Kursk Juli 1943 - Operation Zitadelle

Dabei hätte die Schlacht auch anders verlaufen können. Im Prinzip hatte man sich im Kreis von Stavka mit Stalin geeinigt, die Entscheidung um den Kursker Bogen für Mitte 1934 nicht durch einen eigenen Angriff zu suchen. (Chlewnjuik: Stalin, S.359) In diesem Sinne hat Stalin sich mit seinen Generalen abgestimmt und ist von der bedingungslosen Linie des Angreifens abgewichen.

Die Frage ist, inwieweit es sich wirklich um Absichten, oder mehr um eine fortlaufende Überprüfung der operativen Absichten für den Kursker Bogen handelte. Die ununterbrochene Vorbereitung der Defensive im Kursker Bogen spricht eigentlich dafür, dass auch Stalin - selbst wenn es eine streitige Phase gegeben hat - nicht ernsthaft die Absicht hatte, diese "Aufstellung" aufzugeben.

Hinzu kommt der wichtigste Aspekt: das Fiasko von Charkow im Mai 1942 (sowjetischer Angriff in die Bereitstellung der deutschen Sommeroffensive hinein), was eine drastische Warnung vor dem Wiederholungsfall darstellte.

Wenn man spekuliert: schaut man sich 1942/44 (zB Targul Frumos) die vergleichbaren Fälle an, bei denen sowjetische Offensiven auf eine größere Anzahl intakter deutscher gepanzerter Großverbände traf, wäre eine sowjetische operative, deutliche Niederlage im Bereich des Denkbaren. Diesen Gedanken griff Manstein mit der "Nachhand" auf, und strickte daraus die Legende von "verlorenen Siegen". Auf den grundsätzlichen Kriegsverlauf hätte eine Niederlage in der Sommeroffensive nichts geändert, eher kann man an eine zeitliche Verzögerung von einigen Monaten denken.
 
Ergänzend noch ein Aktenfund, Lagebeurteilung "Zitadelle" Ende Juni 1943, durch GFM Kluge (Heeresgruppe Mitte), versandt an Oberkommando des Heeres.

Interessant daran sind die Überlegungen, entweder den Angriff schnellstens durchzuführen oder abzusagen. Verbunden wird das mit Überlegungen einer sowjetischen Offensive gegen den "Orel-Bogen", sozusagen das deutsche, nördliche Gegenstück zum "Kursker Bogen". Daraus geht auch hervor, dass der sowjetische Aufmarsch im Kursker Bogen, gegen den sich die Offensive richtete, als umfangreich erkannt worden ist.

Kluge scheint hier sogar eine gewisse Oppositionshaltung gegen den Großangriff zu vertreten, die Auffforderung zu Absage (allein die Nennung dieser Alternative ist schon aufschlussreich) oder sofort Antreten (im Prinzip schon aus der Not: Angriff sei die beste "Verteidigung" - damit wird auch eine Begrenztheit der eigenen Optionen und Erfolgsaussichten zum Ausdruck gebracht) ist schon recht unverblümt.

Man könnte auch eine gewisse Genervtheit hinein interpretieren, bedingt durch die dauernden Verschiebungen des Angriffs.

Der Aktenvermerk (Quelle siehe Bezeichnung):
 

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Schwer verständlich ist mir, dass die Deutschen trotz der Verzögerungen und der gewaltigen Vorbereitungen der Gegenseite ihren Angriff genau dort durchführten wo er von Anfang an geplant war. Die Russen hätten ihre Verteidigungsstellungen ja weniger leicht verlegen können als die Deutschen ihre für den Angriff geplanten Einheiten.
Wog denn die Geometrie und Lage des Kursker Bogens wirklich so schwer, dass man lieber gegen monatelang vorbereitete Stellungen anrennen wollte ?
 
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@Matze007: Dieser Thread ist vermutlich einer der besten in diesem Forum im Bereich der Militärhistorie.

Wenn das Thema Dich interessiert- und die Nachfrage deutet darauf hin - dann lies ihn Dir bitte durch. Meines Erachtens durchaus lohnenswert.

Und die Probleme dieser Schlacht werden für Dich auf strategischer, operativer und taktischer Sicht deutlicher sein.
 
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Ich hatte ihn gelesen, allerdings blieb diese Frage für mich offen.
Was allerdings an fehlender Sorgfalt meinerseits lag. Jetzt grade sah ich, dass es sogar Du selber warst der die Frage längst behandelt hatte. Ok sorry :winke::scheinheilig:
 
Gibt es zusätzliche bzw. weiterführende Erkenntnisse? Oder systematisiert und erweitert er im wesentlichen die Aussagen aus seinem Aufsatz?

Ich gehe davon aus, dass Du es bereits gelesen hast.
 
Leider kann ich nichts sagen, weil noch nicht gelesen. Werde ich aber noch, und dann auch berichten. Oder jemand ist schneller. :D

Ich kenne bislang nur die Verlagsankündigung, in der es um das "Aufräumen" von Legenden geht.
 
"Verrat" bei Operation Zitadelle ist eine deutsche "Nachkriegsvorstellung", befördert durch die Generalsbiographien, Carell etc.

Für die Rote Armee bestand seit April 1943 die Erwartung einer Großoffensive im Kursker Bogen.

