London/Gewalt

Geht es Dir eigentlich um das 20. und 21. Jh. oder um eine länger andauernde Betrachtungsweise?
Das ist eine gute Frage, denn auch über beispielsweise das Bagdad des 10. Jhdts. haben wir Berichte von organisierter Kriminalität, No-go-Areas und "Riots". Das sind eben Probleme, die Großstädte haben, seitdem es Großsstädte gibt. Neben bereits den angesprochenen, besonders für Hafenstädte typischen Dingen kommen hinzu soziale Ungleichheit/Elend und offenbar auch Gelegenheit und Anonymität. Das London da mehr im Fokus liegt als andere Städte (eigentlich scheint der Fokus ja wohl auf dem 19. Jhdt. zu liegen), kann auch einfach a) an unserer anglophonen Fixierung liegen und b) daran dass die frühesten Krimiautoren Engländer waren sowie England das erste Land mit einer Tagespresse war, dem andere Länder erst später nachfolgten.
Säureangriffe sind aus Ostasien nach Europa übergeschwappt.
 
"Organisierte Kriminalität", "No-Go -Areas", das sind alles moderne Begriffe. Usw. Diese Themen helfen nicht weiter, da sie zu pauschalisierend sind.
Und ich glaube nicht, dass es eine anglophome Fokussierung desFrGestellers gibt. Es ist mehr sein allgemeiner und jüngster Eindruck, was ihn stutzig macht
 
Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass eine Rolle dabei gespielt hat, dass erstens viele englische Autoren schon recht früh, London so dargestellt haben. Ein Roman wie "Fanny Hill" ist bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschienen, also zu einem Zeitpunkt, wo in Europa eigentlich ganz andere Romane üblich waren. (Grimmelshausen würde ich da als Ausnahme sehen.)

Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass in England relativ früh, das Schriftstellertum (und auch andere Künste) bereits als "freies" Unternehmertum reüssierte (trotz Kritik), dass es auch für "einheimische" Künstler möglich machte, das eigene Land bzw. die eigenen Stadt oder die Hauptstadt kritisch zu zeigen, ohne dass das Herrscherhaus da entscheidend durchgreifen konnte.
 
Das sind eben Probleme, die Großstädte haben, seitdem es Großsstädte gibt.
Säureangriffe sind aus Ostasien nach Europa übergeschwappt.

Das ist in der Pauschalität nicht richtig. Der unterschiedliche Grad der sozialen Kontrolle ist entscheidend. Und da kann man deutliche Unterschiede zwischen Städten erkennen und den jeweiligen kulturellen Einfluss bestimmen.

Eine wichtige Größe für die sozial und kulturell determinierte sozialen Kontrolle (wenn man von der staatlichen Repression absieht) ist die Migration innerhalb der Stadt und zwischen Stadt und Land. Pauschal: Je höher die Migrationsquote, desto geringer - in der Regel - die Effektivität der sozialen Kontrolle, da die sozialen Netzwerke einer laufenden Neubildung unterliegen.

Während der beginnende Industriealisierung setzte in größerem Umfang die soziale Transformation von z.B. mitteleuropäischen Gesellschaften ein. Die Migration von Bevölkerung in die städtischen Zentren stellt ein Teil des sozialen Wandels dar und beschleunigt die Auflösung traditioneller Milieus in den Städten.

Andererseits: Diesen Prozess der stabilen und erfolgreichen sozialen Kontrolle findet man sehr ausgeprägt für Japan bis noch in die Zeit nach dem WW1 vor. Für diese Phase war nicht die Großstadt die entscheidende Größe der sozialen Orientierung, sondern die "kleine Welt" des jeweiligen Quartiers. In diesem Sinne setzte sich das soziale Leben in japanischen Städten / Dörfern aus einer Vielzahl von festgefügten Netzwerken zusammen, die für die Einhaltung der Normen und Gesetze sorgten. Nicht zuletzt, weil es sämtliche Aktionen der Mitglieder des Quartiers direkt beobachtet und bewertet worden sind. Und abweichendes Verhalten einer Sanktionierung unterlag.

