Konkreter Einfluss der "Radikalaufklärer"

HenningM

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Bei meiner Beschäftigung mit den Gestalten der Franz. Revolution, insb. den führenden Jakobinern - wenn man mal diese äußerst diffiuse und fluktuierende Gruppe von Charakteren so nennen will -, bin ich auch zu den philosophisch-politischen Wurzeln gekommen, und hier konkret zu den wirkungsmächtigen Doktrinen der Aufklärung. Klar, JJRousseau und Diderot(s Kreis) hatten großen Einfluss auf die späteren Revolutionäre, auch bei Voltaire kann man das wohl als sicher voraussetzen.
Aber hier, wie so oft, gilt doch mMn: Die Ränder sind interessanter als der längst ausgeleuchtete Mainstream, manchmal sogar aussagekräftiger für den Verlauf einer bestimmten geschichtl. Episode.
Wie steht es aber eigentlich mit Gestalten wie d'Holbach? :grübel: La Mettrie? :grübel:Insgesamt die Fraktion der Philosophen, die radikal atheistisch war (ein HORROR für z.B. Robespierre), philo. materialistisch, ethisch oft hedonistisch ...? Kann man irgendwelche handfesten Einflüsse dieser Denkschule(n) nachweisen? (Von de Sade, der ja Le Mettrie in Wort und Schrift verteidigte, ganz zu schweigen; der Marquis war prinzipiell nicht ... "respektabel", gell? :nono:)
 
Ich kann mich ad hoc an keinen Jakobiner entsinnen, der La Mettrie gewürdigt hätte.
Voltaires unbedingte Toleranz scheint mir im Übrigen auch den Jakobinern zumindest des Terreur fern zu stehen.
 
Interessant ist der Versuch, die Radikalaufklärer sofort in die Nähe des "Terreur" zu rücken.

Generell steht die "Aufklärung" und auch die Radikalaufklärer dem "Terreur" fern. Zumindest ist mir kein "Werk" bekannt, das in der philosophischen Tradition der Aufklärung stehen würde, in dem die ungezügelte Gewalt als Mittel des politsichen Diskurses empfohlen und gerechtfertigt wird.

Sofern man eine geistesgeschichtliche Verwandschaft als Vorlaufer zum "Terreur" suchen möchte, wenn man schon unbedingt eine historische Diskreditierung von Theoretikern vornehmen möchte, dann sollte man vielleicht eher beim "Principe" suchen.

Wobei das m.E. natürlich unsinnig ist, da Machiavelli lediglich das systematisiert hat, was gängige Sichtweise unter europäischen Herrschern war.

Man wird im direkten Umfeld von Paris schneller fündig, sofern man Blaupausen sucht für die Eliminierung von politischen Gegnern. Wie hieß es doch so bezeichnend als das Morden in den Straßen von Paris durch die "Schweizergarde" begann, der "König will es so". Und der Papst ließ als Dank für das Morden der Protestanten ein "TeDeum" anstimmen.

Bartholomäusnacht ? Wikipedia

Hier liegen die realpolitischen Wurzeln des "Terreur" und nicht in der philosophischen Tätigkeit der Aufklärung. Es ging um Herrschaft, die durch das Machtinstrument des "Terreur" durchgesetzt wurde. Und diese Rechtfertigung findet man bei Machiavelli.

Ansonsten gibt es hervorragende Darstellungen der Philosophie der Aufklärung bei Jonathan Israel.

Democratic Enlightenment: Philosophy, Revolution, and Human Rights 1750-1790 - Jonathan Israel - Google Books

A Revolution of the Mind: Radical Enlightenment and the Intellectual Origins ... - Jonathan Israel - Google Books
 
@thanepower "... und nicht in der philosophischen Tätigkeit der Aufklärung. Es ging um Herrschaft, die durch das Machtinstrument des "Terreur" durchgesetzt wurde."
Insbesondere ging es um SICHERUNG der Herrschaft, vgl. R.R.Palmer (in: Twelve who ruled. The Year of The Terror in The French Revolution.) So, wie es sich darstellt, wurde dieser verschärfte, am Ende (insb. faktisch gemacht durch das Gesetz vom 22. Prairial) faktisch ent-formalisiert und de-legalisierte Kampf gegen (reale und v.a. vermutete) Revolutionsgegner nur noch ad-hoc, sozusagen als politisches Muddling Through ohne jede philosophische Unterfütterung bzw. Rechtfertigung durchgeführt.

