Kriegsschuldfrage 1. Weltkrieg: wieso wird Österreich-Ungarn nie erwähnt?

Ich habe eine Frage gestellt, übrigens keine rhetorische. Und das Belgien dabei noch und nöcher debattiert wurde, habe ich mir - kaum glaublich- bereits gedacht. Ich soll mir also Diskussionen anschauen, bevor ich, wie du sagst, "Schlüsse ziehe", was für mein Dafürhalten aber eine Frage ist, was durch ein Fragezeichen gemeinhin auch deutlich erkennbar sein mag für einen Jeden? Zumal meine Fragestellung genau darauf abzielte, wie wohl die foreninterne Gemengelage sei? (Ohne sich hunderte Beiträge, davon voraussichtlich nicht alle von ansprechender Qualität, durchzulesen)

Abschließend ziehe ich aus diesem Forum sicher nicht meine Schlüsse, dies bewerkstelligt primär doch eher entsprechende Literatur, aber auch darauf zielte meine kurze, kleine Frage gar nicht ab. Die du ja auch beantwortest, nur den letzten Absatz empfinde ich dann als überflüssig.

Willkommen im Forum.:winke:

Vorab ein Hinweis, da Du Dir sicher noch nicht viel durchlesen konntest: Gegenstand der Forendiskussionen sind Beiträge zur Sache. Wenn Du also inhaltlich, und ggf. mit Literaturbelegen, Beiträge zu Sachfragen leisten möchtest, bist Du herzlich eingeladen.

Metadiskussionen - wie durch "Haffner-Gedächtsnisrunden eingeleitet" sind hier allerdings nicht Gegenstand von Sachthemen. Damit ist die Metadiskussion hier beendet, weitere Fragen gern per PN.
 
Was an einer Frage "zur" Sache" so meta ist, erschließt sich mir kognitiv nicht gänzlich. Ob diese mit Haffner polemisch angedeutet wird oder von einem letzten Forschungsstandupdate anno 1975 spricht, wären mehr Fragen des Stils. :)

Sei es wie es sie, @pickanick beginnt mit "ich behaupte..."

Auf dieser Grundlage und mit Blick auf den Strangtitel...

Ich behaupte, des Strangerstellers Frage geht von falschen Prämissen aus, kenne kaum ein Standardwerk, welches den 1. WK samt Entstehung in seiner Ganzheit behandelt und sich nicht auch mit Ö-U´s "Schuldanteilen", besser Verantwortlichkeiten, auseinandersetzt. Vielleicht meint der Strangersteller, dass die k. u. k. Monarchie tendenziell zu gut wegkommt. Diese ist bekanntlich im Zuge der Niederlage versunken. Und würde, dies war wohl auch den Zeitgenossen bereits klar, nie wieder auferstehen. Welches Interesse hätten also Entente-Politiker/Journalisten/ sonstige potentiellen Schriftsteller haben können, Ö-U, mit Blick auf die "Schuldfrage" in der Nachkriegsliteratur, vor dem Hintergrund eines in der Mitte Europas zwar stark geschwächten aber nicht vollends und für alle Zeiten kastrierten Deutschen Reiches, in größerem Umfang zu beachten? Nach 1918 oder 1945 hatte Ö-U sicher nicht die geschichtspolitische Relevanz. Bei dem Flickenteppich nach der Zerschlagung Ö-U´s ging es zwar bei den vielen, quasi von Geburt an revisionistischen Staaten bei der Hatz nach nur einem Fetzen Land logischerweise um ehemals Ö-U´s Territorium, die Zerstörung Ö-U wurde aber nicht in Frage gestellt. Zudem müssen wir noch beachten, was nach 1945 im Laufe der Dekaden auf deutscher Seite etwa dazu führte,...dass aus dem "Diktat von Versailles der "Vertrag von Versailles" und umgekehrt aus dem "Vertrag von Brest Litowsk" das "Diktat von Brest Litowsk" wurde und auch da galt geschichtspolitisch-pädagogisches Interesse nicht Ö-U. Im Kalten Krieg ließ sich mit Ö-U sicherlich auch nicht allzu viel politisches Kapital schlagen, wie man sich denken mag. Ergo konnte man Ö-U, da geschichtspolitisch maximal mäßig interessant zur Diskreditierung der Sieger-Nachkriegsordnung, schon nach wenigen Jahren, v. A. in der "westlichen Welt" relativ "gelassen" betrachten, ohne größere politische Zielsetzungen historisch "aufarbeiten".
 
