Kriegsschuldfrage 1. Weltkrieg

G

Geschi-Mar-11

Gast
Hallo zusammen.

Ich habe rein interessehalber eine kurze Frage zu dem ehemaligen britischen Premierminister David Lloyd George.
Und zwar hat er die These aufgestellt, dass alle europäischen Großmächte 1914 in den Krieg "hineingeschlittert" seien. Diese These stammt meines Wissens nach von 1919 - ist das richtig?

Nun zur Frage: Wieso vertrat er dann bzgl. des Versailler Vertrags die Position der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands, um sie nach kurzer Zeit selbst zu widersprechen?
....innerhalb kürzester Zeit



Über eine Antwort wäre ich sehr dankbar.
Mfg M.
 
Ein weitaus belesenerer User hatte mal geschrieben, das die im Versailler Vertrag festgeschrieben Kriegsschuldklausel eher ein juristisches Detail als eine Antwort auf "wer trägt die Schuld" war. Es war der nötig damit man Deutschland die Reparationen aufschultern konnte, wurde aber anders kommuniziert.
 
In einzelnen Formulierungen sicher diskussionswürdig, aber im Grundsatz richtig hat das auch Eingang in den Wiki-Artikel gefunden:

Friedensvertrag von Versailles ? Wikipedia
Treaty of Versailles - Wikipedia, the free encyclopedia

Im Kern geht es um "responsibility", Verantwortlichkeit, da die Reparationsfrage nur dem Grunde nach geregelt werden sollte, noch nicht der konkreten Höhe nach. Deutschland sollte sich der Verantwortlichkeit für Reparationen nicht entziehen.

In der deutschen Propaganda wurde das mit "aggression" verknüpft, was auf den sofortigen militärischen Angriff in Frankreich (und Belgien) laut Schlieffen-Moltke-Plan bezogen war.

Der "Tintenkrieg" um die Kriegsschuldfrage nach 1919 war keine "Frage der Ehre", sondern es war politischer Konsens in Deutschland, dass man mit Beseitigung des "Kriegsschuldsartikels" (nach deutscher Lesart, nicht nach internationaler) die "Reparationsfrage" erledigen könne.
 
Kriegsschuld und Artikel 231 VV.

So wie ich es verstehe war der Artikel 231 des Vertrages Kernpunkt bezüglich der Kriegsschulddebatte in Deutschland nach dem Krieg.
Artikel 231:
Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.

Margaret MacMillan - Paris 1919 -S.466ff - schreibt dazu Interessantes:
Es sei so gewesen, dass derartige Klauseln durchaus üblich waren um einen Reparationsanspruch zu begründen.
(Und schaut man zurück, so waren auch Reparationen selbst Usus.)
Und derartige Klauseln seine auch in den Verträgen mit Österreich und Ungarn vorhanden gewesen, ohne dass hier eine vergleichbare Reaktion erfolgte.
(und es ist schon eine spannende Frage, wo hier die Unterschiede bestanden..)
Der amtierende Außenminister Brockdorff-Rantzau habe jedenfalls eine Taktik zur Milderung der Reparationen und der Entwaffnung angewandt, die sich als gefährlich erweisen sollte..
..Mai 1919.

Er versuchte seine Verhandlungsposition dadurch zu verbessern, dass er den Artikel 231 zu Ehrenfrage erhob und dies hartnäckig wiederholte.
In Deutschland fand das große Resonanz (in Paris nicht).

Und hätte der Art. 231 des VV in der Wahrnehmung der Deutschen eine solche, fast wunderliche, Interpretation erfahren, wenn nicht auch zum Zeitpunkt des Waffenstillstands deren Truppen tief im Feindesland gestanden wären und die eigene Niederlage als böse Überraschung kam?
Und wenn nicht gleichzeitig die Deutschen enttäuscht erleben mussten, dass es für sie fast nichts mehr zu verhandeln gab?
War es also eine Kombination von verschiedenen Umständen, die dem, an sich nicht ungewöhnlichen, Artikel 231 solche Symbolkraft gab?
Und gedeihte diese spezielle Wahrnehmung auch deshalb, weil sie mit anderen Interpretationen ein vorstellbares Bild malen konnte?
 
So wie ich es verstehe war der Artikel 231 des Vertrages Kernpunkt bezüglich der Kriegsschulddebatte in Deutschland nach dem Krieg.
Artikel 231:
Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.

Margaret MacMillan - Paris 1919 -S.466ff - schreibt dazu Interessantes:
Es sei so gewesen, dass derartige Klauseln durchaus üblich waren um einen Reparationsanspruch zu begründen.
(Und schaut man zurück, so waren auch Reparationen selbst Usus.)
Und derartige Klauseln seine auch in den Verträgen mit Österreich und Ungarn vorhanden gewesen, ohne dass hier eine vergleichbare Reaktion erfolgte.
(und es ist schon eine spannende Frage, wo hier die Unterschiede bestanden..)
Der amtierende Außenminister Brockdorff-Rantzau habe jedenfalls eine Taktik zur Milderung der Reparationen und der Entwaffnung angewandt, die sich als gefährlich erweisen sollte..
..Mai 1919.