Soziale Kontrolle ist somit das Ergebnis von klar definierten "Netzwerken" hierarchischer, religiöser, ethnischer, gender etc- Beziehungen und wird durch Normen und Gesetze definiert. Die Durchsetzung erfolgt durch "soziale Macht", die für Japan das Ergebnis von sozialem Prestige ist und sich aus wirtschaftlicher Macht (Reichtum etc.), sozialem Rang (Herkunft, Bildung, Funktionen etc) und durch Seniorität (Alter etc.) speist

Nicht selten fällt die Lockerung bzw. die Auflösung zusammen mit Zeiten eines besonders intensiven sozialen Wandels. Im Fall für Japan deutlich nach dem WW2 einsetzend.

Ansonsten für Europa hat D. Garrioch (The making of revolutionyry Paris) diese Veränderung der sozialen Milieus für Paris für die vorrevolutionäre Phase beschrieben. Und bezieht sich explizit auf die Veränderung der ständischen Milieus, die ähnlich gewirkt haben wie für Japan beschrieben.

In diesem Kontext ist die zunehmende urbane Kriminalität angesiedelt. Dass dabei auch eine mangelnde soziale Verteilungsgerechtigkeit eine Rolle gespielt hat, sei nur am Rande erwähnt.
 
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Und eher durch Zufall auf ein interessantes Buch von Rebekka Habermas gestoßen, das die Durchsetzung einer modernen Rechtsordnung im 19. Jahrhundert beleuchtet.

Und an diesem Beispiel wird auch deutlich wie der Prozess der Zivilisation durch die zunehmende Codifizierung von Rechtsnormen und ihre Durchsetzung durch einen Ausbau von Exekutivorganen voranging.

Gerade in der Phase des Übergangs von der alten ständischen Ordnung in die Neuzeit gab es vermutlich die meisten Defizite der Durchsetzung von Rechtsnormen. Und am deutlichsten sah man dieses in den großen Städten Europas mit ihrer höheren Anonymität.


https://www.perlentaucher.de/buch/rebekka-habermas/diebe-vor-gericht.html
 
Alle diese Listen empfinde ich als fragwürdig - hauptsächlich deshalb, weil keine einzige westafrikanische Stadt und insbesondere keine Nigerianische darin auftaucht.

Warum führst du selbst keine Zahlen an, wenn du diese Region für mordstatistisch unterschätzt hältst?

Auf deine Anregung hin habe ich ein bisschen recherchiert und keine Anzeichen dafür entdeckt, dass die verlinkten Listen betr. Westafrika unvollständig sind. Lagos z.B., mit 18 Mio die größte City Nigerias, hatte 2016 genau 246 Mordopfer zu verzeichnen. Das sind pro 100.000 Einwohner ca. 1,3 Morde, womit die Stadt in der verlinkten Liste im untersten Fünftel rangieren würde, weit abgeschlagen hinter den eigentlichen Krisenplätzen und auch knapp hinter London (1,6/100.000). Allerdings führt die Liste nur Hauptstädte auf. Die Hauptstadt von Nigeria ist aber Abuja, nicht Lagos. Für Abuja finde ich keine gesonderte Mordstatistik, was wohl heißt, dass sie im internationalen Vergleich nicht ins Gewicht fällt. Allgemein liegt die Mordrate in Nigeria zwar ziemlich hoch (20/100.000), die Taten scheinen aber vorwiegend in kleineren Städten oder in der Provinz zu erfolgen. Anderes Beispiel: Der Senegal (Westafrika) mit Hauptstadt Dakar ist eines der (mordstatistisch) sichersten Länder der Welt mit 0,3 Morden pro 100.000. Die gleiche Quote erzielt auch Hongkong, trotz seines Gangsterimages (Triadenzentrum). Die Raubüberfall-Quote ist dort 80 mal geringer als in London und 70 mal geringer als in New York.

Apropos: New York, wohin ich demnächst reise, würde in der Liste in der Nachbarschaft von Amsterdam, Kiew und Bangkok liegen (um die 4/100.000), wird aber wegen mangelndem Hauptstadtstatus nicht aufgeführt. Brüssel hat 3/100.000 und damit in relativen Zahlen mehr als doppelt so viele Mordopfer zu beklagen wie Lagos in Nigeria/Westafrika.
 
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Bei dieser Diskussion sehe ich ein wesentliches Problem und das ist die zuverlässigkeit der statistischen Basis.