Aha... Wem trat Deutschland denn mit seinen perfiden (entschuldige die Polemik) Weltmachtphantasien so schrecklich auf die Füße? Den Indern, den Briten?

Ach so, das Deutsche Reich war also deiner Meinung an einem globalen, weltweiten industriellen Volkskrieg interessiert. Das ist ja eine ganz neue Erkenntnis. Hast du dich eigentlich schon einmal mit den Zielen der Reichsleitung in der Julikrise auseinandergesetzt?

Tatsächlich hab ich mich in meinem kurzen Beitrag mehr als unglücklich ausgedrückt und kann Ruriks und Turgots berechtigte Einwände nachvollziehen.

Das kaiserliche Deutschland war mit Sicherheit nicht an einem über vier Jahre andauernden Krieg interessiert, der Millionen Menschen das Leben kosten und Europa verheeren sollte. Woran es allerdings kurz vor dem Ausbruch des Weltkriegs durchaus ein Interesse hatte, war die Möglichkeit im Rahmen eines Präventivkrieges für klare Verhältnisse auf dem europäischen Kontinent zu sorgen (wenn ich morgen die Zeit finde, suche ich entsprechende Belege heraus). Das ist natürlich kein Grund, dass Deutsche Reich für den Ersten Weltkrieg alleinigst verantwortlich zu machen.

Die Ziele der Reichsleitung in der Julikrise und die Tagebücher Riezlers werde ich mir zu Gemüte führen.

Gruß
 
Woran es allerdings kurz vor dem Ausbruch des Weltkriegs durchaus ein Interesse hatte, war die Möglichkeit im Rahmen eines Präventivkrieges für klare Verhältnisse auf dem europäischen Kontinent zu sorgen (wenn ich morgen die Zeit finde, suche ich entsprechende Belege heraus).


Wobei zu klären wäre, wer genau den Präventivkrieg wünschte.

Die Balkankriege sind ein gutes Beispiel für eine deutsch-britische Achse in Sachen Friedenserhalt. Beide Mächte haben erfolgreich an einem Strang gezogen und das ihre zur Verhinderung eines Krieges getan. Die deutsche Führung sah allerdings, nach dem Bekanntwerden der britisch-russischen Marinegespräche, den Erfolg ihrer Dètentepolitik gegenüber Großbritannien gefährdet.

Klaus Wilsberg zeigt in seiner Studie "terrible ami - aimable ennemi" Kooperation und Konflikt in den deutsch-französischen Beziehungen auch eine gewisse Entspannung zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich. Dafür war die temporäre Entspannung auf dem Balkan nicht unmaßgeblich für verantwortlich.

Problematisch war sicher die Beziehung zu Russland, das sich durch die Liman-von-Sanders Krise massiv provoziert fühlte, ich lasse einmal dahingestellt ob zu Recht oder Unrecht
 
Aber du meintest Belgien sei lediglich eine ausrede gewesen sein ich behaupte dass es der Hauptgrund gewesen ist.

Belgien war der Auslöser. Aber der sekundäre Grund war die Sicherung der nationalen Integrität von Frankreich und die damit zusammenhängende Verhinderung einer Hegemonie des Deutschen Reichs auf dem Kontinent.

Und man kann ergänzen, dass es fast einem historischen Paradigma gleichkam, dass GB sich kontinental engagierte, sofern Belgien respektive die Niederlande durch Besetzung betroffen waren.

Eine sehr gute Darstellung der komplizierten Entscheidungsfindung findet sich beispielsweise bei Hamilton & Herwig, S. 130 ff.

Decisions for War, 1914-1917 - Google Books

Vorausgeschicht werden muss, dass seit 1839 von GB die vertraglich Bereitschaft erklärt worden ist, Belgien zu "beschützen". Damit war allerding keine Verpflichtung verbunden, es im Rahmen eines Krieges zu tun.

Insgesamt zeigte das britische Kabinett bis zum Schluss eine geringe Bereitschaft, in den Krieg einzutreten. Die Besetzung von Belgien durch das DR war dabei der entscheidende Katalysator, der das Pendel in Richtung Kriegseintritt umschlagen ließ.

Ablauf August 1914
1. August. Das Kabinett wollte sich aus dem Krieg heraushalten. Greys Position für einen Kriegseintritt war nicht mehrheitsfähig. Grey teilt Lichnowsky mit, dass GB nicht in den Krieg eintritt, sofern das DR nicht F angreift. Von Lichnowsky kommt die - gut gemeinte aber leider sehr subjektive - Zusicherung, dass das DR keinen Angriff auf F vornehmen würde.

