Mythos melting pot?

El Quijote

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Im Schulunterricht ist Geschichte ja nicht nur im Geschichtsunterricht selbst, sondern in mehreren Fächern immer mal wieder ein Thema. Ein typisches Thema v.a. im Englischunterricht sind die Milestones in American History und damit verbunden lernen Schüler auch den Schmelztiegel bzw. melting pot kennen, also - eigentlich überflüssig die Erklärung - dass in Amerika die Einwanderer aus den verschiedenen Nationen zu einer neuen, amerikanischen Nation verschmolzen. In den siebziger Jahren jedoch stellten amerikanische Soziologen die Existenz des melting pots in Abrede, es habe ihn nie gegeben.

Ist dies als Skeptizismus der siebziger Jahre zu werten, oder handelt es sich beim melting pot wirklich um einen Mythos?
 
In den siebziger Jahren jedoch stellten amerikanische Soziologen die Existenz des melting pots in Abrede, es habe ihn nie gegeben.

Ist dies als Skeptizismus der siebziger Jahre zu werten, oder handelt es sich beim melting pot wirklich um einen Mythos?

Möglicherweise bin ich durch mein Studium in den 70er Jahren da etwas 'angekränkelt', aber immerhin gibt es eine Artikelserie der Washington Post aus dem Jahr 1998, die den Melting Pot auch als nicht gegeben ansieht:

washingtonpost.com: Myth of the Melting Pot: America's Racial and Ethnic Divides

(Der Link führt zum ersten von insgesamt 6 Teilen, die weiteren Folgen sind dort verlinkt.)

Zumindest für die erste einwandernde Generation war der Melting Pot keine Realität, da Einwanderer mit wenigen oder ohne Sprachkenntnissen nur die schlechtesten Jobs und Wohnungen offenstanden. Es kam auch bei europäischen Einwanderern zur Ansiedlung nach Herkunftsland in Stadtvierteln, in denen kaum oder keine anderen Einwohner lebten und in denen man auch völlig ohne englische Sprachkenntnisse bestens klarkam.

Dies war nicht nur in den Ankunftshafenstädten der Fall, sondern zog sich in vielen Fällen auch im Fall der Binnenwanderung mit durch - siehe zb einige Bergbaugebiete zb in den Appalachians, die überwiegend osteuropäisch besiedelt waren.

Insbesondere Einwanderer katholischer Religion, also zb Iren und Italiener, hatten es schwer mit dem Zugang zum Melting Pot, der ihnen verweigert wurde. Teils wurden sie als '5. Kolonne Roms' angesehen.

Insbesondere asiatischen Einwanderern aus China, Korea oder Japan stand der Melting Pot ebenfalls nicht offen, auch nicht den Afro-Amerikanern.

Vor allem war keine 'Mischung' der Kulturen vorgesehen, sondern im Grunde eine Assimilierung, also die Anpassung der Einwanderer an das bereits Vorgefundene.
 
Die hatte ich mit Absicht nicht angesprochen, da das ein anderes Faß aufmacht. Zum einen, weil die Indianer keine Einwanderer sind und zum anderen, weil auf die Indianer - im Gegensatz zu Asiaten oder Afrikanern - ein erheblicher Assimilationsdruck ausgeübt wurde. Gerade die indigenen Nationen sollten sich assimilieren und im amerikanischen Mainstream aufgehen, die weiße amerikanische Kultur, Sprache, Wirtschaftsweise annehmen und die eigenen aufgeben.
 
Im Schulunterricht ist Geschichte ja nicht nur im Geschichtsunterricht selbst, sondern in mehreren Fächern immer mal wieder ein Thema. Ein typisches Thema v.a. im Englischunterricht sind die Milestones in American History und damit verbunden lernen Schüler auch den Schmelztiegel bzw. melting pot kennen, also - eigentlich überflüssig die Erklärung - dass in Amerika die Einwanderer aus den verschiedenen Nationen zu einer neuen, amerikanischen Nation verschmolzen. In den siebziger Jahren jedoch stellten amerikanische Soziologen die Existenz des melting pots in Abrede, es habe ihn nie gegeben.

Ist dies als Skeptizismus der siebziger Jahre zu werten, oder handelt es sich beim melting pot wirklich um einen Mythos?