Länder und Städte in denen die Kriminalität bzw. das Misstrauen gegenüber den Behörden so hoch ist, dass die Leute Morde und sonstige schwere Verberechen nicht anzeigen, kommen statistisch gesehen besser weg als solche in denen jedes Verbrechen angezeigt wird, was eigentlich auf eine funktionierende Justiz deutet.
Oft sind es auch Definitionsfragen. Im Spiegel war vor Jahren mal ein Artikel über die unschärfe in den hiesigen Mordstatistiken da erstens vieles unter "Totschlag" fällt was anderswo als Mord gilt und zweitens auf Grund der niedrigen Anzahl an pathologischen Untersuchungen, viele Mordopfer gar nicht als solche entdeckt und gezählt würden.

Durch letzteres wird Weimar vermutlich nicht in die Nähe von Tijuana rücken aber durch ersteres kann manch eine Stadt deutlich höher in der Statistik rücken.
 
Bei dieser Diskussion sehe ich ein wesentliches Problem und das ist die zuverlässigkeit der statistischen Basis.

Länder und Städte in denen die Kriminalität bzw. das Misstrauen gegenüber den Behörden so hoch ist, dass die Leute Morde und sonstige schwere Verberechen nicht anzeigen, kommen statistisch gesehen besser weg als solche in denen jedes Verbrechen angezeigt wird, was eigentlich auf eine funktionierende Justiz deutet.
Oft sind es auch Definitionsfragen. Im Spiegel war vor Jahren mal ein Artikel über die unschärfe in den hiesigen Mordstatistiken da erstens vieles unter "Totschlag" fällt was anderswo als Mord gilt und zweitens auf Grund der niedrigen Anzahl an pathologischen Untersuchungen, viele Mordopfer gar nicht als solche entdeckt und gezählt würden.

Das sind alles nachvollziehbare Argumente, aber ich denke, dass die Statistiken zumindest in der Tendenz aussagekräftig sind, d.h. auch die diversen Dunkelziffern stehen in einem ähnlichen Verhältnis zueinander wie die offiziellen Zahlen (dazu ganz unten mehr). Da diese Ziffern nun einmal dunkel sind, lässt sich das nicht überprüfen. Klar ist jedenfalls, dass es viele Morde gibt, die als Unfall oder Freitod getarnt sind und deswegen statistisch nicht erfasst werden.

Eine 1996 erstellte Mordstatistik betr. US-Gangs (Office of Juvenile Justice and Delinquency Prevention, Washington DC) besagt (Quelle "National Gang Survey 1996"):

Large cities: 1821 reported homicides, 2364 estimated homicdes

Suburban counties: 400 reported homicides, 561 estimated homicides


´Reported´ = verifiziert, ´estimated´ = ingesamt geschätzt (verifizierte plus Dunkelziffer)

Unten sind Zahlen für Morde an Gewerkschaftlern in Kolumbien. Die erste Zahl hinter der Jahreszahl steht für die verifizierte und die zweite für die insgesamt geschätzte Mordrate. Dahinter steht die Prozentzahl der Abweichung = Dunkelziffer (Quelle "Unobserved Union Violence: Statistical Estimates of the Total Number of Trade Unionists Killed in Colombia, 1999-2008"):

1999 95 124 23%
2000 187 237 21%
2001 258 386 33%
2002 255 323 21%
2003 133 173 23%
2004 117 126 7%
2005 80 86 7%


Was ich an deiner Argumentation vermisse, ist, dass du nicht einen Schritt weiter überlegst und dich fragst, warum die Mordraten einer Stadt über gewisse Zeiträume relativ gleich bleiben und nicht sprunghaft variieren. Der wahrscheinlichste Grund dafür kann doch nur sein, dass die Gesamtrate (estimated number) ebenfalls relativ gleich bleibt (bzw. nur graduell variiert). Die Kolumbien-Statistik weist zwar einen Sprung ab 2004 auf, die Rate bleibt dann aber wieder ähnlich. Immerhin sind die Dunkelziffern (Prozentzahlen) von 1999 bis 2003 relativ stabil und nicht chaotisch voneinander abweichend.

Es wäre also sehr unwahrscheinlich, wenn bei relativer Kontinuität der verifizierten Rate die Dunkelziffer völlig zufällig und sprunghaft variiert.

Hier sind die Quoten (Opfer/100.000) für London für die Jahre 1990 bis 2008:

2.5 2.5 2.3 2.1 2.3 2.2 1.9 2.5 2.1 1.9 2.3 2.5 2.5 2.7 2.4 2.2 2.2 2.1 2.0


Man kann also davon ausgehen, dass auch die Dunkelziffern graduell variieren statt sprunghaft. Dunkelziffern sind somit kein Chaosfaktor, wie du anzunehmen scheinst, sondern relativ berechenbar. Daraus kann man auf eine tendenzielle Aussagekraft der von mir verlinkten Statistiken schließen.
 