Am 1. August erklärt das DR Russland den Krieg. Die Folge ist, dass das DR und auch F ihre Armeen mobilisieren (vgl. S. 140).

2. August. Die Mobilisierung der Armee des DR bedeutet die erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Angriffs auf F. Der Schlieffenplan war zumindest in F in Grundzügen bekannt.

Grey will mit diesen Informationen die "Neutralen" im Kabinett auf Intervention in den Krieg einstimmen. Von Asquith kommt der Hinweis, dass ca. 75 Prozent der Liberalen Partei für eine Nicht-Intervention "at any price" sind!!!!!

3. August: Das DR fordert freien Durchmarsch durch Belgien. Nachmittags hält Grey eine Rede im Unterhaus und erklärt die Notwendigkeit, die Neutralität von Belgien zu verteidigen mit allen Voraussetzungen und Konsequenzen, die sich für GB ergeben würden.

Es ergibt sich dabei in der Argumentation eine Parallele, die die Glaubwürdigkeit von GB als Großmacht anspricht. Ein Zurückweichen vor der Eskalation ("Brinkmanship") und den Forderungen von DR würde die Position von GB als Großmacht nachhaltig erschüttern.

Eine ähliche Sichtweisen der Einbettung des Konflikts auch in eine "anarchische hobbes`sche Staatenwelt" bei Levy und Vasquez.

The Outbreak of the First World War: Structure, Politics, and Decision-Making - Google Books

Am Abend beschließt das Kabinett eine Forderung an das DR, seine Truppen aus Belgien wieder abzuziehen.

4. August: Das britische Kabinett hat verläßliche Informationen, dass deutsche Truppen die Neutralität von Belgien verletzt haben. Asquith und Grey formulieren ein Ultimatum an das DR, das um 23 Uhr am 4.August auslaufen soll.

Es erfolgt keine Antwort von deutscher Seite auf das finale Ultimatum.

In der Nacht von 4. zum 5. August erklärt daraufhin GB dem DR den Krieg.

In der Bewertung schreiben Hamilton und Herwig: " It was entered into with a deep sense of foreboding in the belief that any other course would have been potentially even more damaging than war to Britain`s interest." (S. 145)

Und auch an dieser sicherlich zutreffenden Einschätzung wird deutlich, dass ähnliche Sichtweisen in anderen Hauptstädten anzutreffen war.

Und es wird auch deutlich, dass dies Beschreibung keine Entschuldigung oder Erklärung sein kann, sondern lediglich darauf verweist, dass der Versuch einer Abschreckungspolitik nahezu von allen europäischen Großmächten im Rahmen eines massiven Rüstungswettlaufs seit ca. 1907 die diplomtischen Fähigkeiten der beteiligten Nationen überfordert hat.

Armaments and the Coming of War: Europe, 1904-1914 - David Stevenson - Google Books

Sie waren letztlich Zauberlehrlinge, die allerdings in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlicher offensiver Intention, mit "arkanen" Mächten gespielt haben, die sie in der Konsequenz nicht beherrschen konnten. Vielleicht auch ein wenig im Sinne von Taylor und seiner Vorstellung des Krieges "by timetable" (vgl. auch D. Stevenson: War by timetable? The Railway Race before 1914. Past and Present, No 162, Feb. 1999, S. 163-193).

War by Timetable: How the First World War Began - A. J. P. Taylor - Google Books
 
Zuletzt bearbeitet:
Hinzufügen möchte ich, das der deutsche Botschafter in London Lichnowsky bereits am 26.Juli im Foreign Office vorstellig wurde und dort über die russischen Mobilisierungen Klage führte. Da er Grey nicht antraf, führte er das Gespräch mit Nicolson, der lapidar antwortete, er hätte keine entsprechenden Informationen vorliegen. Des Weiteren führte er aus, "es sei schwierig und heikel für uns Petersburg zu bitten nicht zu mobilisieren - wenn Österreich eine derarate Maßnahme beabsichtige - und man würde uns nicht anhören. Hauptsache sei es aktive militärische Operationen zu verhindern."

Das ist schon kurios, denn die russische Mobilmachung richtete sich primär gegen Österreich-Ungarn und die der Österreicher gegen Serbien. Und Nicolson übersieht wohl was eine Mobilmachung tatsächlich bedeutet.

