Lernfähigkeit von Offizieren im Amerik. Bürgerkrieg

speedyjoe

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Hallo allerseits

Ich möchte mich vertieft mit den Taktiken im Amerik. Bürgerkrieg befassen und dazu eine BA-Arbeit schreiben. Da die Taktiken selber meiner Meinung nach schon ausreichend erforscht wurden, möchte ich mich mit dem "Wandel" der Taktiken während des Bürgerkrieges befassen und ob Offiziere nach Schlachten gelernt haben und in den folgenden Schlachten eine andere Taktik verfolgt haben. Ich würde untersuchen, ob Offiziere nach Schlachten ihre Taktiken änderten und nach Hinweisen suchen, die ihr Beharren respektive ihren Wandel erklären könnten.
Das Paradebeispiel ist Lee, der bei Fredericksburg 1862 aus einer exzellenten Position den Angriff der Union niederschmetterte, aber 1863 bei Gettysburg selber angriff und sozusagen ein konföderiertes Fredericksburg erlebte. Nolan hat in Lee considered, wo er mit den Mythen Lees aufräumt (ich glaub der Süden war ziemlich erfreut über dieses Buch, gab ein paar amüsante Rezensionen auf Amazon =)), Lee generell den Vorwurf gemacht, dass er immer die Offensive gesucht hat und somit selber mitverantwortlich für die Niederlage des Südens war, anstelle in der Defensive den Feind zu zermürben. Er bringt das Beispiel vom Amerik. Unabhängigkeitskrieg, wo Washington eine defensive Strategie verfolgte und die Briten zermürbte und auf diese Weise zur Unabhängigkeit beitrug. Kenn mich zur Unabhängigkeit nicht weiter aus und kann es nicht weiter kommentieren. Natürlich gibt es auch die politischen, wirtschaftlichen, bevölkerungstechnischen und strategischen Gründe für die Niederlage des Südens, aber die sind für meine Fragestellung (fürs Erste) nicht relevant.
McWhiney und Jamieson stellen die These auf, dass der Süden sich durch seine Frontalangriffe ausgeblutet hat, wohingegen der Norden sich als anpassungsfähig erwies und nach wenigen misslungenen Frontalangriffen diese vermied. Hattaway widerspricht im Appendix von Why the South Lost dieser These mit dem Verweis, dass die Verluste insgesamt ausgeglichen waren. Aber so ganz vermochte er mich nicht vom Gegenteil zu überzeugen, wobei wenn ich Der Amerikanische Bürgerkrieg von Keegan lese, doch den Eindruck erhalte, dass der Norden ebenso nicht wenige Offensive Feldzüge geführt hat.
Die Überlegung zur Fragestellung reiht sich in die Ereignisse von Kriegen, wo Offiziere ihre Soldaten in Frontalangriffen verheizten. Beispiele hierfür sind im dt. frz. Krieg die Schlacht von Sedan, wo Frontalangriffe entgegen Molktes Einwand durchgeführt wurden oder im 1.WK, wo Offiziere teilweise beständig ihre Soldaten frontal in den Tod schickten. Man darf zwar die Feuerkraft im Amerik. Bürgerkrieg nicht überschätzen (vgl. The Rifle Musket in Civil War Combat von Hess), aber auch nicht unterschätzen im Gegensatz zum Napoleonischen Krieg. Das ist ja ebenfalls strittig, wie "modern" oder noch "napoleonisch" war dieser Krieg (Europa vs. US-Meinung), aber das ist wieder ein anderes Thema und auch schon recht gut beackert und nebenbei etwas zu gross.
Nach dieser recht ausführlichen Einführung meine Frage an euch. Was haltet ihr von diesem Untersuchungsansatz? Habt ihr Anregungen und/oder Einwände dagegen?

Gruss, speedyjoe
 
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Ich möchte mich vertieft mit den Taktiken im Amerik. Bürgerkrieg befassen und dazu eine BA-Arbeit schreiben. ...

@speedyjoe

Nur eine kleine Anmerkung. M.E. solltest Du, wenn Du über "Taktik" arbeiten möchtest, nicht mit operativen bzw. strategischen Ansätzen beginnen, also nicht mit Lee, sondern mit den formellen Dienstanweisungen für einen Colonel, Major, Captain oder Lieutenant anfangen und dann diese in die operative und strategische Ebene einbetten. D.h., wer lernt von wem? Die taktische Truppenführung von der operativ-strategischen oder die operativ-strategische von der taktischen; also der Wissens- bzw. Erfahrungstransfer von unten nach oben und umgekehrt und gab es informelle "Aushebelungen" von Vorschriften aufgrund der Erfahrungsbasis der taktischen Führungsebene.