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Die Kolumbien-Statistik weist zwar einen Sprung ab 2004 auf, die Rate bleibt dann aber wieder ähnlich.

Mit "Rate" meine ich hier die Dunkelziffer = Prozentzahl der Abweichung von verifizierter und geschätzter Mordrate.

Was ich an deiner Argumentation vermisse, ist, dass du nicht einen Schritt weiter überlegst und dich fragst, warum die Mordraten einer Stadt über gewisse Zeiträume relativ gleich bleiben und nicht sprunghaft variieren.

Hier meine ich die verifizierten Mordraten (reported numbers), wie z.B. in der Quotenliste betr. London. Aus deren relativer Kontinuität ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine relative Kontinuität der Dunkelziffer zu schließen. Diese Überlegung hast du (@ Bdaian) leider nicht angestellt.

Dunkelziffern sind somit kein Chaosfaktor, wie du anzunehmen scheinst, sondern relativ berechenbar. Daraus kann man auf eine tendenzielle Aussagekraft der von mir verlinkten Statistiken schließen.

Nachträglich fand ich folgende Bestätigung für meine Argumentation im Wiki-Artikel "Tötungsrate nach Ländern":

Tötungsrate nach Ländern – Wikipedia

Die Zuverlässigkeit der zugrundeliegenden nationalen Daten ist schwankend.[2] Bereits die Erfassung der Daten kann unvollständig sein. Es ist nicht auszuschließen, dass statistischen Meldungen in Einzelfällen aus politischen Gründen geschönt sind. Für einzelne Länder liegen nur Schätzungen vor, die beispielsweise auf der Grundlage von Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) getroffen werden. Generell gilt, dass im Todesfall nicht immer ein vorsätzliches Tötungsdelikt erkannt wird. Man muss davon ausgehen, dass es eine Dunkelziffer gibt und dass die wahre Zahl der Tötungsdelikte höher liegt. Gleichwohl ergibt sich im Ländervergleich ein aussagefähiges Bild.
 
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Durch letzteres wird Weimar vermutlich nicht in die Nähe von Tijuana rücken aber durch ersteres kann manch eine Stadt deutlich höher in der Statistik rücken.

Ob eine Stadt in einer mordstatistischen Liste aufgrund einer sachlichen Korrektur ein paar Plätze weiter rauf oder runter rückt, ist völlig irrelevant, da solche Listen jeweils nur für ein bestimmtes Jahr gelten und im nächsten Jahr schon anders aussehen können. Dass sie aufgrund der von dir genannten Kriterien "deutlich" höherrücken kann, ist ohnehin unwahrscheinlich.

San Pedro Sula (Honduras) hatte 2013 und 2015 stattliche 173 bzw. 171 Mordopfer pro 100.000 (offiziell) zu verzeichnen, was Platz 1 bedeutete und sogar Caracas toppte. 2016 fiel die Rate aber auf 112, womit die Stadt zugunsten von Caracas auf Platz 2 abrutschte. Mir liegen zu wenig miteinander vergleichbare Listen für unterschiedliche Jahre vor, um andere Beispiele benennen zu können; dass viele Städte ihre Listenposition jährlich z.T. deutlich verändern, dürfte aber außer Zweifel stehen.

Im Jahr 2015 gab es in den USA eine rätselhafte signifikante Steigerung der (offiziellen) Mordrate in über 20 Städten, was ihre Position in statistischen Listen natürlich nach oben drückte. Las Vegas verdoppelte sogar seinen Mordrate. Dass das mit der Einstellung der Serie „CSI Vegas“ im gleichen Jahr zusammenhängt, ist aber unwahrscheinlich… Was New Yorks Mordrate angeht, ging diese 2015 um immerhin 25 % zurück:

https://www.nytimes.com/2016/05/14/us/murder-rates-cities-fbi.html

Es kann also, im Ganzen gesehen, nicht um die Genauigkeit oder Zuverlässigkeit einer Listenposition gehen, sondern nur um die prinzipielle statistische Größenordnung der Quantität von Morden in einer bestimmten Stadt. Die jeweiligen Größenordnungen bleiben normalerweise von Jahr zu Jahr stabil, z.T. sogar auffallend stabil (siehe z.B. die von mir kürzlich angeführte London-Liste 1990-2008). Unter diesem Aspekt haben die Listen eine jahresübergreifende Relevanz.