Die russische, zunächst versteckte, Mobilmachung war eine ganz schwerwiegende Entscheidung.

Zum 01.August:

Grey hatte die von Tyrell an Lichnowsky übermittelten Vorschlag im Kabinett anscheinend nicht vorgestellt. Als sich dann Lichnowsky und Grey zum Gespräch trafen stellte der deutsche Botschafter die Gretchenfrage schlechthin, ob Großbritannien neutral bleiben würde, wenn das Deutsche Reich das belgische Staatsgebiet nicht betrete, gestand Grey ein, das er eine derartige Garantie nicht abgeben könne. Nachzulesen bei Clark, Die Schlafwandler.
 
Zum 01.August:

Grey hatte die von Tyrell an Lichnowsky übermittelten Vorschlag im Kabinett anscheinend nicht vorgestellt. Als sich dann Lichnowsky und Grey zum Gespräch trafen stellte der deutsche Botschafter die Gretchenfrage schlechthin, ob Großbritannien neutral bleiben würde, wenn das Deutsche Reich das belgische Staatsgebiet nicht betrete, gestand Grey ein, das er eine derartige Garantie nicht abgeben könne. Nachzulesen bei Clark, Die Schlafwandler.

Nur ergänzend: Die Warnung ist bereits 20 Monate zuvor schon "unmissverständlich" ausgesprochen worden:

„Nur wenige Tage später, am 4. Dezember, bestellte Edward Grey den deutschen Botschafter Fürst Max von Lichnowsky zu sich und sprach eine deutliche Warnung aus, wie Lichnowsky notierte: Entstände aber ein europäischer Krieg dadurch, dass Österreich gegen Serbien vorginge, und Russland, durch die öffentliche Meinung gezwungen, und um nicht abermals eine Demütigung wie 1909 zu erleben, in Galizien einmarschiere, was uns zur Hilfsleistung veranlassen würde, so sei die Beteiligung Frankreichs unausbleiblich und die weiteren Folgen absehbar.“

Wie Lichnowsky notierte, war die Warnung bezüglich des Hereinziehens von Großbritannien in einen europäischen Krieg: "unmissverständlich" (und selbst Wilhelm II. verstand sie in dieser Weise). Ausgesprochen am 4.12.1912.

Nachzulesen bei Clark oder bzgl. der Folgen besser in dem Literaturdiskurs zum Kriegsrat 1912.

Mindestens seit Dezember 1912 war diese Warnung noch verschärfend Bethmann Hollweg außerdem grob über den Schlieffen/Moltke-Plan und die darin vorgesehene (im militärischen Kalkül zwingende) Verletzung belgischen Territoriums informiert, was er somit für die Risikopolitik in der Julikrise im Hinterkopf haben musste.

Damals hatte die Warnung im Sinne einer "Abschreckungspolitik" funktioniert. Warum sollte Grey davon ausgehen, dass sie diesmal nicht funktionieren würde. Es ist doch gerade die an die britische Seite formulierte Kritik, die von britischer Seite mehr Stärke in der Julikrise verlangt (um der deutschen Seite die Konsequenzen der Risikopolitik klar zu zeigen, und sie nicht bzgl. des Hineinziehens von GB in den Großen Europäischen Krieg "schlafwandeln" zu lassen). Wie glaubwürdig das Grey vertreten konnte, sei wegen der innenpolitischen britischen Problematik - wie von thanepower an anderer Stelle aufgezeigt - mal dahingestellt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nur ergänzend: Die Warnung ist bereits 20 Monate zuvor schon "unmissverständlich" ausgesprochen worden:

„Nur wenige Tage später, am 4. Dezember, bestellte Edward Grey den deutschen Botschafter Fürst Max von Lichnowsky zu sich und sprach eine deutliche Warnung aus, wie Lichnowsky notierte: Entstände aber ein europäischer Krieg dadurch, dass Österreich gegen Serbien vorginge, und Russland, durch die öffentliche Meinung gezwungen, und um nicht abermals eine Demütigung wie 1909 zu erleben, in Galizien einmarschiere, was uns zur Hilfsleistung veranlassen würde, so sei die Beteiligung Frankreichs unausbleiblich und die weiteren Folgen absehbar.“

Wie Lichnowsky notierte, war die Warnung bezüglich des Hereinziehens von Großbritannien in einen europäischen Krieg: "unmissverständlich" (und selbst Wilhelm II. verstand sie in dieser Weise). Ausgesprochen am 4.12.1912.

