, Knoten- und Kugelfibeln ans Tageslicht gekommen. Viele Funde wurden bei den diesjährigen Grabungen im Block, also zusammen mit dem umgebenden Erdreich geborgen. Auf diese Weise werden komplexe Fundzusammenhänge geschützt und eine anschließende fachgerechte Freilegung gewährleistet.

An der Datierung des Kampfplatzes ändern die Befunde und Funde nichts. Nach wie vor geht das Kalkrieser Wissenschaftlerteam davon aus, dass es sich hier um ein Ereignis im Kontext der Varusschlacht handelt."

Aktuelles aus Kalkriese | Forschung | Varusschlacht im Osnabrücker Land

Angesichts der 127 000 Euro allein von Land Niedersachsen hätten die niedersächsischen Steuerzahlerinnen und - zahler da schon etwas mehr Informationen verdient finde ich. Gibt es hierzu eventuell noch weitere Veröffentlichungen außer den extrem teuren Jahrbüchern? Auswertungen brauchen natürlich ihre Zeit, werden Ergebnisse hier eventuell für das Vorjahr nachgereicht?


Und was bedeutet 'Ereignis im Kontext der Varusschlacht'? Germanicus' dilettantische Rachefeldzüge als Reaktion auf die Varusschlacht könnten ja auch ein Ereignis im Kontext der Varusschlacht sein.
 
Guten Morgen,

@Riothamus

Gibt es so etwas eigentlich gar nicht in anderen Bundesländern?

Was dieses Thema betrifft, so gibt es auf der Web-Seite des LDA Halle Informationen zu einzeln abgeschlossenen Grabungen (als PDF) und seit 2001 die Rubrik "Fund des Monats". Dort werden kleine Highlights (Funde) aus Grabungen präsentiert. Ganz nett gemacht.

@LEG XVII

das jetzt nur noch von einem "Ereignis im Kontext der Varusschlacht" bei Kalkriese gesprochen wird und nicht mehr vom "Schlachtfeld des Varus" ist doch ein erheblicher Fortschritt gegenüber den anderen Jahren. Sieh es positiv.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Artikel-Überschrift suggeriert etwas anderes als Ortisi im Interview letztlich sagt und mit blöden Wortspielereien ("Varusschlacht? Archäologen sind sich nicht mehr so sicher, sprechen lieber von Varusereignis.") versucht Ewert hier vorzugaukeln, es habe großartige Änderungen in der Bewertung gegeben.
Was seit 2011 diskutiert wird und seit 2016 archäologisch auch nachgeforscht wird - aber nicht abschließend gesichert ist(!) - ist, ob es sich bei dem Wall nicht doch eher um den eines Römerlagers handelt.
Das sagt auch Ortisi im Interview recht deutlich:

Ewert: Der Wall, hinter dem die Germanen hervorgestürmt sein sollen, war Teil eines kleinen römischen Lagers, wie man heute weiß. Hätte man das nicht eher erkennen oder zumindest ahnen können? Anders gefragt: Wurde den Besuchern jahrelang ein Bär aufgebunden?

Wir sind immer noch dabei, alle Theorien - Hinterhalt, Lager, Schlachtfeld …- sehr kritisch zu prüfen und zu hinterfragen. Sicher ist, dass es ein großes kriegerisches Ereignis war, das - beim derzeitigen Forschungsstand - eher mit Varus als mit Germanicus in Verbindung steht. Forschung muss immer dynamisch sein; wenn es neue Erkenntnisse gibt, muss man bisherige Sichtweisen hinterfragen.

Die Eheleute (Wilbers-)Rost, die sich Übrigen ebenfalls bereits vor zehn Jahren bezgl. der Gesamtinterpretation viel vorsichtiger geäußert haben, als Ortisi jetzt, haben auch schon vor zehn Jahren darauf hingewiesen, dass absolute Belege ausstehen und eine Deutung offen sein muss. Ewert begeht hier einen schweren journalistischen Fehler, weil er in einem Interview die Aussagen des Experten (Ortisi) gegenüber seinen eigenen Auffassungen, die sich in Überschriften und Fragen äußern, zurückstellt.

Nicht, dass wir uns missverstehen: Ewert soll kritisch fragen, täte er das nicht, wäre er vermutlich kein erfolgreicher Journalist. Aber der voreingenommene, boulevardeske, verschwörungsriecherische ("wurde den Besuchern jahrelang ein Bär aufgebunden?") Stil, der zudem von fehlerhaften Prämissen ausgeht (beispielsweise die als gesichert dargestellte Lagerwallinterpretation) oder in den oben erwähnten Wortklaubereien, der ist einer sinnvollen Diskussion nicht zuträglich. Und die in seinen Fragen steckende Voreingenommenheit hat Ewert leider bis zur Endredaktion des Interviews nicht überwunden.

