Karthago

Themistokles schrieb:
Die Frage ob man Karthago als Polis betrachten kann, finde ich sehr interessant (und im Menschenopferthread völlig unangebracht).
Wenn wir davon ausgehen, dass sich die Bürger zwar einer Stadt zugehörig fühlten, die relativ autark und autonom war, aber es anscheinend keinen abstrakten Staatsbegriff gab und Münzen "Privatsache" wahren, dann passt das imho sehr gut zum Begriff Polis. In aristokratischen Zeiten war der griechische Adlige auch zuerst Einzelperson und danach irgendwann Politiker. Die Staatsidee hatte sich also noch nicht durchgesetzt. Der Rat von Karthago war im Vergleich zur Volksversammlung auch deutlich mächtiger (bis Hannibal dies überarbeitete) und sehr aristokratisch geprägt. Damit wäre zwar Karthago strukturell etwas primitiv aber nicht weniger staatlich als das vorklassische Korinth oder Sparta.
Noch eine Frage: Von wann sind die ersten punischen Münzen?

Kann dir leider nicht beantworten von wann die ersten punischen Münzen sind, aber zu deiner Polisfrage bzw. der Frage nach dem karthagischen Staat kann ich euch nur auf den schon bestehenden Karthago-Thread verweisen in dem etliche Beiträge zu diesem Thema geschrieben sind. Einfach mal lesen.:cool:
 
Die Frage, wie stark Karthago einer Staatsidee verpflichtet war, halte ich für ungemein interessant.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass wirksame Staatsorgane vorhanden waren. Es gab einen – später zwei – jährlich wechselnde Suffeten an der Spitze, die antike Autoren oft mit Königen gleichsetzten. Ihr Name taucht auch in hebräisch "schophet" = Richer auf und war wohl identisch mit dem Titel des Regierungsoberhaupts der Stadt Tyros. Reichtum und Vornehmheit waren wichtige Voraussetzungen für die Wahl, was unter anderem verdeutlicht, dass die Staatsform Karthagos oligarchisch war.

Die Suffeten besaßen die exekutive und richterliche Gewalt, doch die Streitmacht war in der Hand gewählter Heerführer, von denen einige in früherer Zeit zugleich Suffeten gewesen zu sein scheinen. Die nahezu königliche Macht der Familie der Magoniden wurde im 5. Jh. eingeschränkt, doch blieb sie zusammen mit anderen führenden Familien weiterhin einflussreich.

Ein Senat (oder Rat) von 300 Mitgliedern auf Lebenszeit hatte die allgemeine Führung der Geschäfte, aus ihm wurde ein Ältestenausschuss (Rat der 30) gebildet und ein "Rat der 104", der als Kontrollorgan und oberster Gerichtshof fungierte.

Die im allgemeinen bedeutungslose Volksversammlung wählte die Beamten und trat nur bei Differenzen zwischen Suffeten und dem Rat der 30 in Erscheinung. Der Senat und die Magistrate konnten ohne Rücksicht auf den Volkswillen regieren, und obwohl das Volk bei den Wahlen bestimmte Rechte besaß, war der Einfluss der Masse der Bevölkerung marginal.

Die herrschende Klasse, die die Beamten stellte, setzte sich aus zwei rivalisierenden Gruppen zusammen: Großgrundbesitzer erstrebten die Festigung der Macht in Afrika, Großhandelskreise betrieben Eroberungspolitik in Übersee.

Diese Staatsstruktur ähnelt ein wenig der aristokratischen römischen Adelsrepublik, wo die Volkversammlung – die Komitien – ebenfalls vom Adel dominiert war, da die Stimmrechte so verteilt waren, dass die Vermögenden über die absolute Mehrheit verfügten. An der Staatsspitze standen zwei gewählte Konsuln, die in den zwei karthagischen Suffeten eine gewisse Entsprechung finden.

Im übrigen kann ich mich des – zugegebenermaßen subjektiven – Eindrucks nicht erwehren, dass der Staat Karthago eher wie eine riesige Handelsfaktorei geführt wurde, d.h. dass die Strukturen phönizischer Handelsniederlassungen im Grunde fortbestanden.

An Krieg und territorialer Expansion waren die Karthager im Grunde wenig interessiert. Vielmehr sollte der gewinnträchtige Handel florieren, der durch kriegerische Abenteuer nur Einbußen erltten hätte. Einbrüche fremder Mächte in die Interessensphäre Karthagos wurden selbstverständlich abgewehrt.

So ist es ja auch bemerkenswert, dass Karthagos Besitzungen nie mit eigenen Truppen verteidigt wurden, sondern die karthagischen Armeen weitgehend oder ausschließlich aus Söldnern bestanden: Libyern, Iberern, Galliern, Griechen, Kampaniern u.a. Die Bevölkerung Karthagos war zu schwach für eine nachhaltige Verteidigung.

Auch haben es die Karthager nie verstanden, die beherrschten Völker auf eine gemeinsame "Staatssidee" einzuschwören, sodass ihr Staatsgebilde einem energischen Aggressor weniger gewachsen war, als z.B. das republikanische Rom.
 
Zu den ersten punischen Münzen: hier trügte mich meine Erinnerung, H. R. Baldus schreibt (ebenfalls in dem von mir bereits schon einmal erwähnten Katalog der Karlsruher Ausstellung) von sizilianischen Münzen aus dem Jahr (ca.) 410 v. Chr., also schon lange vor dem ersten punischen Krieg - Zweck und Ziel der Münzen war aber erwiesenermaßen die Söldnerbezahlung. Und das bleibt auch weiterhin Hauptzweck karthagischer Münzen! Bis eben zu den Barkiden. Putziges Detail: Panormus (Sys) prägte Münzen nach griechischem Vorbild, mit griechischen Götterbild und allem, nur eben punischer Aufschrift …

Danke für diese sehr gute Zusammenfassung dessen, was wir über die karthagische Verfassung wissen, Dieter!

