Kriegsschuldfrage 1. Weltkrieg: wieso wird Österreich-Ungarn nie erwähnt?

Vor frühestens Do. ist es mir leider nicht möglich, auf Eingebungen eines @thanepower näher einzugehen, mangels Literatur im "Exil".
Daher auch allgemein einige Fragen, deren Beantwortung mein großes Interesse besitzt.



Warum gingen Schlieffen(bei Kriegsbeginn bereits 8 Jahre unter der Erde!), Moltke der. J., Bethmann Hollweg und maßgebende Kreise der Reichsleitung eigentlich *unabhängig* von einem Einmarsch in Belgien sicher von einem britischen Eingreifen in einem frz-deutschen Krieg aus?

Wie erklärte brit. Politik oder die exzellenten Propagandaabteilungen Neutralitätsverletzungen ggü. Persien, Griechenland, ggü. dem Osmanischen Reich (Dardanellenbeschuss noch vor Kriegseintritt des OR), die völkerrechtlich ebenfalls als Neutralitätsverletzung gewertete Seeblockade oder auch die Neutralitätsmissachtung am 2. Aug. 1914, ein Tag vor dt. Kriegserklärung, zwei Tage vor Beginn des Einmarsches in Belgien; nach Kabinettbeschluss wurde franz. Schifffahrt sofortiger Schutz in der ganzen Nordsee zu erkannt.

Inwiefern sind dutzende Zitate und Handlungen führender Politiker, Adimiräle und Generalstabler auf brit. Seite sowohl im unmittelbaren Vorfeld des Krieges, wie auch durchaus seit 1904 maßgeblich und als eine andere Art von "Blankocheck" zu verstehen, auch wenn wir alles unterhalb von Premierminister, Außenminister oder erster Lord oder erster Seelord großzügig übergehen und dann immer noch mit offenem Munde manch unzweifelhafte Äußerung vernehmen, sowie auch festes Vertragswerk manch Intention zu deutlich macht?

Wieso sind neuere englisschsprachige Monographien die eine Gesamtdarstellung des Krieges behandeln in ihrer Majorität ganz klar der These verbunden, Belgien war nur Vorwand, nie ein Grund - wobei sich einige Autoren sogar dazu verleiten lassen, zu unterstellen, GB wäre etwaig selbst in Belgien einmarschiert?

Der bestimmende Sprachduktus ist mir auch schleierhaft. Wieso ist hier bezügl. dt. Seite von Paranoia oder Einkreisungsphobie die Rede, mit Blick auf GB und einem Halbsatz wie "dem Problem mit´m Empire" hingegen jedes Gefühl einer Bedrohung sehr real und ernstzunehmen, ohne weitere "Problem"auseinandersetzung?
 
Ich würde es noch zugespitzter sehen:

die deutsche "Risiko"politik (bis die Militärs in der letzten Julidekade mitmischten) ist bereits eine Vabanquepolitik gewesen, wenn man tatsächlich so blauäugig war, GB (mit dem Problem des Empire im Hintergrund, nebst diversen Baustellen mit RUS im Mittleren und Fernen Osten) in einer diplomatisch eskalierten Krise zwischen RUS/FRA und DR/ÖU die Maklerrolle aufdrücken wollte (sei es nun, um Friktionen zu provozieren oder auch nicht).

Eine fundamentale strategische, globale Faktoren missachtende Fehlkalkulation, die sich auch nicht mit "nachher ist man schlauer" entschuldigen lässt. Dieses Szenario ist vielmehr völlig unzureichend durchdacht worden, als man zündelte.

Oder in Anlehnung an Fouchè: Das war mehr als ein Verbrechen, das war ein Fehler.

Meines Wissens nach gab es auf deutscher Seite auch gar keine militärisch sorgfältige ausgearbeitet Analyse hinsichtlich der Aussichten auf einem Sieg. Anscheinend fragte auch niemand danach und das finde ich schon erstaunlich, denn so eine wäre ja eine wohl kaum zu überschätzende Grundlage für den Kaiser und das Auswärtige Amt gewesen.

Anzumerken ist auch noch, das Wilhelm von Szögýgeny, Hoyos und Berchthold in gewisser Weise ausgetrickst worden ist. Wilhem wußte nämlich nicht, das sein Votum entscheidend für den Kurs der Monarchie war; sein Plazet sollte die Entscheidung zwischen Tiza und Berchthold bringen und das wurde Wilhelm nicht zur Kenntnis gereicht.