Ich hatte das mal in einer Diskussion in der die Gesellschaften der USA, Brasilien und Argentiniens verglichen wurden, als mögliche Beispiele des "melting pots." Sowohl in Argentinien wie in Brasilien gibt es eine soziale Schichtung die mehr oder weniger mit der Hautfarbe korreliert. Trotzdem kann man eine sehr starke Durchmischung feststellen. Es gibt weder in Brasilien noch in Argentinien ethnisch differenzierte Statdteile, wohl aber Gegenden und Städte in denen sich bestimmte Zuwanderergruppen ansiedelten, so z.B. in Brasilien das stark von deutschen (und Italienern) geprägte Rio Grande do Sul, mit schwerpunkt in Blumenau, oder in Argentinien die "Pampa Gringa" in Santa Fe (Schweizer und Deutsche vor allem Wolgadeutsche) oder Gegenden in Cordoba oder in Patagonien.
In den Großstädten ist jedoch alles wild durchmischt und es ist schwer Leute mit einer ausschliesslichen Abstammung zu finden, ausgenommen frischerer Zuwanderer oder Mitglieder religiöser Minderheiten die sich bewusst abgrenzen.

In den USA gibt es dagegen bis heute ethnisch oder national geprägte Nachbarschaften in den Städten und in den Registern wird zudem die Abstammung bzw. die ethnische Zugehörigkeit der Menschen festgehalten und sogar Karten mit deren Verbreitung hergestellt: Mapping America ? Census Bureau 2005-9 American Community Survey - NYTimes.com (offensichtlich sehr nützlich bezogen auf Wahlverhalten und "innere Sicherheit").
In Argentinien wäre so etwas überhaupt nicht möglich. Die meisten meiner Bekannten und Verwandten dort haben 2, 3 oder mehr verschiedene Nationalitäten im Hintergrund. Im üblichsten Falle italienisch und/oder spanisch, oft noch einen französischen, deutschen, schweizerischen, polnischen, oder jüdischen Großvater oder Großmutter, aber oft auch einen indianischen, afrikanischen oder gelegentlich asiatischen Einschlag. Wie weiter oben geschrieben, ist bei den oberen Schichten der europäische Einfluss wesentlich größer und in den unteren der indigene (Argentinien) oder afroamerikanische (Brasilien) stärker vertreten, ich kannte jedoch ein paar Fälle von Menschen aus der gehobenen Mittelklasse mit italienischen Nachnahmen und afrikanisschstämmigen Größmüttern, was in den USA sehr unwahrscheinlich wäre. Der üblichste Typus in Argentinien ist der "Criollo" mit spanischem oder italienischen Nachnahmen und einen leichten indigenen Einschlag, in Brasilien der "Caboclo" der etwas vom Portugiesen, etwas vom Afrikaner und etwas vom Indianer geerbt hat, je nach Gegend und Familie in unterschiedlichen Anteilen.

Ich denke die USA sind tatsächlich kein "melting pot" bzw. beginnen sie es erst jetzt zu werden. Heute sind, besonders in den universitären Kreisen, gemischte Paare keine Seltenheit mehr. Vor wenigen Jahrzehnten gab es dagegen sogar noch Gesetze.

Ein anekdotisches aber bezeichnendes Beispiel: Eine Freundin in Argentinien hatte überwiegend italienische und spanische Vorfahren, Ihre Urgroßmutter war jedoch eine Indianerin aus dem Stamme Catriels die man ihrem frisch eingewanderten und 1880 zum Militärdienst gepressten Urgroßvater als Beute bzw. Entlohnung zugeteilt hatte.
 
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Und wie sieht es innerhalb bestimmter Milieus aus? Die WASPs wurden ja schon angesprochen. Also innerhalb des Milieus der (ehem.) Sklaven, die ja durch den Verkauf gewissermaßen ethnische Bindungen verloren, oder innerhalb konfessioneller Gruppen (Iren, Italiener und Polen z.B.) oder Schweizer und Niederländer Calvinisten, deutsche und skandinavische Protestanten?
Kann man von milieubedingten melting pots sprechen oder waren auch diesbzgl. die Herkunftsländer von Bedeutung?
 
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