Was mir nicht recht klar ist: wie sah der "tribalistische Hintergrund" Karthagos aus? Wir kennen die Wahlkreise der griechischen Polis und den Tribus des römischen Bürgers, also die Struktur, innerhalb welcher der einzelne seine Mitsprache im Staat geltend machte. Irgendeine Form der Einteilung muss es auch hier gegeben haben. Und hatte Karthago tatsächlich "Adlige" oder waren das einfach "Reiche"? Es ist mir klar, dass sich diese Qualitäten in einer Oligarchie vermischen, aber Rom z. B. erlebte heftige Krisen, als mit einer wohlhabenderen Mittelschicht "Neureiche" neben die besitzende Klasse traten. Wenn die karthagische Bürgerschaft sich nach Vermögensklassen staffelte wie im Rom der jungen Republik (gut möglich, dass hier die Römer "gekupfert" haben; für eine bereits in relativ festen Ordnungen befindliche Gesellschaft haben sie sich hier eine erstaunlich ausgearbeitete und abgeklärte Ordnung "übergezogen") - war diese Struktur "durchlässig" oder nicht?
 
Die Quellenlage hinsichtlich der Staatsstruktur Karthagos ist nicht besonders günstig. Über den Wahlmodus der karthagischen Volksversammlung scheint daher auch nur wenig bekannt zu sein, doch ist zu vermuten, dass sie sich gestaffelt nach Vermögensklassen zusammensetzte. Einig sind sich alle Publikationen darin, dass nur wenige reiche Familien das Schicksal Karthagos bestimmten, die man sicher zum Stadtadel zählen muss, auch wenn es einen derartigen Begriff möglicherweise nicht gab.
 
Einen klitzekleinen Hinweis zum Gedanken des "religiösen Staatsverständnisses" gibt es doch, wenn auch über einen Umweg: Die "heilige Schar". Von diesen Soldaten ist uns überliefert, dass sie die am besten ausgerüstete und gedrillte Einheit der karthagischen Streitkräfte war, u. a. weil sie sich aus Söhnen der besten Familien der Stadt rekrutierte.

Ein Attribut wie "heilig" kriegt man nicht hinterhergeworfen, schon gar nicht als Soldat. Sie müssen also in irgend einer Form vor einer Gottheit eingeschworen worden sein, mit Zaubern belegt, offiziell geweiht, etc. - und hier liegt eine Parallele nahe zu einem uns überlieferten, sagenhaft-wahrscheinlichen religiösen Akt: dem Schwur Hannibals, "ewig ein Feind Roms zu sein". Vielleicht war Hannibal selber ein "Heiliger"?
 
Warum diese kleine Elitetruppe von etwa 2500 Soldaten, die sich ausschließlich aus punischen Bürgern zusammensetzten, "Heilige Schar" hieß, lässt sich kaum beantworten. Von der Funktion her war sie wohl eine Art "Bürgerwehr", auf die man sich in Notlagen unbedingt verlassen konnte, im Gegensatz zu den gemieteten Söldnertruppen, die in der Regel Karthagos Heeresmacht bildeten. Warum aber der Zusatz "Heilig" verwendet wurde, ist unklar, obwohl es gewiss diesbezügliche Hypothesen oder Spekulationen gibt.

Ein staatliches Selbstverständnis wird es gegeben haben, doch beschränkte sich das möglichwerweise auf die Stadt Karthago und ihr Umland, wo die Punier konzentriert siedelten. Der Charakter des Stadtstaates bleibt ja trotz der Kolonialgebiete in Spanien und im Mittelmeer unverkennbar und verweist auf das Erbe der phönikischen Stadtstaaten im Osten. Auch auf dem Gipfel seiner Macht war Karthago nie ein imperialer Staat im üblichen Sinn des Wortes. Wenn die phönikischen Kolonien des Westens an Karthago gebunden und von ihm abhängig waren, so geschah es objektiv durch die größere Macht, aber nicht durch eine Politik der Annexion und unmittelbaren Oberherrschaft.

Die Bürger der unterschiedliche Kolonien im Mittelmeer wurden nie als karthagisch angesehen und schlugen ihre eigenen Münzen – auf Sizilien und Ibiza sowie Cadiz. Soviel wir wissen, waren ihre Regierungen autonom; in Malta, Tharros und Cadiz spricht man von Suffeten und eine maltesische Inschrift erwähnt ein Regierungssystem mit Suffeten, Senat und Volk.

Nach dem System der phönikischen Stadtstaaten wie Tyros, Sidon oder Byblos bemühte sich auch Karthago um die Erweiterung des umliegenden Territoriums, doch erreichte dies nicht das Ausmaß, um den wesentlich städtischen Charakter des karthagischen Staates zu wandeln. Zudem ist zu beachten, dass im Innern des so vergrößerten Territoriums Städte wie Utica und Hadrumetum ihre innere Autonomie bewahrt haben.

Berücksicht man all diese Elemente, so erscheint Karthago doch als einmaliges Staatswesen, das sich von der Struktur des römischen Staates und der griechischen Polis deutlich abhebt. Nimmt man dann noch die in den Westen verpflanzte orientalische Religion hinzu, vertieft sich dieser Eindruck.
 
Dieter schrieb:
Die Frage, wie stark Karthago einer Staatsidee verpflichtet war, halte ich für ungemein interessant.

Grundsätzlich sicherlich eine interessante Fragestellung. Die Staatsstruktur hast du im folgenden ja kurz dargestellt, eine "Staatsidee" außer der Existenz eines Staatsapparates oder der Klassifizierung als Oligarchie ist aber nüchtern betrachtet nicht erkennbar. Welche Staatsidee vermutest du denn? Sollte ich deinen Eindruck der "Handelsfaktorei" als Staatsidee interpretieren?