Was Ewert überhaupt nicht zu begreifen scheint, wenn er nach der Nachbesetzung von Ortisis Stelle an der Uni Osnabrück fragt, ist, dass Kalkriese eine der finanziell mit bestgesichertsten Grabungen in Dtld. ist, die keine Notgrabung ist. Die Kalkrieser schaffen es doch gerade deshalb, Drittmittel einzuwerben, weil sie gute Arbeit leisten und in den Kommissionen, welche die Drittmittel bewilligen, die Fachjurys überzeugen können.
 
Wenn ich mir die neueren Funde / Erkenntnise so anschaue und mir die Berichte von Tacitus ins Gedächtnis rufe, würde ich es für nicht unwahrscheinlich halten, dass es sich bei dem in Kalkriese befindlichen mutmaßlichen römischen Lager um das zweite Marschlager handelt, das von Germanicus 14 n.Chr. aufgesucht wurde und das laut Tacitus bereits deutliche Spuren eines stark dezimierten und demoralisierten Heeres aufwies (flache, teils eingestürzte Wälle, niedrige Gräben). Der eingestürzte Wall, unter dem das Maultier gefunden wurde, könnte auf einen germanischen Angriff vom Kalkrieser Berg aus hindeuten. Vielleicht kam in diesem Lager auch das Ende der reduzierten römischen Legionen in dem Sinn, dass sich ab da die militärische Ordnung komplett auflöste und nur kleinere versprengte Einheiten weiter nach Westen entkamen (würde auch den in dem Bereich entdeckten Fundspuren entsprechen). Dann wäre es der Ort an dem Varus Selbstmord beging. Das würde letztlich den Bericht von der Lagerschacht des Florus erklären (auch wenn er diese an den Beginn seiner Ausführungen setzt).
Vielleicht kam das Ende der dezimierten Legionen und des Varus aber auch an einem anderen Ort weiter westlich von Kalkriese und die Truppen verließen dieses mutmaßliche Lager noch relativ geordnet. Auf jeden wird die Sachlage wieder richtig spannend.
 
Guten Tag zusammen,

auch die Tageszeitung "DIE WELT" hat sich vor 1 Stunde kritisch zu Kalkriese geäußert.

https://www.welt.de/geschichte/arti...s-Schlacht-bei-Kalkriese-wird-umgedeutet.html

Der rollende Stein nimmt so langsam Fahrt auf.

Grüße
Seewald, der es eigentlich besser wissen müsste, ist zu abhängig von dem obigen Interview. Dabei wird nur eine seit 2011 diskutierte von Schlüter aufgebrachte These überprüft und es finden sich einige Indizien für dieses These, die noch längst nicht bewiesen ist. Die einzige Änderung ist nach wie vor die, dass der früher als Germanenwall angesprochene Wall von Schlüter, Ortisi und Rappe als Teil eines Römerlagers gedeutet wird, was hieße, dass einige Details des rekonstruierten Schlachtverlaufs überdacht werden müssen. Ewert und Seewald versuchen nur, alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen. Die Krux für die Medien ist halt, dass sie nur dann gelesen werden, wenn sie Sensationen und nicht Schnee von gestern verkaufen. (Dass man das immer wieder erklären muss...) Die Überinterpretation der Verwendung von "Varusereignis" statt "Varusschlacht" durch Ortisi, die Ewert und Seewald vornehmen, ist Wortklauberei.
 
Ich stimme ElQ absolut zu.
Es kommt mir vor wie alter Wein in neuen Schläuchen.
Varusereignis oder Varusschlacht? Lächerlich.
Mann stürzt sich auf Dinge um sie einfach nur (als Sensation) zu verkaufen.
Ich habe das (natürlich) subjektive Gefühl, daß mittlerweile nahezu jeder archäologische Fund eine Sensation ist.
Natürlich wirft der Befund in Kalkriese neue Fragen auf. Zurecht!
Aber vieleicht sollte man einfach auch einmal abwarten.
Ich freue mich einfach und zwar für die Archäologie.
Diese Wissenschaft ist ständig in Bewegung. Und Kalkriese ist ein Musterbeispiel dafür.
Der Fundplatz lebt!
Freuen wir uns darüber.
Ich bin gespannt, was die Zukunft für Kalkriese bringt.
Wenn es nun eine Lagerschlacht dort war - so what!
Neue Erkentnnisse - neue Lage.
Die Forschung und die Grabungen werden uns alle weiterbringen.
Also einfach abwarten und vieleicht auch einmal Ruhe bewahren.
Aber dies ist in unserer hektischen und sensationsgeilen Zeit wirklich schwierig.
Ich persönlich warte jetzt einfach mal ab. Was auch sonst.
Und wenn es denn eine Lagerschlacht war:
Es macht Kalkriese als einen Ort der Varusschlacht (nee, Varusereignis - oder was auch immer) nicht wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher!
 
Salve Salvus,
schön, dass Du die Dinge so positiv und konstruktiv siehst! Natürlich freuen wir uns über jedes neue Erkenntnis...dennoch ist der Unterschied nun doch nicht gerade lächerlich. Man hat sich ja in seiner Eigendarstellung für "Varusschlacht" entschieden und nicht für "ein mögliches Ereignis im Zusammenhang mit der Varusschlacht". Wenn wir nun die PC weglassen, würde man das schon als zurückrudern bezeichnen. Ich würde da auch gar nicht gern darauf herumreiten, tue es aber doch, da ja nicht wenige nicht ganz sachlich angegangen wurden, wenn sie ihre Zweifel geäussert haben. Aber warten wir gern ab, was sich an weiteren Ergebnissen so ergibt.....
 
Salve Salvus,
schön, dass Du die Dinge so positiv und konstruktiv siehst! Natürlich freuen wir uns über jedes neue Erkenntnis...dennoch ist der Unterschied nun doch nicht gerade lächerlich. Man hat sich ja in seiner Eigendarstellung für "Varusschlacht" entschieden und nicht für "ein mögliches Ereignis im Zusammenhang mit der Varusschlacht". Wenn wir nun die PC weglassen, würde man das schon als zurückrudern bezeichnen. Ich würde da auch gar nicht gern darauf herumreiten, tue es aber doch, da ja nicht wenige nicht ganz sachlich angegangen wurden, wenn sie ihre Zweifel geäussert haben. Aber warten wir gern ab, was sich an weiteren Ergebnissen so ergibt.....
Nee Schätzken, Varusschlacht oder Varusereignis, das ist gehüpft wie gesprungen, da beißt die Maus keinen Faden ab.
 
Ein ‚Varusereignis‘ oder ‚Ereignis im Kontext der Varusschlacht‘ wie es im letzten November genannt wurde kann auch die Eroberung eines römischen Kastells kurz nach der Varusschlacht sein. Ein Ereignis im Kontext der Varusschlacht kann aber auch einer der Feldzüge Germanicus‘ sein, als Reaktion auf die Varusschlacht.

Das Umdenken bezüglich der Fundinterpretation in Kalkriese setzte aber tatsächlich schon früher ein, mir war das zum ersten Mal beim Spiegel Interview aus dem Jahr 2017 mit der Leiterin des Museums Kalkriese Heidrun Derks aufgefallen:

Archäologie: „Das könnte einige enttäuschen“ - DER SPIEGEL 11/2017
 
Varusereignis ist Varusereignis, da lässt sich kein Germanicusereignis draus zaubern.

Als man vor ca. 30 Jahren den jetzt vielleicht als Südwall angesprochenen Wall fand, dachte man zunächst an ein Lager.

Als dann aber der Wall nach 400 Metern endete und sich keine Fortsetzungen fanden, haben Wilbers-Rost/Rost die Theorie vom Germanenwall/der Defileeschlacht entwickelt.

2011 hat der Kreisarchäologe Schlüter dann anhand einer Tacitusstelle, wo ein Lager beschrieben wird mit nur zwei parallelen Wällen und sonst Verhauen, die These entwickelt, dass man in Kalkriese auch mit einem solchen Lager zu rechnen habe.

Seit 2016 wird durch Ortisi/Rappe dieser These nachgegangen. An der Datierung hat sich nichts geändert. Bei Tacitus ist von Lagern die Rede, daran sei nur noch mal erinnert, ohne den ollen Cornelius überstrapzieren zu wollen (ja, Florus übergehe ich bewusst).