Nachzulesen bei Clark oder bzgl. der Folgen besser in dem Literaturdiskurs zum Kriegsrat 1912.

Mindestens seit Dezember 1912 war diese Warnung noch verschärfend Bethmann Hollweg außerdem grob über den Schlieffen/Moltke-Plan und die darin vorgesehene (im militärischen Kalkül zwingende) Verletzung belgischen Territoriums informiert, was er somit für die Risikopolitik in der Julikrise im Hinterkopf haben musste.

Damals hatte die Warnung im Sinne einer "Abschreckungspolitik" funktioniert. Warum sollte Grey davon ausgehen, dass sie diesmal nicht funktionieren würde. Es ist doch gerade die an die britische Seite formulierte Kritik, die von britischer Seite mehr Stärke in der Julikrise verlangt (um der deutschen Seite die Konsequenzen der Risikopolitik klar zu zeigen, und sie nicht bzgl. des Hineinziehens von GB in den Großen Europäischen Krieg "schlafwandeln" zu lassen). Wie glaubwürdig das Grey vertreten konnte, sei wegen der innenpolitischen britischen Problematik - wie von thanepower an anderer Stelle aufgezeigt - mal dahingestellt.

Ja. Mir ging es in meinem Beitrag darum, zu verdeutlicheh, das Belgien ganz gewiss nicht der primäre Grund für Großbritanniens Kriegseintritt gewesen war.
 
Im Zusammenhang mit Österreich-Ungarn ist interessant, dass die russische Generalmobilmachung vor der der Österreicher angeordnet wurde und von Beginn ein schlechtes Gewissen vorhanden war. So wurden u.a. deutsche Bericht als Auslöser vorgeschoben, ansonsten wurde noch 1916 reichlich verschleiert. Die Briten jedenfalls wunderten sich, dass die deutschen Erkenntnis ihnen nicht vorlagen, in Paris aber bestens bekannt waren.

Die Eskalation von russischer Seite (zuvor war bereits die Teilmobilmachung gegen ÖU befohlen worden) ist für mich der entscheidende Schritt von einem lokalen Konflikt zum großen Knall. Die von Silesia angeführte Warnung deckt sich ja relativ gut mit den anschließenden Ereignissen.
 
Nicht nur von Grey bekam Lichnowsky die britsche Entschlossenheit übermittelt. Auch Haldane hatte Lichnowksy erklärt, das England werde Frankreich militärisch unterstützen, wenn Österreich auf Serbien einen europäischen Krieg auslöse. Als Wilhelm dann den Bericht Lichnowskys las, war er nur sehr mäßig amüsiert. Auch er sah die Annäherungspolitik an GB als gescheitert an. Am 08.Dzember kam es dann zu dem sogenannten Kriegsrat.

Ergänzend ist anzumerken, das Bethmann am 02.Dezember im Reichstag ausgeführt hat, "Wenn Bundesgenossen von dritter Seite angegriffen und in ihrer Existenz bedroht sind, trete Deutschland an ihre Seite." Bethmann fuhr eine defensive Stratgie, ein Präventiv- oder gar Angriffskrieg kam für ihn nicht in Frage. Er warnte Österreich vor jedem aggressiven Schritt. Hat Grey petersburg eigentlich gewarnt?
Bethmanns Hoffnung jedenfalls war auf London fixiert gewesen.

Zwischen Paris und Petersburg war alles klar und der eventuell eintretende Bündnisfall unstrittig. Ja Frankeich hatte diesen im Gegensatz zu 1909 noch ausgedehnt und Rußland auch bei einem Konflikt, der auf dem Balkan beginnen sollte, militärischen Beistand zu gewähren. Und Sasonow ging davon aus, das ihn sein Verbündeter auch dann unterstützen würde, wenn Russland Österreich angreift.
 
Wie Lichnowsky notierte, war die Warnung bezüglich des Hereinziehens von Großbritannien in einen europäischen Krieg: "unmissverständlich" (und selbst Wilhelm II. verstand sie in dieser Weise). Ausgesprochen am 4.12.1912.

Mir stellt sich da die Frage: Musste Deutschland durch solche Ansagen nicht noch mehr in eine Paranoia des Umzingeltsein versinken?
Ich würde mich wie in eine Zwangsjage gesteckt fühlen und nach Möglichkeiten suchen, diesen Zustand zu beenden. Diplomatie wäre ein Mittel, aber wie umsichtig denkend wird man, wenn einem von allen Seiten Prügel offeriert wird?
 
