Möglichkeit einer Verschwörung in der Roten Armee? - Stalins "Großer Terror"

Komisch, wenn ihr so mit der Thematik vertraut seid, wieso habt ihr nichts von der These der Verschwörung in der RKKA gehört?

Historiographie ist mittlerweile weitgehend internationalisiert. Eine Beschränkung von Publikationen auf den russischen Markt hat in der Regel mit zeitlichen Verzögerungen in der internationalen Perzeption zu tun, oder aber ist durch nicht ausreichende Originalität der Thesen bzw. Quellen oder durch fachliche Mängel begründet.

Aus diesem Grund sind es Referenzwerke bzw. Referenzautoren, die den aktuellen Erkenntnisstand zu einem Thema repräsentieren. Und diese Werke sind hier dargestellt worden, um Lesern die Möglichkeit einer eigenen Meinungsbildung zu geben.

Vor diesem Hintergrund wirkt obige Frage absolut deplaziert, absolut nicht lustig und deutlich arrogant!

Deswegen soll nochmal deutlich auf die Referenzlitertur hingewiesen werden. In diesem Sinne schreibt Mark Harrison:"Now that the official documentation of the terror has been made available (Getty an Naumov 1999; Kozlov et al. 2004) ....(S. 3)

Guns and rubles: the defense industry in the Stalinist state - Google Bücher

In diesem Sinne bieten Getty und Naumov, auf die sich bereits auch Hinweise zu Tukha beziehen, einen angemessenen Erklärungsrahmen für die Säuberungen. Und in diesem Erklärungsrahmen finden sich keine Hinweise auf eine Verschwörung im Rahmen der RKKA!

The Road to Terror: Stalin and the Self-Destruction of the Bolsheviks, 1932-1939 - J. Arch Getty, Oleg V. Naumov, Benjamin Sher - Google Bücher

Zusätzlich zur RKKA: Und solange kein anderer Autor eine fundiertere Analyse der Roten Armee vorlegt, bildet die Studie von Erickson (auf die Silesia hinwies) weiterhin den Referenzrahmen für das Thema Entwicklung der RKKA bis 1941.

@Kindzadza: Du bist im Gegenzug jeglichen Nachweis für die Seriösität Deiner Behauptungen einer Verschwörung, nach wie vor, schuldig geblieben. Deine Thesen sind bestenfalls fragmentarische Darstellungen und Ablehnungen der Thesen anderen GF-Teilnehmer bzw. der zitierten Quellen.

Aus diesem Grund ergibt sich nicht der geringste Ansatz zu einer Revision zu kommen und die stalinistische Propaganda einer "Verschwörung" als fundiert anzusehen!
 
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In diesem Beitrag geht Furr der These einer Verschwörung nach. Folgt man seiner Argumentation dann könnten Indizien auf die Möglichkeit einer Verschwörung hinweisen.

Viele einzelne Informationen für sich können keine ausreichende Evidenz der These herstellen: "But when considering as a whole, they constitute at least prima facie case that some real military conspiracy involving Tukhachevskii may have actually existed." (S. 307).

http://chss.montclair.edu/english/furr/tukhpdf.pdf

Diese - im Prinzip alles offen lassende Einschätzung - kann nur zur bereits gezogenen Schlussfolgerung führen, dass bis zu einem definitiven Beweis des Gegenteils, es keine durch entsprechende Quelle etc. nachweisbare Verschwörung gab.
 
Einmal das.

Zum anderen gibt es keine dazu passende deutsche Quellenlage, insbesondere bzgl. der behaupteten Kontakte zu höchsten deutschen Generalität (siehe oben, Blomberg). In diesem Bereich liegt Furr völlig daneben, da Tu. beim letzten Besuch in Berlin sogar hochrangige Kontakte als Zeichen und Ausdruck der Missachtung und der zugespitzten politischen Lage untersagt waren.

Wenn es die Kontakte (übrigens dann entgegen den Weisungen Hitlers) gegeben hätte, wäre außerdem die deutsche Fälschung von Besuchsdokumenten Tu. entbehrlich gewesen. Wie Furr dann den ADAP richtig entnimmt, herrschte zunächst Überraschung über den Tu.-Fall. Das verwundert nicht, da die Lieferung der gefälschten Dokumente vom SD ausgegangen sein soll. Wehrmacht/Außenamt waren also nicht involviert.

Zu der Frage der Konspiration der Wehrmacht nochmal der Verweis auf
Pfaff, VfZ 1/1987
Lukes, VfZ 4/1996
 
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...

Diese - im Prinzip alles offen lassende Einschätzung - kann nur zur bereits gezogenen Schlussfolgerung führen, dass bis zu einem definitiven Beweis des Gegenteils, es keine durch entsprechende Quelle etc. nachweisbare Verschwörung gab.

Vollkommen d'accord.

Vllt. noch einen kurzen Nachtrag.