M.
 
stimmt, das ist eine gute anregung. ich war mir selber noch nicht ganz sicher, wie ich an diese frage präzise rangehen soll.
ansonsten scheint es nicht allzu viel kritik dazu geben. ich hoffe mal, dass kann man als gutes zeichen deuten. =)
 
Nach zweimaligem Lesen finde ich, dass Dein Ansatz noch ein wenig der Sortierung bedarf. Wie lautet Deine These?

A. Möchtest Du "strukturelle" Anpassungen der Taktik, sprich die Veränderung der Führung von Gefechten untersuchen? (Also analog zum Ersten Weltkrieg: Der Hurra-auf-Sie-Frontalangriff mit aufgepflanztem Bajonett und roten Hosen bleibt nur noch an MG und Stacheldraht hängen. Um dennoch dem Feind an den Kragen zu kommen, entwickelt man artilleristische Verfahren zur Deckung der vorgehenden Truppen bzw. "erfindet" (deutscherseits) die Stoßtruppunternehmen?
Das wäre dann eine statistische Fleißarbeit, in der Du quantitativ arbeiten musst. (Und die wissenschaftlich mit Sicherheit wertvoller ist.)

oder

B. Möchtest Du betrachten wie wenige einzelne kommandierende Generale wie Lee oder McClellan, bzw. Regimentskommandeure bzw. junge Kompaniechefs in der Kriegführung agierten und sich anpassten.
Das wäre dann eine eher qualitative Arbeit, die Du mit Tagebucheinträgen, Memoiren und Briefen belegen kannst und die "schöner zu lesen" ist?


Je nachdem würde ich dann eine frühe Operation / Schlacht / die Art und Weise, den Gegner aufzuklären mit vergleichbaren Vorgängen zum Ende des Krieges vergleichen, damit Du illustrierst, was sich während der Jahre verändert hat. Sobald Du diese Veränderungen identifiziert hat, kannst Du Dich auf die Suche nach den Gründen für die Veränderung machen und eruieren, wie schnell/leicht/schwer diese herbeigeführt worden sind.
Sprich: Mit welchen taktischen Vorstellungen (gibt bestimmt eine Art Field Manuals) ging man in den Krieg und mit welchen daraus hervor. Vielleicht findest Du ja Curricula aus West Point von 1850/60 vs. 1870/75.

Von einzelnen Offizieren auf die allgemeine Kriegführung zurückzuschließen, ist in meinen Augen nicht zulässig. Beispiel: Wie kämpft eine Legion? Wie führt ein Zenturio seine Zenturie im Feld / im Gefecht / administrativ? Das sind die strukturellen taktischen Betrachtungen. Wie der geniale Caesar oder der Crassus seine Legionen einsetzt, ändert nichts an der grundsätzlichen Kampfweise der Truppe, die Schlacht oder der Feldzug gehen trotzdem gut oder in die Hose...

Vielleicht lässt sich Deine Kernfrage auf den Wandel von Rolle und Einsatz der Kavallerie / der Artillerie / der Infanterie / der Ingenieure sein?
Hier dürfte sich jede Menge Vorher - Nachher rausarbeiten lassen...

Die von Dir genannte Kritik an Lee lässt sich übrigens nur schwer halten. Eben dieses Konzept, dem Gegner den Weg immer wieder zu verlegen, seinen Vormarsch zu bremsen und ihn auszubluten scheiterte, als Joseph E. Johnston vergeblich versuchte, Shermans Vormarsch auf Atlanta aufzuhalten. Für diesen Mißerfolg wurde Johnston in die Wüste gejagt. Ohne eine Schlacht zu verlieren, hat er viel Raum preisgegeben. Aus politischer Sicht war der Preis, den er für den Kampfkrafterhalt seiner ungeschlagenen Armee bezahlt hatte, zu hoch.
Lees eigene verlustreiche Kriegführung hat ihm im Gegensatz dazu immer wieder dazu verholfen, dem taktisch und operativ defensiver eingestellten McClellan und seinen Nachfolgern die Initiative zu entreißen und ihn von offensiven Operationen abzuhalten.
Die Siegen-Tage-Schlacht Sieben-Tage-Schlacht ? Wikipedia z. B. war aus taktischer Sicht eine Serie von Rückschlägen. Aus operativer Sicht aber ein großer Erfolg. Kommt immer auf den Blickwinkel an...
 
Der Vergleich Lee und Washington passt ja nicht. Der amerikanischer Bürgerkrieg war ein Krieg mit einem Gegner der sehr hoche Verluste ausgehalten hat. Was hätte Lee machen sollen immer weiter seine Armee rückziehen und alle Ressourcen den Nordstaaten übergeben.