@brissotin Schade, dass nicht einmal die Hebertisten oder solche Randfiguren wie Chaumette oder Cloots irgendwie Zusammenhang mit d'Holbach oder LeMettrie gegbracht werden können. Vielleicht überschätze ich aus über 200 Jahre Distanz ja auch den Einfluss dieser Denker, zumal LeMettrie ja die meiste Zeit seines Lebens außerhalb Frankreichs verbringen musste. Und vielleicht hatten die (späteren) Revolutionäre ja Besseres zu tun als die Büchlein von L. oder die Wälzer von d'H. durchzulesen.
 
Bei meiner Beschäftigung mit den Gestalten der Franz. Revolution, insb. den führenden Jakobinern - wenn man mal diese äußerst diffiuse und fluktuierende Gruppe von Charakteren so nennen will -, bin ich auch zu den philosophisch-politischen Wurzeln gekommen, und hier konkret zu den wirkungsmächtigen Doktrinen der Aufklärung. Klar, JJRousseau und Diderot(s Kreis) hatten großen Einfluss auf die späteren Revolutionäre, auch bei Voltaire kann man das wohl als sicher voraussetzen.
Aber hier, wie so oft, gilt doch mMn: Die Ränder sind interessanter als der längst ausgeleuchtete Mainstream, manchmal sogar aussagekräftiger für den Verlauf einer bestimmten geschichtl. Episode.
Wie steht es aber eigentlich mit Gestalten wie d'Holbach? :grübel: La Mettrie? :grübel:Insgesamt die Fraktion der Philosophen, die radikal atheistisch war (ein HORROR für z.B. Robespierre), philo. materialistisch, ethisch oft hedonistisch ...? Kann man irgendwelche handfesten Einflüsse dieser Denkschule(n) nachweisen? (Von de Sade, der ja Le Mettrie in Wort und Schrift verteidigte, ganz zu schweigen; der Marquis war prinzipiell nicht ... "respektabel", gell? :nono:)


Les Lumières also die Aufklärung, hat im franz. Wiki ein eignes Portal.

Bei der Liste der Aufklärer sind La Mettrie und de Sade sehr wohl dabei.

Lumières (philosophie) - Wikipédia

Laut dieser Seite, gibt eine Entwicklung von der Aufklärung zu der Terreur.

Aber dieser Meinung waren schon Joseph de Maistre und Chateaubriand.
 
Laut dieser Seite, gibt eine Entwicklung von der Aufklärung zu der Terreur.

Entweder da steht Unsinn, was ich zunächst nicht unterstellen möchte, oder es ist falsch oder grob verzerrend zitiert worden. Oder die Darstellung folgt bestimmten politischen Reflexen, zu denen ich weiter unten noch etwas schreibe.

Greift man sich "beliebige" konservative Historiker heraus, wie Furet und Richet, und befragt sie zu ihrer Haltung zu diesem Thema, dann ergibt sich eine m.E. angemessene Interpretation der Sichtweise. Eine Sichtweise die konsistent ist mit der machiavellistischen Interpretation.

Die Französische Revolution - François Furet, Denis Richet - Google Books

Im Kapitel "Die Zeit der Not" (S. 230ff) setzen sie sich mit dem kollektiven intentionalen Handeln der "Revolutionäre" (als vereinfachender Begriff für eine sehr heterogene Gruppe von Individuen mit ähnlichen und divergierenden Zielsetzungen) auseinander. Vereinfacht kommen sie zu folgenden Aussagen:

1. Der "la Terreur" ist aus ihrer Sicht keine geplante Handlung gewesen, die einer kollektiven Intentionalität gefolgt ist und somit spontan erfolgte.

2. In Anlehnung an Soboul sehen sie die Entstehung der Schreckensherrschaft in den Initiativen der Bevölkerung von Paris. Es ist der "Druck der Straße" der die Radikalisierung vorantrieb und die Sanculotten und natürlich auch ihre selbsternannten Sprachführer in das eigentliche revolutionäre Zentrum gerückt hat.

3. Sie sprechen den "Männern von 1793" zudem ab, weitblickende politische Planer gewesen zu sein und ziehen Saint-Just als Beispiel heran.

4. Die Stärke der "Bergpartei" sehen sie im geschickten Taktieren und nicht in der Orientierung an theoretischen Vorgaben zur Entwicklung der Demokratie. Es waren Praktiker der Macht, die sich am Überleben orientierten, auch indem sie politische Widersacher eliminierten.

