Kalkriese:Schauplatz der Schlacht im Teutoburger Wald?

Ave Cherusker,


Cherusker schrieb:
....Der "innere" Deister? Was ist das denn? 4Eingänge? Es gibt nur die Deisterpforte, die die von Nord nach Süd bestehende Hügelkette (Deister, Kleiner Deister und Osterwald) als Tal durchquert. Alles andere sind Pässe, z.B. Nienstädter Paß,...



Der innere Deister ist dass Deister/Süntel Hochtal. Es hat vier Zugänge: (1) Westen bei Bad Eilsen, 640 m, (2) Norden Bad Nenndorf, 4220 m, (3) Osten Deisterpforte 450 m, (3) Süden Hachmühlen 4080 m. Angegeben jeweils die schmalste Stelle des Durchgangs. Kein Grund sich ausgerechnet durch die schmalste der vier zu drängeln also. Germanius wählt natürlich den Nord und/oder den Südeingang, falls er überhaupt dort hinein wollte, was alleine schon zu bezweifeln ist.



Cherusker schrieb:
....Am letzten Mittwoch habe ich einen Vortrag vom Archäologen Dr. St. Berke (Uni Münster): "Die Germanenkriege der Römer" angehört. Seine Theorie zur Varusschlacht geht davon aus, daß der Ort in einem Gebiet zu suchen ist, in dem die 4Stämme der Marser, Brukterer, Cherusker und Chatten aneinander grenzen.. ...



Yep, eine unbelegte Theorie jagt die nächste. Wo sind die archäologischen Funde? Wie wird Kalkriese weggedeutelt ? Wie, nur zum Beispiel, die europaweit jeden Vergleich sprengenden Streufunde (keine Hortfunde!) von augusteiischen Goldmünzen, welche sinnvoll wirklich nur mit Varus zu erklären sind ? Und so weiter und so fort.


Und dann sollte er bei Timpe nachlesen, der sagt, sicherlich nicht ganz zu Unrecht, dass der Aufstand gegen Varus mit Arminius aus dem eigenen römischen Machtapparat kam, und erst im Laufe seines Erfolges zum Sammelbecken der Germanenstämme wurde. Kein Grund also sich mit angeblich unbeweglichen Germanenstämmen rumzuplagen. Kurzum, für die von Dir dargestellte Theorie gibt es weder eine literarisch/interpretative und schon gar keine archäologische Evidenz.


Aber wer es glauben mag, der mag es in Gottes Namen tun. Ich halte mich lieber an die archäologischen Realien.



Cato schrieb:
...genau das ist der Standpunkt, der von zahlreichen Historikern vertreten wird (neben Berke auch Kehne, Timpe, Glüsing u.a.). Dieses Argument ist deshalb sehr wichtig, da es die Situation des Jahres 9 n.Chr. in Germanien, wie sie Timpe ausführlich dargelegt hat, berücksichtigt: Die Römer standen als Besatzer im Lande und beobachteten jede Regung der germanischen Stämme. Das Umherziehen der Marser oder Chatten nach Kalkriese oder Detmold wäre schlichtweg unmöglich gewesen, da dieses den Römern nicht verborgen geblieben wäre. ...

Den neuesten Timpe lese ich auch gerade. Er argumentiert aber ganz anders als Du ihn da interpretierst. Er will damit lediglich belegen, dass der Angriff aus dem römischen Machtapparat selbst kam und nicht als allgemeine Verschwörung der germanischen Stämme zu sehen ist. Mehr nicht. An Kalkriese hat er keine gravierenden Zweifel. (Hinweis: ich habe sein Schlusswort ja hier im Thread zitiert.)



Schönes Wochenende, Trajan.
 
Der innere Deister ist dass Deister/Süntel Hochtal. Es hat vier Zugänge: (1) Westen bei Bad Eilsen, 640 m, (2) Norden Bad Nenndorf, 4220 m, (3) Osten Deisterpforte 450 m, (3) Süden Hachmühlen 4080 m. Angegeben jeweils die schmalste Stelle des Durchgangs. Kein Grund sich ausgerechnet durch die schmalste der vier zu drängeln also. Germanius wählt natürlich den Nord und/oder den Südeingang, falls er überhaupt dort hinein wollte, was alleine schon zu bezweifeln ist.