Im Zusammenhang mit Österreich-Ungarn ist interessant, dass die russische Generalmobilmachung vor der der Österreicher angeordnet wurde und von Beginn ein schlechtes Gewissen vorhanden war. So wurden u.a. deutsche Bericht als Auslöser vorgeschoben, ansonsten wurde noch 1916 reichlich verschleiert. Die Briten jedenfalls wunderten sich, dass die deutschen Erkenntnis ihnen nicht vorlagen, in Paris aber bestens bekannt waren.

Die Eskalation von russischer Seite (zuvor war bereits die Teilmobilmachung gegen ÖU befohlen worden) ist für mich der entscheidende Schritt von einem lokalen Konflikt zum großen Knall. Die von Silesia angeführte Warnung deckt sich ja relativ gut mit den anschließenden Ereignissen.

Die Briten brauchten sich nicht groß zu wundern, denn ihr eigener Botschafter in Petersburg hat doch genau diese Informationen in seiner Berichterstattung entweder gezielt unterschlagen oder doch maßlos untertrieben.
Buchanan war nämlich ebenfalls Mitglied der antideutschen Fraktion.
 
Mir stellt sich da die Frage: Musste Deutschland durch solche Ansagen nicht noch mehr in eine Paranoia des Umzingeltsein versinken?
Ich würde mich wie in eine Zwangsjage gesteckt fühlen und nach Möglichkeiten suchen, diesen Zustand zu beenden. Diplomatie wäre ein Mittel, aber wie umsichtig denkend wird man, wenn einem von allen Seiten Prügel offeriert wird?

Ich würde die Frage umformulieren, weil das "musste" auf eine rein subjektive Einschätzung hinausläuft:

geben die Quellen eine verstärkte "Paranoia" in Bezug auf bilaterale Beziehungen her oder nicht?

Bzgl. Großbritannien kannst Du danach, ebenso wie für Frankreich, sogar eine Entspannung feststellen, wie Turgot heute in anderem Zusammenhang festgestellt hat.

Die Briten brauchten sich nicht groß zu wundern, denn ihr eigener Botschafter in Petersburg hat doch genau diese Informationen in seiner Berichterstattung entweder gezielt unterschlagen oder doch maßlos untertrieben.
Buchanan war nämlich ebenfalls Mitglied der antideutschen Fraktion.

Schmidt hat doch die Verwirrung der Botschafter in Petersburg, ablesbar an den berühmten Telegrammen, sowohl für Frankreich wie für Großbritannien minutiös analysiert.

Sollte man nicht darauf rekurrieren?
 
Bzgl. Großbritannien kannst Du danach, ebenso wie für Frankreich, sogar eine Entspannung feststellen, wie Turgot heute in anderem Zusammenhang festgestellt hat.

Vollkommen korrekt. Nur hat es eben nicht daszu gereicht, das im Falles eines Falles Russland an die Zügel genommen wird und von daher war die Enttäuschung auf deutscher Seite, vor allem gegenüber London, nicht ganz unverständlich, groß.
 
Schmidt hat doch die Verwirrung der Botschafter in Petersburg, ablesbar an den berühmten Telegrammen, sowohl für Frankreich wie für Großbritannien minutiös analysiert.

Sollte man nicht darauf rekurrieren?

Du meinst Stefan Schmidt Werk "Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914".

Er berichtet aber, jetzt ohne groß nachzuschlagen, so meine ich mich zu erinnern, primär über den französischen Botschafter Palèologue sein Vogehen. Dieser hatte aber Paris nicht von der Mobilmachung, sondern nur von der temporären Zurücknahme, in Kenntnis gesetzt. Schmidt führt in seinem Werk auch aus, das Palèologue bei seiner Berichterstattung auch nicht immer die volle Wahrheit über die Vorgänge in Petersburg übermittel hätte.

Über Buchanan war dort zu lesen, von dem ganzen Umständen mit de Datierung und Übermittlung einmal abgesehen, das Sasonow Buchanan wohl nicht vollständig informiert hat. Okay, dann nehme ich diese nicht zutreffende Behauptung von Konrad Canis gerne zurück.:winke:
 
Vollkommen korrekt. Nur hat es eben nicht daszu gereicht, das im Falles eines Falles Russland an die Zügel genommen wird und von daher war die Enttäuschung auf deutscher Seite, vor allem gegenüber London, nicht ganz unverständlich, groß.