Die RA hat sich während der stalinistischen Diktatur nicht als eigener souveräner Machtfaktor verstanden, sondern als Bestandteil des sozialistischen Staates unter Führung der Partei. Die Gerneralität und das Offizierskorps im Uz hatte keine Traditionslinien, außer dem Bürgerkrieg, sondern waren vielmehr durch die Partei geprägt und positioniert worden.
Hierin unterschied sich die RA deutlich von der WM oder der italienischen Armee.

Eine militärische Verschwörung hätte Spuren hinterlassen und die wären längst veröffentlicht, weil, das wäre sensationell.

Furr formuliert ja selbst ungeheuer vorsichtig und er wird m.E. wissen warum, auch er hat keine validen Quellen.


M. :winke:
 
Am 6. Mai 1937 wurde der frühere (!) Luftverteidigungschef der Roten Armee Medvedev inhaftiert und unter Folter vernommen. Der Vizekommandeur des NKVD Moskau, Radzivilovskii, bestätigte, dass Ezhov/Sicherheitschef-NKVD und Frinovskii ihm zu dieser "Befragung" (dazu gab es auch die direkte Anweisung Stalins, "physische Mittel" im Verhör einzusetzen) Folgendes auf den Weg gaben:

"let him testify about the existence of a military conspiracy in the Red Army with as many participants as possible... I should obtain the names of as large a number of leading military functionaries as possible."
Bereits die erste Welle erwischten binnen Wochen 980 ranghohe Offiziere und Politkommissare der Roten Armee.

Die Vorbereitung des Schlages gegen die Spitze der Roten Armee liegt in 1936, soweit es die Aktivitäten von Ezhov angeht. Während noch die umfangreichen "Säuberungen" im NKVD quasi als Basis der weitere Verfolgungen liefen, gab Ezhov (mit Sicherheit nach dem Drehbuch Stalins) die Direktive aus:

"if there was sabotage in industry [Kontext: die immensen Probleme und Defizite im 5-Jahres-Plan, die selbstredend nur auf Sabotage zurückzuführen sein konnten] ... why not also in the army." (NKVD-Konferenz Dez1936)

Stalin hatte in Ezhov einen loyalen Gefolgsmann für die Säuberungen, bei denen er nur den Stein ins Wasser werfen musste, die weiten Kreise dann der Sicherungsapparat automatisch zog.

Petrov/Jansen: Stalin's Loyal Executioner: People's Commissar Nikolai Ezhov, 1895-1940, S. 69/70.

Interessant ist das Schlusswort von Lukes (1996), siehe oben: Genosse Stalin würde sich heute noch die Hände reiben, wie unterschiedliche Leute Daladier, Benes, Heydrich ihm bei dieser Verschwörungsinszenierung noch in die Hände spielten.

Siehe auch die neuere Studie von Norman Naimark, Stalins Genocides, der auch den "Great Purge" untersucht, und sich zur Veranlassung auslässt. Quellenfreie spekulative Ansätze, diesen Massenmord Stalins auf reale Gründe (reaktiv) zurückzuführen, muss man - sofern nicht harte Fakte präsentiert werden können - unverändert als Versuch des "Weichspülens" des Stalinistischen Terrors ansehen.
 
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unverändert als Versuch des "Weichspülens" des Stalinistischen Terrors ansehen.

"Stalin war zweifellos über die Gefahr des "Bonapartismus" in der Roten Armee besorgt, obwohl es wiederum wenig Beweise dafür gibt, dass diese Befürchtungen tatsächlich begründet waren." (Naimark: Stalin und der Genozid, S. 121)

Vor diesem Hintergrund wird es verständlich, dass wenn jemand der Frage nachgeht, ob es einen organisierten politischen Widerstand aus den Reihen der Roten Armee gab, der im Rahmen eines Machtkonflikte gedeutet werden kann, dann ist das sicherlich für sich genommen noch kein "Weichspülen.

Und es sind auch die "konservativen" Militärhistoriker, die die Rivalität zwischen Stalin und Tukhachevski betonen und ebenfalls die tiefe Rivalität zwischen Tukhachevski und Voroschilow. Mehr als genug Hinweise, die als Indizien für einen latenten Machtkonflikt genommen werden können.

Zumal Naimark selber die Möglichkeit eines Konflikts, und sei er nur subjektiv so einseitig von Stalin verstanden gewesen, nicht ausschließen kann.

Dieses gilt umso mehr als Naimark die Verfolgung der "alten" Bolschewiken auch im Sinne eines Machtkampfs interpretiert, da sie die Position Stalins implizit durch ihre Teilhabe an der Gründungslegende, und denen daraus abgeleiteten Privilegien, der Sovietunion gefährden könnten. Und Tukhachevski gehörte zu dieser Gründungslegende, auch durch die Nähe zu seinem Mentor Frunze.

Und es geht auch überhaupt nicht um ""Weichspülen", sondern die Revision betraf eher die Entschlackung von Teilen der Sichtweise des Stalinismus, der durch die Ideologie des Kalten Krieges stark geprägt war.

