romanus00I
Aktives Mitglied
Die Frage bei Napoléon ist doch immer womit man ihn vergleicht, wenn Kritik greifen will.
Wenn man die Bauernbefreiung mit dem rechtlichen Status der Bürger in den neu von Frankreich besetzten Gebieten vergleicht, hakt es ja schon daran, dass Preußen bzw. „Ostelbien“ eh eine Sonderrolle einnimmt. In vielen Staaten wie Österreich und Baden war die Leibeigenschaft um 1800 schon längst abgeschafft. Selbst wo sie noch existierte zeigte sich, dass man von vielen Forderungen wie Fronarbeit aus zwei Gründen absah: 1. weil es sich nicht mehr mit den vorhandenen Machtmitteln umsetzen ließ und 2. weil es einfach nicht wirtschaftlich war (Fachleute im Straßen- und Schlossbau sind wohl günstiger als ungelernte Laien).
Zeitgenossen war oftmals bewusst, weshalb in Deutschland der Funke der Revolution einfach nicht überspringen wollte, einfach weil die Lage als nicht so bedrückend wie im Ancien Régime in Frankreich empfunden wurde – die Pfalz wird manchmal als Ausnahme angeführt.
Verglichen mit den Staaten Osteuropas war die Bauernbefreiung Napoléons doch recht weitgehend - Russland hat die Befreiung der Bauern faktisch erst 1917 abgeschlossen, während sie in Westphalen schon seit 1807/08 durchgeführt wurde. Natürlich gab es auch Teile Europas, die ohne den Eingriff Frankreichs einen gewissen gesellschaftlichen "Fortschritt" erzielt hatten - aber an Gebieten Europas, die überhaupt nicht von der Revolution und den napoleonischen Kriegen berührt wurden, kann man die Folgen des Verschlusses gegen jede gesellschaftliche Modernisierung absehen.
Wenn man aber mit harscher Kritik gegenüber Napoléon auftritt, muss man andererseits auch nach den Alternativen fragen. Dem Direktorium, wenngleich unserem modernen Verständnis von Demokratie deutlich näher als Napoléons Diktatur, jammerte offenbar kaum einer eine Träne nach. Es kam ja auch anders als 1793 beim Sturz der Gironde-Regierung nicht etwa zu einem Bürgerkrieg von Republikanern gegen Republikaner (gemäßigte gegen radikale).
Wer wäre also die personelle Alternative gewesen? Ducos und Sieyès waren dann im Konsulat offenbar leicht zu integrieren und zahnlose Löwen. Auch wenn manch einer auch nach 1800 wohl gern Moreau anstelle Bonapartes am Ruder gesehen hätte, widersprach dies sowohl Moreaus Charakter (ehrlicher, geradliniger, auch vom Feind geachteter Soldat) als auch seinen Intentionen (er soll es ja schon selber abgelehnt haben eine solche Rolle zu übernehmen).
Das Direktorium hat ja auch selbst an seiner Überwindung gearbeitet - es waren immerhin waren zwei von fünf Direktoren Teil der Verschwörung des 18. Brumaires. Einfalch weil das bestehende System nicht erhalten werden konnte, da es sowohl innenpolitisch (Inflation, Schulden, Staatsstreiche gegen gewählte Abgeordnete) als auch außenpolitisch (Zurückeroberung Italiens durch Österreich, Niederlagen Jourdans in Deutschland) am Ende war.
Was die Alternativen zu Napoléon angeht, so behaupte ich einfach einmal, dass es in der damaligen Situation für Frankreich keine "demokratische" Alternative gab: Das Land war ja immer noch gespalten in die unversöhnlichen Lager der Republikaner/Liberale und Monarchisten, deren Feindschaft sich in 1815 nach der zweiten Abdankung Napoléons im weißen Terror äußerte.
Die Wahlen aber hatten mehrmals eine radikale Mehrheit im Parlament des Direktoriums hervorgebracht - sowohl eine royalistische Kammer, die das Ende der Repiblik bedeutet hätte, als auch eine jakobinische Kammer, die die relative Stabilität des Direkatorium gefährdet hatte, waren in der Lage, in der sich Frankreich befand, nicht akzeptabel.