Genau, aber hier besteht das nächste Dilemma:

Bethmann Hollwegs Risikostrategie im Juli 1914 bestand gerade darin - darauf wird man sich wohl verständigen können, Motivdiskussionen können wir außen vor lassen - Friktionen im "Ring" zwischen FRA/RUS, FRA/GB und GB/RUS herbeizuführen.

Sortieren wie das mal, und ein gedachter Erfolg vorausgesetzt, ergibt sich dadurch gerade ein reduzierter Einfluss in der Krisendynamik, "Mäßigung" in Bezug auf Russland zu bewirken. Also das Gegenteil des Angestrebten.

1. Für Frankreich zielte das also auf die einfache "Wahlmöglichkeit" ab, (a) durch einen provozierten Rückzieher Frankreichs in der Krise die "Lebensversicherung Russland" vor den Kopf zu stoßen oder aber (b) fest zum Zweiverband zu stehen. Es erfolgte (b).

2. Steht 1b fest, ergibt sich die angestrebte Friktion zwischen GB/FRA mit der Wahlmöglichkeit für Großbritannien, "mäßigend auf FRA" (und damit hoffentlich indirekt auf RUS) einzuwirken und damit den Interessenausgleich von 1904 zu strapazieren (wegen einer Balkankrise (!), die - ante bellum - die Interessen des Empire höchstens peripher berührte) oder sogar zum Platzen zu bringen, oder sich für ein "stand firm" zu entscheiden, in dem sich der Spieß umdrehen würde und man sich für eine Abschreckungspolitik gegenüber dem Deutschen Reich entscheidet.

3. Steht 1b fest, entsteht für Großbritannien weiterhin das "Problem" des Umgangs mit einem Russland analog der Entscheidungsmöglichkeiten unter 2: künftige Eiszeit mit Russland bei ohnehin bereits zugespitzten Verhältnissen 1914 aufgrund der Konfrontation in Persien und an der Nordwestgrenze Indiens, oder eben Politik korrespondierend zu 2b.

Das ist natürlich nur eine grobe Vereinfachung und plakative Zuspitzung der "Entscheidungsbäume" der Risikopolitik, die verfolgt wurde. Deutlich wird hierdurch zweierlei: die provozierten Friktionen und das Maß des Risikos.

Du meinst Stefan Schmidt Werk "Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914".

Er berichtet aber, jetzt ohne groß nachzuschlagen, so meine ich mich zu erinnern, primär über den französischen Botschafter Palèologue sein Vogehen. Dieser hatte aber Paris nicht von der Mobilmachung, sondern nur von der temporären Zurücknahme, in Kenntnis gesetzt. Schmidt führt in seinem Werk auch aus, das Palèologue bei seiner Berichterstattung auch nicht immer die volle Wahrheit über die Vorgänge in Petersburg übermittel hätte.

Über Buchanan war dort zu lesen, von dem ganzen Umständen mit de Datierung und Übermittlung einmal abgesehen, das Sasonow Buchanan wohl nicht vollständig informiert hat. Okay, dann nehme ich diese nicht zutreffende Behauptung von Konrad Canis gerne zurück.:winke:

Genau den meinte ich, und das "problematische" Telegramm, das Schmidt erklärt (hier gab es den Literaturdisput, ob Palèologue absichtlich oder irrtünlich falsch informiert habe). Lies doch nochmal nach, ich habe das anläßlich dieser Diskussionen hier vor ein paar Wochen nachgeschlagen und dort die Erklärung Schmidts gefunden.

Bzgl. Buchanan sehe ich das ebenfalls so, dass hier eine Fehl- oder Falschinformation Sasonows (Ursache, Absicht, Motiv?) vorlag.
 
Bevor wieder die allgemeine Kriegsschulddebatte beginnt ;), mal stärker zum Thema:

Wir haben folgende Kette der Ereignisse:
-Attentat (an sich kein Kriegsgrund)
-Österreich-Ungarn will einen lokalen Krieg gegen Serbien, bekommt allgemein in Europa Verständnis dafür, dass die serbischen Bemühungen nicht ausreichend sind (ÖU will einen Krieg, wobei ich mir keine andere Art der Durchsetzung vorstellen kann, Sanktionen o.ä. hätten nicht viel gebracht)
-Russland mobilisiert als erste Großmacht vollständig, einige Aktionen wurden sogar noch davor veranlasst (was die Fähigkeit zum Angriff natürlich deutlich steigert)
-Die Bündnissysteme schlagen an, nachdem in Deutschland Belgien als Aufmarschort durch den einzig vorhandenen Plan feststeht kommt so auch das Vereinigte Königreich ins Spiel

Östereich-Ungarn hat durch das Ultimatum einen eigenen Zugzwang verursacht, der dann nur noch mit (lokalem) Krieg durchbrochen werden konnte. Dieser Krieg wurde dann durch Russland aus der Lokalität gelöst.
 