Hier noch zwei Zitate von Bethmann an Berchthold im Zuge der vorigen Balkankrise zu Beginn des Jahres 1913:

"Auch muss man bei objektiver Prüfung zu dem Ergebnis kommen, dass es für Russland bei seinen traditionellen Beziehungen zu den Balkanstaaten beinahe unmöglich ist, ohne einen ungeheuren Verlust an Prestige einen militärischen Vorgehen Österreich-Ungarns gegen Serbien tatenlos zuzusehen. Die Vertreter einer friedlichen Richtung, [...], würden von dem Sturm der öffentlichen Meinung einfach fortgeweht. Die Folgen eines russischen Eingreifens liegen aber offen zutage. Sie würden würden auf einen kriegerischen Konflikt des - von Italien vorausichtlich nicht mit grossem Enthusiamismus unterstützen - Dreibundes gegen die Tripleentente hinauslaufen." (1)

"Die englische Haltung (in der Balkankrise) gesellt sich den mancherlei Anzeichen zu, die darauf hindeuten, dass die Ententepolitik ihren Höhepunkt überschritten hat und dass wir einer Neuorientierung der englischen Politik entgegensehen dürfen, wenn es uns gelingt, ohne Konflikte aus der gegenwärtigen Krisis herauszukommen. Es handelt sich um Entwicklungen, die sich in den ersten Anfängen befindenu un die einer gewissen zeit bedürfen werden, um zu reifen. Eine gewaltsame Lösung aber - selbst wenn mache Interessen der österreichisch-ungarischen Monarchie auf eine solche hindrängen sollten - in einem Augenblick herbeizuführen, in dem sich uns wenn auc nur entfernte Aussicht eröffent, den Konflikt unter für uns wesentlichen günstigeren Bedinungen auszutragen, würde ich für eine Fehler von unermesslicher Tragweite halten." (2)


Möglicheweise meinte Bethmann, das die Rahmenbedingungen, Einigung mit Großbritannien in der Bagdadbahnfrage, der portugieischen Kolonien den Höflichkeitsbesuch der britschen Flotte in Kiel das sich etwas in Londons grundsätzlich Einstellung zum Deutschen Reich so positiv gewandelt hätte, das er mit einer britischen Neutralität meinte rechnen zu können. Nur, Bethmann war ja schließlich kein Idiot, sollten auch ihm die britischen Prämissen bezüglich seines Weltreiches und wie sich diese am besten verwirklichen ließen, gewusst haben. Er hat ja durchaus zutreffend die Spannungen zwischen den Briten und Russen wahrgenommen und seine Aussage, die Dinge reifen zu lassen, war ja nicht ganz unbegründet, denn in London war die Begeisterung für das Bündnis mit Russland doch ziemlich abgekühlt. Deutscherseits hätte man einfach zuwarten sollen.




(1) Geiss, Juli 1914
(2) Große Politik, band 34, Dokument Nr. 12818
 
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Hey,

Erstmal Nein ich will nicht darüber diskutieren wer schuld am Krieg ist!...
/
Weil die Diskussion trotzdem weitgehend in diese Richtung gelaufen ist und diese Behauptung stillschweigend als Faktum genommen wurde

Österreich - Ungarn wird kaum bis gar nicht erwähnt und ihnen wird bzw. Wurde nie gesagt dass sue schuld seien (außer bei ausführlichen Büchern zur kriegsschuld)./
will ich doch noch kurz meine Sicht anmerken, dass das schon von Anfang an nicht so war. Im Artikel 177 des Vertrags von Saint-Germain heißt es:
Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Österreich erkennt an, daß Österreich und seine Verbündeten als Urheber für die Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Österreich-Ungarns und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.
 
Weil die Diskussion trotzdem weitgehend in diese Richtung gelaufen ist und diese Behauptung stillschweigend als Faktum genommen wurde


will ich doch noch kurz meine Sicht anmerken, dass das schon von Anfang an nicht so war. Im Artikel 177 des Vertrags von Saint-Germain heißt es:
Auch im Versailler Vertrag wird von "Deutschland und seinen Verbündeten" gesprochen.
 
Auch im Versailler Vertrag wird von "Deutschland und seinen Verbündeten" gesprochen.


