Kanonenbootpolitik - der Weg zum Navalismus

Köbis17

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[FONT=Verdana, sans-serif]Im 19. Jahrhundert waren Küstenbeschießungen ohne Kriegserklärung eine häufig praktizierte Methode, vor allem durch europäischer Mächte, ihren Interessen auch ohne Diplomatie Nachdruck zu verleihen.[/FONT]

[FONT=Verdana, sans-serif]Doch waren es zu Anfang noch hölzerne Kriegsschiffe, die sich den Küsten oder Häfen nähern mussten, immer der Gefahr, von den Küstenbatterien getroffen zu werden, denn die Leistungsfähigkeit der Geschütze zu Lande oder zu Wasser waren identisch und ein hölzernes Schiff wesentlich schlechter geschützt, als ein gemauerter Verschlag an Land.[/FONT]

[FONT=Verdana, sans-serif]Technik: [/FONT]
[FONT=Verdana, sans-serif]Durch technische Neuerungen, vor allem im Seekriegswesen, änderten sich allerdings die Möglichkeiten flottenführenden Nationen. Entscheiden war das Sprenggeschoß des Franzosen Paixhans und die Einführung gezogener Kanonenläufe sowie die Verwendung von Zügen im Rohrlauf. Damit konnte die Gefechtsentfernung erheblich erweitert werden und die mit den modernen ausgerüsteten Kriegsschiffe konnten ohne Gefahr, Küsten- und Hafenanlagen unter Beschuss nehmen. [/FONT]

[FONT=Verdana, sans-serif]Politik: [/FONT]
[FONT=Verdana, sans-serif]Willkommene Anlässe, für solche kolonialistischen Strafaktionen waren in der Regel, Überfälle auf Handelskompanien bzw. Konsulate oder Piraterie, aber immer mit den Hintergedanken der Aneignung von fremden Ländereien.[/FONT]

[FONT=Verdana, sans-serif]War es aber wirklich nur der technische Vorsprung und der neue Kolonialismus, der die Kanonenbootpolitik als Mittel legitimierten oder war der Navalismus, der eigentlich erst Ende des 19.Jahrhunderts ein wesentlicher Bestandteil des Imperialismus wurde, schon viel früher ausschlaggebend für die Gesellschaft und die Politik?[/FONT]
 
Mir ist nicht ganz klar, was Du hierbei unter Navalismus verstehst:

- einen realpolitischen Bezug
- ein theoretisches Konzept
- einen "cult of the navy"

Kannst Du das bitte noch etwas vertiefen?:winke:
 
Mir ist nicht ganz klar, was Du hierbei unter Navalismus verstehst:

- einen realpolitischen Bezug
- ein theoretisches Konzept
- einen "cult of the navy"

Kannst Du das bitte noch etwas vertiefen?:winke:

Was ist Navalismus?

Der Weltmachtanspruch nur durch den Rang der Seemacht zu definieren? Bzw. die Seemacht als die obere Grenze der Wirtschaftkichkeit einer Nation zu messen, auch im Bezug auf die Export- wie Importfähigkeit. Dabei spielt für die nationialen Staaten, vor allem in Europa, als Machtinstrument ersten Ranges die Marine ins Gewicht.

Eine Nation, in ihrer militärischen Größe als Landmacht aufgebaut, mag dabei schnell in Abhängigkeit der eigenen wirtschaftlichen Größe im internationalen Machtgefüge zurückzufallen, Beispiel Österreich-Ungarn.

Das hierbei der Navalismus die eigendliche treibende Kraft für den Imperialismus darstellt, stellt sich für mich nicht mehr als Frage. Interessanter ist der Aspekt, ab wann das Seemachtstreben als vollkommen Macht instumentalisiert wurde.

Kam es erst nach 1815, oder noch später, mit der Dampfschifffahrt, ab 1850 oder war es gar schon vor den napoleonischen Kriegen vorhanden.

Die Kanonenbootpolitik wird immer auf den Imperialismus zurückgeführt, aber ist das so? Oder war die Kanonenbootpolitik der Antrieb für den Imperialismus, der wiederum in Abhängigkeit des Navalismus steht.
 
Der Zusammenhang von (seegestützter) Expansion und Seerüstung (-> Seemacht) ist zwar erstmals von Mahan explizit herausgestellt worden, ist aber ein Fakt.

