Luftkrieg: Deutsche und alliierte Bombenangriffe auf Städte

H

Hurvinek

Gast
Ich finde bei den deutschen Bombenangriffen auf Städte während des Zweiten Weltkrieges keine annähernden Opferzahlen wie bei den Angriffen der Allierten auf deutsche Städte.
Mir fallen spontan Coventry, Rotterdam und Gernika ein als opferreichste Bombardierungen der deutschen Luftwaffe.
Warschau 1939 scheint eine Ausnahme zu sein. Allerdings war Warschau kein Fernbomberziel.

Zu den allierten Bombenangriffen Beispiele:
Operation Gomorrha
Codewort "Chevin"
 
Um einen alten Juristenkalauer zu bemühen:

Die Nürnberger hängen keinen, es sei denn, sie hätten ihn denn.

Militärisch sinnlose Luftangriffe, die nur zum Terror gegen die Zivilbevölkerung dienten, sind nun keine britische oder US-amerikanische Spezialität. Auch die Deutschen haben das versucht:

Belfast Blitz ? Wikipedia

Baedeker Blitz ? Wikipedia

Einzig allein die mangelnde Bomberkapazität der Luftwaffe hat meines Erachtens verhindert, dass die Deutschen diesen perfiden Bombenkrieg mitgemacht haben. Auch die V1 hatte keinerlei miliärischen Nutzen, sondern diente nur zum Terror gegen die Zivilbevölkerung.

Es ist auch mich unstreitig, dass der allierte Luftkrieg unmenschlich war. Aber (und dieses aber ist entscheidend) das Ziel dieses Luftkrieges war die Zerstörung des Nazi-Regimes. Und zur Erreichen dieses Ziels waren m. E. alle Mittel erlaubt.

Ob nicht doch dieser Bombenkrieg den Krieg verkürzt hat, kann so einfach nicht widerlegt werden. Wenn ich zeitgenössische Tagebücher lese, gab es doch erhebliche Auswirkungen auf das Transportwesen sowie auf die Moral der Truppen an den Fronten.
 
Der Bombenkrieg veränderte die Menschen und ihre Ansichten grundlegend. Ich besitze einen Feldpostbrief, den mein Großvater an meinen damals 13jährigen Vater im Juli 1944 schrieb. Da ist die Rede davon, dass man es jetzt ja "...Gott sei Dank dem Tommy endlich heimzahlt..."(gemeint ist die V1).
Dabei war Opa eigentlich Sozialdemokrat und im Herzen Nazi-Gegner, der heimlich Radio London hörte. Vier Wochen später starben seine Eltern bei einem amerikanischen Tagesangriff, im Februar 1945 er selbst in Ostpreußen.
Ich denke der Bombenkrieg gegen die Städte brach nicht die Moral, sondern erreichte das ganze Gegenteil. Er erzeugte Wut und den Willen, bis zuletzt zu kämpfen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Schwere der Angriffe und das dafür zu Kriegsbeginn vorhandene Gerät hängt auch mit den herrschenden Theorien des Luftkrieges zusammen.

Bei den Alliierten gab es viele Anhänger des italienischen Generals Giulio Douhet und seinem Buch "Il domino dell'aria" von 1921. Douhet behauptete, dass man ein Land aus der Luft aus in die Knie zwingen könnte durch massive Bombenangriffe und "Terror" gegen die Zivilbevölkerung. Italien hatte ja schon im 1 WK langstreckenbomber und setzte diese ein.

Dass dieses nicht funktionierte, haben Italiener und deutsche Spätestens im spanischen Bürgerkrieg erfahren, wo die häufigen italienischen Angriffe auf Barcelona und Valencia so wie die gemeinsamen auf Madrid die Moral auch nicht einmal ankratzten (Gernika war m.E. ein taktischer Angriff).

Da man auch selber wusste, wie man die eigenen Bevölkerung unter Kontrolle hatte, glaubte man nach diesen "Experimenten" nicht mehr dass so eine Entscheidung hervorgerufen werden konnte und baute auch nicht die entsprechenden schweren Bomber bzw. blieb nicht mehr auf dieser Schiene (die Italiener hatten vorher einige schwere Modelle entwickelt wie die Piaggio P108 oder die Savoia Marchetti sm82 Marsupiale).

Die Angriffe auf Warschau und Rotterdamm waren auch keine Strategischen Angriffe sondern Taktische, die direkt zur Kapitulation der entsprechenden Stadt führen sollten und nach damaliger Auffassung sogar vom Kriegsrecht gedeckt waren. Man hatte dabei, da frontnah, auch eine bedeutende Dichte an Maschinen zur Verfügung um großen Schaden anzurichten.