Dieter schrieb:
Die herrschende Klasse, die die Beamten stellte, setzte sich aus zwei rivalisierenden Gruppen zusammen: Großgrundbesitzer erstrebten die Festigung der Macht in Afrika, Großhandelskreise betrieben Eroberungspolitik in Übersee.

Diese Staatsstruktur ähnelt ein wenig der aristokratischen römischen Adelsrepublik, wo die Volkversammlung – die Komitien – ebenfalls vom Adel dominiert war, da die Stimmrechte so verteilt waren, dass die Vermögenden über die absolute Mehrheit verfügten. An der Staatsspitze standen zwei gewählte Konsuln, die in den zwei karthagischen Suffeten eine gewisse Entsprechung finden.

Im übrigen kann ich mich des – zugegebenermaßen subjektiven – Eindrucks nicht erwehren, dass der Staat Karthago eher wie eine riesige Handelsfaktorei geführt wurde, d.h. dass die Strukturen phönizischer Handelsniederlassungen im Grunde fortbestanden.

Mein subjektiver Eindruck geht mehr in die Richtung, dass das karthagische Reich in seiner Struktur, ausdrücklich nicht in seiner Verfassung, dem attischen Seebund ähnelt.
Athen sicherte seine Versorgung mit den benötigten Ressourcen durch die Kontrolle der dafür benötigten Häfen. Nichts anderes tat man auch in Karthago. Es besteht ja ein eklatanter Unterschied zwischen dem "Versorgungshandel" und einem "Durchgangshandel". Letzterer war weder in Athen noch in Karthago der Grund für die Kontrolle der Häfen entlang der Versorgungsrouten.


Dieter schrieb:
An Krieg und territorialer Expansion waren die Karthager im Grunde wenig interessiert. Vielmehr sollte der gewinnträchtige Handel florieren, der durch kriegerische Abenteuer nur Einbußen erlitten hätte. Einbrüche fremder Mächte in die Interessensphäre Karthagos wurden selbstverständlich abgewehrt.

So ist es ja auch bemerkenswert, dass Karthagos Besitzungen nie mit eigenen Truppen verteidigt wurden, sondern die karthagischen Armeen weitgehend oder ausschließlich aus Söldnern bestanden: Libyern, Iberern, Galliern, Griechen, Kampaniern u.a. Die Bevölkerung Karthagos war zu schwach für eine nachhaltige Verteidigung.

An der Stelle müßte ich eigentlich wieder weit ausholen und den gesamten Kontext dieser historischen Fehlinterpretation Karthagos aufzeigen, aber dazu fehlt mir momentan die Zeit. Vor allem, da ich dies ab Beitrag 30 schon einmal halbwegs ausführlich dargelegt habe.

Die Gründe für diese "Schwäche" Karthagos hat Ameling sehr gut herausgearbeitet. Auf der Berechnungsgrundlage der Ausmaße des punischen Karthagos kann man sehr genau erkennen, dass Karthago schon von der Anzahl der Einwohner mit Rom nicht mithalten konnte.
Über die Größe der Bürgerschaft und deren Verteilung der Karthager auf die Flotte habe ich in diesem Strang in Beitrag 40 schon einmal die These Amelings knapp dargelegt.

Dieter schrieb:
Auch haben es die Karthager nie verstanden, die beherrschten Völker auf eine gemeinsame "Staatssidee" einzuschwören, sodass ihr Staatsgebilde einem energischen Aggressor weniger gewachsen war, als z.B. das republikanische Rom.

Haben das denn andere "Staatsgebilde" wirklich geschafft? Hat das republikanische Rom seine beherrschten italischen Völker auf eine gemeinsame Staatsidee eingeschworen? Wenn dem so war, wie erklärt sich dann die über Jahrhunderte schwehlende Unzufriedenheit der Bundesgenossen mit der römischen Staatsidee, die dann im Bundesgenossenkrieg gipfelte? Oder die Stellung der Bundesgenossen Athens und Sparta im peloponnesischen Krieg? Waren die auch eingeschworen? Waren das allesamt nicht eher einfach nur die schwächeren Partner, die kaum eine andere Wahl hatten? "Einschwören" auf eine Staatsidee ist da meines Erachtens viel zu weit gegriffen.
Aber dir ist durchaus zuzustimmen, dass Karthago's "menschliche Ressourcen" zu schwach war, um dem römischen Aggressor über einen längeren Zeitraum die Stirn bieten zu können.


Gruß

Marbod
 
Du hast mich missverstanden, Marbod, denn ich bin keinesfalls der Ansicht, dass Karthagos Verfassung etwa dem Attischen Seebund ähnelt. Eher finden sich Anklänge an die Verfassung der römischen Republik, wo die Komitien, d.h. die Volksversammlungen, ebenfalls vom Adel dominiert und so eingerichtet waren, dass die Vermögenden die absolute Mehrheit besaßen.

Leider erlaubt die Quellenlage keine Aussage darüber, wie sich die karthagische Volksversammlung zusammensetzte und wie sie gewählt wurde. Aber man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass sie ihrerseits die Suffiten wählte und wohl über grundsätzliche Fragen abstimmte, die der Senat formulierte.

Was die Befugnisse des Senats angeht, so musste er in allen politischen und administrativen Hauptfragen konsultiert werden. Die Quellen legen die Annahme nahe, dass er besonders darauf verpflichtet war, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Außerdem empfing und beorderte er Gesandte, befahl die Eintragung von Sklaven und Söldnern in Stammrollen und entschied über den Verlauf militärischer Operationen; er erließ Gesetze, überwachte die Verwaltung und die Steuerbehörde. Insofern bildete Senat – wie auch in der römischen Republik – das politische Entscheidungszentrum Karthagos.

