Kontinuität zwischen Kaiserreich und dem "Dritten Reich"?

Barbarossa schrieb:
Ich kann auch nicht erkennen, das vom Kaiserreich Annektionen größerer polnischer Gebiete angedacht waren. Vielmehr sollte es ein polnisches Königreich unter einer wie auch immer gearteten deutschen Oberhoheit/Abhängigkeit geben: Regentschaftskönigreich Polen – Wikipedia
Auch eine eigene polnische Währung gab es bereits.

Dazu möchte ich Folgendes anmerken:


Die Begründung eines polnischen Königreiches hatte handfeste militärische und politische Hintergründe. Nach den ungheuren Verlusten, die durch die Brussilowoffensive verbuchen zu waren, braucht man drngend neue Truppen und das möglichst zügig. Hierbei setzte man auf polnische Freiwillige.

Die Mittelmächte waren sich nun auf einmal ganz plöztlich in der polnischen Frage einige, das Handlungsbedarf bestand. Conrad, Falkenhayn, Ludendorff, sie alle waren sich darüber einig, das hier ein großes Rekrutierngspotenzial bestand, was unbedingt ausgeschhöpft werden musste. Sie alle machten bei ihren jeweiligen Regierungen gewaltigen Druck. Und es liegt doch wohl auf der Hand, das ohne weitreichende politische Zusagen sich keine polnischen Soldaten für die Sache der Mittelmächte gewinnen ließen. Völkerrechtswidrige Zwangsaushebungen wurden von deutscher und österreichischer Seite nämlich übereinstimmend abgelehnt. Man ging davo aus, des es gelingen könnte 250.000 polnische Freiwilige werben zu können.

Außerdem stand die sehr reale Gefahr im Raume, dass das Zarenreich mit der Verkündung eines unabhängigen Polen an die Weltöffentlichkeit treten könnte. Auch hier bestand akuter Handlungsbedarf.

Die Proklamation vom 05.November enthält bei näherer Betrachtung letzten Endes doch nur Versprecheungen für eine entfernte Zukunft. nun ja, so ließ sich jedenfalls kein Blumentopf bei den plen gewinnen und entsprechend dürftig fiel das auch die Rekrutierung, die zu allen Überfluss auch noch von Deutsch und nicht von den Polen durchgeführt wurde, aus. Hier wurde, wieder einmal, nicht Nägeln mit köpfe gemnacht.
 
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Den Fortgang der Affäre möge man selbst nachlesen.

Die Affäre war 1. für Hitler/Göring als Trauzeugen blamabel und 2. sicher eine Gelegenheit zur "Umstrukturierung", nachdem die Herren wenig Begeistung anläßlich der in der Hoßbach-Niederschrift dokumentierten Besprechung gezeigt hatten.

Interessant ist die empörte Reaktion des Offizierskorps auf die Verletzung der Standesregeln. Reiste nicht ein Offizier aus dem Generalstab Blomberg in die Flitterwochen nach Rom hinterher, um ihm nach alter Väter Sitte die Pistole auf den Tisch zu legen?
 
Die Affäre war 1. für Hitler/Göring als Trauzeugen blamabel und 2. sicher eine Gelegenheit zur "Umstrukturierung", nachdem die Herren wenig Begeistung anläßlich der in der Hoßbach-Niederschrift dokumentierten Besprechung gezeigt hatten.

Interessant ist die empörte Reaktion des Offizierskorps auf die Verletzung der Standesregeln. Reiste nicht ein Offizier aus dem Generalstab Blomberg in die Flitterwochen nach Rom hinterher, um ihm nach alter Väter Sitte die Pistole auf den Tisch zu legen?

Ironischerweise war es ja gerade Blomberg gewesen, der gerade einmal zwei Jahre zuvor dafür Sorge getragen hat, das die "Heiratsordnung" der Wehrmacht entscheidend verschärft worden war.