Coventry, Belfast, London etc fallen dann zwar unter die Kategorie "Strategisch", das Primärziel war m.E. jedoch eher Vergeltung zur Aufrechterhaltung des Ansehens in der eigenen Bevölkerung als der ernsthafte Versuch der Zerrüttung der gegnerischen Moral.
 
Ich werde etwas zu Warschau und London schreiben, aber bevor ich dies tue. möchte ich klarstellen, das ich diese Angriffe ganz gewiss nicht gutheiße. Aber die Forianer, die mich kennen, wissen das sowieso.

Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß legte der französische Militärattache einen Bericht vor, aus dem hervorgeht, das die Luftwaffe sich bemüht habe, nur wirtschaftlich und militärisch bedeutsame Ziele Warschaus anzugreifen.(1)

Ende September war Warschau eine Stadt, die trotz aussichtsloser Situation und entsprechender mehrfacher Ausfforderung der Wehrmacht weigerte zu kapitulieren.

Als dann die grauenhafte Bombardierung begann, waren aber "nur" 13 Prozent der Bomben Brandbomben.(2) Zum Vergleich:Bei der RAF betrug der Prozentsatz so um die 65 Prozent.

Gemäß Hanke, Luftkrieg und Zivilbevölkerung, S.212, war die Bombardierung Warschaus zulässig, da man davon ausgehen konnte, dass der zu erwartende militärische Vortei, nämlich die Kapitulation, die möglichen Verluste unter der Zivilbevölkerung übertraf.

Zu London ist doch Folgendes anzumerken:

Die ersten deutschen Luftangriffen auf London dienten wirtschaftlichen und militärischen Zielen.(3) Hitler hat die Bommbardierung ziviler Ziele in London untersagt. Als dann versehentlich doch "ein paar" Bomben fielen, die Schäden wurden von der britischen Presse als äußerst geringfügig bezeichnet (4), holte Churchill zum Gegenschlag aus und ließ Berlin, aber nicht nach militärischen Gesichtspunkten, bombardieren. Hitler reagiert in bekannter Manier und verkündete, "er werde britische Städte nunmehr ausradieren." (5)



(1) International Military Tribunal, Bd.9, S.759
(2) Rzepniewski, Wojna powietrzna S.132,140 hier zitiert nach DRZW Bd.2, S.324, München 2001
(3) Spaight, Bombing Vindicated, S.68
(4) Tress, First Berlin Raids, S.66 hier zitiert nach DRZW Bd.2, S.325, München 2001
(5) Weisungen und Befehle, September 1940, Zusammenstellung der 8.Abteilung des Generalstabes der Luftwaffe, BA-MA, RL2 IV/33
 
Die Denkweise wurde, was Arthur Harris (alias "Bomber-Harris", alias "Butcher-Harris") angeht, recht gut dokumentiert. Harris war bekanntlich im 2. WK Chef des Bomber Command der Royal Air Force.

Nach dem 1. WK flog er Bombeneinsätze in Kolonialkämpfen im heutigen Pakistan und dem Irak. Zitat Harris: " Das einzige, was ein Araber versteht, ist eine harte Hand!"
Für die Niederschlagung von Aufständen in Palästina hatte er ein Mittel parat: "Eine 250- oder 500-Pfund-Bombe auf jedes Dorf, das ungehorsam ist, würde das Problem schnell lösen."

Kein Wunder, dass diese "erprobte Methode" auch sein Denken im 2. WK beeinflusste.

Hierzu äußerte er sich wie folgt:

The aim of the Combined Bomber Offensive...should be unambiguously stated [as] the destruction of German cities, the killing of German workers, and the disruption of civilized life throughout Germany. It should be emphasized that the destruction of houses, public utilities, transport and lives, the creation of a refugee problem on an unprecedented scale, and the breakdown of morale both at home and at the battle fronts by fear of extended and intensified bombing, are accepted and intended aims of our bombing policy. They are not by-products of attempts to hit factories.
In seinen Memoiren, die er nach dem Krieg veröffentlichte, meinte er zudem:

"In spite of all that happened at Hamburg, bombing proved a relatively humane method".

Ich denke, da erübrigt sich jeder weitere Kommentar...
 