Was Karthagos Handel angeht, so setzte er die von den phönikischen Städten begonnene Politik im Mittelmeerraum fort, entwickelte sie und wusste sie zu behaupten. Es gibt einen reichen Anekdotenschatz über den punischen Händlertyp: findig, geschickt aber auch skrupellos scheint er der Vorläufer des "Levantiners" neueren Datums zu sein. Den Handel Karthagos zu untersuchen heißt also, die Politik dieser Stadt zu betrachten. Diese ist u.a. gekennzeichnet durch folgende Elemente:

Die Erschließung von Märkten durch Gewalt oder Verträge der Koloniegründungen; das Vorrecht der Ausbeutung dieser Länder, von denen man jegliche Konkurrenz fernhalten konnte; die Regelung der Transaktionen durch Abmachungen über gegenseitige Vorteile in Ländern, wo jenes Monopol nicht eingerichtet werden konnte; die Sicherung der Freiheit der Meere sowie der Existenz der Stadt und der Seefaktoreien gegen Seeräuber.

Karthagos Grundsatz und überhaupt sein Ursprung darf erkannt werden in der Entdeckung und Ausbeutung der Metallstraße. Denn nach den Worten Diodors hatten die Phöniker die Silberbergwerke Spaniens entdeckt und herausgefunden, dass die Eingeborenen deren eigentlichen Wert nicht erkannten. So stützten sie sich auf eine Reihe von Faktoreien, deren letzter Vorposten Cadiz war, um den Handel mit dem kostbaren Metall zu kontrollieren. Hinzu kam das Gold aus Innerafrika und wohl auch noch das Zinn von den britischen Inseln (Cornwall), das den Metallhandel Karthagos komplettiert.

Daneben wurde natürlich mit allen Erzeugnissen des phöniko-punischen Handwerks gehandelt, mit Luxusgütern ebenso wie mit Massenware: Purpurstoffe, Teppiche, Juwelen, kleine Ziergegenstände, Amulette, Glaswaren, Waffen und Metallgeräte, Töpferein usw. Ferner Erzeugnisse aus Sizilien oder Sardinien wie Weizen, Wein und Öl. Als weiteres Importgeschäft ist der Sklavenhandel zu nennen. – Überall gründeten die Karthager Faktoreien und entfalteten eine unablässige diplomatische Wirksamkeit, um Rechte und Bedingungen des Handels zu befestigen.

Karthago erscheint also vorwiegend als Handelsmacht, was u.a. auch Werner Huß, einer der international renommiertesten Karthagoforscher, nachweist. Demgegenüber halte ich manche These des Walter Ameling, der zu Beginn dieses Thread mehrfach angeführt wurde, für wenig glaubhaft und spekulativ. Anerkannte Lehrmeinung ist zweifellos die des Werner Huß.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieter schrieb:
Du hast mich missverstanden, Marbod, denn ich bin keinesfalls der Ansicht, dass Karthagos Verfassung etwa dem Attischen Seebund ähnelt. Eher finden sich Anklänge an die Verfassung der römischen Republik, wo die Komitien, d.h. die Volksversammlungen, ebenfalls vom Adel dominiert und so eingerichtet waren, dass die Vermögenden die absolute Mehrheit besaßen.

Da verstehst du mich jetzt völlig falsch. Ich hab in keinster Weise dir unterstellt, dass du Karthago eine Ähnlichkeit zum attischen Seebund zuweist. Das habe explizit ich für mich selbst getan! So wie du deine subjektive Empfindung über die karthagische Staatsverwaltung als solche
vorgestellt hast, habe ich dem meine eigene subjektive Sichtweis gegenüber gestellt, weiter nichts...

Dieter schrieb:
Karthago erscheint also vorwiegend als Handelsmacht, was u.a. auch Werner Huß, einer der international renommiertesten Karthagoforscher, nachweist. Demgegenüber halte ich manche These des Walter Ameling, der zu Beginn dieses Thread mehrfach angeführt wurde, für wenig glaubhaft und spekulativ. Anerkannte Lehrmeinung ist zweifellos die des Werner Huß.

Sorry Dieter, aber wenn das deine Argumentation sein soll, dann bringt es nichts mit dir zu diskutieren. Da könnte ich ebenfalls einfach behaupten, dass ich als Historiker das Thema wesentlich besser beurteilen kann als du als Verlagslektor. So eine Haltung bringt meiner Meinung nach nichts. "Totschlagargumente" findet man daher selten in unserem Forum, das sollte man auch beibehalten.

So wie du manche These Amelings für wenig glaubhaft und spekulativ hältst(Welche im übrigen? Das wäre vielleicht ganz interessant.), so kann man diese Haltung mit Recht auch auf die von dir als solche postulierte "Lehrmeinung" Huß' anwenden. Ameling hat einige Thesen der althergebrachten Lehrmeinung als falsch darlegen können und damit deren Grundfeste erschüttert. Nebenbei keineswegs spekulativ oder nur wenig glaubhaft, denn das Werk war seine Habilitationsschrift! Eine glaubhafte Widerlegung von Amelings Thesen durch Werner Huß fehlt wiederum. Leider hat sich dieses Thema zu einem persönlichen Streit zweier Geschichtsprofessoren entwickelt, was natürlich einen mehr als faden Beigeschmack beinhaltet,da seit Jahren keine Bewegung im Streit ersichtlich ist.

Im übrigen findet sich Amelings Werk seit seinem Erscheinen in der engeren Literaturliste jedes Seminars zu Karthago an deutschen Universitäten. Es hat also sehr wohl seinen Einzug in die Lehre gehalten! Das dafür Werner Huß schon ein Bändchen bei C.H.Beck Wissen publiziert hat soll hier bitte kein Qualitätscharakteristikum sein.
 
Mein lieber Marbod, mit meinem Hinweis auf die Herren Ameling und Huß wollte ich vermeiden, dass wir erneut alle Argumente austauschen, die seit deinem Posting Nr. 30 über die Bedeutung Karthagos als Handelsmacht ausführlich erörtert wurden. In Kenntnis deiner Argumente also nur meine Anmerkung, dass ich sie nicht teile.