Blomberg hat am 12.Januar 38 im großen Saal des Reichskriegsministerium Frau Gruhn geheiratet. Das Ziel Hochzeitsreise war Oberhof. Die Flitterwochen mussten aber bereits am 20.Januar abgebrochen werden, das Blombergs Mutter verstorben war.

Ob er Besuch in Oberhof von einem Kameraden mit entsprechender Aufforderung erhalten, ist mir nicht bekannt.
 
Hallo Turgot, ich meinte die folgende Reise nach Rom, als der Skandal bekannt geworden war. Das war bei der Beerdigung von Blombergs Mutter noch nicht der Fall.
 
Ah, du meinst als Blomberg auf Weltreise war. Er erhielt Besuch von seinem ehemaligen Marineadjutanten von Wangenheim, übrigens mit vollem Wissen Raeders. Wangenheim forderte Blomberg auf sich scheiden zu lassen.

Blomberg lehnte ab. Wangenheim bezeichnete Blomberg als Verräter und Deserteur und legte ihm eine Pistole auf dem Tisch.
 
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Turgot hat schon Beispiele für die Besetzung der Generalität gebracht (Rommel könnte man ergänzen), die noch aus der Kaiserlichen Armee bzw. Marine stammten. Man könnte mal die Führungsstellen 1939 bzw. beim Aufbau 1934 durchgehen (Kommandeure, Generalstab), da wird das Ausmaß der Kontinuität deutlich. Ebenso deutlich wird dieses, wenn man zB Keilig, Das Herr III zur Hand nimmt und nur die Dienstlisten der Generalität überfliegt.

Die explosionsartige Vermehrung der Wehrmacht in wenigen Jahren schaffte hier natürlich eine Verwässerung, spülte aber auch weitere Offiziere der ehemaligen Kaiserlichen Armee nach oben. Und es gab jemanden, der diese Kontinuität auch wahrgenommen hatte und den sie störte: nämlich Hitler, wenn er am 22.11.1939 den "Geist von Zossen" (OKH) ausrotten wollte - der etwas renitente Generalstab wollte nicht recht in den Frankreichfeldzug folgen. Einen Seitenaspekt dieser von der NS-Seite mißtrauisch betrachteten Kontinuität (die in der Ausbildung weitergegeben wurde) könnte man auch in der späteren Einrichtung des "NS-Führungsoffiziers" bei Heeresteilen sehen.
Nationalsozialistischer Führungsoffizier – Wikipedia

Nur eine Anmerkung zum NSFO:

Bei den NSFOs war es offenbar ähnlich wie bei den Offíziersdiensgraden der Waffen SS, dass die Offiziersanwärter kein Abitur vorweisen wussten. Einige SS Feldherren wie Eicke oder Sepp Dietrich hatten natürlich auch niemals eine Generalstabsausbildung absolviert.

Mein Großvater war Stellmacher im Zivilberuf und seit 1936 Berufssoldat und es hatte ihm ein Vorgesetzter 1944 den Vorschlag gemacht, er solle sich als NSFO bewerben und den vorgeschriebenen Lehrgang absolvieren.

Nach einem Gespräch mit seinem Kompaniechef, der ihm dringend davon abriet lehnte mein Opa den Vorschlag ab mit der Begründung er wolle bei seiner Einheit bleíben.
 
Der NSFO war Ausdruck des Mißtrauens von Hitler gegen das konservative Offizierskorps des Heeres.

Institut für Zeitgeschichte: VfZ-Download (1953-2005)
1961, Heft1, S. 76ff.
Waldemar Besson: Zur Geschichte des nationalsozialistischen Führungsoffiziers (NSFO).

Die Übernahme des Oberbefehls über das Heer nach der Entlassung v.Brauchitsch durch Hitler kann man bereits in dieselbe Kategorie packen. Dieser Bruch ist zugleich Ausdruck von Hitlers Mißtrauen gegen die Kontinuität des Offizierskorps, das aus der Kaiserlichen Armee hervorgegangen ist.