Im Fall Rotterdam (zur Festung erklärt) sind die Bomberstaffeln während des Anfluges zurück gepfiffen worden, da die Kapitulation in Aussicht war. Der Rückruf erreichte aber nicht alle Maschinen.
Dass die Stadt während der deutschen Besatzung auch von den Alliierten bombardiert wurde, mit insgesamt mehr zivilen Opfern als 1940, erwähnt man heute meist nicht.
http://www.geschichtsforum.de/f68/bomben-auf-rotterdam-4889/
 
Die Denkweise wurde, was Arthur Harris (alias "Bomber-Harris", alias "Butcher-Harris") angeht, recht gut dokumentiert. Harris war bekanntlich im 2. WK Chef des Bomber Command der Royal Air Force.

Nach dem 1. WK flog er Bombeneinsätze in Kolonialkämpfen im heutigen Pakistan und dem Irak. Zitat Harris: " Das einzige, was ein Araber versteht, ist eine harte Hand!"
Für die Niederschlagung von Aufständen in Palästina hatte er ein Mittel parat: "Eine 250- oder 500-Pfund-Bombe auf jedes Dorf, das ungehorsam ist, würde das Problem schnell lösen."

Kein Wunder, dass diese "erprobte Methode" auch sein Denken im 2. WK beeinflusste.

Hierzu äußerte er sich wie folgt:

In seinen Memoiren, die er nach dem Krieg veröffentlichte, meinte er zudem:

"In spite of all that happened at Hamburg, bombing proved a relatively humane method".

Ich denke, da erübrigt sich jeder weitere Kommentar...

Ich weis nicht, ob er direkt damit zu tun hatte, im Irak wurde in diesem Zeitraum auch Giftgas gegen die Aufständischen verwendet.
 
@Turgot: Die Queen Mom hat bei der Enthüllung des Harris Denkmals diesen als inspirierenden Führer gewürdigt.
Man sollte das nicht überbewerten. Die gute Dame war da schon fast 100. Sie selbst verwendete bis an ihr Lebensende die Bezeichnung "huns". Einer ihrer Brüder fiel im Ersten Weltkrieg, ein anderer geriet schwer verwundet in deutsche Gefangenschaft.
Was die Briten von Harris hielten, beweist die Tatsache, dass er nach dem Krieg bei Auszeichnungen und Beförderungen übergangen wurde. Er war im Krieg halt der ungeliebte, aber nützliche Bluthund.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man sollte das nicht überbewerten. Die gute Dame war da schon fast 100. Sie selbst verwendete bis an ihr Lebensende die Bezeichnung "huns". Einer ihrer Brüder fiel im Ersten Weltkrieg, ein anderer geriet schwer verwundet in deutsche Gefangenschaft.
Was die Briten von Harris hielten, beweist die Tatsache, dass er nach dem Krieg bei Auszeichnungen und Beförderungen übergangen wurde. Er war im Krieg halt der ungeliebte, aber nützliche Bluthund.


Es hat in Großbritannien während des Krieges und auch danach ja eigentlich auch nicht an kritischen Stimmen zum Sinn und Zweck von Harris seiner Vorgehensweise gefehlt.
Aber wenn Harris als Kriegsverbrecher bezeichnet wird, schließen sich die Reihen wieder. Das konnte man sehr schön bei den Reaktionen der englischen Öffentlichkeit bei der Publikation von Jörg Friedrichs Buch "Der Brand" registrieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Schwere der Angriffe und das dafür zu Kriegsbeginn vorhandene Gerät hängt auch mit den herrschenden Theorien des Luftkrieges zusammen.

Bei den Alliierten gab es viele Anhänger des italienischen Generals Giulio Douhet und seinem Buch "Il domino dell'aria" von 1921. Douhet behauptete, dass man ein Land aus der Luft aus in die Knie zwingen könnte durch massive Bombenangriffe und "Terror" gegen die Zivilbevölkerung. Italien hatte ja schon im 1 WK langstreckenbomber und setzte diese ein.

Dass dieses nicht funktionierte, haben Italiener und deutsche Spätestens im spanischen Bürgerkrieg erfahren, wo die häufigen italienischen Angriffe auf Barcelona und Valencia so wie die gemeinsamen auf Madrid die Moral auch nicht einmal ankratzten (Gernika war m.E. ein taktischer Angriff).

Da man auch selber wusste, wie man die eigenen Bevölkerung unter Kontrolle hatte, glaubte man nach diesen "Experimenten" nicht mehr dass so eine Entscheidung hervorgerufen werden konnte und baute auch nicht die entsprechenden schweren Bomber bzw. blieb nicht mehr auf dieser Schiene (die Italiener hatten vorher einige schwere Modelle entwickelt wie die Piaggio P108 oder die Savoia Marchetti sm82 Marsupiale).