5. Den Pariser Sansculotten bescheinigen sie, in Anlehnung an Guerin, dass sie kein ideologisch begründetes kollektive Bewußsein hatten, sondern die materielle Not die Kohärenz und den Zusammenhalt dieses wichtigen Akteurs in Paris geschaffen hat.

Soweit die ernüchternde Sichtweise auf den Einfluss der "Aufklärung" als philosophisches Projekt auf die radikalste Phase der FR.

Und einer der wenigen französichen Aufklärer, die aktiv an der FR teilnahm und auch entsprechende Pläne für die Umgestaltung der französischen Gesellschaft formulierte, war Condorcet.

Und er schrieb am 26.11.1791 in der "Chronique de Paris", dass das Vernünftige nicht die Sache der Diktatur sei, da die Vernunft nicht dekretiert werden kann! Die Vernunft ist nicht mit der Majestät einer Gottheit umkleidet, sie ist vielmehr vertrauter Umgang für jeden Menschen. Sie Bedarf absolut keiner Kulte und auch keiner Opfer, also zwei Aspekte, die direkt gegen die späteren Praktiken gewand werden können und einen Anti-Entwurf zur Schreckensherrschaft darstellen! Diskussion und Beschluss geben dem Gesetz seine wahre Autorität und in einer Gesellschaft, in der Individuen frei und gleichberechtigt sind, darf erwartet werden dass die Wahrheit der Gesetzgeber ist.

In diesem Sinne ist der Geist der Aufklärung absolut unvereinbar mit dem Morden im Rahmen des "la Terreur". Der Bürgerkrieg gehorchte (vgl. beispielsweise Tilly zum Vendee) den Gesetzen eines Bürgerkriegs und ebenso die Kriegserklärung an die umgebenden Monarchien (vgl. Walt zum Zusammenhang zwischen Revolution und Krieg).

http://books.google.de/books?id=loQ...a=X&ei=nGpQUq6yIqHK0AWJqYCACA&ved=0CDwQ6AEwAQ

http://books.google.de/books?id=Aeo...A#v=onepage&q=walt revolution and war&f=false

Und jetzt wäre ich doch gespannt, welche relevanten Aufklärer angeblich als mentale Wegbereiter der "la Terreur", empirisch und analytisch plausibel argumentiert, herhalten sollen.

Ergänzend sei auf den Einfluss der Aufklärung auf die Rechtsauffassung und die mittelalterliche brutale Art der Bestrafung hingewiesen (vgl. u.a. Beitrag auf Wiki). Um deutlich zu machen, dass es einen nachhaltigen Einfluss der Aufklärung auf das Verständnis von Rechtsnormen gab!

Aufklärung ? Wikipedia

Das es daneben eine politisch motivierte konservative Interpretation gibt, die in der Aufklärung die Blaupause - als "Branstifter" - für gesellschaftliche Veränderungen sehen möchte und diese Veränderungen entschieden ablehnt, ist sicherlich auch korrekt. Dass dabei ein roter Faden (nette Methaper=)) von der FR zur RR und zum mörderischen Treiben von Stalin gesponnen wird, ist wohl auch als ein Teil der Mythenbildung im Rahmen des Kalten Krieges anzusehen.

Dass darüber hinaus das Projekt der Aufklärung langfristig einem dialektischen Prozess der Selbstdestruktion unterlag, wurde im Rahmen der "Dialektik der Aufklarung" von Horkheimer und Adorno thematisiert. Ist aber eine andere Baustelle, aber verweist auf den realen Prozess, dem die Aufklärung real unterlag und in diesem Bereich findet der eigentlich Diskurs statt (vgl. beispielsweise auch dazu: Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne).
 
Zuletzt bearbeitet:
Da steht im Kapitel


Les Lumières à l'origine de la Révolution française?


Also, die Aufklärung als Ursache der franz. Revolution?


...Die franz.Revolution stellt eine radikale Anwendung der Philosophie der Aufklärung dar.

Der Wunsch nach Rationalität, spaltet sich von der spirituellen Rationalität eines Descartes ab, bis hin zu einem Versuch, Kirche und überhaupt das Christentum im Ganzen auszurotten...


Der Absatz bezieht sich explizit, auf die Herrschaft der Jakobiner, also während der terreur.
 