Ich glaube Du verwechselst den Süntel mit dem Deister. Der Deister hat keinen Durchgang bei Bad Eilsen. Ursprünglich war das gesamte Berggebiet als "Suntal" bezeichnet worden. Nur ein Teil oberhalb von Barsinghausen wurde als "Diester/Deister" bezeichnet. Das bedeutet soviel wie Wald/Holz des germanischen Gottes Ziu/Thiu. Erst später wurde der gesamte Höhenzug als Deister bezeichnet. Er hat somit nur 2 Zugänge: Bei Bad Nenndorf und die Deisterpforte! Auf dem Deister sind etliche heidnische Kultstätten gefunden worden.
 
Mal abgesehen davon das ein Berg oder ein Fluß immer als Grenze genutz wurde, weiß ich nicht ob die schon Niemandsland brauchten.

DEs gab eine Pufferzone zwischen den Stämme, wenn es keine natürliche Hindernisse, z.B. Moore, Berge und Flüsse gab, dann wurde ein Landstrich dazu erklärt.

Was die Forschung zu diesem Thema genau sagt, weiß ich nicht,den archäologischen Nachweis zu führen hielte ich zumindest für schwierig. Sonst können wir uns da nur auf die Quellen verlassen, und ich kenne zumindest eine, die vom Ödland zwischen den Germanengruppen berichtet, und das ist Cäsar in De Bello Gallico.
Hier die von mir angeführte Textstelle:

De Bello Gallico, VI, 23:

Es gilt bei den [germanischen] Stämmen als höchster Ruhm, wenn sie um ihr Gebiet herum einen möglichst breiten Streifen Einöde besitzen. Sie halten es für ein Kennzeichen von Tapferkeit, wenn die Anwohner ihrer Grenzen von ihrem Land vertrieben abziehen und niemand wagt, sich in ihrer Nachbarschaft niederzulassen. Gleichzeitig wird so die Furcht vor einem plötzlichen Einfall beseitigt, so dass sie glauben, sie seien dadurch sicherer.
In der zugehörigen Fußnote 352 (Reclam-Ausgabe von Marieluise Deissmann) wird auf die FN 229 hingewiesen, die besagt:

Archäologisch weitgehend bestätigt sind dagegen die "Ödmarkgrenzen";...
 
Naja,was mir in den Fußnoten ein bisschen fehlt, sind Literaturangaben zum weiterlesen. So ist man leider gezwungen M. Deissmann zu glauben. Gerade was die Ödmarkgrenzen angeht, würde mich z.B. schon interessieren, wie man das archäologisch nachweisen will, ohne das gesamte antike Siedlungsgebiet der Germanen umgegraben und jedes Pfostenloch katalogisiert zu haben.
 
Tja, mit dem Beweisen ist das sone Sache, 90 Prozent von allen Ideen hier sind letztlich nur die persönlichen Meinungen. Die Literatur bringt in Wirklichkeit nicht genug und archäologisch gesehen steckt das ganze Thema völlig in den Kinderschuhen. Wenn ich an die Ausgrabungen um und in Paderborn denke hat sich das Bild dort um 180 Grad gedreht. Wenn man das hochrechnen würde ... Oh je! Hoffentlich erlebe ich noch des Rätsels Lösung aber bei dem Tempo wo Bodenfunde durch Raubgrabungen und Landwirtschaft verloren gehen bezweifel ich das die Archäologen dem etwas entgegen zu setzen haben.
 
Hallo Leute,

wie Ihr sicher schon erfahren habt, gibt es Neuigkeiten zum Thema Kalkriese. Im Varus-Kurier Dez. 2006 hat sich Dr. Wiegels zu den Ritzinschriften auf einer Schwertscheide geäußert:

"Wiederum wird die cohors I einer Legion genannt, wiederum - leider - aber ohne Legionsziffer. Für die betreffende Zeit nicht ungewöhnlich ist die Schreibweise P für prima an Stelle einer Ziffer, was z. B. auch in einer weiteren Ritzinschrift auf einem Mundblech einer Schwertscheide aus Kalkriese in dieser Form geschah, dort aber wohl zur Bezeichnung einer Legion, nicht einer Kohorte diente".

Der letzte Satz verbreitet in Kalkriese mittlerweile Angst und Schrecken. Die Legio I in Kalkriese? War das nicht eine der Legionen, die unter dem Befehl des Germanicus bzw. Caecina standen? War das nicht eine der Legionen, von denen Tacitus berichtet, dass sie an den pontes longi in heftige Kampfhandlungen verstrickt waren?