Willst Du damit auf historische Beispiele/Ereignisse vor dem 19. Jhdt. hinaus?
 
Willst Du damit auf historische Beispiele/Ereignisse vor dem 19. Jhdt. hinaus?

Zum Beispiel, aber wenn meine Gedanken zu speziell sind, vielleicht etwas einfacher, ich finde die überseeischen Aktionen der führenden Seemächte schon sehr grenzwertig, vor allem im Bezug auf z.B. die Pariser Seerecht Deklarationen von 1856.

Dieses kommt salop gesagt, einer Schutzgeldmafia gleich.
 
Dieses kommt salop gesagt, einer Schutzgeldmafia gleich.

Andere Zeiten, andere Sitten.

Noch bis zum Kellogg-Pakt von 1928 war der rechtliche Zustand annähernd umgekehrt: Das Recht des Souveräns zur freien Kriegführung im Sinne des ius ad bellum war weitgehend unbestritten, zumindest bei Vorliegen eines casus belli, das heißt eines als Kriegsgrund eingestuften Anlasses. http://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsvölkerrecht#Das_Recht_zum_Krieg_.28ius_ad_bellum.29

Der casus belli ist weit zu fassen. Und die Schiffe wurden im Zeitalter des Imperialismus dort aufgefahren, wo sich (in europäischer Anschauung) kein Staat oder ein schwacher befand. Die Diskussion führt dann aber wohl vom Thema ab, deshalb zurück:

Man kann sich durchaus mal den Zusammenhang von Seemacht und Handel anschauen. Siehe hier (570 kb):
Rahman: Fighting the Forces of Gravity - Seapower and Maritime Trade between the 18th and 20th Centuries.
http://www.ekh.lu.se/ehes/paper/Seapower and Trade.pdf

Wenn Du da etwas durchblätterst, findest Du weiter hinten in den Schaubildern IV interessante Daten zu den Seemächten.
 
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Der casus belli ist weit zu fassen. Und die Schiffe wurden im Zeitalter des Imperialismus dort aufgefahren, wo sich (in europäischer Anschauung) kein Staat oder ein schwacher befand. Die Diskussion führt dann aber wohl vom Thema ab, deshalb zurück:
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Nein, nein, keineswegs führt die Diskussione hier vom Weg ab. Das ist doch der Knackpunkt. Man stelle sich vor, bei einem Akt der Piraterie vor einer Küste, die damals noch nicht oder schon unter einer Schirmherrschaft stand, kamen Kriegsschiffe schnell auf und bewirgten auch schnell eine "Rachehandlung". Doch sobald sich der vermeintliche schwache Gegner nicht mehr als der schwache Gegener herausstellte oder es gar ein Akt durch ein europäisches Land war, wurden die Probleme schnell unübersichtlich, wie bei z. B. die Aktionen um Samoa Ender der 1880iger, zwischen den britische, US-amerikanischen und deutschen Seestreitkräften.

Noch brinsanter sind die Vergeltungsaktionen in Kanonenbootmanier vor den südamerikanischen Küste. Hier reichte es aus, wenn die Mannschaft eines deutschen Kriegsschiffes warum auch immer, festgesetzt wurde und ein Kriegsschiff entsprechend dan auftauchen musste, um die Herren Strafffrei (?) zu erlösen.

Das war doch weit ab von Diplomatie und Politik, das Handeln der Admirale und Kapitäne, was die Kanonenpolitik ausmachte oder personell grenzwertig erschien?!
 
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Dieses kommt salop gesagt, einer Schutzgeldmafia gleich.

Wenn man sieht, aus welchen Gründen Kanonenboote geschickt wurden (bzw. Kreuzer oder ganze Flotten) und für welch nichtige Anlässe gleich eine Küstenstadt oder Dorf beschossen wurde, ist das schon eine gute Beschreibung.

Ein literarisches Beispiel findet man bei Joseph Conrad in "Heart of darkness" wo ein Kanonenboot vor der Küste liegt und eine Granate nach der anderen in ein verlassenes Eingeborenendorf feuert, als Reppresalie für irgend einen vermeintlichen Affront .