Großbritannien war nicht bereit für den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg weitere Ressourcen zu verbraten. Wie in Vietnam übrigens denn die Verluste der USA waren bei weitem nicht so hoch (wie bei der Sowjetunion oder Deutschland im 2. Weltkrieg).
 
Die von Dir genannte Kritik an Lee lässt sich übrigens nur schwer halten. Eben dieses Konzept, dem Gegner den Weg immer wieder zu verlegen, seinen Vormarsch zu bremsen und ihn auszubluten scheiterte, als Joseph E. Johnston vergeblich versuchte, Shermans Vormarsch auf Atlanta aufzuhalten. Für diesen Mißerfolg wurde Johnston in die Wüste gejagt. Ohne eine Schlacht zu verlieren, hat er viel Raum preisgegeben. Aus politischer Sicht war der Preis, den er für den Kampfkrafterhalt seiner ungeschlagenen Armee bezahlt hatte, zu hoch.
Lees eigene verlustreiche Kriegführung hat ihm im Gegensatz dazu immer wieder dazu verholfen, dem taktisch und operativ defensiver eingestellten McClellan und seinen Nachfolgern die Initiative zu entreißen und ihn von offensiven Operationen abzuhalten.
Die Siegen-Tage-Schlacht Sieben-Tage-Schlacht ? Wikipedia z. B. war aus taktischer Sicht eine Serie von Rückschlägen. Aus operativer Sicht aber ein großer Erfolg. Kommt immer auf den Blickwinkel an...

Da würde mich interessieren, ob du das Buch ("Lee considered") gelesen hast ... denn sonst ist die Aussage, dass die genannte Kritik nur schwer haltbar ist, problematisch. In der etwa tiefer gehenden Fachliteratur wird Lee nämlich durchaus immer wieder kritisch gesehen (Gettysburg ist da nur das bekannteste Beispiel). Es ist übrigens schon ein Unterschied, ob ich
- mich zurück ziehe und den Gegner ins Leere laufen lasse (also bis auf ein paar Nadelstiche kein Gefecht riskiere
- in der Defensive bleibe, aber mich durchaus zum Kampf stelle
- in die Offensive gehe

Ersteres ist nicht unbedingt immer eine Option und das hätte Lee auch nicht tun sollen - aber jedesmal, wenn er die Defensive wählte (Fredericksburg, Cold Harbor, etc) gelangen ihm deutliche Siege - während seine Offensivaktionen mit Rückschlägen oder mindestens enormen Verlusten endeten (Antietam - die Schlacht selbst wurde zwar defensiv geführt und damit rettete er den Großteil seiner Truppen - die Operation war aber eine offensive ... oder Gettysburg. Gerade bei Gettysburg gibt es zahlreiche Expertendiskussionen, ob es ratsam war, nach den letzten Siegen des Südens in die Offensive zu gehen, da es - je nach Sichtweise - für den Süden dadurch wenig zu gewinnen gab).

Lees verlustreiche Kriegsführung hat außerdem dafür gesorgt, dass seine Armee letztendlich nur ein Schatten ihrer selbst war, da die Verluste an Veteranen mit neuen Rekruten nicht aufzufangen waren - ganz anders als in der Armee des Nordens.

Dazu kommt, dass man durchaus eine Strategie als militärisch sinnvoll, aber politisch nicht gewollt sehen kann - das heißt dann nicht, dass die Strategie falsch war (um das Beispiel Johnson aufzugreifen). Dass die ganze Sache etwas komplizierter war, zeigt Joseph E. Johnston ? Wikipedia (auch wenn im einen oder anderen Punkt evtl. immer noch zu ungenau).

ganz kurz im Überblick:

- der Defensivmann Johnson schlägt Sherman bei Kennesaw Mountain mit geringen eigenen Verlusten (wenn auch nicht entscheidend)
- solange Johnsons Armee kampfbereit ist, hat Sherman den Feldzug nicht gewonnen
- als Johnson durch Hood ersetzt wird, äußert Lee Bedenken und Sherman freut sich
- Hood geht in die Offensive und wird bei Nashville vernichtend geschlagen, was zur Einnahme von Atlanta führt (die Johnson auch einkalkuliert hatte - aber nun existiert eben keine konföderierte Armee mehr, die Sherman hätte weiter binden können).

Z.T. sehen Historiker Lee und Johnson in etwa so, wie Du sie darstellst, andere wiederum eher so, wie ich versuchte, darzustellen (ich kann mich da auch nicht entscheiden, aber Deine Einlassung ist mir hier zu einseitig, so klar ist die Sache eben nicht).
 