Nun, auch wenn die berüchtigte alliierte Mantelnote nicht offiziell durch Deutschland anerkannt werden musste, zeigt sich dort schon, dass in dieser Ö-U zu Ungunsten D´s entlastet wird (Euphemismus pur...) und Deutschland in Verbindung mit Verbrechen, Tyrannei, Unterjochung, unmenschlicher Kriegsführung wie alleiniger Entfesselung eines Weltenbrandes sowie unzähliger anderer Vergehen in einer Art und Weise gebrandmarkt wird, dass man wahrlich schlucken muss. Deutschland wird in dem "Pamphlet" in fast jedem zweiten Satz erwähnt, Ö-U so gut wie gar nicht (oder gar nicht?). Allein wer dies liest, kann sich nur schwerlich vorstellen, dass jemals ein Remisfrieden mit alten diplomatischen Kabinettkriegs-Mittelchen realistisch verhandelbar war. Was in den Vorkriegsjahren noch harmlose englische Schund-Romane vortrugen, war längst Realpolitik der höchsten Instanzen.

Merkwürdigerweise finde ich den Volltext der Note nicht bei wiki oder dhm, oder übersehe ich gerade etwas? Ist wohl nicht wichtig genug, wurde dem Volk in der Weimarer Republik ja nur jahrelang unter die Nase gerieben um dem Extremismus von links wie rechts einen guten Dienst zu erweisen.
 
@Staatsräson: Verstehe ich nicht. Bemängelst Du, dass Österreich-Ungarn in der Nachbetrachtung zu wenig "Schuld" abbekommen hat?

Wie hätte es denn Deiner Meinung nach "gerechter" aussehen sollen?

Denn es sollte noch berücksichtigt werden, dass Österreich die Selbstbestimmung verwehrt wurde und der kriegsführende Staat 1918 untergegangen ist.
 
@Staatsräson: Verstehe ich nicht. Bemängelst Du, dass Österreich-Ungarn in der Nachbetrachtung zu wenig "Schuld" abbekommen hat?

Wie hätte es denn Deiner Meinung nach "gerechter" aussehen sollen?

Denn es sollte noch berücksichtigt werden, dass Österreich die Selbstbestimmung verwehrt wurde und der kriegsführende Staat 1918 untergegangen ist.

Das ist in wichtiger Punkt. Wie hätte man den einen Staat noch weiter zur Verantwortung ziehen können, den man bereits aufgelöst hatte?
 
Hier die Mantelnote:

Diese Antwort war begleitet von einer Mantelnote vom selben Tag,
redigiert von dem Mitglied der englischen Delegation Kerr
. Darin: »(Es) halten die alliierten und assoziierten Mächte für erforderlich, ihre Antwort mit einer scharf umrissenen Darlegung ihres Urteils über den Krieg zu beginnen, ein Urteil, welches tatsächlich und letzten Endes dasjenige der Gesamtheit der zivilisierten Welt ist. Nach der Anschauung der alliierten und assoziierten Mächte ist der Krieg, der am 1. August 1914 zum Ausbruch gekommen ist, das größte Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Freiheit der Völker gewesen, welches eine sich für zivilisiert ausgebende Nation jemals mit Bewußtsein begangen hat. Während langer Jahre haben die Regierenden Deutschlands… getrachtet, sich dazu fähig zu machen, ein unterjochtes Europa zu beherrschen und zu tyrannisieren, so wie sie ein unterjochtes Deutschland beherrschten und tyrannisierten… Indessen beschränkt sich die Verantwortlichkeit Deutschlands nicht auf die Tatsache, den Krieg gewollt und entfesselt zu haben. Deutschland ist in gleicher Weise für die rohe und unmenschliche Art, auf die er geführt worden ist, verantwortlich… Das Verhalten Deutschlands ist in der Geschichte der Menschheit fast beispiellos. Die schreckliche Verantwortlichkeit, die auf ihm lastet, läßt sich in der Tatsache zusammenfassend zum Ausdruck bringen, daß wenigstens 7 Millionen Tote in Europa begraben liegen, während mehr als 20 Millionen Lebender durch ihre Wunden und ihre Leiden von der Tatsache Zeugnis ablegen, daß Deutschland durch den Krieg seine Leidenschaft für die Tyrannei hat befriedigen wollen… Zum Schluß müssen die alliierten und assoziierten Mächte es offen aussprechen, daß dieser Brief und die angeschlossene Denkschrift ihr letztes Wort in der Angelegenheit darstellen.«


Quelle: Mod an: Link musste entfernt werden. Bitte immer genau prüfen was verlinkt wird. Bei Unsicherheit kann man gerne einen Mod seines Vertrauens fragen. Danke Mod aus
 
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