Ich meine, diese Einstellung ist erst im 19. Jahrhundert entstanden. Früher gab es selbstverständlich auch ähnliche Aggressionen mit Kriegschiffen, aber sie hatten einen anderen Hintergrund.

Auf die Geschichte Südamerikas bezogen kann ich mich an verschiedene Arten von Zwischenfälle erinnern: Einmal jene, bei denen es um konkrete Wirtschaftsinteressen geht, so z.B. die Blockade von Rio de la Plata durch Briten und Franzosen um die Argentinische Regierung zu zwingen den Parana und den Uruguay als freie Gewässer anzuerkennen, oder die Intervention verschiedener Flotten um Venezuela zu zwingen ihre Auslandschulden zu begleichen.

Auf der anderen Seite gab es auch eine Reihe von Ereignissen bei denen es eher um verletztes Ehrgefühl und Protokollarisches ging, wie die Beschiessung von El Callao durch die spanische Flotte unter Mendez Nuñez.
 
Der berühmteste und folgenreichste derartige Zwischenfall dürfte ja übrigens der Einfall des Kommodore Perry in Japan gewesen sein.
 
Ich verstehe jetzt nichts mehr.

Navalismus ist doch etwas anderes als die Frage, wo aus "eurozentrischer" Sicht, ggf. erweitert um die USA und Japan, (völker-)rechtsfreie Räume bestehen, bei denen man mal eben einen Hafen blockiert, Hütten zusammen schießt oder bei Strafexpeditionen ins Inland einige Hundert Einwohner massakriert.

Navalismus beschreibt eine Politk der maritimen Aufrüstung zwecks Expansion oder so verstandener nationaler Verteidigung, ergo die politische Definition der Weltmacht oder Großmacht über Seemacht. Den Kern will Mahan geschichtlich/politisch bei jeder Expansion einer Großmacht erkannt haben bzw. für die kommenden Jahrhunderte als einzig bestimmenden Faktor ausgemacht haben (was so nicht stimmte, und Landmächte ausgrenzt).

Im Prinzip sind das erste Ansätze/Folgen der Globalisierung, weil Expansion mit einigen wenigen Ausnahmen in dieser Zeit nur noch als überseeische Expansion gesehen wurde/gesehen werden konnte. Der Zusammenhang mit den Entwicklungen des Handels in diesen Jahrhunderten liegt dabei auf der Hand.

Zur Definition zB Hobson, Maritimer Imperialismus:
Maritimer Imperialismus ... - Rolf Hobson - Google Bücher

Interessant ist dabei, dass der deutsche Schwerpunkt (der "deutsche Navalismus", etwas zynisch "Nordsee-Navalismus" in der Ausprägung der Risikoflotte) mit geringen Ausnahmen diese überseeische Expansion gar nicht in der Realisierung der Flottenrüstung berücksichtigte bzw. berücksichtigen konnte. Da blieb es bei den Vorsätzen und Phantasien.

Nach 1900 lief ironischerweise der deutsche Imperialismus quasi auf der Bagdadbahn und zielte auf den Balkan und den Mittleren und Nahen Osten. Diese Spätphase lief an der Hochseeflotte als Ausdruck des deutschen Navalismus vorbei.
 
Sogar Österreich beteiligte sich an dieser Art der Politik:
1829 kam es zu einem Konflikt mit Marokko, weil es die Piraterie noch offen tolerierte. Nachdem ein marokkanisches Piratenschiff ein österreichisches Handelsschiff gekapert hatte, griffen mehrere österreichische Fregatten als Vergeltung die marokkanische Hafenstadt El Araisch an.
 
Leute, sind wir jetzt beim Navalismus, oder bei der Kanonenbootpolitik als Aspekt der Völkerrechtsgeschichte der Militärischen Intervention.:devil:
 
Kanonenbootpolitik als Instrument des Navalismus bzw der Weg dahin?

An dem Beispiel Österreich (übrigens auch im Fall Perry) kann man sehen, dass Kanonenbootpolitik nicht unbedingt von einem Staat ausgeübt wurde, der zu diesem Zeitpunkt überseeische/transkontinentale Expansion und Navalismus in eine beachtliche Größenordnung geführt hat.