___________________

Das Interview mit Derks steht am Anfang der Zusammenarbeit mit dem Bergbaumuseum Bochum. Dabei geht es um den "metallurgischen Fingerabdruck" der Metallfunde (Isotopenanalyse). Die Idee ist, anhand der Herkunft von Metallen und dem Abgleich mit den historischen Nachrichten von Legionsbewegungen herauszufinden, ob eine statistisch auffällige Anzahl an Metallteilen einer bestimmten Region und damit der überlieferten historischen Bewegung einer Legion zuzuordnen ist. Dafür haben Kalkriese und das Bergbaumuseum damals 2016 gemeinsam Drittmittel eingeworben, das ging 2017 groß durch die Presse, als man dann eine Promovendin vom Bergbaumuseum eingestellt hatte. In dem Interview ist keine Vorwegnahme der Ergebnisse zu sehen (Normalerweise dauert eine Promotion drei Jahre - wenn der Promovent eine Promotionsstelle hat), d.h. wird dürften im Herbst dieses Jahres mit der Vorveröffentlichung der Ergebnisse dieser Studie rechnen, dann dauert es i.d.R. noch halbes bis zwei Jahre, bis die Diss veröffentlich ist (Verteidigung, Verlagfindung etc.), also 2020 bis 2021.

Die metallurgische Analyse ist zunächst einmal nur in dem Sinne von den Grabungen in Kalkriese abhängig, als dss natürlich römische Metalle, die in Kalkriese zutage gefördert werden, die hauptsächliche Datenbasis darstellen. Die archäologische Bewertung (Typ XY, Datierung) erfolgt durch die Archäologen. Die Historiker können dann daran, wenn die archäologische und metallurgische Datenbasis steht. Dann kann man aufgrund der historischen Überlieferung der Legionsbewegungen VIELLEICHT sagen, die Metalle seien Varus oder Germanicus zuzuordnen.
 
Statt in der varusereignerischen Situation ein Marschlager zu errichten welches wenigstens von einer Seite aus eher schlecht anzugreifen war, weil diese Seite z. B. an das Moor angrenzte, haben sich die Römer also für ein Lager entschieden, welches von 3 Seiten aus besonders gut anzugreifen war? Zwei Seiten ohne Wall, und ein Wall direkt am Fuß des Kalkrieser Bergs, von wo aus man das Lager einsehen konnte und von einer erhöhten Position aus immer Vorteile beim Angriff hat? Und um es für sie selbst nicht ganz so einfach zu machen haben die Römer den Südwall/Obereschwall dann auch noch mit Bögen in das Gelände eingepasst. Das dauert erstens sehr viel länger als den Wall gradlinig mit einer Schnur abzustecken, und zweitens ist die Verteidigung des Walls auch schwieriger, weil man auf Grund der Bögen nicht den ganzen Wallabschnitt einsehen kann.

Au weia.

Und andere Archäologen gehen so etwas auch noch allen Ernstes nach? Aber nun ja, die finanziellen Mittel dazu haben sie ja:

Zusätzliche Fördergelder für Museum und Park Kalkriese
 
Statt in der varusereignerischen Situation ein Marschlager zu errichten welches wenigstens von einer Seite aus eher schlecht anzugreifen war, weil diese Seite z. B. an das Moor angrenzte, haben sich die Römer also für ein Lager entschieden, welches von 3 Seiten aus besonders gut anzugreifen war? Zwei Seiten ohne Wall, und ein Wall direkt am Fuß des Kalkrieser Bergs, von wo aus man das Lager einsehen konnte und von einer erhöhten Position aus immer Vorteile beim Angriff hat? Und um es für sie selbst nicht ganz so einfach zu machen haben die Römer den Südwall/Obereschwall dann auch noch mit Bögen in das Gelände eingepasst. Das dauert erstens sehr viel länger als den Wall gradlinig mit einer Schnur abzustecken, und zweitens ist die Verteidigung des Walls auch schwieriger, weil man auf Grund der Bögen nicht den ganzen Wallabschnitt einsehen kann.

Au weia.

Ich bin noch nicht von der Römerlagerthese überzeugt, dazu fehlen meinem Informationsstand nach noch zu viele Infos. Die Grabungen 2016 - 2018 haben Indizien für einen Nordwall erbracht, aber die scheinen mir noch ein wenig dünn. Was nun deine Kritik an der These anbelangt, dass es sich um ein Lager handelt, so vergisst du, dass - wenn es sich um das Endlager aus der Varusschlacht handelt - die Römer wahrscheinlich gar nicht mehr in dem Sinne handlungsfähig waren, wie sie es gerne gewesen wären, also nicht unbedingt freiwillig das Lager an diesem Ort errichtet haben, sondern darin ihre letzte Hoffnung sahen, an Ort und Stelle Verteidigungspositionen aufzubauen, um sich zu verteidigen und ggf. zu reorganisieren.

Wieso das Lager deiner Auffassung nach von drei Seiten besonders gut anzugreifen gewesen sein soll, erschließt sich mir noch nicht ganz.
 
Zurück
Oben