Die Angriffe auf Warschau und Rotterdamm waren auch keine Strategischen Angriffe sondern Taktische, die direkt zur Kapitulation der entsprechenden Stadt führen sollten und nach damaliger Auffassung sogar vom Kriegsrecht gedeckt waren. Man hatte dabei, da frontnah, auch eine bedeutende Dichte an Maschinen zur Verfügung um großen Schaden anzurichten.

Coventry, Belfast, London etc fallen dann zwar unter die Kategorie "Strategisch", das Primärziel war m.E. jedoch eher Vergeltung zur Aufrechterhaltung des Ansehens in der eigenen Bevölkerung als der ernsthafte Versuch der Zerrüttung der gegnerischen Moral.


Die Angriffe auf englische Städte im Zuge der Luftschlacht sind überwiegend, insbesondere die Nachtangriffe sind Verletzungen des Völkerrechts. Der V1 und V2 Beschuss natürlich ebenfalls.

Die Angriffe auf Warschau, Rotterdam und der vielstrapazierte auf Wielun sind wohl konform mit dem damaligem Völkerrecht, da in der Kampfzone.

Auch ein Angriff auf eine Stadt im Hinterland ist nicht unbedingt eine Völkerrechtsverletzung, aber die gezielten Angriffe auf Wohnviertel, das gezielte Auslösen des fürchterlichen "Feuersturms" sind Punkte die die Engländer und Amerikaner zu tragen haben.

Das hat mit "Geschichtsrevisionismus" überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil, der Versuch diese unbestreitbaren Fakten zu verharmlosen gibt denen Auftrieb.
 
Die Queen Mom hat bei der Enthüllung des Harris Denkmals diesen als inspirierenden Führer gewürdigt.


Ich war kürzlich in London und habe dort u.a. das Harris-Denkmal gesehen. Es ist wohl das einzige, das von der Polizei bewacht wird, da es immer wieder zu Farbbeutelanschlägen und Graffitis gekommen ist.
 
Ich weis nicht, ob er direkt damit zu tun hatte, im Irak wurde in diesem Zeitraum auch Giftgas gegen die Aufständischen verwendet.

Das kann ich auch nicht mit Gewissheit sagen, da müsste man genauer nachforschen.

Es heißt aber, dass er sich dort bei der Entwicklung von zeitverzögerten Bombenzündern verdient gemacht hat.
 
Es hat in Großbritannien während des Krieges und auch danach ja eigentlich auch nicht an kritischen Stimmen zum Sinn und Zweck von Harris seiner Vorgehensweise gefehlt.
Aber wenn Harris als Kriegsverbrecher bezeichnet wird, schließen sich die Reihen wieder. Das konnte man sehr schön bei den Reaktionen der englischen Öffentlichkeit bei der Publikation von Jörg Friedrichs Buch "Der Brand" registrieren.

Churchil distanzierte sich zum Ende des Krieges offen von ihm. Das Bomberkommand erhielt auch keine gesonderte Ehrung im Gegensatz zu anderen Einheiten wie die Jäger.
 
Ergänzend sei erwähnt, dass das britische Bomber Command sehr hohe Verluste hinnehmen musste. In einem englischen Wiki-Artikel fand ich folgende Zahlen:


Bomber Command crews also suffered an extremely high casualty rate: 55,573 killed out of a total of 125,000 aircrew (a 44.4% death rate), a further 8,403 were wounded in action and 9,838 became prisoners of war.

A Bomber Command crew member had a worse chance of survival than an infantry officer in World War I.
By comparison, the US Eighth Air Force, which flew daylight raids over Europe, had 350,000 aircrew during the war, and suffered 26,000 killed and 23,000 POWs.
 
Ich kann dazu mal erwähnen, was mein Vater mir erzählte.

Er war froh darüber, an der Front zu sein und bedauerte seine Familie in Hamburg, welche den Luftangriffen praktisch hilflos ausgeliefert war.
Meine Großeltern beiderseits verloren bei der Operation Gomorah ihre Wohnung in HH-Barmbek.

Zur Moral erwähnte er, dass nach den Angriffen der Hass und die Wut auf die Bombenwerfer nur noch größer wurde.
Im Prinzip erreichten die Alliierten dadurch - zumindest bei den Deutschen - das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollten.
Die Moral wurde gestärkt, nicht geschwächt.

