moderne Problematik des Geschichtsbegriffes

Faunus

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Liebes Forum,

seit einiger Zeit beschäftigt mich eine geschichtsphilosophische These des Populärphilosophen Richard David Precht, der in einem Artikel behauptet, dass es in naher Zukunft keine Historie geben wird.
Nun schrieb einst Sallust:" Um so richtiger scheint es mir zu sein [...] Ruhm zu erwerben und, da ja das Leben selbst [...] kurz ist, wenigstens das Andenken an uns so dauernd wie möglich zu befestigen. Denn der Ruhm des Reichtums und der Schönheit ist unbeständig und gebrechlich, wirkende Größe ein stahlender und ewiger Besitz." (Die Verschwörung des Catilina, 1)
Stellt man diese Thesen nun einander gegenüber, kann man leicht zu dem Schluss gelangen, dass der Mensch einem der höchsten Ziele, nämlich dem Einzug in die Geschichte, beraubt ist, da es die Geschichte nach Precht ja bald gar nicht mehr geben wird.
Um mir eine passende Antwort auf diese Problematik bilden zu können, bin ich deshalb zur Zeit auf der Suche nach geschichtsphilosophischen Werken, die die Entwicklung des Geschichtsbegriffes im Laufe der Zei aufzeigen und sich im Idealfall mit der modernen Geschichtsproblematik auseinandersetzen. Gibt es Werke, die in diesem Zusammenhang besonders zu empfehlen sind?

Grüße,
Faunus
 
Habe ich auch nicht behauptet. :scheinheilig: Aber der von dir angeführte Link war mir so noch nicht bekannt und führt ja auch einige Verweise auf weiterführende Literatur an. Danke dafür.
 
Berlin – Einzelne Menschen werden nach Ansicht des Neandertalers künftig keine historische Rolle[...] spielen können. "Weil es keine Historie[...] geben wird", sagte der Neandertaler der "Berliner Zeitung" (Montagausgabe). "Eine Gesellschaft, die sich so sehr in die Breite vernetzt und ständig neues Wissen sammelt, tauscht ihr Personal unglaublich schnell aus und archiviert es nicht [...]."
Persönlich habe er keine Ahnung davon, später in Handbüchern über Philosophie und Gesellschaftsbüchern erwähnt zu werden. Nachruhm sei ein unbekannte Konzept, genau so wie die nicht-religiöse Variante der Unsterblichkeit, sagte der Neandertaler. Wenn bald alle 100 Jahre alt würden, gäbe es mehr Zeit, sich mit dem Diesseits zu befassen. "Das gilt auch für mich."
Kleinere Veränderungen durch den Autor.

Stellt man diese Thesen nun einander gegenüber, kann man leicht zu dem Schluss gelangen, dass der Mensch einem der höchsten Ziele, nämlich dem Einzug in die Geschichte, beraubt ist, da es die Geschichte nach Precht ja bald gar nicht mehr geben wird.

Dazu drei Anmerkungen:

1. Die Frage, ob es eines der höchsten Ziele des Menschen sein sollte, in die Geschichte einzugehen, ist kritisch zu betrachten: Sollte es nicht Ziel der Menschheit als solche sein, in die Geschichte einzugehen? Anders: Kann es wünschenswert sein, dass Geschichte von "Großen" gemacht wird und nicht von der menschlichen Gemeinschaft als solcher?

2. Precht scheint genau solch ein Bild von Geschichte zu haben: Geschichte ist, was archiviert werden kann und von Autoritäten vertreten wird. Dass eine solche Sicht Quark ist, habe ich hoffentlich mit meiner Parodie deutlich machen können.

3. Ohne dass ich besonders bewandert in der Hegelschen Geschichtsphilosophie und ihrer Auslegung durch Fukuyama wäre - allein schon die Idee, dass ein Mensch zuverlässig gedanklich das Ende der Geschichte und damit das Ende der Menschheit wie wir sie kennen vorhersagen könnte, erscheint mir eine grandiose Selbstüberschätzung zu sein. Liest man den von Liborius verlinkten Artikel, so sind auch alle, die sich bislang an solchen Prognosen versucht haben, gescheitert.
 
Dazu drei Anmerkungen:

1. Die Frage, ob es eines der höchsten Ziele des Menschen sein sollte, in die Geschichte einzugehen, ist kritisch zu betrachten: ...

Dazu fallen mir zwei Herren mit H ein
Herostratos und Hitler
Kämen wir mit solcher Art von Geschichte zu Ende, dann wäre das ja schon was. Aber selbst das habe ich in Sichtweite.
 
Bei diesem Thema bleibt es nicht aus, mal ins aktuelle auszuweichen.
Prechts - allerdings auch sehr knappes Statement - würde nur dann zutreffen, wenn sich auch die politischen Strukturen der von ihm angeführten Wissensgesellschaft.
Was die Funktionsweise der Wissenschaft selbst betrifft, hat er - in Bezug auf eine personalisierte Geschichte - wahrscheinlich sogar Recht. Die Zeit omnipräsenter Genies oder von Menschen, die im Alleingang einen Wissenschaftsbereich revolutionierten, ist vorbei. Hinter den heutigen Nobelpreisträgern - Literatur/Friedensnobelpreis mal ausgenommen - stecken riesige Teams; und ihre Chefs, die dann den Ruhm einheimsen, haben dann oft ihre Fachdisziplin gerade um einen Schritt weitergebracht. Welcher Normalbürger in Deutschland könnte etwas zur Arbeit von Klaus von Klitzing oder Herbert Kroemer sagen?
Aber wir werden auch in der Zukunft amerikanische und russische Präsidenten, Päpste und Bundeskanzlerinnen haben.
Die riesige Aufmerksamkeit für den Rücktritt von Papst Benedikt, der ja in der Tat auch eine historische Dimension hat, straft Precht dann doch Lügen.
 
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