Einer der wichtigsten Kritiker an der Kalkriese-Varusschlacht-Theorie, Prof. Glüsing von der Uni Münster, hat angekündigt, dass sich bis 2009 die Frage nach dem Ort der Varusschlacht geklärt haben wird. Hört sich vielversprechend an...

Gruß Cato
 
Dr. Glüsing mag zwar einer der wichtigsten Kritiker der Varusschlacht=Kalkriese-These sein, Prof. ist er aber noch nicht.
 
Wird er auch nicht mehr werden: Dr. Peter Glüsing, Akademischer Oberrat am Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Münster, ist am Ende des Wintersemesters 1998/99 in den Ruhestand getreten.
 
Wird er auch nicht mehr werden: Dr. Peter Glüsing, Akademischer Oberrat am Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Münster, ist am Ende des Wintersemesters 1998/99 in den Ruhestand getreten.

Und ich dachte immer, eine Professur wird verliehen, egal wie alt man ist.
Habe ich wieder etwas gelernt.
 
Hallo Leute,

mea culpa.... Glüsing ist in der Tat kein Prof., aber zumindest ein anerkannter Experte auf dem Gebiet der deutschen Frühgeschichte. Dass er mit einer neuen Varusschlachttheorie auftritt, obwohl es bereits über 700 andere Autoren vergebens versucht haben, ist zumindest erstaunlich. Prinzipiell halten sich Althistoriker und Archäologen mit Kritik gegenüber Varustheorien nicht zurück, weigern sich (aus gutem Grunde) aber, eine eigene vorzubringen. Im Fall Dr. Glüsing ist es jetzt einmal anders. Schaun´mer ´mal...
Zu Kalkriese und Wiegels:
Prof. Dr. Wiegels ist ein ausgezeichneter Epigraphiker und hatte 15 Jahre Zeit, das Graffito auf dem betreffenden Mundblech der Schwertscheide zu begutachten. Bislang wurde die Ziffer "I" auf Objekten in Kalkriese stets als Chohors I gedeutet (in einigen Fällen umstritten, in anderen wiederum zweifellos zu Recht). Das Graffito der Schwertscheide liefert nun aber nach Wiegels den ersten Fall einer Legionsnennung, der in Kalkriese so sehnlichst erwartet wurde. Wider Erwarten wird hier nicht die XVII. , XVIII. oder XIX. Legion genannt, sondern die Legio Prima. Die Anwesenheit einer COH I in Kalkriese wurde wie gesagt vielfach bezeugt (diese Erkenntnis ist jedoch wenig weiterführend). Nun gibt es das erste epigraphische Zeugnis, dass die Legio I in Kalkriese zugegen war. Nun stellt sich die Frage, ob die Schwertscheide dem Eigentümer im Zuge von Kampfhandlungen abhanden kam, oder ob der Legionär während der Bestattungsaktion zu eifrig war.

Gruß, Cato
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Nun gibt es das erste epigraphische Zeugnis, dass die Legio I in Kalkriese zugegen war.

Hallo Cato,
dazu hätte ich eine Frage: gab es eigentlich auch Versetzungen/Wechsel in den Zuordnungen zwischen den Legionen, und wenn ja, nahmen die Legionäre ihre Ausrüstungen etc. mit?

Ansonsten wäre doch mit einem solchen Fund nur beweisbar, dass der Gegenstand zugegen war, nicht welche Zugehörigkeit der Träger zu einem Verband hatte, noch das der Verband zugegen war, wenn es zu Vermischungen gekommen wäre.

Möglicherweise habe ich dabei aber zu moderne Vorstellungen über Truppenverbände im Kopf (Einheitsabgaben im Feldzugverlauf etc.)

Grüße
Thomas
 
Prinzipiell halten sich Althistoriker und Archäologen mit Kritik gegenüber Varustheorien nicht zurück, weigern sich (aus gutem Grunde) aber, eine eigene vorzubringen.
Komisch das ich von Cherusker und dir dafür hart angegangen wurde und jetzt dafür Verständnis zu lesen bekomme...[/Quote]


Das Graffito der Schwertscheide liefert nun aber nach Wiegels den ersten Fall einer Legionsnennung, der in Kalkriese so sehnlichst erwartet wurde.
Mit welcher Inschrift haben wir es zu tun, dass dies so "eindeutig" ist?
 