Korrigieren darf dich in einem Punkt: Als Geschichtslektor habe ich selbstverständlich auch ein Geschichtsstudium absolviert, sonst könnte ich meinen Beruf nicht ausüben!
 
Dieter schrieb:
Mein lieber Marbod, mit meinem Hinweis auf die Herren Ameling und Huß wollte ich vermeiden, dass wir erneut alle Argumente austauschen, die seit deinem Posting Nr. 30 über die Bedeutung Karthagos als Handelsmacht ausführlich erörtert wurden. In Kenntnis deiner Argumente also nur meine Anmerkung, dass ich sie nicht teile.

Mit Verlaub, wir tauschen hier keine Argumente aus. Du plauderst lediglich aus dem C.H.Beck Wissen Band von Huß, mehr kam da nicht... Bisher hast du keines meiner bzw. der Argumente Amelings widerlegen können (oder auch nur Interesse daran gezeigt), du hast lediglich Huß Sichtweise unkritisch und inhaltslos dagegen gehalten. Zum Abschluß nun auch noch mit dem Argument, dies sei ja schließlich Lehrmeinung. Bravo!
Was du bisher geschrieben hast klingt nach jemanden, "der sich seine Meinung nicht von Fakten kaputt machen lässt". Schade, aber damit lohnt es die Mühe nicht mit dir zu diskutieren.


Dieter schrieb:
Korrigieren darf dich in einem Punkt: Als Geschichtslektor habe ich selbstverständlich auch ein Geschichtsstudium absolviert, sonst könnte ich meinen Beruf nicht ausüben!

Dann gratuliere ich dir dazu, dass du zu denjenigen gehörst, die diesen Beruf noch ausüben zu dürfen, obwohl ich schätze, dass du der älteren Generation angehörst und das Studium dementsprechend schon länger her ist.
Ich kann wohl trotzdem mit einigem Recht behaupten, dass ich in der Materie als Wissenschaftler tiefer drinn stecke als ein Lektor.

Abschließen würde ich vorschlagen, dass wir uns in Themen, in denen wir konträre Meinungen vertreten, einfach aus dem Weg gehen. Eine ernsthafte Diskussion mit dir scheint nicht möglich zu sein.
 
Warum diese Schärfe, Marbod? Dazu besteht doch keinerlei Veranlassung, noch weniger ein unsachlicher Tonfall.

Was das Buch des Herrn Huß angeht, so habe ich es vor so langer Zeit angeschaut, dass ich kaum noch daraus zitieren könnte. Meine Anmerkungen zu Karthago speisen sich eher aus vielen Publikationen, die ich im Lauf der Jahre gelesen habe, die ich aber nicht mehr detailliert benennen kann. Es mag aber sein, dass die Forschungsergebnisse dieser Autoren in ähnliche Richtungen wie die von Werner Huß gingen, sodass hier eine gewisse Identität zustande kommt.
 
Dieter schrieb:
Warum diese Schärfe, Marbod? Dazu besteht doch keinerlei Veranlassung, noch weniger ein unsachlicher Tonfall.

Das liegt in der Sache selbst. Ich habe in den letzten Jahren nicht nur hier schon regelrecht gebetsmühlenartig die Thesen Amelings wiederholt und für eine neue, kritischere Herangehensweise an das Thema Karthago gefordert. Die Reaktionen reichten (Gott sei Dank) von Zustimmung bis hin zu offener Ablehnung, die teilweise in regelrechte Bösartigkeiten ausartete, weil ich an festgefahrenen Weltbildern rüttelte. Das prägt eben.
Amelings Thesen sind aus wissenschaftlicher Sicht die mit Abstand intelligentesten und auch methodisch fundiertesten Thesen zum Thema Karthago. Mittlerweile bin ich (leider) ziemlich dünnhäutig bei diesem Thema geworden, da es von der Gegenseite nur stumpfsinnige Wiederholungen der älteren Forschungsmeinung gibt ohne auch nur ein Argument widerlegen zu können. Das ist eben keine Diskussionsgrundlage.
Mag sein, dass ich dir da Unrecht tue, aber ich bin eben kein Don Quijote, der immer wieder freudig gegen Windmühlen rennen mag. Wenn ich also sehe, dass du Argumente nicht aufgreifst sondern mit vermeintlichen Gegenargumenten belegst, dann sehe ich keinen Sinn in der Weiterfürhrung einer Diskussion. Wenn dich die Schärfe beleidigt haben sollte, dann möchte ich mich hiermit dafür entschuldigen.

Dieter schrieb:
Was das Buch des Herrn Huß angeht, so habe ich es vor so langer Zeit angeschaut, dass ich kaum noch daraus zitieren könnte. Meine Anmerkungen zu Karthago speisen sich eher aus vielen Publikationen, die ich im Lauf der Jahre gelesen habe, die ich aber nicht mehr detailliert benennen kann. Es mag aber sein, dass die Forschungsergebnisse dieser Autoren in ähnliche Richtungen wie die von Werner Huß gingen, sodass hier eine gewisse Identität zustande kommt.

Und das ist auch nicht weiter verwunderlich, da alle diese Forscher von Beginn an den gleichen Gedankenfehler machen. Das ganze ist ein einziger großer Zirkelschluß geworden. Angefangen bei Macchiavelli zieht sich das bis in die heutige Zeit.
 
Dass du bei diesem Thema so stark vorbelastet warst, war mir natürlich nicht bekannt, insofern kann ich das gut verschmerzen.