So schreibt beispielsweise Hildermeier zur Situation des Revisionismus des Stalinismus in den dreißiger Jahren: "Ihre Korrekturen haben das Bild des stalinistischen Regimes differenziert, aber anders als viele meinten, die sich angegriffen fühlten oder angegriffen wurden, kein neues an seine Stelle gesetzt. Die grundlegenden Merkmale des Systems sind unberührt geblieben. Niemand bestreitet, dass es keinen Stalinismus ohne Stalin gab und die letzte Entscheidung bei ihm lag.....Niemand verniedlicht, dass die Opfer des Regimes nach Millionen zählten..." (S.33)

Und Getty schreibt: "Understanding of this mentality does not of course lessen or change the objective results of the terror. But as a phenomenom, ...., the terror must also be understood in its subjetive dimension. Rather than totalitarian giants, ...., these were frightened little men with big weapons. Because of this and because they have constructed a universe in which they were surrounded by dark, hostile, dangerous and hidden forces, they were all the more dangerous. " (S.191).

In dieser eindeutigen Positionsbestimmung des Revisionismus durch Hildermeier und Getty stellt sich eigentlich nicht die Frage des "Weichspülens", sondern eher das Problem, die neuen Erkenntnisse dieser revisionistischen Sichtweise in die differenzierte Bewertung des Stalinismus zu integrieren.

Das wäre zumindest meine Sichtweise.

- Hildermeier: Revision der Revision? Herrschaft, Anpassung und Glaube im Stalinismus, in: Stalinismus vor dem Zweiten Weltkrieg, Hildermeier(Hrsg.) 1998, S. 17- 34
- Getty: Afraid of their shadows. The Bolshevik Recourse to terror. in ebd.
 
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"Stalin war zweifellos über die Gefahr des "Bonapartismus" in der Roten Armee besorgt, obwohl es wiederum wenig Beweise dafür gibt, dass diese Befürchtungen tatsächlich begründet waren." (Naimark: Stalin und der Genozid, S. 121)

Da sollte Naimarks Resümee ergänzt werden:

"The danger to Soviet security from beyond the USSR's borders and the increasingly tense international situation, to a large extend caused by Hitler's sucsessful bullying of the European Powers, are said to have been the primary motivation for the terror and the purges.

As Oleg Khlevniuk writes: 'The NKVD orders guiding the mass operations in 1937-38 show, that the Great Terror was a centrally organized punitive action, planned in Moscow, against a potential fifth column percieved as capable of stabbing the country in the back in case of war.' But the arrests and mass killing during the purges were driven less by the real threats to Soviet security than by Stalin's xenophobia and paranoia. Without Stalin, the genocidaire, it is hard to imagine the Great Terror."

Naimark, Stalin's Genocides, S. 120.


Das ist deutlich, in Verbindung mit der Tatsache, dass die Verfolgung der 5. Kolonne bereits vor den Belastungen Einzelner Mitglieder unter Folter als angebliche Mitglieder der 5. Kolonne begann. Wenn man dieses "timing" darstellt, ist die Ezhov-Biographie sehr zu empfehlen.
 
Von Tucker werden die folgenden "reported last Words" von Tukhachevskii berichtet.

" And so, citizen judges, including you Ulrikh, and you Shaposhnikov, and you Bluikher, and you Budenny, I want you to know that both you and we here on the prisoners`s bench are involved in a circle of guilt.

To look on all this [gemeint sind die Verfolgungen] on all this and remain silent is a crime. And for all these years we have looked on and remained silent. And for this both you and all of us deserve to be shot." (Tucker, R.C: Stalin in Power, 1992, S. 440, zitiert nach Pavlovich Kit-Voitenko, "with whom he shared a prison cell" und "from one of the high offices present on 11. June" vgl. FN 116, S. 657)

Stalin in power: the revolution from above, 1928-1941 - Robert C. Tucker - Google Bücher

Diese Worte lassen zumindest erahnen, dass Tukha trotz des faustischen Paktes mit Stalin, weiterhin nicht zu seinen Gefolgsleute gehört. Ob sie auf eine ähnliche systemüberwinde Einstellung, wie sie beispielsweise bei den Offizieren des 20. Juni vorzufinden waren, hinweisen, ist wohl schwer zu beantworten.

Auf der anderen Seite hat sich aus der Sicht der orthodoxen Stalinisten nichts verändert. Die etwas "kranke" Sichtweise auf die Verurteilung von Tukha durch militanten Stalinisten ist beispielsweise hier dokumentiert.

The Tukhachevsky Conspiracy
 
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Passend zu unserer älteren Diskussion eine neuere Veröffentlichung 2015 von Whitewood:

Subversion in the Red Army and the Military Purge of 1937–1938,
http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/09668136.2014.990708


digital: York University
https://ray.yorksj.ac.uk/id/eprint/1585/1/article europe-asia studies accepted manuscript.pdf

Und vom August 2017:
Polano, The Great Terror - Violence, Ideology, and the Building of Stalin's Soviet Empire
http://digitalcommons.wayne.edu/history_theses/

(dort in der Liste als pdf verfügbar)
 
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