Der Vergleich Lee und Washington passt ja nicht. Der amerikanischer Bürgerkrieg war ein Krieg mit einem Gegner der sehr hoche Verluste ausgehalten hat. Was hätte Lee machen sollen immer weiter seine Armee rückziehen und alle Ressourcen den Nordstaaten übergeben.


Großbritannien war nicht bereit für den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg weitere Ressourcen zu verbraten. Wie in Vietnam übrigens denn die Verluste der USA waren bei weitem nicht so hoch (wie bei der Sowjetunion oder Deutschland im 2. Weltkrieg).

es wird die these vertreten, dass der süden für einen sieg er nicht in den norden hätte einfallen oder die armee zerstören müssen. er zitiert den militärhistoriker george a. bruce. der sagt, washington wusste, dass er keine offensive mit seiner armee führen konnte. deshlab verfolgte er eine defensive strategie, veliert zwar immer, aber es bleiben truppen auf dem schlachtfeld und auf diese weise hat er die briten zermürbt. es wurde ihnen zuviel, wie du schon sagtest. genau das hätte auch der süden machen können seiner ansicht nach. der süden galt ausserdem zu beginn des krieges aufgrund seiner grösse als uneinnehmbar. ich bin mir nicht mehr sicher, ob es die auffassung des nordens und/oder der europäischen beobachter war.
wir wissen auch, dass auf beiden seiten mit den siegen und niederlagen die moral zu hause schwankte, was logisch ist und es auf beiden seiten immer kriegsgegner gab. lincolns wiederwahl war vor den siegen im herbst 64 alles andere gesichert und der süden hoffte, dass er mit seiner abwahl einen für verhandlungen empfänglicheren präsidenten erhalten würde, was aber nicht geschah und die kleine hoffnung von ihnen zerstörte. wie man sieht, war zu beginn des krieges der ausgang alles andere als offen.

allgemein zu den verlusten hast du recht. in vietnam haben die amis verhältnismässig sehr wenige truppen verloren. bin immer wieder etwas erstaunt, wenn es heisst, der bürgerkrieg hätte mehr opfer gefordert als die nachfolgenden kriege zusammen. 2.wk z.b. "nur" 300'000 soldaten, was im verhältnis zu den anderen gefallenen im 2.wk äusserst wenig war.

@Neddy
da hast du recht, eine präzise these hab ich noch nicht. das liegt daran, dass ich selber noch etwas im dunkeln tappe. zu variante a gibt es glaube ich schon zwei arbeiten. the development of civil war tactics von jamieson und the evolution of civil war infantry tactics von moseley. das problem ist, es handelt sich um unpublizierte arbeiten und ich bin bisjetzt nicht an die rangekommen, was irgendwie ärgerlich ist, aber vllt schaff ich es noch irgendwie. ich weiss nur, dass griffith beide arbeiten gut findet und bei jamieson die reichweite der gewehre kritisiert. ein autor der seine bibliographie kommentiert, wirklich sehr zuvorkommend. :) variante b läuft auf den ansatz von nolan hinaus.
mit einer aufschlüsselung hast du meine gedanken etwas entworren. fürs erste also sehe ich meine möglichen stossrichtungen und muss jetzt schauen, ob ich die beiden arbeiten (hoffentlich) auftreiben kann und mir nolan nochmals anschauen. ich danke euch für die anregungen und forciere die sache weiter, ist durch andere dinge leider etwas ins stocken geraten. aber ich denke, dass meine ursprüngliche intention variante b galt. man muss schliesslich bedenken, dass mit 40 seiten schon schluss ist. nolans analyse von lee als general umfasste 47 seiten. das so als minivergleich, der aber nicht allzu viel aussagt.
 
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Es stellt sich vermutlich zunächst die Frage, aus welchen Quellen sich die Militärdoktrin für die Offiziere kollektiv gespeist hat.

Vermutlich lieferten die europäischen Schlachten, von FDR bis Napoleon einen grossen Teil der Inhalte für die Militärdoktrin. Ergänzt durch die Erfahrungen im Kampf gegen Mexiko und im Rahmen des Kampfes gegen die Indianer. In welchem Umfang die Erfahrungen aus dem Krimkrieg bereits vorlagen kann ich nicht beurteilen, aber die Art der Kriegsführung läßt zumindest erahnen, dass es einen Einfluss gab.

Lernfähigkeit von Offizieren hat dabei unterschiedliche Facetten. Die individuelle ist ein Aspekt und relevant vor dem Hintergrund der ursprünglich gelernten Doktrinen (deswegen der Bezug auf den kollektiven gemeinsamen Wissensbestand der Nord- und Südstaaten-Offiziere vor dem Bürgerkrieg).

Dieser Punkt des individuellen Lernens setzt allerdings voraus, dass der betroffene General die Determinanten für seinen Erfolg oder Mißerfolg überhaupt kannte und somit auch kausal richtig beurteilt hat. In diesem Sinne ist zwischen "objektiv" richtigen Anpassungen im Rahmen des Lernprozesses einzelner Offizieren von subjektiv falschen Lerprozessen zu unterscheiden.

Ob es objektiv richtige Lernprozesse während des Krieges gegeben hat, würde ich aber eher in Frage stellen, da die Spitzenoffiziere in diesem Krieg nicht selten vor dem Hintergrund eines relativ starken Informationsdefizits agiert haben

Der zweite Aspekt betrifft die Frage der Organisation des kollektiven Lernens des Offizierkorps. Es Beispiel, das vielleicht viele überrascht, ist die systematische Art, mit der die Rote Armee ihre Erfahrung im Rahmen des WW2 ausgewertet hat.

Belorussia 1944: The Soviet General Staff Study - David M. Glantz - Google Books

Und es stellt sich m.E. die Frage, in welchem Umfang dieser kollektive Prozess während des Bürgerkriegs organisiert wurde bzw überhaupt organisiert werden konnte, aufgrund der obigen Defiziten.

Das Problem kann an Lee deutlich gemacht werden. Lee war wohl eher ein Verfechter der "Auftragstaktik" und diese Sichtweise wurde weder kollektiv geteilt noch kollektiv verstanden wurde und führte somit zu einer Reihe von Mißverständnissen.

Somit stellt sich m.E. die Frage, ob die Offiziere an der Spitze der Armeen, sowohl im Norden als auch im Süden, völlig zufälligen Lernprozessen unterlagen und sich daraus keine einheitliche Doktrin für den Süden oder den Norden während des Krieges ergeben konnte.

Die Rahmenbedingungen für die einzelnen Schlachten waren sehr spezifisch sodass eine Generalisierung von Erfahrungen vermutlich auch nur schwer zu leisten waren.
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Ein Aspekt zur Entscheidung über die Wahl der Kriegsführung ist bisher m.E. nicht ausreichend berücksichtigt worden. Der Aspekt der Zeit und damit verbunden dem Verschieben der relativen Vorteile für die eine oder andere Seite.

In diesem Sinne verspührte Lee, ähnlich wie FdG, sicherlich einen höheren Zeitdruck, da die Zeit und somit die Mobilisierung von Ressourcen gegen ihn lief. Dieser Aspekt kann die strategische Entscheidung für eine offensive Kriegsführung diktieren, obwohl aus operativen oder taktischen Gesichtspunkten eine defensive Kriegsführung sinnvoller wäre.

http://books.google.de/books?id=7Hf...QTyoIGAAQ&ved=0CDQQ6AEwAA#v=onepage&q&f=false
 
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Die Studie des Offizierskorps vor 1861 ist auch mE ein wichtiger Aspekt. Hinweis dazu auf

Samuel Watson: Continuity in Civil-Military Relations and Expertise: The U.S. Army during the Decade before the Civil War, JoMH 2011, S. 211, mit reichlich Literaturverweisen auf die US-Militärdoktrin und das Offizierskorps vor 1861.

Grundlegend:
George T. Ness, Jr., The Regular Army on the Eve of the Civil War
William B. Skelton, An American Profession of Arms: The Army Officer Corps, 1784-1861,
Wayne Hsieh, West Pointers and the Civil War: The Old Army in War
and Peace

Bzgl. der Frontier-Wars und der Indian Wars hat James L. Morrison die interessante These, dass diese auf die Offiziersausbildung wenig bis keine Auswirkungen hatten (“The Best School in the World”: West Point in the pre-Civil War Years, 1833-1866).

Oben bei Neddy ist schon die Offensive-Defensive-Kontroverse in der US-Literatur angesprochen worden. Dazu gab es 2009 ein Symposium der SMH, mit entsprechenden Aufsätzen. Dazu kommt die starke Tendenz, das operative Verhalten unter logistischen Aspekten zu bewerten. Die Arbeit von Jamieson ist da schon etwas älter. Neben der Frage der Gewehre gibt es einge Arbeiten zur Verwendung der Artillerie unter taktischen Aspekten.
 
Noch als Ergänzung zu den hilfreichen Empfehlungen von Silesia. Es wird in dieser kurzen Einführung darauf hingewiesen, dass es keinen Generalstab gab und es gab auch keine Stelle, die sich mit der "Feindaufklärung" beschäftigt hat.

Staff Ride Handbook for the Battle of Perryville, 8 October 1862 - Google Books

Das bestätigt m.E. die These, dass es extrem schwer war für die beteiligten Offiziere, eine an der Realität ausgerichtete Lernkurve während des Krieges zu leisten, die über direkte taktische Erfahrungen hinausging.

Insgesamt die Armee einen niedrigen Stellenwert in der amerikanischen Gesellschaft eingenommen hat.
 
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Militärgeschichte ist etwas, wozu ich nichts substanzielles beitragen kann. Ich stoße mich jedoch schon seit einigen Tagen an dem Begriff Lernfähigkeit. Er erscheint mir zu unscharf und nicht wirklich überprüfbar. Man kann allenfalls sehen, ob Strategien und/oder Taktiken aus gemachten Erfahrungen heraus angepasst wurden, aber nicht, ob die Offiziere unfähig waren, Taktiken als schlecht zu erkennen und durch bessere zu ersetzen. Die mögliche Wirkung von Ehrencodices würde da völlig außer Acht gelassen. Man könnte also eher fragen, ob die angewandten Taktiken praktikabel waren.
 
da hast du recht. lernfähigkeit ist etwas zu abstrakt und kaum fassbar. aber zu diesem zeitpunkt ist mir nichts besseres eingefallen, waren meine gedanken noch nicht klar genug.

es ist zum verzweifeln. the development of civil war tactics von jamieson gibt es im internet. aber ich muss 39 dollar zahlen, um eine pdf-version zu erhalten. das ist mir bei allem respekt zu teuer. the evolution of civil war infantry tactics von moseley, thomas v. kann ich gar nicht finden. es gibt da das research gate, wo man eine anfrage stellen kann. aber ansonsten seh ich keine möglichkeit, an diese arbeit ranzukommen. beides sind eben leider unpublizierte quellen. wobei bei jamieson ich vermutlich über attack and die vermutlich auch über einen annehmbaren umweg zur essenz von the developements of civil war tactics kommen könnte.

@silesia
darum wär ich früher oder später wohl nicht herumgekommen. fürs erste habe ich natürlich mal mich primär auf 61-65 fokussiert und den kreis dann später erweitert. braucht ja erstmals eine grundbasis. das buch zu west point hab ich schon, aber noch nicht gelesen. das buch von ness gibts bei meinen bibliotheken nicht, watsons aufsatz sollte über die verfügbaren onlinedatenbanken auftreibbar sein und hsieh gibts an der bibliothek. ich danke dir für diese bücherhinweise.

Noch als Ergänzung zu den hilfreichen Empfehlungen von Silesia. Es wird in dieser kurzen Einführung darauf hingewiesen, dass es keinen Generalstab gab und es gab auch keine Stelle, die sich mit der "Feindaufklärung" beschäftigt hat.

Staff Ride Handbook for the Battle of Perryville, 8 October 1862 - Google Books

Das bestätigt m.E. die These, dass es extrem schwer war für die beteiligten Offiziere, eine an der Realität ausgerichtete Lernkurve während des Krieges zu leisten, die über direkte taktische Erfahrungen hinausging.

das ist auch die ansicht von griffith in battle tactics of the american civil war. mangel an brauchbaren karten und fehlende "spionage" machten es den offizieren nicht gerade leicht sich zu orientieren und sich informationen über den feind zu beschaffen. selbst die informationsübermittlung zwischen den offizieren funktionierte nicht immer reibungslos. das system mündlich und dann die schriftliche version hatte so seine tücken während der schlacht. und die detektivagenturen pinkertons haben mccellans phantasie nur noch weiter beflügelt. wie hatte lincoln so ähnlich dazu gesagt. es ist völlig egal, wie viel verstärkung wir ihm schicken, am ende wird er immer eine übermacht vor sich sehen. andererseits war es so, dass die gefangenen oftmals recht gesprächig waren und teilweise freizügig informationen preisgaben und sowas wie geschlossene grenzen gabs zu der zeit nicht. der generalstab erhielt, soweit ich weiss, erst mit dem dt. general moltke seine heutige bedeutung. aber das war nach der zeit des bürgerkrieges.

um noch die gedanken nolans etwas weiter auszuführen, vllt besteht ja auch interesse zu diesem kapitel^^, da dies im moment das einzige buch in meiner hand ist, dass sich nicht die taktiken im generellen ansieht, sondern wie ein offizier seine taktiken während des krieges änderte, oder eben nicht. britische beobachter zu dieser zeit waren der meinung, dass der süden uneinnehmbar war aufgrund ihrer damaligen erfahrung im unabhängigkeitskrieg. hatten wir schon oben, defensivstrategie. nolans konkrete kritik an lee ist, dass er stets die offensive gesucht hat und seine armee so ausgeblutet hat. geht in die richtung von attack and die, der süden hat sich mit seinen offensiven ausgeblutet. nolan sagt zwar, dass er defensiv hätte kämpfen sollen, aber gegenangriffe trotzdem nicht ausgeschlossen wären. er räumt aber ein, dass dies politisch vermutlich weniger tragbar wäre. er hängt sich ein bisschen an einer aussage von lee fest, wo er schreibt, dass er den gegner vom schlachtfeld fegen will und dass er trotz bewusstsein, dass im gegensatz zum norden seine verluste kaum ersetzbar sind, doch diese kostspieligen offensiven fährt. der widerspruch wird damit aufgelöst, dass lee mit einem militärischen sieg die moral des nordens brechen wollte, was aber nicht gelang. nolan kritisiert zudem an den anderen biographen, dass sie sich von lees mythos blenden lassen und der meinung sind, dass seine alternativen bescheiden waren (vereinfacht ausgedrückt). er kontert aussedem die hervorhebung vom biograph freeman, dass lee die besser kill/death ratio hatte damit, dass es sich der norden im gegensatz zum süden leisten konnte. zudem passierte mit lees armee genau das, was er verhindern wollte. er wollte sie in bewegung halten, aber spätestens seit gettysburg war sie trotz seinem widerstreben nicht mehr zu aktiven operationen fähig und war somit besser festnagelbar.
 
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Irgendwie scheinst Du sehr an der Operativen Ebene interessiert zu sein, jedenfalls hat die Defensive-Diskussion zu Lee, die jetzt erneut anklingt, nichts mit der Taktik zu tun. Nolan ist da auch nicht der Nabel der Welt.

Du solltest da scharf auf die Trennung der Ebenen achten, worauf Neddy und Thanepower auch schon hingewiesen haben.
 
Du solltest da scharf auf die Trennung der Ebenen achten, worauf Neddy und Thanepower auch schon hingewiesen haben.

Wenn wir dann bei Taktiken sind, kønnte man vielleicht auf etwas ganz spezielles eingehen, vielleicht eine eigene Arbeit darueber schreiben:

Wie sah's eigentlich mit der Kavallerie im amerik. Buergerkrieg aus?
Offensichtlich fehlen die in vorangegangenen (europ.) Kriegen so oft ausgetragenen Reiterattacken wæhrend einer Schlacht - irgendwie war sie wohl hauptsæchlich zur Aufklærung eingesetzt (wieso wusste man dann so wenig vom Gegner?) und zum "Kleinkrieg" im Hinterland des Gegners.
Wære eine "schwere Reiterei" nicht eine Møglichkeit gewesen, in versch. Schlachten die Front des Feindes aufzubrechen?

Vielleicht ist das Thema ja auch schon abgehandelt worden, dennoch finde ich es spannender als die x. Analyse ueber General Lee's strategische Optionen - ich sehe es wie meine Vorschreiber, mit den taktischen Aufgaben auf der Offiziersebene hat es ja eigentlich nichts zu tun.

(Dies nur zur Anregung, der echte Fachmann bin ich bezuegl. des amerik. Buergerkriegs leider nicht)

Gruss, muheijo
 
@silesia
da hast du recht, ich zitiere zuviel von nolan.^^ aber er kritisiert auch, dass Lee auch taktisch immer offensiv agierte.

@muhejo
das stimmt, aber die historiker scheinen sich vom
mythos lee blenden, was aber eigentlich nicht passieren sollte.
ja, kavallerie wurde nicht so eingesetzt wie in europa. das hatte mehrere gründe, das gelände war ungeeignet, die kavallerie war teuer und man war mit ihr nicht so sehr vertraut. selbst scott, übersetzer der frz. taktiken, behandelte sie stiefmütterlich.
 
ja, kavallerie wurde nicht so eingesetzt wie in europa. das hatte mehrere gründe, das gelände war ungeeignet, die kavallerie war teuer und man war mit ihr nicht so sehr vertraut. selbst scott, übersetzer der frz. taktiken, behandelte sie stiefmütterlich.

Wær das nix, das mal genauer zu untersuchen? :winke:
Das mit dem Gelænde z.B. leuchtet mir nur bedingt ein: Ein Mann à la Murat oder Ney bei Gettysburg wære die Entscheidung zugunsten Lees gewesen...
Vielleicht wære das aber auch einen eigenen Thread wert, ich will dir deinen hier nicht durch abschweifen versauen.