Dass die Listen trotz des Dunkelzifferfaktors grundsätzlich aussagekräftig sind, hatte ich schon geschrieben. Nun stellt sich die Frage, wie hoch die durchschnittliche prozentuale Höhe einer Mord-Dunkelziffer für Großstädte (also nicht Weimar…) einzuschätzen ist. Ich halte 25 % nicht für zu niedrig, sondern eher für zu hoch, aber egal, gehen wir mal davon aus, dass von 125 Morden in Städten (global) durchschnittlich 25 unentdeckt bleiben. (Es gibt in Deutschland die Hypothese, dass jeder zweite Mord wegen zu wenigen Obduktionen unentdeckt bleibt, was aber nur eine provokative und übertrieben erscheinende Spekulation ist).

Natürlich schwankt diese Rate von Stadt zu Stadt und von Jahr zu Jahr. Als Grenze nach oben und unten schlage ich 10 und 40 % vor, d.h. Dunkelzifferraten können zwischen 10 und 40 % liegen, ändern sich pro Stadt von Jahr zu Jahr aber normalerweise nicht sprunghaft (wie ich kürzlich schon schrieb, siehe auch weiter unten):

Hier stellt sich die Frage nach einem möglichen Zusammenhang von Aufklärungsrate und Dunkelziffer, d.h. ist eine Dunkelziffer umso höher einzuschätzen, je geringer die Aufklärungsrate ist? Es gibt natürlich keinen unmittelbaren Zusammenhang, Schwächen bei der Aufklärung von erkannten Morden könnten aber signalisieren, dass es auch Schwächen beim Erkennen gibt, ob überhaupt ein Mord vorliegt. Das ist aber reine Spekulation meinerseits.

Was die Aufklärungsrate betrifft, hat London die Latte sehr hochgelegt. Seit acht Jahren wurde praktisch jeder erkannte Mordfall gelöst, was einmalig in der Kriminalgeschichte ist. Auch in Deutschland liegt die Aufklärungsrate sehr hoch (im Schnitt über 90 %, Berlin lag 2014 bei 90 %).

In den USA sieht das schon ganz anders aus. Dort liegt der Schnitt um die 61 %, mancherorts sogar dramatisch niedrig (Honolulu 19 %, trotz Steve McGarrett…). Allerdings liegen die Mordraten in der USA z.T. viel höher als in London, was eine Teilerklärung für die Diskrepanz sein könnte.

Wie gesagt: Ob die Zahl der unerkannten Morde (Dunkelziffer) in einem signifikanten Verhältnis zur Aufklärungsrate steht, kann gefragt werden, ist aber nur unsicher zu beantworten. Mein Tipp: Wer wie Bdaian die offiziellen Mordstatistiken ankratzen möchte, könnte an diesem Punkt ansetzen…

Legte man nun die genannten hypothetisch-durchschnittlichen 25 % an unerkannten Morden in den Listen pauschal zugrunde, würden die Städte ihre Position natürlich nicht ändern. Wie ich zuletzt schrieb, weist eine Kontinuität der Rate der erkannten Morde mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einer vergleichbare Kontinuität der jeweiligen Dunkelziffer hin, d.h. es ist sehr unwahrscheinlich, dass für London die erkannte Mordrate sich jahrelang knapp um die 2,1 pro 100.000 bewegte, die jeweiligen Dunkelziffern aber zwischen 10 und 40 % schwankten. Anderes zu behaupten, wäre pure Polemik.

Allerdings ist nicht bestimmbar, wie hoch die (relativ kontinuierliche) Dunkelziffer in London in den Jahren 1990-2008 lag – vermutlich aber unter 25 %, da die Polizei dort gut zu arbeiten scheint (wie ich oben schon spekuliert habe).

Eine Positionenliste von Mordraten, welche die Dunkelziffer einschließen (estimated number), könnte z.B. in der Art eines Fehlerbalkendiagramms mit Ober- und Untergrenzen für die Dunkelziffer erstellt werden:

https://de.wikipedia.org/wiki/Fehlerbalken

http://praxistipps.chip.de/excel-fehlerbalken-diagramm-erstellen_31106
 
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