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Und dieser Umstand wird auch dadurch erklärt, dass trotz eines totalitären Anspruchs das SED-Regime auch viele Nischen gekannt hat, bis runter auf die Ebene der Kindergärten.
@thane
Genau und korrekt, aber das beschreibt ein Problem. Wie alle Systeme, so hat auch ein totalitäres System, Zielhierarchien. Diese Zielhierarchien sind aber i.d.R. nicht normativ formuliert, sondern können nur mehr oder weniger indirekt ermittelt werden z.B. mittels vw Ressourcenbindung, tatsächlicher und somit empirisch nachweisbarer politischen, militärischen und ökonomischen Handelns der Systemprotagonisten. D.h., m.E. je niedriger das normative Ziel in der informellen Zielhierachie steht, desto schwieriger wird die empirische Nachweisführung. Hinzu kommen, Konflikte der, nennen wir sie mal, Zielprotagonisten, diese wurden entschieden durch die
informelle Stellung innerhalb der Partei- bzw. Staatshierarchie.
Damit ich nicht vollkommen in die Theorie abdrifte, bleiben wir bei unserem Beispiel: Kindergarten.
Kinderbetreuung hatte, generell wie Du richtig schriebst, einen relativ niedrigen Stand in der Zielhierarchie der DDR. Der ökonomische Aspekt der Kinderbetreuung, und zwar Kinderaufbewahrung zur Sicherstellung einer hohen Frauenbeschäftigungsquote, aber wiederum einen sehr hohen, und zwar zur Überdeckung/Kompensation der strukturell zu niedrigen Produktivität. Kurz, die Kids mußten in die Kindergärten, damit die Mütter arbeiten gehen konnten ("innere Ressourcenmobilisierung"). Diese Politik stellte einen kulturellen Paradigmawechsel in den 1960'er Jahren dar und mußte ideologisch begründet werden. Hieraus erwuchs der Zwang zu einer ideologischen Normensetzung, siehe w.o. verlinktes Gesetz. Die ökonomische Ressourcenbindung hierfür und der kulturelle Paradigmawechsel mußte systemimmanent abgesichert werden ("Kampagnenmethodik"). Abgesichert wurde dieses, durch die Ernennung von Margot Honecker zur Volksbildungsministerin, das Amt war formell nicht herausgehoben, aber da sie die Frau der seinerzeitigen Nummer 2 und späteren Nummer 1 war, informell einflußreich.
Nachdem das vw Ziel, einer hohen Kinderbetreuungsquote und somit nachfolgend einer hohen Frauenbeschäftigungsquote erreicht war, überließ man die folgende Entwicklung der Eigendynamik des Sytems. Da Kindergärten weder eine hohe ökonomische Relevanz bzw. systemgefährdende Relavanz hatten, konnte es so zu der von Dir angeführten "Nischenbildung" kommen; solange Systemgrenzen nicht gefährdet waren, das aber war informell sichergestellt.
"Nischenbildung" fand also dort statt, wo der totalitäre Staat keine a priori "Systemgefährdung" ausmachte oder auszumachen meinte.
Das wäre eine Ansatz, um die Wahrnehmungsdifferenz von Galeotto und mir in bezug auf unsere Kindergartenzeit zu erklären.
In allen Bereichen, die per se Systemgrenzen berührten, gab es m.E. keine "Nischen", z.B. Grenzsicherung zur Bundesrepublik.
Sorry, wegen des überlangen Postings.
M. :winke: