Lokaler Adel im Mittelalter

Mephisto

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Ich habe (mal wieder) eine Frage...

Im Rahmen heimatgeschichtlicher Forschungen bearbeite ich gerade den urkundlichen Erstbeleg meiner Heimatgemeinde. Dieser ist eine Urkunde aus dem Jahre 1238, in der die Grafen von Battenberg (im Nordhessischen, verwandt mit dem Hause Wittgenstein) die Hälfte ihrer Grafschaft an das Erzbistum Mainz verkaufen.

Im Originaltext werden dann die Centen (die man frei mit Gerichtsbezirken, ohne diese Problematik thematisieren zu wollen, übersetzen könnte) im einzelnen aufgezählt. In der Urkunde heißt es:
Isti sunt termini centa de Battenfelt, centa de Ruttene, centa de Bentreffe, centa Treisa. Iste cente quatuor sunt omnio libere. Item centa de Geismar et centa Fromolskerke. In istis duabus sunt centgravii residentes et ius comitis liberum est omnio. Item centa de Lixfelt. Item centa de Dudusse. Item centa de Wetter. Item centa de Asphe. In istis ultimis Lantgravius tollit omnem iustitiam violenter.

Die aus meiner Sicht interessante Stelle habe ich mal markiert. Was mich an dieser Stelle etwas irritiert ist, daß nur bei diesen beiden Centen expliziet Zentgrafen erwähnt werden. Wie muß ich mir die Stellung und die Rechte eines solchen, vom einheimischen Adel abstammenden, Zentgrafen vorstellen? Und warum werden diese in diesen beiden Fällen so hervorgehoben?
 
Hmm... Nein. ;o)
Den kannte ich auch schon. Mir geht es mehr um diese besondere Hervorhebung der Zentgrafen an dieser Stelle und eine mögliche (in mancher Literatur erwähnten) Sonderstellung.
 
Wie muß ich mir die Stellung und die Rechte eines solchen, vom einheimischen Adel abstammenden, Zentgrafen vorstellen?
Ich kann da auf die Schnelle nur Wikipedia liefern:
Zentenarius - Wikipedia
Und daraus würde ich nicht schließen, daß ein solcher Zentgraf adlig sein muß.

Und warum werden diese in diesen beiden Fällen so hervorgehoben?
M. E. weil sie bestimmte Befreiungen (von Abgaben?) haben.

Zuerst kommen die vier Zente, die ganz befreit sind.
Dann kommen die zwei Zente, in denen Zentgrafen wohnen, und die deswegen befreit sind.
Und dann kommen die vier Zente, die nicht befreit sind (und beim letzten hat wohl noch der Landgraf die Finger drin).

Mir stellt sich dieser Ausschnitt so dar, daß es nicht in allen Zenten einen Zentgraf gibt. Und wo es einen gibt, hat das die (unklaren) Befreiungstatbestand zur Folge.
 
Da noch niemand eine letztgültige Interpretation geliefert hat, will ich auch mal eine versuchen.
In den hervorgehobenen Bezirken hatten die Zentgrafen die hohe Gerichtsbarkeit inne. In den letzten vier (nicht nur im allerletzten) hatte der Landgraf die Gerichtshoheit für sämtliche Rechtsverletzungen.
Die Zentgrafen waren nicht unbedingt Adelige (konnten sich aber dazu entwickeln. Man darf sich durch das -graf nicht irritieren lassen; es verhält sich damit wie z.B. mit den Deichgrafen.
 
Also in Fromolskerke (heute Bromskirchen, mein Heimatort) waren diese Zentgrafen die Herren von Beltershausen (thüringische später itter'sche Ministeriale).

Die Dorfchronik bietet für die letzte Stelle folgende Übersetzung: "(...) in diesen letzteren hat der Landgraf alle Gerichtsbarkeit gewaltsam an sich gerissen."
 
Die Dorfchronik bietet für die letzte Stelle folgende Übersetzung: "(...) in diesen letzteren hat der Landgraf alle Gerichtsbarkeit gewaltsam an sich gerissen."

Dem wage ich nicht zu widersprechen, zumal es vermutlich auch eine historische Überlieferung dieser "Usurpation" geben wird. Das Ergebnis wird aber (wage ich einmal in den Raum zu stellen) in etwa das von mir angenommene gewesen sein. In den hervorgehobenen Bezirken übten die Grafen von Battenberg (comes/comitis) über die ihnen unterstehenden Zentgrafen die Gerichtsbarkeit aus, während diese in den folgenden Bezirken der Landgraf "an sich gerissen" hatte.

Bemerkenswert finde ich aber, dass dieser "Sachmangel" im Kaufvertrag so offen angesprochen wird.
 
Bemerkenswert finde ich aber, dass dieser "Sachmangel" im Kaufvertrag so offen angesprochen wird.
Da der Mangel ziemlich offensichtlich ist, würde ein Verschweigen wohl nur zu größerem Ärger führen ...

Vielleicht gehört das aber auch entscheidend zum Hintergrund des Verkaufs: Die Grafen von Battenberg werden wohl zu schwach gewesen sein, um ihre behaupteten Rechte gegen den Landgrafen durchzusetzen. Ihr Rechtstitel ist für diese vier Zenten nicht praktisch verwertbar.
Der Erzbischof und Kurfürst von Mainz und Reichskanzler dagegen ist deutlich stärker und einflußreicher als der Landgraf, wenn der es schafft, die Gerichtsbarkeit zurückzugewinnen, ist das eine Einnahmequelle, für die er eine gewisse Kaufsumme riskieren kann.
 
Ja, daß denke ich auch. Zumal die battenberger Grafen ja nur die Hälfte der Einkünfte an Mainz verkauft haben (den Rest erst 1291 soweit ich weiß). D.h., daß sie bei einer mainzer Intervention ebenfalls davon profitiert hätten, da ihnen dann zumindest die Hälfte, statt wie vorher gar nichts, der Einkünfte zugeflossen wäre.
 
Hab noch zwei interesannte Stellen in der Literatur gefunden:

1. Im Battenberger Kernraum aber gelang es den Landgrafen nicht, ihre Rechte in bemerkenswerter Weise auszuweiten. Undurchsichtig ist die Stellung der Herren von Beltershausen [...], der Centgrafen des Gerichtes Bromskirchen, die zwar 1243 als landgräflich-thüringische Ministeriale bezeichnet werden, ihr Gericht aber 1329 von den Herren von Itter zu Lehen trugen. Eine Einflußmöglichkeit für die Landgrafen hat sich hier jedenfalls nicht ergeben, zumal die von Beltershausen ihr Gericht schon 1329 an die Mainzer Vasallen, die Herren von Diedenshausen verkauften.[1]

2. in Bezug auf Geismar: Hier haben wir also außer den Grafen auch noch Zentrgafen mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen; es sind die Vögte von Keseberg. Jener Zusatz stellt fest, daß der gräfliche Anteil an der Gerichtsbarkeit nicht etwa durch Weiterverleihung, Verpfändung oder dergl. der unmittelbaren Nutzung durch die Grafen entzogen ist. Das war beim Uebergang der halben Grafschaft an einen neuen Inhaber wichtig. Das Verhältnis der gräflichen zu den zentgräflichen Befugnissen war weniger das einer Ueber- und Unterordnung als das eines In- und Nebeneinanders. Die Herren von Keseberg besaßen in der Zent Geismar nicht nur die niedere, sondern auch die Blutgerichtsbarkeit. Somit bliebe als gräfliches Recht in der Hauptsache die Sühnegerichtsbarkeit übrig (...). Wenn dieses gräfliche Recht auch nicht ausdrücklich belegt ist, so läßt es sich doch erschließen aus der scharfen Scheidung zwischen den Zentgrafen und dem "ius comitis" (...). [2]

[SIZE=-1][1][/SIZE] Lennarz, Die Territorialgeschichte des hessischen Hinterlandes, Marburg 1973, S. 163.
[2][SIZE=-1] Niemeyer, Wilhelm: Der Pagus des frühen Mittelalters in Hessen, Marburg 1968, S. 20f.[/SIZE]



Ich denke, der zweite Punkt erklärt ganz plausibel, warum die Zentgrafen in der Urkunde genannt wurden. Was aus meiner sich noch offen ist, warum die Battenberger Grafen ausgerechnet in diesen beiden Zenten Zentgrafen einsetzten...
 
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Was aus meiner sich noch offen ist, warum die Battenberger Grafen ausgerechnet in diesen beiden Zenten Zentgrafen einsetzten...

Wenn ich diesen Kontext richtig verstanden habe, dürfte es sich dabei um Immunitäten handeln, welche noch aus früheren Zeiten (also vor 1238) stammen.
Mit dem Begriff "Immunität" (immunitas/emunitas) ist die Freiheit eines (meist, aber nicht notwendigerweise adligen) Herrn samt seiner Besitzungen und Hintersassen von Eingriffen fremder, vor allem königlicher und herrschaftlicher Gewalt bei Ausübung der Gerichtsbarkeit und Forderung von Abgaben und Dienste gemeint (nach W. Volkert "Adel bis Zunft: Ein Lexikon des Mittelalters" - C.H. Beck, München 1991).

Ähnlich äußert sich der Autor jener (privaten?) Heimatforschungsseite: frühe Geschichte des Dorfes
Leider hat er keine Literatur angegeben, immerhin aber einen Verweis auf den Quellentext, welcher Dir auch vorliegt, den er übersetzt hat: Urkundliche Ersterwähnung

Daneben läßt auch die Geschichte der Vögte von Keseberg Schlüsse in diese Richtung zu: Burgenlexikon: Keseburg

Aber wie bereits geschrieben, ist dies lediglich eine Interpretation meinerseits - und vielleicht bekommt es jemand besser präzisiert... :fs:
 
Ähnlich äußert sich der Autor jener (privaten?) Heimatforschungsseite: frühe Geschichte des Dorfes
Leider hat er keine Literatur angegeben, immerhin aber einen Verweis auf den Quellentext, welcher Dir auch vorliegt, den er übersetzt hat: Urkundliche Ersterwähnung

Das ist ein Teil einer alten Seite von mir. =) Wußte gar nicht, daß es die noch gibt... Aber das ist auch nur abgeschrieben, eben ohne Angaben von Literatur. Mittlerweile habe ich etliches an Literatur angesammelt, aber das ist alles noch sehr unbefriedigend.

Gibt es vergleichbares aus anderen Regionen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist ein Teil einer alten Seite von mir. =)

Etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht :cool:

Gibt es vergleichbares aus anderen Regionen?

Vergleichbar ja und sogar eine noch stärkere Immunität, die sich auch nach der Zugehörigkeit zum Kurfürstentum Sachsen noch beibehalten hat, gibt es in meiner Heimat: es sind die Ländereien der Schönburger. Dieser Fall ist jedoch für das Reich einzigartig, weil er mW nirgendwo sonst so aufgetreten ist, und hilft Dir außerhalb der (albertinisch-)sächsischen Geschichte kaum weiter...
 
Hab heute noch einen, in seiner Gesamtheit sehr lesenswerten, Aufsatz gefunden, der noch Angaben zu der Thematik macht.

Kroeschell, Karl: Die Zentgerichte in Hessen und die fränkischen Centene, In: ZRGGerm. 73