Damit verbunden sind Hitlers Ankündigungen auch an die konsternierten und kriegsmüden Verbündeten "nach Stalingrad" (welches zur völligen Vernichtung einer ungarischen, einer italienischen (zusätzlich Alpini-Korps) und zwei rumänischen Armeen geführt hatte), auch wieder im Sommer 1943 (wie nach dem Rückschlag im Winter 41/42) eine deutsche Großoffensive zu beginnen.

Auf deutscher Seite gab es monatelange Vorbereitungen, die über die Auswirkungen auf die rückwärtige Logistik und die weiten Versammlungsräume für die Konzentration motorisierter und gepanzerter Großverbände auch für die sowjetischen Partisanenaktivitäten und die Aufklärung aus dem Land nicht verborgen blieb.

Umgekehrt wurde ein festungsartiger, tiefgestaffelter Verteidigungsraum für die Rote Armee im Kursker Bogen über zwei Monate aufgebaut, dem die fundamentale Entscheidung zugrunde lag, den (FEldzug-)Sommer 1943 erst mit Gegenoffensiven einzuleiten. Neben dem Ausbau im Kursker Bogen wurden für die drei größeren Gegenoffensiven im Orelbogen, bei Isjum und am Mius die umfangreichen Vorbereitungen getroffen.

Das Ganze ist nicht das Problem eines "Verrats", auch nicht eines "Stichtages" oder eines zentralen "Feldzugsplanes" für den Sommer 1943 (etwa wie die abhanden gekommenen Papiere für den Sommerfeldzug 1942 an der Südfront), kein Problem von ULTRA oder Informanten aus dem OKW/OKH, sondern ein monatelanger Prozess, der mit dem Losschlagen am 5.7. sein Ende fand und dem aus einer Vielzahl von Faktoren jedes Überraschungsmoment auf beiden Seiten fehlte (was auch auf deutscher Seite überhaupt nicht mehr weiter einkalkuliert wurde).

Carell&Co. setzten dann den Werther-Mythos oben drauf, um den strategischen Fehlschlag zu verschleiern.
 
Eine weiterer Auszug aus den Akten, hier Panzerlage AOK 9, "Nordzange" bei der Operation Zitadelle.
 

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Schwer verständlich ist mir, dass die Deutschen trotz der Verzögerungen und der gewaltigen Vorbereitungen der Gegenseite ihren Angriff genau dort durchführten wo er von Anfang an geplant war. Die Russen hätten ihre Verteidigungsstellungen ja weniger leicht verlegen können als die Deutschen ihre für den Angriff geplanten Einheiten.
Wog denn die Geometrie und Lage des Kursker Bogens wirklich so schwer, dass man lieber gegen monatelang vorbereitete Stellungen anrennen wollte ?


Sehe ich genauso, da war wohl einfach der krampfhafte Zwang Hitlers zu spüren, die immer noch vorhandene Initiative irgendwie noch mal zu nutzen.

Letztlich schlug man sich trotz keinerlei Überraschungsmomente sogar recht gut.

Im Norden, wo man geografische Grenzen hatte, lief sich der Angriff schnell fest.
Im Süden aber, wo die Deutschen Raum zum Manövrieren hatten, ist man sehr weit gekommen und wurde erst durch die Reserve mit purer Masse gestoppt, wobei die Verluste der Russen gewaltig waren.

Der überwiegende Anteil der russischen PAK waren noch immer 45 mm und auch die 76 mm der T-34 mussten nah herankommen, während die deutschen ihre Gegner auf größere Distanz außer Gefecht setzen konnte.

Da die deutschen ihre Verluste nach dieser Schlacht aber nie wieder ersetzen konnten, war der Angriff eigentlich Irrsinn auf lange Sicht.
 
Da die deutschen ihre Verluste nach dieser Schlacht aber nie wieder ersetzen konnten...

Die deutschen Verluste während „Zitadelle“ waren keineswegs unersetzbar. Das ist eine Nachkriegslegende. Siehe zuletzt etwa zur Panzerwaffe: Ben Wheatley (2020) Surviving Prokhorovka: German armoured longevity on the Eastern Front in 1943–1944, Journal of Intelligence History, DOI: 10.1080/16161262.2020.1750841

...war der Angriff eigentlich Irrsinn auf lange Sicht.

Aufgrund der Tatsache, dass die Voraussetzungen einer defensiven Alternative - in Form einer von Manstein propagierten elastischen Verteidigung - im Sommer 1943 nicht mehr geschaffen werden konnten und das Verlustverhältnis bei „Zitadelle“ gerade auch im Vergleich zu anderen (defensiven) Operationen der Ostfront des Jahres 1943 durchaus günstig ausfiel, ist die Bewertung zu „Zitadelle“ weit diffiziler, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag.

Es ist auch nicht richtig, dass Hitler diesen Angriff „krampfhaft erzwungen“ hat. Tatsächlich stand er „Zitadelle“ tendenziell kritisch gegenüber. Die Idee zu einer Offensive im Kursker Raum entstammt der deutschen Generalität.
 
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Neuer Artikel zu Kursk/Zitadelle, und zwar Perspektive Rote Armee vor dem Juli 1943.

Giblin: Seeds of Victory - Satisfying the Needs of the Red Army and the Soviet State during the Formation of the Kursk Salient, February–May 1943, in:
Journal of Military History 2020, S. 1157-1188
 
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