Zur Kanonenbootpolitik wurde eben allgemein gegriffen, wenn man (maritim) Schwächere vor sich hatte. Diese Form von "Navalismus" können wir dann bis zu den Griechen zurück verfolgen. Was soll das dann noch davon unterscheiden, mal eben ein Expeditionsheer vor ein paar harmlose Städte zu schicken und diese anzufallen?

Hast Du Dir inzwischen mal die Graphiken in der verlinkten Datei angeschaut?
 
[...]
Hast Du Dir inzwischen mal die Graphiken in der verlinkten Datei angeschaut?

Ja, aber hierbei werden nur Zahlen dargestellt, wobei hier noch nicht einmal klar ist, wo eine Differnzierung der einzelnen Schiffsklassen vorgenommen wurde, um die Zahlen zu ermitteln.
Das sieht vielleicht nett aus, ist aber m.E. so nicht repräsentativ.

Interessanter wäre für mich, passend auch zum Thema, wäre eine Aufstellung der Zunahme der Vergeltungsangriffe der führenden Seemächte, im Zusammenhang der technischen Entwicklung im Seekriegswesen nach 1815, denn zuvor hatte sich dieses über 200 Jahre nur unwesentlich verbessert oder verändert.

Das es solche Aktionen zu jeder Zeit der Seekriegsgeschichte gegeben hat, ist mir auch klar, doch beschränkte ich ebend mit dem Begriff der Kanonenbootpolitik den Zeitraum auf des 19. und 20. Jahrhundert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das es solche Aktionen zu jeder Zeit der Seekriegsgeschichte gegeben hat, ist mir auch klar, doch beschränkte ich ebend mit dem Begriff der Kanonenbootpolitik den Zeitraum auf des 19. und 20. Jahrhundert.

Meine Frage: Hat denn die brühmte Kanonenbootpolitik überhaupt etwas nachhaltiges bewirkt? Der "Panthersprung nach Agadir" unseres Wilhelm 2 war z.B. eher ein Schuss in den Ofen, denn zum Marokko-Kongo-Vertrag hätte es auch ohne Kanonenboot durch diplomatische Verhandlungen kommen können.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sogar Österreich beteiligte sich an dieser Art der Politik:
1829 kam es zu einem Konflikt mit Marokko, weil es die Piraterie noch offen tolerierte. Nachdem ein marokkanisches Piratenschiff ein österreichisches Handelsschiff gekapert hatte, griffen mehrere österreichische Fregatten als Vergeltung die marokkanische Hafenstadt El Araisch an.

@Ravenik

Einen Vergeltungsangriff wegen Duldung von Piraterie in der ersten Hälfte des 19.Jh. gegen einen Staat, würde ich nicht unter "Kanonenbootpolitik" subsumieren wollen.

M. :winke:
 
@Ravenik

Einen Vergeltungsangriff wegen Duldung von Piraterie in der ersten Hälfte des 19.Jh. gegen einen Staat, würde ich nicht unter "Kanonenbootpolitik" subsumieren wollen.

M. :winke:

Gehört aber dazu, so zählt alles dazu, wobei sich eine Nation mittels Kriegsschiffen die eigenen Interessen über eine schwächer Nation durchsetzen zu versucht. Dazu zählen auch Vergeltungsangriffe.
Der Begriff - Kanonenbootpolitik - ist auch nicht auf den Einsatz eines Kanonenbootes zurückzuführen, sondern umfasst den Einsatz von Kriegsschiffen aller Klassen.
 
Meine Frage: Hat denn die brühmte Kanonenbootpolitik überhaupt etwas nachhaltiges bewirkt? Der "Panthersprung nach Agadir" unseres Wilhelm 2 war z.B. eher ein Schuss in den Ofen, denn zum Marokko-Kongo-Vertrag hätte es auch ohne Kanonenboot durch diplomatische Verhandlungen kommen können.


Die Entsendung der Panther war das Werk des Staatssekretär des AA Alfred von Kiderlen Wächter. Die Entsendung diente als diplomatische Drohgebärde um den deutschen Forderungen Nachdruck zu verleihen.
 
Die Entsendung der Panther war das Werk des Staatssekretär des AA Alfred von Kiderlen Wächter. Die Entsendung diente als diplomatische Drohgebärde um den deutschen Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Das ist mir schon klar, Turgot! Die Frage war: Hat solche Kanonenbootpolitik wirklich nachhaltiges bewirkt?
 
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