Marion Dönhoff

Conzaliss

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Marion Gräfin Dönhoff hat nicht nur der "Zeit" ihr nobles Antlitz verliehen. Sie gilt als die politische Publizistin des 20. Jahrhunderts. Klaus Harpprecht hat nun eine Biografie über sie verfasst.



Das hätte die Gräfin zu dem Manuskript gesagt, wenn der Autor damit zu ihr gekommen wäre?

"Alles in allem recht schön, junger Mann", hätte die Gräfin gesagt. Wer Jahrgang 1909 ist, darf zu einem Jahrgang 1927 ja durchaus junger Mann sagen. "Aber: zu lang, viel zu lang. Und alle 20, 30 Seiten muss ein Fremdwort raus. Das Buch muss auch der Hamburger Hafenarbeiter verstehen."

Das hat die Gräfin schließlich auch immer den frisch eingestellten "Zeit"-Redakteuren gesagt: Meine Herren, Ihre Artikel soll nicht nur der deutsche Universitätsprofessor verstehen, sondern auch der Hamburger Hafenarbeiter. Damen gab es damals bei der "Zeit" noch nicht so viele. Und die Gräfin war natürlich die größte. Sie hat nicht nur der "Zeit" ihr weltläufig nobles Antlitz verliehen - sie ist die politische Publizistin deutscher Feder des 20. Jahrhunderts.

Und da hätte die Gräfin sicherlich zu dem Manuskript des Autors einiges zu sagen gehabt. "Sehen Sie, junger Mann", hätte sie sagen können, "ich hatte ja nun zwei Leben. Das eine Leben als demokratische Aristokratin bis zum Kriegsende. Und das zweite Leben als aristokratische Demokratin nach dem Ritt gen Westen. Warum nimmt das erste Leben in Ihrem Buch zwei Drittel ein? Ich glaube, da stimmen die Proportionen nicht so ganz.

Natürlich können Sie hervorragend schreiben, junger Mann. Sonst dürften Sie in meiner Zeitung nicht regelmäßig publizieren. Es ist für historisch Interessierte auch recht amüsant zu lesen, wie Sie die Dönhoffsche Familie auf Schloss Friedrichstein, um Schloss Friedrichstein und um Schloss Friedrichstein herum beschreiben. Eine untergegangene Welt blitzt da noch einmal auf. Die Mutter Ria noch Hofdame bei der Kaiserin. Der Vater Mitglied im Preußischen Herrenhaus. Die älteren Geschwister dann in den "Goldenen Zwanzigern" auf Spritztouren im Berliner Nachtleben. Alles keine Kinder von Traurigkeit. Schön haben Sie herausgearbeitet, wie die geschwisterliche Loyalität auch in der Nazi-Zeit hielt, als zwei der Brüder Mitglied der NSDAP waren und ich mich dem Widerstand verbunden fühlte. Etwas übertrieben haben Sie in Ihrem Text, was meine Rolle beim Gedenken an den Widerstand in der Bundesrepublik angeht. Den 20. Juli habe ich nicht allein im "Gründungsmythos der Bundesrepublik verankert". Sie unterschätzen da meine preußische Bescheidenheit."


All das könnte sie sagen, die Gräfin, und dann preußisch straffe Kürzungen empfehlen. Muss der George-Kreis so ausführlich gewürdigt werden? Muss die Gerstenmaier-Affäre 1969 so ausführlich behandelt werden - zumal hier Passagen enthalten sind, die wir 250 Seiten vorher schon einmal gelesen haben? Und dann könnte sie noch sagen: "Dass sie auf meine Schwierigkeiten mit der Zeichensetzung hinweisen und dass ich stets geschrieben habe "größer wie" statt "größer als" muss auch nicht so oft betont werden. Meine "Zeit"-Artikel hat schließlich immer Ted, also Theo Sommer, tadellos redigiert. Dass Sie meine Trinkfestigkeit hervorheben, lasse ich mir ja noch gefallen. Aber müssen Sie so häufig und immer wieder mein Verhältnis zu Männern thematisieren? Hätte es nicht einmal gereicht? Müssen Sie aus Liebesbriefen zitieren? Und müssen Sie da so viel spekulieren und fabulieren? Etwas mehr preußische Dezenz täte Ihrem Text da ganz gut.

Überhaupt spekulieren und fabulieren Sie etwas viel. Aber alles in allem ist Ihr Text recht schön, junger Mann. Ich werde ihn an Ted weiterreichen. Der macht daraus die perfekte Fassung."


Rezensiert von Klaus Pokatzky

Klaus Harpprecht: Die Gräfin. Marion Dönhoff
Rowohlt, 592 Seiten

Marion Dönhoff hat das nie an die große Glocke gehängt - aber sie war sehr aktiv im Widerstand gegen Hitler und die Nazis. Nach dem 20. Juli 1944 geriet sie ins Visier der Gestapo. Sie selbst fasste das Verhör mit den Worten zusammen: "Dann habe ich um mein Leben gelogen!"
 
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