Tib.Gabinius schrieb:
Mit welcher Inschrift haben wir es zu tun, dass dies so "eindeutig" ist?

Meiner Kenntnis nach handelt es sich um ein einzelnes P auf einer Schwertscheide.

Was damit gemeint war ist unbekannt, vielleicht nur ein Name oder Kohorte, vielleicht auch wie manche behaupten legio prima. Es besagt, in Anbetracht des Gesamtfundzusammenhangs, aber praktisch nichts.

Beste Grüsse, Trajan.
 
Hallo Leute,

es handelt sich um das Mundblech einer Schwertscheide (Fundnr. 10926). Das Graffito weist laut Wiegels einen L.Vibius als Besitzer aus der Zenturie des Tadius aus. Darunter lässt sich nach Wiegels erkennen: L P….

Er schreibt dazu: „Für die betreffende Zeit nicht ungewöhnlich ist die Schreibweise P für prima an Stelle einer Ziffer, (…) dort aber wohl zur Bezeichnung einer Legion, nicht einer Kohorte diente.“

Wiegels beschreibt in dem Artikel die Graffiti auf verschiedenen Objekten, die in Kalkriese zu Tage traten. Im Einzelnen handelt es sich um die bekannte Kettenpanzerschließe (M AIVS I FABRICI), ein Senkblei (CO P VIBI S) sowie die Schwertscheide (T VIBI TADI L P A).

Wiegels, R., „Im Kampf mit den Germanen- Cohors I in Kalkriese“, in: VARUS-KURIER NR.8, Dezember 2006, S.3
 
Wiegels erkennt nach dem L und dem P ein A und vervollständigt das Graffito zu Legio Prima Augusta.

Eigentlich hieß die Legio I „Germanica“ und stand neben der Legio V Alaudae im Jahre 9 n.Chr. unter dem Befehl des L. Asprenas.
Dieser führte sie nach Bekanntwerden der Niederlage des Varus an den Rhein zurück, um die dortigen Standorte zu sichern. Danach fand eine Verlegung nach Köln statt.
Es ist möglich, dass die Legion bis 19 n.Chr. den Beinamen Augusta führte. Vor 28 n.Chr. wurde sie nach Bonn verlegt.

Weitere Infos unter:

www.livius.org/le-lh/legio/i_germanica.html


Die Legio Prima stand also unter dem Befehl des Asprenas. Es ist durchaus möglich, wie mehrfach vermutet wurde, dass die Funde von Kalkriese aus Kampfhandlungen stammen, die Asprenas mit seinen zwei Legionen erfolgreich gegen die aufständischen Germanen führte.
Sollte die vorübergehende Umbenennung von Germanica in Augusta wie oben beschrieben zwischen 9 und 19 n.Chr. Geltung gehabt haben, handelt es sich um einen Truppenteil, der unter Tiberius 10/11 oder aber Germanicus 13-16 n.Chr. im rechtsrheinischen Germanien aktiv war.

Gruß Cato
 
Neue Veröffentlichung

Hallo allerseits,

es gibt eine neue, umfassende Veröffentlichung zu Kalkriese. Wir haben einmal die 200 Euro investiert und das Werk durchgesehen. Insgesamt scheint es eine erzwungene Rückkehr auf den Boden der Tatsachen zu sein, welche mit gewissen Widerständen zu kämpfen hat.

Auch das Thema Legio Prima Augusta wird jetzt endlich fachwissenschaftlich (14 Jahre nach der Entdeckung und 11 Jahre nach nach der erstmaligen richtigen Interpretation) ohne Fragezeichen (wie noch im Varus Kurier dargestellt) der Öffentlichkeit preisgegeben. Die Kalkriese-Hypothese wird dabei um den Zusatz ergänzt, dass selbstverständlich auch Teile der in Mainz stationierten Legio I Germanica mit Varus untergegangen sind. Naja, da wären sogar mir kreativere Ausreden eingefallen... Diese hat sogar einen neuen Namen: Dislokationsgeschichte. Wie tief kann man eigentlich noch sinken?

Eine Zusammenassung findet Ihr hier: http://kalkriese.blogspot.com/

Beste Grüße
 
Zurück
Oben