Zeit ihres Lebens sprachen meine Eltern - und sie waren nie Hitlerfreunde! - stets von "Terrorangriffen".

Gruß,

Andreas
 
Ob nicht doch dieser Bombenkrieg den Krieg verkürzt hat, kann so einfach nicht widerlegt werden. Wenn ich zeitgenössische Tagebücher lese, gab es doch erhebliche Auswirkungen auf das Transportwesen sowie auf die Moral der Truppen an den Fronten.

Nicht nur nicht widerlegt, sondern es gibt zahlreiche Hinweise.

Die Auswirkungen auf die "Moral" bzw. den Durchhaltewillen sind nur eine Seite. Obwohl hier in anderen posts mehrfach angesprochen und individuell zitiert, ist das praktisch dagegen kaum einzuschätzen, da man über die Entwicklungen "ohne Bombardierungen in diesem Ausmaß" spekulieren müßte.

Man sollte aber die materiellen Auswirkungen nicht übersehen, und die lassen sich wesentlich besser greifen:

- nach der Aussage Speers (Kransberger Protokolle) banden die Luftschlachten 30-40% der jährlichen Produktionskapazität von Geschützen und Munition; dieses bezieht auf die personellen Kapazitäten, hinzu kommen Werkzeugmaschinen, Engpaß-Materialien (zB Aluminium!), Jäger-Produktion, Fahrzeuge, Geräte etc. etc.

- darüber hinaus waren - ich würde das im Millionen-Bereich einschätzen (wobei eben zB auch die Luftwaffenhelfer den Auftakt einer Art "Volkssturm" bildeten, was die Allierten so nicht vorgesehen hatten) - gewaltige personelle Kapazitäten im Bereich der Industrie, Trümmerbeseitigung, Instandsetzung, Löschgruppen, Ordnungskräfte etc. gebunden, die ansonsten für die totale Mobilisierung im deutschen Machtbereich und damit für die kämpfenden Fronten frei geworden wären.

- die Auswirkungen auf die Treibstoffindustrie sowie die Schäden und Stockungen in der übrigen Rüstungsindustrie (Panzer, Flugzeuge, Munition, Geschütze, Elektronik, usw.) sind zusätzlich zu bewerten. Hier geht es nicht um die erzielten Steigerungen 1943 -> 1944, sondern um die Betrachtung von realisierbaren Steigerungen "ohne Bombenkrieg".

- das Deutsche Reich betrieb schließlich - und dabei wurden die KZs und Zwangsarbeiter eingeschlossen - seit 1943 einen gigantischen Aufwand, um Schlüsselindustrien "unter die Erde" zu bringen. Hier ergibt sich eine dramatische Folgewirkung aus den Opfern unter diesen Menschen, die so allierterseits vermutlich nicht gesehen, aber später wahrgenommen wurde (zB Luftbildaufnahmen von DORA-Mittelbau). Im Rahmen dieses totalen Krieges wurden daneben erhebliche Stoffressourcen gebunden; es ist keinesfalls zynisch gemeint, aber der Einsatz dieser Menschen (in der Folge: die Opfer) wäre auch auf anderen Rüstungsgebieten durch das Regime sicher erfolgt - man kann sich hierzu das SS-Wirtschaftssystem betrachten.


Insgesamt wird diese Fesselung der industriellen und personellen Kapazitäten kaum beachtet. Sie ist aber neben die Diskussion über die Moral und den Durchhaltewillen der Bevölkerung und der Wehrmachtsangehörigen zu stellen, wenn man den Bombenkrieg betrachten will. Dazu sind auch individuelle Äußerungen über "Kriegsmüdigkeit" oder Durchhaltewillen kaum brauchbar.

Ich würde schätzen, ausgehend von den Äußerungen Speers, dass hier tatsächlich 30-40% der unmittelbaren und derivativen Kapazitätsbindungen des gesamten industriellen Potentials im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten lagen, die eben keine Panzer oder Flugzeuge produzierten, die dann wieder an der Ostfront oder der Normandie zum Einsatz kommen konnten.

Daher würde ich die Aussage teilen: der Krieg ist wesentlich verkürzt worden. Und dieses würde ich auch schon für die Ressourcenbindung 1943 so sehen, da ab 1942 die Bindungswirkung aufgrund der erwarteten alliierten Luftschläge tatsächlich eintrat: die Speerschen Äußerungen für die Ist-Produktion 1943/44 hatten nämlich einen entsprechenden industriellen Vorlauf, die Diversionswirkung trat wesentlich früher ein, als die Ausstoßzahlen etc. abbilden.
 
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