Man wird sich nicht einigen können.
Es ist mMn die gleiche Frage wie: "Gab eine (unterirdische) Zwangsläufigkeit von der marxistischen Theorie zur leninistischen und von dieser zur stalinistischen Praxis?"
Wahrscheinlich gab es auch 1789/1792/1793 eine komplizierte Dialektik zwischen Individuen und sozio-politischen und ökonomischen Sachzwängen - und auch schlicht militärischen Notwendigkeiten. Denn so weit es sich für mich darstellt, wäre ohne den "Schrecken" in seiner autoritären Ausprägung (ob es eine regelrechte Diktatur des Wohlfahrtsausschusses gewesen ist, 1793/94, wage ich mal zu bezweifeln) wohl die Revolution in einem noch blutigeren Rollback vernichtet worden.
 
Die Kritik an dem Einfluß der "Aufklärung" auf den "Terreur" betrifft im wesentlichen die Kritik am "Volontee generale" und der pragmatischen Umsetzung im Rahmen der Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses.

Volonté générale ? Wikipedia

Es gibt dabei die Konfliktstellung zwischen den Vertretern einer repräsentativen Konzeption der Demokratie, wie beispielsweise Diderot, d´Holbach, Sieyes, Condorcet, Brissot, Mirabeau und der Vorstellung einer direkten Demokratie in Anlehnung an Rousseau (vgl. Israel: Democratic Enlightment, S. 813).

Es wird dabei vor allem von Seiten der Anhänger der repräsentativen Demokratieauffassung die Gefahr gesehen, dass eine unkontrollierte Einflussnahme auf die politische Meinungsbildung stattfindet und so es zu einer "Herschaft der Staße" kommt. In Kombination mit dem Zusammenspiel von der Herrschaft der Straße und der Herrschaftsausübung durch wenige (Oligopol) oder durch einen (Autokratie) wird eine neue Form der diktatorischen Herrschaft begründet.

Diesen Aspekt greift später die Totalitarismustheorie, beispielsweise zunächst explizit H. Arendt (Elemente und Ursprünge...) auf. In Anlehnung an die These von Riesman (Die einsame Masse) sieht sie die Gefahr, dass vor allem die "außengeleiteten Persönlichkeiten" in einer Gesellschaft, die zunehmend auf sozialer Isolierung basiert, die Gefolgschaft für totalitäre Bewegungen bietet.

Somit macht die konservative Kritik vor allem den "Volonte generale" verantwortlich für die Legitimation der Herrschaft per plebiszitärer Akklamation, auch wie im Fall der faschistischen Bewegungen.
 
Ich würde nicht sehen das die Aufklärer Schuld am Terror waren, sicherlich nicht und gefordert haben sie sowas auch nie.

Aber die Aufklärung führte zur Französischen Revolution und dann auch indirekt zum
Terreur geführt. Wieder ein Beispiel von gute Ideen, die zu schlechten Taten führen. Interessant ist wie aus dem Idealisten Robespierre welcher die Todesstrafe ablehnte dieser blutrünstige Tyrann wurde.
 
Wenn wir uns die offizielle franz. Forschungsstelle zu der franz. Revolution, in der Universität Sorbonne anschauen, sehen wir bei den Neuerscheinungen und aktuellen Bücher, das komplette Spektrum.


Das geht vom livre noir de la révolution française also dem Schwarzbuch der franz. Revolution bis zu Vincent Péllon-La révolution n'est pas terminé

also die Revolution ist nicht vorbei.

Ohne jetzt mit den Forderungen der Westfranzosen anzufangen, die unbedingt die Massaker der Vendée, als Völkermord anerkannt haben wollen.


Institut d'Histoire de la Révolution française - 01. Critiques, comptes rendus
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessant ist wie aus dem Idealisten Robespierre welcher die Todesstrafe ablehnte dieser blutrünstige Tyrann wurde.
Roberspierre hatte viele unangenehme Eigenschaften, aber "blutrünstig" war er nicht! Und - Ironie der Geschichte! - gerade im Eskalierungszeitraum der Monate vor dem Thermidor war sein Einfluss auf den Wohlfahrtsausschuss - ebenfalls auf den Konvent - so schwach wie seit 1792 nicht mehr. Ja, man kann vielleicht behaupten: Nicht R. war es gewesen, der immer hektischeren Terreur propagierte und durchsetzte (auch mittels seines Intimus Saint-Just), sondern andere Ausschussmitglieder (Billaud-Varennes, Collot, zT Fouche) waren mindestens genau so "aktiv". Robespierre den schwarzen Peter zuzuschieben, ist übrigens eine tradierte Strategie, die anderen, ach so moralischen Ausschussmitglieder nachträglich reinzuwaschen. So läuft es aber nicht.
 
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