Wenn man dazu weitere Aspekte sucht, könnte man den Aufbau der Waffen-SS hier ebenfalls subsumieren.
 
es gab auch auch NSFO-freie Zonen. Im HQ von Rommel soll es - laut Speidel - eine derartige Institution nicht gegeben haben.

Und bei Model und Schörner wären sie ohnehin überflüssig gewesen.
 
es gab auch auch NSFO-freie Zonen. Im HQ von Rommel soll es - laut Speidel - eine derartige Institution nicht gegeben haben.

Der Grundgedanke kopiert eigentlich die politischen Kommissare bei der Roten Armee.

Diesen angeblich fehlenden weltanschaulichen Rückhalt in der Truppe machte Hitler für die Rückschläge Dez41 bis Ende 43 verantwortlich: "fanatischer Durchhaltewillen", Haltebefehle bei -40 Grad.

Die nationalsozialistische Durchdringung bekam dann am 13.7.1944 eine weitere Steigerung: "Zusammenarbeit von NSDAP und Wehrmacht in einem Operationsgebiet innerhalb des Reiches". Weil auch hier dem Widerstandswillen des Heeres nicht recht getraut wurde, bekamen zB die Gauleiter entsprechende Befugnisse (was später bei Gebietsräumungen fatale Folgen hatte).


Übrigens: schaut man sich "Wehrmacht und Niederlage 1945" an, ist eher die "Nibelungentreue" und Fortführung bis zur Apokalypse festzustellen. Heeresverbände - gerade unter den "alten" Offizieren - zogen sich kämpfend bis in die Festung Harz etc. zurück, Teilkapitulationen erfolgten nur in aussichtsloser Lage oder Umschließungen. Es waren nicht die weltanschaulich durchdrungenen Schörner, Model, etc., die im Krieg bis zum Letzten den Befehlen gehorcht haben.


P.S. das Heer ist eigentlich bis 1938 ein Gegenbeispiel zu der sonst Vieles durchdringenden "nationalsozialistischen Revolution"
 
Meinst du dies hier:

Andreas Kunz: Wehrmacht und Niederlage. Die bewaffnete Macht in der Endphase der nationalsozialistischen Herrschaft 1944 bis 1945.
 
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@silesia

"Der Grundgedanke kopiert eigentlich die politischen Kommissare bei der Roten Armee."

Aber auch nur der "Grundgedanke". Die NSFO hatten m.E. nie den Einfluß, den die politischen Kommissare bei der Roten Armee hatten, von den Militärräten auf hoher Ebene ganz zu schweigen.

M.
 
Aber auch nur der "Grundgedanke".

Deswegen hatte ich auch "Grundgedanke" geschrieben.


Wie steht es eigentlich um die Brüche in der Kontinuität zwischen Kaiserreich und Drittem Reich?


Ich denke hier an die "Säuberungen" auf kommunaler Ebene, in den Verwaltungen, Schulen+Universitäten, Polizei, Justiz, in den Betrieben. Der Blick auf die Wehrmacht als Ausnahmefall 1933-38 verstellt etwas den Blick für die sonstigen Umwälzungen.
 
Deswegen hatte ich auch "Grundgedanke" geschrieben.


Wie steht es eigentlich um die Brüche in der Kontinuität zwischen Kaiserreich und Drittem Reich?


Ich denke hier an die "Säuberungen" auf kommunaler Ebene, in den Verwaltungen, Schulen+Universitäten, Polizei, Justiz, in den Betrieben. Der Blick auf die Wehrmacht als Ausnahmefall 1933-38 verstellt etwas den Blick für die sonstigen Umwälzungen.

@silesia

Mit Deiner Anmerkung hast Du recht, "Ich denke hier...". Das wäre auf alle Fälle einen eigenen Thread wert. Ich finde das Thema der "Gleichschaltung" ungeheuer interessant. Obwohl die Brüche eklatant waren, habe sich die "Eliten" auf diese Brüche eingelassen, und zwar alle "Eliten" in Militär, Politik, Verwaltung, Uni, Justiz etc.

M.
 
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