Er versuchte seine Verhandlungsposition dadurch zu verbessern, dass er den Artikel 231 zu Ehrenfrage erhob und dies hartnäckig wiederholte.
In Deutschland fand das große Resonanz (in Paris nicht).

Und hätte der Art. 231 des VV in der Wahrnehmung der Deutschen eine solche, fast wunderliche, Interpretation erfahren, wenn nicht auch zum Zeitpunkt des Waffenstillstands deren Truppen tief im Feindesland gestanden wären und die eigene Niederlage als böse Überraschung kam?
Und wenn nicht gleichzeitig die Deutschen enttäuscht erleben mussten, dass es für sie fast nichts mehr zu verhandeln gab?
War es also eine Kombination von verschiedenen Umständen, die dem, an sich nicht ungewöhnlichen, Artikel 231 solche Symbolkraft gab?
Und gedeihte diese spezielle Wahrnehmung auch deshalb, weil sie mit anderen Interpretationen ein vorstellbares Bild malen konnte?


Ich glaube, in einen der diversen Threads zum 1. Weltkrieg war das bereits Thema gewesen, in denen gesagt worden ist, dass der Artikel 231 an sich ein reiner Artikel hinsichtlich der Kriegsschulden war und zwar dergestalt offen, dass man zum einen die Öffentlichkeit in den Siegerländern nicht brüskierte als auch so soweit offen formulierte, dass man die Höhe in Verhandlungen festellen konnte.

http://www.geschichtsforum.de/f62/versailler-vertrag-zu-hart-und-weich-13487/index5.html

Hier habe in den Thread gefunden.

Warum man aber in Deutschland sich explizit an dem Artikel gestoßen hat, ist eine sehr gute Frage, dieich so auch nicht beantworten kann. Nach kurzer Literaturrecherche habe ich auch nichts entsprechendes gefunden, ich vermute aber auch, dass im Rahmen der Dolchstoßlegende gerade dieser Artikel explizit hervorgehoben wurde, um eine zum Teil mit Absicht verfolgte Fehlinterpretation dieses Artikels zu provozieren und damit die "Wut" bzw. das Fehlverhalten auf die Allierten zu lenken. Aber diese Angabe ist ohne Gewähr. Ich hoffe, unsere Experten silesia, thanepower und co. uns aufklären können.
 
Danke Lafayette für den Hinweis.
Hatte ich nicht gefunden.

Grüße hatl

P.S. die Dolchstoßlegende geht mir dabei auch durch den Kopf,
so als eines der Gewürze die eine giftige Ideensuppe schmackhaft macht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich glaube, in einen der diversen Threads zum 1. Weltkrieg war das bereits Thema gewesen, in denen gesagt worden ist, dass der Artikel 231 an sich ein reiner Artikel hinsichtlich der Kriegsschulden war und zwar dergestalt offen, dass man zum einen die Öffentlichkeit in den Siegerländern nicht brüskierte als auch so soweit offen formulierte, dass man die Höhe in Verhandlungen festellen konnte.

http://www.geschichtsforum.de/f62/versailler-vertrag-zu-hart-und-weich-13487/index5.html

Das ist schon gut zusammengefasst.

Im Prinzip muss man unterscheiden
a) was mit der Klausel bezweckt wurde und was sie aussagt
b) wie sie verstanden wurde
c) was daraus "gemacht" wurde, und welchem Zweck.

Die Klausel bezweckte ursprünglich, die Verantwortlichkeit Deutschlands unter dem Aspekt der 1919 nicht regelbaren Reparationsfrage festzuhalten. Dies war nicht regelbar, weil 1. keine Einigung hergestellt werden konnte und der Aspekt der zu beurteilenden Realisierbarkeit deutscherseits und der politischen Akzeptanz auf Seiten der Siegermächte ebenfalls auf die Zukunft verschoben wurde.

So betrachtet, sollte die Klausel ein Dilemma lösen, reduziert war sie letztlich ein Platzhalter für eine konkrete Reparationsregelung. Was daraus politisch wurde, war so nicht wohl vorhergesehen, oder beabsichtigt.

Deutscherseits war das - dieser Mechanismus - sehr wohl klar erkannt, bei allen "Ehrenfragen" und "Demütigungen" und propagandistischem Qualm lesen sich die Absichten aller künftigen Reichsregierungen glasklar in der Weise: beseitigen wir den"Kriegsschuldartikel, beseitigen wir die Reparationsfrage.

Man kann offen lassen, ob das von Beginn an so war, oder die ersten Reaktionen tatsächlich aufgrund einer wahrgenommenen Demütigung erfolgten (b). Das spätere Kalkül (c) steht jedenfalls außer Frage.
 
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