Aber du meintest Belgien sei lediglich eine ausrede gewesen sein ich behaupte dass es der Hauptgrund gewesen ist.
Belgien war der Auslöser. Aber der sekundäre Grund war die Sicherung der nationalen Integrität von Frankreich und die damit zusammenhängende Verhinderung einer Hegemonie des Deutschen Reichs auf dem Kontinent.
Und man kann ergänzen, dass es fast einem historischen Paradigma gleichkam, dass GB sich kontinental engagierte, sofern Belgien respektive die Niederlande durch Besetzung betroffen waren.
Eine sehr gute Darstellung der komplizierten Entscheidungsfindung findet sich beispielsweise bei Hamilton & Herwig, S. 130 ff.
Decisions for War, 1914-1917 - Google Books
Vorausgeschicht werden muss, dass seit 1839 von GB die vertraglich Bereitschaft erklärt worden ist, Belgien zu "beschützen". Damit war allerding keine Verpflichtung verbunden, es im Rahmen eines Krieges zu tun.
Insgesamt zeigte das britische Kabinett bis zum Schluss eine geringe Bereitschaft, in den Krieg einzutreten. Die Besetzung von Belgien durch das DR war dabei der entscheidende Katalysator, der das Pendel in Richtung Kriegseintritt umschlagen ließ.
Ablauf August 1914
1. August. Das Kabinett wollte sich aus dem Krieg heraushalten. Greys Position für einen Kriegseintritt war nicht mehrheitsfähig. Grey teilt Lichnowsky mit, dass GB nicht in den Krieg eintritt, sofern das DR nicht F angreift. Von Lichnowsky kommt die - gut gemeinte aber leider sehr subjektive - Zusicherung, dass das DR keinen Angriff auf F vornehmen würde.
Am 1. August erklärt das DR Russland den Krieg. Die Folge ist, dass das DR und auch F ihre Armeen mobilisieren (vgl. S. 140).
2. August. Die Mobilisierung der Armee des DR bedeutet die erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Angriffs auf F. Der Schlieffenplan war zumindest in F in Grundzügen bekannt.
Grey will mit diesen Informationen die "Neutralen" im Kabinett auf Intervention in den Krieg einstimmen. Von Asquith kommt der Hinweis, dass ca. 75 Prozent der Liberalen Partei für eine Nicht-Intervention "at any price" sind!!!!!
3. August: Das DR fordert freien Durchmarsch durch Belgien. Nachmittags hält Grey eine Rede im Unterhaus und erklärt die Notwendigkeit, die Neutralität von Belgien zu verteidigen mit allen Voraussetzungen und Konsequenzen, die sich für GB ergeben würden.
Es ergibt sich dabei in der Argumentation eine Parallele, die die Glaubwürdigkeit von GB als Großmacht anspricht. Ein Zurückweichen vor der Eskalation ("Brinkmanship") und den Forderungen von DR würde die Position von GB als Großmacht nachhaltig erschüttern.
Eine ähliche Sichtweisen der Einbettung des Konflikts auch in eine "anarchische hobbes`sche Staatenwelt" bei Levy und Vasquez.
The Outbreak of the First World War: Structure, Politics, and Decision-Making - Google Books
Am Abend beschließt das Kabinett eine Forderung an das DR, seine Truppen aus Belgien wieder abzuziehen.
4. August: Das britische Kabinett hat verläßliche Informationen, dass deutsche Truppen die Neutralität von Belgien verletzt haben. Asquith und Grey formulieren ein Ultimatum an das DR, das um 23 Uhr am 4.August auslaufen soll.
Es erfolgt keine Antwort von deutscher Seite auf das finale Ultimatum.
In der Nacht von 4. zum 5. August erklärt daraufhin GB dem DR den Krieg.
In der Bewertung schreiben Hamilton und Herwig: " It was entered into with a deep sense of foreboding in the belief that any other course would have been potentially even more damaging than war to Britain`s interest." (S. 145)
Und auch an dieser sicherlich zutreffenden Einschätzung wird deutlich, dass ähnliche Sichtweisen in anderen Hauptstädten anzutreffen war.
Und es wird auch deutlich, dass dies Beschreibung keine Entschuldigung oder Erklärung sein kann, sondern lediglich darauf verweist, dass der Versuch einer Abschreckungspolitik nahezu von allen europäischen Großmächten im Rahmen eines massiven Rüstungswettlaufs seit ca. 1907 die diplomtischen Fähigkeiten der beteiligten Nationen überfordert hat.
Armaments and the Coming of War: Europe, 1904-1914 - David Stevenson - Google Books
Sie waren letztlich Zauberlehrlinge, die allerdings in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlicher offensiver Intention, mit "arkanen" Mächten gespielt haben, die sie in der Konsequenz nicht beherrschen konnten. Vielleicht auch ein wenig im Sinne von Taylor und seiner Vorstellung des Krieges "by timetable" (vgl. auch D. Stevenson: War by timetable? The Railway Race before 1914. Past and Present, No 162, Feb. 1999, S. 163-193).
War by Timetable: How the First World War Began - A. J. P. Taylor - Google Books