Ähnlich mag es sich auch erklären, daß in manchen kleineren Gerichten die Bezeichnungen comes und centurio, comitia und centa anscheinend wechselweise gebraucht wurden, wen man nicht besser annimmt, es hätten hier sowohl eine Zent als auch ein Grebengericht bestanden. Das ist wahrscheinlicher als die Auffassung, diese durchaus verschiedenen Begriffe bezögen sich auf das gleiche Amt. Aus den angeführten Quellen läßt sich also kein durchschlagendes Argument gegen unsere Feststellung ableiten, daß die eigentliche Aufgabe der Zentgerichte die Blutgerichtsbarkeit gewesen sei.
Dabei ist der entscheidende Wesenzug der Zenten bereits festgehalten. Es sei nun ein kurzer Überblick über die sonstigen Einzelheiten ihrer Verfassung gegeben, für die die bisher behandelten Urkunden schon die meisten Belege erhielten. Das Fehlende wird sich dabei unschwer ergänzen lassen.
Vorsitzender des Zentgerichts war der Zentgraf (centgravius, centurio, centurio ordinarius). Er war gelegentlich ein Adliger, der dieses Amt als Lehen195 oder pfandweise innehatte und in dessen Familie es dann auch erblich werden konnte. Meist aber scheint es sich um vom Zentherrn eigesetzte neidere Beamte gehandelt zu haben, wie es für den centurio auf dem Sendberg ausdrücklich bezeugt ist. Eine Wahl des Zentgrafen durch die Zentgenossen oder ihre Mitwirkung bei seiner Einsetzung ist nicht belegt, wohl aber die Mitwirkung des größten Grundherren innerhalb der Zent.
Fußnote 195):
Auch bei den v. Keseberg (Zent Geismar) scheint es so zu sein. In der Urkunde von 1238 über den Verkauf der halben Grafschaft Battenber-Stiffe wird ihre Zent und die von Bromskirchen mit der Bemerkung: sunt centgravii residentes et ius comitis liberum est omnio, denen von Battenfeld, Röddenau, Bentreff und Laisa gegenübergestellt, von denen es heißt: iste cente quatuor sunt omnio libere. Zieht man die Terminologie des Statutum in favorem princium heran, das in § 6 von des Landesherrn centis sibi liberis vel infeodatis spricht, so wird man auch hier eine Verlehnung als Gegensatz zu den "freien" Zenten annehmen wollen. Freilich hielt man bisher die centgravii residentes für erbliche Zentgrafen nicht kraft Belehnung, sondern aus eigenem Recht.
 
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Hallo, Mephisto!

vielleicht kann ich auch hier noch eine verspätete Hilfestellung leisten.

Ludwig Lotzenius erklärt in seiner "Geschichte der Ämter Battennberg und Wetter" die in der Urkunde von 1238 geschilderte Herrschaftssituation in der Grafschaft Battenberg folgendermaßen: Die vier Zente bzw. Gerichte Battenfeld, Röddenau, Bentreff und Laisa unterstanden den Battenberger Grafen. Die Zente Lixfeld, Dautphe, Wetter und Asphe hingegen hatten die hessischen bzw. damals noch thüringischen Landgrafen den Battenberger Grafen entrissen - und gaben sie ihnen auch in der Folgezeit nicht wieder zurück. In den beiden Gerichten Geismar und Bromskirchen, und zwar nur in diesen beiden, saßen besondere Zentgrafen, wobei es sich dabei vermutlich um das jeweils vor Ort bestimmende Adelsgeschlecht (in Geismar die Herren von Keseberg, in Bromskirchen die Herren von Beltershausen) gehandelt haben dürfte. Beide Gerichte waren den Battenberger Grafen dadurch zwar nicht vollständig entzogen, jedoch mussten sie sich dort die Herrschaft mit den Zentgrafen teilen.

Die lange Zeit ungedruckte Arbeit von Lotzenius haben wir in Battenberg im vergangenen Jahr (2013) übrigens in einer überarbeiteten Fassung herausgegeben.
 
Also in Fromolskerke (heute Bromskirchen, mein Heimatort) waren diese Zentgrafen die Herren von Beltershausen (thüringische später itter'sche Ministeriale).

Die Dorfchronik bietet für die letzte Stelle folgende Übersetzung: "(...) in diesen letzteren hat der Landgraf alle Gerichtsbarkeit gewaltsam an sich gerissen."


Hallo Mephisto, meist du Tammo von Beltershausen?
Gibt es einen super Aufsatz von Prof. Dr. Ritzerfeld über diesen.

Gruß

en hesse
 
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