Gruss, muheijo
 
Bzgl. Reiterei bei Gettysburg: Soweit ich mich erinnere, stand Lee bei Gettysburg seine Reiterei nicht zur Verfügung, weil JEB Stuart - von Lee an der ganz langen Leine geführt - u.a. aus verletzter Eitelkeit die Reiterei auf einem "Husarenritt" um die Potomac-Armee herum führte. Lee - seiner Reiterei beraubt und damit bzgl. Aufklärung fast blind - stolperte damit mehr oder weniger ungewollt in die Schlacht (ihm war am Anfang nicht klar, dass ihm die Potomac-Armee gegenüber stand und nicht, wie gedacht, nur Miliz).
 
Ein Mann à la Murat oder Ney bei Gettysburg wære die Entscheidung zugunsten Lees gewesen...

In dem bereits oben zitierten "Staff Ride Handbook", von dem es noch eine Reihe weiterer Studien gibt, wird auf die Zunahme der Präzision, der Reichweite und der Feuergeschwindigkeit der Infantriewaffen hingewiesen.

Mit der taktischen Konsequenz, dass die Kavallerie zunehmend abgesessen gekämpft hat.

Einen Angriff, im Stile von Waterloo, hätte vermutlich keine angreifende Kavallerieeinheit im US-Bürgerkrieg intakt überstand.

vgl. dazu aus Posting #1:
Man darf zwar die Feuerkraft im Amerik. Bürgerkrieg nicht überschätzen (vgl. The Rifle Musket in Civil War Combat von Hess), aber auch nicht unterschätzen im Gegensatz zum Napoleonischen Krieg.

Deswegen weist Papa_Leo völlig zu Recht auf ihre zentrale Funktion in Bezug auf die Feindaufklärung hin. An diesem Punkt war sie vor allem gefordert, den Angriff auf die schwer zu erkennenden Flanken des Gegners zu ermöglichen.

Daneben spielte sie natürlich im "kleinen Krieg" im Rahmen von tiefen Vorstößen, bzw. im Rahmen von Guerilla-Einsätzen, eine herausragende Rolle.
 
Zuletzt bearbeitet:
@silesia
da hast du recht, ich zitiere zuviel von nolan.^^ aber er kritisiert auch, dass Lee auch taktisch immer offensiv agierte.

Sagen wir mal, er ist einer von der "offensive"-Fraktion in der Beurteilung von Lee. Und in dem schon zitierten Symposium 2009 wurde konstatiert, dass sich dazu die Beurteilung in den letzten 15 Jahren in "defensive" gewandelt hat.
 
Kurz noch zur Kavallerie: Beim Vormarsch der Dritten und der Maasarmee auf Sedan kam es bei Faubourg-Mouzon am 30. August 1870 zu folgendem Gefecht.
„Um die Fortschritte des Feindes zu hemmen, gab der General de Fénelon den Befehl zur Attacke. Der Oberst Contenson weit voraus, trabte die Reitermasse in Eskadronkolonnen festgeschlossen gegen die 11. Und 12. Kompagnie, welche zur Salve in vier Gliedern formiert, mit Schützen in den Intervallen, den Angriff erwartete. Aber plötzlich änderten die Reiter ihre Richtung und warfen sich auf die an der Römerstraße aufgelöst stehende 10. Kompagnie. Deren Führer, Hauptmann Helmuth, erwartete sie ruhig und befahl, das Feuer erst auf Befehl zu eröffnen. Als die Kürassiere bis auf 150 Schritt herangekommen sind, springt er vor die Front und gibt das Zeichen zum Schnellfeuer. Vernichtend bricht es sich Bahn, viele Reiter schwanken im Sattel und stürzen, aber das Regiment, dessen Führer schon blutend am Boden liegt, stürmt weiter mit rücksichtsloser Entschlossenheit. Erst 15 Schritt vor den Gewehrmündungen brechen die ersten Glieder zusammen, die folgenden schwenken ab nach der Maas hin, verfolgt von erneutem Schnellfeuer. Das Regiment ließ außer dem Oberst und einem Kommandanten, 9 Offiziere auf dem Platze; über 100 Mann und eine noch größere Anzahl von Pferden waren getötet oder verwundet; die Kompagnie, deren Chef sich in einem persönlichen Zweikampf der Hiebe eines alten Kürassier-Unteroffiziers erwehren musste, hatte fast keine Verluste.“
Nach diesem Bericht von Oberstleutnant Moritz Exner (sächsische Armee) hatte so ein Kavallerieangriff zu dieser Zeit selbst als Übermacht kaum Aussicht auf Erfolg. Auch wenn man berücksichtigt, dass hier mit Zündnadelgewehren und nicht mit Vorderladern geschossen wurde. Auch die Springfield- oder Enfield-Musketen mit Kugel- (nicht unbedingt Minie-) Geschoss und Zündhütchen waren mit einiger Übung flink zu laden.
 
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