Also ich kann nur sagen, Marbod, dass mir die bisher bekannten Darstellungen zur handelspolitischen Bedeutung Karthagos überaus einsichtig erscheinen. Ein Konzentrat davon findest du oben in meinem Posting Nr. 89, dessen Argumente ich hier nicht noch einmal wiederholen möchte. Nur noch dies:

Unzweifelhaft lebten die Städte Phönikiens besonders vom Handel, was schon aus der geografischen Lage (kaum Hinterland, gute Häfen, Seefahrervolk usw,), aber auch aus vorhandenen Quellen hervorgeht. Sie gründeten im ganzen Mittelmeer Handelsfaktoreien, die nicht Stützpunkte zur Eroberung des Hinterlandes waren, sondern ebenfalls den Handel bedienen sollten. Auch Karthago entstand in handelspolitisch günstiger Lage und der Weg zur Handelsmacht war damit vorgezeichnet.

Ist Ameling nicht dieser Ansicht und wenn nein, warum nicht?

Leider muss ich mich für heute verabschieden, aber vielleicht erzählst du gelegentlich, warum sich Ameling und Huß so bitter befehden. Das war mir nicht bekannt, beweist aber wohl einige wissenschaftliche Brisanz. Ähnliches hatten wir ja vor einiger zeit beim Thema "Troja – bedeutende Handelsstadt oder unbedeutender Adelssitz".
 
Dieter schrieb:
Also ich kann nur sagen, Marbod, dass mir die bisher bekannten Darstellungen zur handelspolitischen Bedeutung Karthagos überaus einsichtig erscheinen. Ein Konzentrat davon findest du oben in meinem Posting Nr. 89, dessen Argumente ich hier nicht noch einmal wiederholen möchte. Nur noch dies:

Unzweifelhaft lebten die Städte Phönikiens besonders vom Handel, was schon aus der geografischen Lage (kaum Hinterland, gute Häfen, Seefahrervolk usw,), aber auch aus vorhandenen Quellen hervorgeht. Sie gründeten im ganzen Mittelmeer Handelsfaktoreien, die nicht Stützpunkte zur Eroberung des Hinterlandes waren, sondern ebenfalls den Handel bedienen sollten. Auch Karthago entstand in handelspolitisch günstiger Lage und der Weg zur Handelsmacht war damit vorgezeichnet.

Ist Ameling nicht dieser Ansicht und wenn nein, warum nicht?


Ich hab selber nicht viel Zeit um das nochmal ausgiebigst alles darzulegen. Ich machs deswegen verhältnismäßig kurz:

Was Ameling, meiner Meinung nach zu Recht, fordert ist eine Abkehr von der einschränkenden Definition als "Handelsmacht" oder eindringlicher "Handelsaristokratie". Hierbei vertritt er auch gar nicht eine Art Gegenpol-Ansicht, dass es in Karthago keinen Handel gegeben hätte, das nur vorweg. Es geht ihm um einzig und allein um die herkömmliche Herangehensweise der Wissenschaft an das Thema "Karthago".
Ameling weist darauf hin, dass man in der Geschichte der Historischen Wissenschaft neben Karthago unter anderem auch die Stadt Korinth lange Zeit als "Handelsmacht" gesehen und dementsprechend auch die Forschungssicht darauf ausgerichtet hat. Mittlerweile ist man im Falle Korinths, aber auch anderer Städte wie Marseille (eigentlich aller Städte, außer eben Karthago), davon abgekehrt diese im Fokus einer "Handelsmacht" zu sehen und ausschließlich als solche zu charakterisieren und vor allem jegliche Argumentation darauf aufzubauen. Es geht dabei vornehmlich um die Begrifflichkeit "Handelsmacht" und die Frage in wie weit ein solcher durch moderne Vorstellungen belasteter Begriff in der Antike überhaupt Gültigkeit haben kann. Es gibt mittlerweile etliche Untersuchungen darüber, dass man im Falle der antiken Städte sehr genau zwischen Durchgangs bzw. Versorgungshandel differenzieren muß. Führt man das ganze konsequent aus, dann darf man getrost auch Athen als Handelsmacht herausstellen, ebenso das hochrepublikanische Rom, das spätantike Konstantinopel usw. So etwas würde aber völlig zu Recht nicht geschehen, da dies den tatsächlichen Gegebenheiten in keiner Weise gerecht werden würde.
Einzig Karthago wird noch so gesehen. Warum? Weil wir ja alle aus der Schule noch wissen, dass Karthago eine Handelsmacht war. Woher wissen wir das? Aus den Quellen der Sieger, von denen jedem Althistoriker bekannt ist, dass sie keine tatsächlichen Begebenheiten darstellen und man dort methodisch sehr genau vorgehen muß um zwischen den Zeilen lesen zu können. Das dies im Falle Karthago nicht getan wurde macht Ameling in seinen Studie deutlich. Er wendet sich mit textkritischem Ansatz an die wenigen schriftlichen Quellen, die überhaupt die Ausgangslage für die „verbreitete Forschungsmeinung“ war. Seine Analyse der Athenaion Politeia ist dabei wirklich exzellent, denn er orientiert sich in seiner Argumentation eng am Text und weist die Fehlinterpretation durch die traditionelle Forschung auf!
Es steht in keiner antiken Quelle über die karthagische Verfassung, dass es sich um eine Handelsaristokratie gehandelt hätte, oder auch nur, dass der karthagische Staat vom Handel bestimmt gewesen ist. Alles was die Forschung aber an Theorien hervorgebracht hatte, geschah unter der strikten Annahme, das Karthago schlechthin die Handelsmacht der Antike gewesen ist. So ist es auch kein Wunder, dass man wie Dieter von „Kolonien“ als „Handelsfaktoreien“ spricht ( Ob phoinikisch oder Karthagisch ist dabei völlig egal, es geht nur um die stur auf diese Interpretation ausgerichtete Argumentation).
Diese Interpretation liegt nahe, denn das muß ja so gewesen sein, da Karthago ja die antike Handelsmacht war (Wissen wir ja alle). Man arbeitet dabei aber freudig mit Begrifflichkeiten und Theorien, die auf keiner soliden Quellenbasis stehen, methodisch also nichts als „Phantasie mit Schneegestöber“ sind. Man sieht das, was man sehen will und nicht das was wirklich da ist. Es werden im Fall Karthagos viele Indizien aneinandergereiht um ein Bild zu erhalten. Das große Problem dabei ist, dass man ein vorgefertigtes Bild im Kopf hat und darauf dann die Interpretation der Indizien ausrichtet. Ameling hat dies nicht getan.
Die ganze traditionelle Sichtweise bricht dann zusammen wie ein Kartenhaus. Das ist auch ein Grund für den Zwist zwischen Huß und Ameling. Völlig verständlich, dass ein Forscher, dessen „Lebenswerk“ durch einen Kollegen zu Recht in Frage gestellt wird, seine Position verhärtet. Das ist leider all zu menschlich. Wer gibt schon zu, dass seine ganze Forschung für die Katz war?
Ist jetzt sehr überspitzt dargestellt, mit Sicherheit ist Huß’ Forschung nicht in Gänze für die Katz, aber man müsste sie in essentiellen Teilen revidieren.

