Dieter schrieb:
Also ich kann nur sagen, Marbod, dass mir die bisher bekannten Darstellungen zur handelspolitischen Bedeutung Karthagos überaus einsichtig erscheinen. Ein Konzentrat davon findest du oben in meinem Posting Nr. 89, dessen Argumente ich hier nicht noch einmal wiederholen möchte. Nur noch dies:
Unzweifelhaft lebten die Städte Phönikiens besonders vom Handel, was schon aus der geografischen Lage (kaum Hinterland, gute Häfen, Seefahrervolk usw,), aber auch aus vorhandenen Quellen hervorgeht. Sie gründeten im ganzen Mittelmeer Handelsfaktoreien, die nicht Stützpunkte zur Eroberung des Hinterlandes waren, sondern ebenfalls den Handel bedienen sollten. Auch Karthago entstand in handelspolitisch günstiger Lage und der Weg zur Handelsmacht war damit vorgezeichnet.
Ist Ameling nicht dieser Ansicht und wenn nein, warum nicht?
Ich hab selber nicht viel Zeit um das nochmal ausgiebigst alles darzulegen. Ich machs deswegen verhältnismäßig kurz:
Was Ameling, meiner Meinung nach zu Recht, fordert ist eine Abkehr von der einschränkenden Definition als "Handelsmacht" oder eindringlicher "Handelsaristokratie". Hierbei vertritt er auch gar nicht eine Art Gegenpol-Ansicht, dass es in Karthago keinen Handel gegeben hätte, das nur vorweg. Es geht ihm um einzig und allein um die herkömmliche Herangehensweise der Wissenschaft an das Thema "Karthago".
Ameling weist darauf hin, dass man in der Geschichte der Historischen Wissenschaft neben Karthago unter anderem auch die Stadt Korinth lange Zeit als "Handelsmacht" gesehen und dementsprechend auch die Forschungssicht darauf ausgerichtet hat. Mittlerweile ist man im Falle Korinths, aber auch anderer Städte wie Marseille (eigentlich aller Städte, außer eben Karthago), davon abgekehrt diese im Fokus einer "Handelsmacht" zu sehen und ausschließlich als solche zu charakterisieren und vor allem jegliche Argumentation darauf aufzubauen. Es geht dabei vornehmlich um die Begrifflichkeit "Handelsmacht" und die Frage in wie weit ein solcher durch moderne Vorstellungen belasteter Begriff in der Antike überhaupt Gültigkeit haben kann. Es gibt mittlerweile etliche Untersuchungen darüber, dass man im Falle der antiken Städte sehr genau zwischen Durchgangs bzw. Versorgungshandel differenzieren muß. Führt man das ganze konsequent aus, dann darf man getrost auch Athen als Handelsmacht herausstellen, ebenso das hochrepublikanische Rom, das spätantike Konstantinopel usw. So etwas würde aber völlig zu Recht nicht geschehen, da dies den tatsächlichen Gegebenheiten in keiner Weise gerecht werden würde.
Einzig Karthago wird noch so gesehen. Warum? Weil wir ja alle aus der Schule noch wissen, dass Karthago eine Handelsmacht war. Woher wissen wir das? Aus den Quellen der Sieger, von denen jedem Althistoriker bekannt ist, dass sie keine tatsächlichen Begebenheiten darstellen und man dort methodisch sehr genau vorgehen muß um zwischen den Zeilen lesen zu können. Das dies im Falle Karthago nicht getan wurde macht Ameling in seinen Studie deutlich. Er wendet sich mit textkritischem Ansatz an die wenigen schriftlichen Quellen, die überhaupt die Ausgangslage für die „verbreitete Forschungsmeinung“ war. Seine Analyse der Athenaion Politeia ist dabei wirklich exzellent, denn er orientiert sich in seiner Argumentation eng am Text und weist die Fehlinterpretation durch die traditionelle Forschung auf!
Es steht in keiner antiken Quelle über die karthagische Verfassung, dass es sich um eine Handelsaristokratie gehandelt hätte, oder auch nur, dass der karthagische Staat vom Handel bestimmt gewesen ist. Alles was die Forschung aber an Theorien hervorgebracht hatte, geschah unter der strikten Annahme, das Karthago schlechthin die Handelsmacht der Antike gewesen ist. So ist es auch kein Wunder, dass man wie Dieter von „Kolonien“ als „Handelsfaktoreien“ spricht ( Ob phoinikisch oder Karthagisch ist dabei völlig egal, es geht nur um die stur auf diese Interpretation ausgerichtete Argumentation).
Diese Interpretation liegt nahe, denn das muß ja so gewesen sein, da Karthago ja die antike Handelsmacht war (Wissen wir ja alle). Man arbeitet dabei aber freudig mit Begrifflichkeiten und Theorien, die auf keiner soliden Quellenbasis stehen, methodisch also nichts als „Phantasie mit Schneegestöber“ sind. Man sieht das, was man sehen will und nicht das was wirklich da ist. Es werden im Fall Karthagos viele Indizien aneinandergereiht um ein Bild zu erhalten. Das große Problem dabei ist, dass man ein vorgefertigtes Bild im Kopf hat und darauf dann die Interpretation der Indizien ausrichtet. Ameling hat dies nicht getan.
Die ganze traditionelle Sichtweise bricht dann zusammen wie ein Kartenhaus. Das ist auch ein Grund für den Zwist zwischen Huß und Ameling. Völlig verständlich, dass ein Forscher, dessen „Lebenswerk“ durch einen Kollegen zu Recht in Frage gestellt wird, seine Position verhärtet. Das ist leider all zu menschlich. Wer gibt schon zu, dass seine ganze Forschung für die Katz war?
Ist jetzt sehr überspitzt dargestellt, mit Sicherheit ist Huß’ Forschung nicht in Gänze für die Katz, aber man müsste sie in essentiellen Teilen revidieren.
Was bleibt also zum Schluß? Es ist einfach nötig den Blickwinkel im Falle Karthagos etwas weiter zu stellen und die stereotypen Denkmodelle der Vergangenheit auch endlich dort zu belassen. Auch die Karthager lassen sich nicht in einfache Modelle pressen. Man hat die Karthager im Laufe der letzten Jahrhunderte schon mit Venedig verglichen oder mit dem britischen Empire, man hat sie in eine semitische Ecke gestellt, kurz, man hat sie instrumentalisiert, ebenso wie schon die Römer und Griechen es getan haben. Den wirklichen "Charakter" hat man dabei gar nicht greifen wollen, damit sollte man endlich anfangen, es gibt noch sehr viel aufzuholen!