Silesia schrieb:
Genau, aber hier besteht das nächste Dilemma:

Bethmann Hollwegs Risikostrategie im Juli 1914 bestand gerade darin - darauf wird man sich wohl verständigen können, Motivdiskussionen können wir außen vor lassen - Friktionen im "Ring" zwischen FRA/RUS, FRA/GB und GB/RUS herbeizuführen.

Sortieren wie das mal, und ein gedachter Erfolg vorausgesetzt, ergibt sich dadurch gerade ein reduzierter Einfluss in der Krisendynamik, "Mäßigung" in Bezug auf Russland zu bewirken. Also das Gegenteil des Angestrebten.

1. Für Frankreich zielte das also auf die einfache "Wahlmöglichkeit" ab, (a) durch einen provozierten Rückzieher Frankreichs in der Krise die "Lebensversicherung Russland" vor den Kopf zu stoßen oder aber (b) fest zum Zweiverband zu stehen. Es erfolgte (b).

2. Steht 1b fest, ergibt sich die angestrebte Friktion zwischen GB/FRA mit der Wahlmöglichkeit für Großbritannien, "mäßigend auf FRA" (und damit hoffentlich indirekt auf RUS) einzuwirken und damit den Interessenausgleich von 1904 zu strapazieren (wegen einer Balkankrise (!), die - ante bellum - die Interessen des Empire höchstens peripher berührte) oder sogar zum Platzen zu bringen, oder sich für ein "stand firm" zu entscheiden, in dem sich der Spieß umdrehen würde und man sich für eine Abschreckungspolitik gegenüber dem Deutschen Reich entscheidet.

3. Steht 1b fest, entsteht für Großbritannien weiterhin das "Problem" des Umgangs mit einem Russland analog der Entscheidungsmöglichkeiten unter 2: künftige Eiszeit mit Russland bei ohnehin bereits zugespitzten Verhältnissen 1914 aufgrund der Konfrontation in Persien und an der Nordwestgrenze Indiens, oder eben Politik korrespondierend zu 2b.

Das ist natürlich nur eine grobe Vereinfachung und plakative Zuspitzung der "Entscheidungsbäume" der Risikopolitik, die verfolgt wurde. Deutlich wird hierdurch zweierlei: die provozierten Friktionen und das Maß des Risikos.


Wenn man das Ganze summiert, dann kann wohl festgehalten werden, das Großbritannien aus Gründen des Erhalts seine Empires, dazu wurde Frankreich aber vor allem eben Russland dringend benötigt, eben im Juli 1914 nicht mehr die Rolle des ehrlichen Maklers wahrnehmen konnte und wollte.
 
Wenn man das Ganze summiert, dann kann wohl festgehalten werden, das Großbritannien aus Gründen des Erhalts seine Empires, dazu wurde Frankreich aber vor allem eben Russland dringend benötigt, eben im Juli 1914 nicht mehr die Rolle des ehrlichen Maklers wahrnehmen konnte und wollte.

Ich würde es noch zugespitzter sehen:

die deutsche "Risiko"politik (bis die Militärs in der letzten Julidekade mitmischten) ist bereits eine Vabanquepolitik gewesen, wenn man tatsächlich so blauäugig war, GB (mit dem Problem des Empire im Hintergrund, nebst diversen Baustellen mit RUS im Mittleren und Fernen Osten) in einer diplomatisch eskalierten Krise zwischen RUS/FRA und DR/ÖU die Maklerrolle aufdrücken wollte (sei es nun, um Friktionen zu provozieren oder auch nicht).

Eine fundamentale strategische, globale Faktoren missachtende Fehlkalkulation, die sich auch nicht mit "nachher ist man schlauer" entschuldigen lässt. Dieses Szenario ist vielmehr völlig unzureichend durchdacht worden, als man zündelte.

Oder in Anlehnung an Fouchè: Das war mehr als ein Verbrechen, das war ein Fehler.
 
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