Was bleibt also zum Schluß? Es ist einfach nötig den Blickwinkel im Falle Karthagos etwas weiter zu stellen und die stereotypen Denkmodelle der Vergangenheit auch endlich dort zu belassen. Auch die Karthager lassen sich nicht in einfache Modelle pressen. Man hat die Karthager im Laufe der letzten Jahrhunderte schon mit Venedig verglichen oder mit dem britischen Empire, man hat sie in eine semitische Ecke gestellt, kurz, man hat sie instrumentalisiert, ebenso wie schon die Römer und Griechen es getan haben. Den wirklichen "Charakter" hat man dabei gar nicht greifen wollen, damit sollte man endlich anfangen, es gibt noch sehr viel aufzuholen!
 
Es ist leider wahr, dass uns über die Geschichte der phönikischen Expansion in Afrika und besonders über das Schicksal der karthagischen Macht praktisch direkte Quellen fehlen. Dass es solche gegeben hat und dass zumindest einige klassische Autoren, wie ihre Werke zeigen, daraus geschöpft haben, steht außer Zweifel. Die wenigen Inschriften aus den phönikischen Kolonien oder aus Karthago sind religiösen und kultischen Inhalts, während politische und soziale Informationen fehlen.

Insofern sind wir also auf griechische und lateinische Autoren angewiesen, die vor allem ihre Aufmerksamkeit auf die Kriege zwischen Karthago und Syrakus, dann zwischen Karthago und Rom richten. Für das übrige gibt es nur gelegentliche Informationen: die Bemerkungen des Aristoteles über die punische Verfassung, die Erzählung des Polybios über den Aufruhr der Söldner, die griechische Bearbeitung von Hannos Inschrift.

Natürlich wird ersichtlich, dass hinter den Quellen verschiedene Absichten stecken, denn es gab erbitterte Feinde, die man in ein übles Licht setzen wollte. Es wäre aber völlig verfehlt, jede römische Quelle nun als Propaganda abzutun, besonders wenn Quellen unterschiedlicher Autoren im Kern ähnliches berichten. Wer all diese Quellen verwirft, kann sich natürlich ein ganz eigenes Bild von Karthago bauen, das ganz seinen eigenen Vorstellungen entspricht. Besonders, wenn er sich an anderer Stelle auf ihm genehme römische Quellen stützt.

So ist also zunächst festzuhalten, dass es bei der Gründung Karthagos darum ging, einen Brennpunkt phönikischer Wirksamkeit im Westen zu stabilisieren. Dieser Plan zielte auf einen günstig gelegenen Hafen, auf den sich die phönikische Schifffahrt stützen sollte.

Die Schifffahrt war natürlich kein Selbstzweck, sondern diente dem Handel, wie alle phönikischen Stützpunkte im Mittelmeer unzweifelhaft Handelsfaktoreien waren. Sie sollten weder Brückenköpfe für weiträumige Invasionen sein, noch sollten sie Imperien begründen. Ihr einziges Ziel bestand darin, Handel zu treiben. Und so ist denn auch Karthago als Handelsniederlassung gegründet worden und der Handel bildete während seiner gesamten staatlichen Existenz den Kern seiner staatlichen Aktivitäten – sofern diese nicht von unfridlichen Mächten gestört wurden, denen Karthago dann energisch begegnete.

Karthago wäre auch nicht in der Lage gewesen, seine Existenz anders zu sichern, da schon die Bevölkerungsgrundlage nichts anderes zuließ. Die bestand aus einer dünnen Schicht phönizischer Siedler, die um 800 v. Chr. auf einigen Schiffen gelandet waren. Da ihr Ziel die Gründung einer Handelsniederlassung – wie an vielen Orten des Mittelmeers – gewesen war, bildeten die phönikischen Siedler künftig den schmalen Kern einer Handelsaristokratie. Denn ein gewachsener breiter Bauernstand wie im römischen Italien oder in Griechenland fehlte gänzlich, und im Hinterland saßen numidische und libysche Stämme. So siedelten die Punier/Phönizier in Karthago und im engen Hinterland, entwickelten auch künftig keinen punischen Bauernstand und betätigten sich in den Städten als Händler und Handwerker.

Dass karthagische Handelsherren auch Großgrundbesitzer waren und auf ihren Länderein landwirtschaftliche Produkte anbauten, versteht sich von selbst. Doch ist dies von ganz anderer Qualität, als es ein Stand punischer Bauern gewesen wäre.

Von den Puniern selbst wurde nur das dicht um die Haptstadt liegende Gebiet bebaut. Jenseits dieser Gegend und weiter im Innern lag die von den Libyern bewirtschaftete Zone, die den Besitz des Bodens gegen schwere Tributzahlungen behielten. Dies Land lieferte vor allem Weizen und auch Gerste und es lag als Kornkammer in der Hand der Eingeborenen. – Damit hatte sich eine vorgezeichnete Aufgabenteilung ergeben: die autochthone Bevölkerung trieb den wesentlichen Teil der Landwirtschaft, der dünne punische Bevölkerungsteil lebte vorzugsweise in den Städten und war mit Handel und Handwerk beschäftigt.

Womit die karthagischen Handelsherren handelten, ist aus unzähligen Funden und schriftlichen Quellen bekannt. Karthago exportierte purpurgefärbte Stoffe, Teppiche, Juwelen und kleine Ziergegenstände, Amulette, überarbeitete Straußeneier, Glaswaren, Waffen und Metallgeräte, Töpfereien und Aromata (s. auch mein Posting oben). Wichtig war der Handel mit Metallen, von denen laut Diodor das Silber aus spanischen Bergwerken stammte, während Gold aus Innerafrika kam. Auch gab es Vermittlungsgeschäfte für andere. So fanden z.B. griechische Waren den Weg ins Abendland durch Vermittlung karthagischer Händler.

Von einem Handel Karthagos zur Selbstversorgung kann bei diesem Umfang also keine Rede sein. Karthago war im Gegenteil ein ausgesprochenes Handelsimperium, und aus dem Handel bestritt es alle Mittel seiner Existenzsicherung, bis hin zu den Söldnerarmeen. Die kleine Elitetruppe der "Heiligen Schar", die mit 2500 Soldaten von Puniern gebildet wurde, bestätigt nur, wie stark Karthago auf Söldner angewiesen war. Die dünne punische Bevölkerungsbasis ließ keine andere Wahl.

Als Stütze und Voraussetzung seiner kommerziellen Fernwirkung unternahm Karthago ferner eine Reihe großer Entdeckungsreisen, die ein Hauptkapitel in der Forschungsgeschichte bilden, und der Erschließung neuer Handelsräume gewidmet waren.
 
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Dieter schrieb:
Natürlich wird ersichtlich, dass hinter den Quellen verschiedene Absichten stecken, denn es gab erbitterte Feinde, die man in ein übles Licht setzen wollte. Es wäre aber völlig verfehlt, jede römische Quelle nun als Propaganda abzutun, besonders wenn Quellen unterschiedlicher Autoren im Kern ähnliches berichten. Wer all diese Quellen verwirft, kann sich natürlich ein ganz eigenes Bild von Karthago bauen, das ganz seinen eigenen Vorstellungen entspricht. Besonders, wenn er sich an anderer Stelle auf ihm genehme römische Quellen stützt.

Dieter, weder Ameling noch sonst jemand der "kritischen Sichtweise" verwerfen diese Quellen. Im Gegenteil, diese Quellen werden ganz nach den Regeln der Quellenkritik analysiert! Das kannst du am besten selber nachlesen. Die Forschungsseite, der du hier anhängst, hat aber genau das getan, was du oben der anderen Partei vorwirfst, sie hat die Quellen verworfen und sich ein Bild von Karthago gebaut, das ganz deren Vorstellungen entspricht! Ums mal zu verdeutlichen: Würde die heutige Germanenforschung so unkritisch mit ihren Quellen umgehen wie die Forschung zu Karthago, dann würde man heute noch die Germanenbilder des Cäsar und des Tacitus als bare Münze nehmen!

All das was du hier aufgezählt hast, das wirkt zwar vielleicht in sich schlüssig, ist aber einzig auf der Annahme konstruiert, das Karthago genau das ist für was du es hältst, ein Handelsimperium. Da kann man aus jeder beliebigen antiken Großstadt ein Handelsimperium machen, wenn man da so herangeht wie du und unzweifelhafte "Tatsachen" präsentiert.

Mir fehlt die Zeit um deine ganzen Punkte einzeln zu kritisieren. Es sind nur eben Interpretationen, die auf deiner Fehlannahme beruhen und nichts weiter sonst. "Unzweifelhaft" (dein Lieblingswort dem Anschein nach) ist aber beispielsweise, dass die Echtheit des Periplus des Hanno nach heutigem Forschungsstand stark in Zweifel gezogen wird.
 
Es scheint eines der natuerlichen Phaenomene des Fachwissens zu sein, dass man sich - der man unter hunderttausend Menschen gerade einen gefunden hat, der das Fachwissen zu 95% teilt - mit diesem einen gerade ueber diese 5% in die Haare geraet, in denen das Wissen divergiert. Euer Streit ist zwar moderat und wird sachlich und fast freundlich gefuehrt, dennoch dreht sich der Streit her um sich selbst und nicht darum, Erkenntnisse ueber Karthago zu eroertern.
Verzeiht mir bitte diese Einmischung von einem Internetcafe in einer Hotellobby an einem Ort, wo man keine Umlauttastaturen hat und wohin der Beruf mich verschlug - und sag' mir, Marbod, warum ist der Periplous des Hanno eine Faelschung? Und von wem?
 
Wenn Du auf der Tastatur vor Dir, wo sonst das [ä] wäre die Symbole [´] oder [¨] findest, dann kannst Du mit Hilfe dieser Taste auch Umlaute schreiben. Ansonsten genieß Deinen Urlaub!
 
Mummius Picius schrieb:
...und sag' mir, Marbod, warum ist der Periplous des Hanno eine Faelschung? Und von wem?

Der Gelehrtenstreit dreht sich um die Tatsache, dass dieser uns überlieferte Periplus des Hanno aus einem Kodex stammt, der erst im 9.Jh. verfasst worden ist. Ich zweifele gar nicht an, dass es diesen Periplus gegeben hat. Hinweise darauf finden sich ja schon im 3. Jh. v. Chr., nur eben ohne tiefere Details. Jene stammen erst aus einer viel späteren Zeit und es ist zumindest fragwürdig, ob man bei einer Zeitspanne von fast anderthalb Jahrtausenden, die zwischen dem Periplus und der uns bekannten Überlieferung liegen, diese Details bzw. den Text als absolut zuverlässige Quelle ansehen kann.
 
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