So gesehen war, zumindest aus der Sicht der damals führenden Republikaner, jedes politisches System ausgeschlossen, in der die Öffentlichkeit direkten Einfluss auf die Zusammensetzung der politischen Organe nehmen konnte - "Das Vertrauen kommt von unten, die Autorität von oben", Leitspruch, der Sieyès Verfassungsentwurf gut beschreibt.
Die Frage war letztendlich nur, ob ein oligarchisches System (mit Siyès und Ducos Partei an der Spitze) oder ein diktatorisches System (mit Napoléon als Herrscher) aus dem Sturz des Direktoriums hervorgehen würde. Und da hatte der populäre Bonaparte, noch dazu General der putschende Truppen, einen klaren Vorteil im Machtkampf gegen die intellektuelle Minderheit der gemäßigten Republikaner.
Ich gebe dir also Recht, eine gangbare innenpolitische Alternative neben Napoléon gab es 1799 einfach nicht - das Direktorium war diskreditiert und am Rande seiner Leistungsfähigkeit, Sieyès und Ducos konnten sich gegen Napoléons Popularität bei Bevölkerung und Armee nicht durchsetzen, die Royalisten hatten keine Machtmittel gegen die Französische Republik zur Verfügung.
Auf Europa bezogen aber hatte die franz. Revolution sowohl in den Niederlanden als auch in Italien Systeme installiert für welche die napoleonische Expansionspolitik und Rücksichtslosigkeit destabilisierend wirkte. Napoléon hat die Einverleibung des Königreichs Holland als einen seiner großen Fehler bezeichnet. Wenn man so mit seinen Bündnisgenossen umsprang, war es doch sehr unwahrscheinlich, dass sie einen stützen würden, sobald man selber in der Klemme saß. Das bewahrheitete sich ja 1813/14 auch.
Aber war das wirklich Napoléons Verantwortung? Als er das Königreich Holland annektierte, dann eben weil es ihn schon in der Klemme gelassen hat. Soweit ich weiß hatte sich ja Louis Bonaparte geweigert, die Kontinentalsperre in den Niederlanden konsequent durchzusetzen.
Natürlich musste sich eine gegen den Handel gerichtete Maßnahme wie die Kontinentalsperre negativ auf die Wirtschaftsleistung des maritimen Hollands auswirken - aber es lag ja wiederum nicht in Napoléons Macht, die Briten auf direktem, militärischen Wege zum Frieden zu zwingen.
Sowohl in den franz. Departements in Deutschland als auch in Westphalen hatte das Regime in den Jahren zuvor nicht geschafft eine Anhänglichkeit mit dem neuen System zu generieren. Die Problematik wirkte sich ja in beide Richtungen aus. Die Regierenden misstrauten den bespitzelten Einwohnern, so dass man garnicht erst eine Art Landesdefension 1813 ins Leben rief, während andererseits die Einwohner auch nichts dafür übrig gehabt hätten. Das System Napoléon hatte über 5-6 Jahre etliche Versäumnisse, die ihnen letztlich zwangsläufig auf die Füße fallen mussten.
Diese Unzufriedenheit Frankreichs und Europas ist direkt auf die Herrschaftsmethoden und die Wirtschaftspolitik der Regierung des Französischen Kaiserreiches zurückzuführen. Aber war es Napoléons einziges Ansinnen, durch die Kontinentalsperre dem europäischen Handel die Lebensgrundlage zu entziehen oder die jugendliche Bevölkerung der Wehrpflicht in Spanien und Russland zu unterwerfen?
Ich nehme an, Napoléons war durch drei Motive geleitet:
- Einem französischen Nationalismus, der Frankreich als wichtigste Nation Europas sah und deshalb das Französische Kaiserreiche zum führenden Staat Europas machen wollte.
- Einem Cäsarismus, d. h. Napoléons persönliche Bewunderung für die römische Antike - er sah sich als neuen römischen Kaiser sah und wollte Europa unter einem neuen System ordnen.
- Einem Modernisierungsgedanken, der die französische Revolution oder zumindest ihre Errungenschaften als Beispiel und Handlungsanleitung für alle Staaten Europas sah und Frankreich als Werkzeug dieser Modernisierung sah.
Der Hauptunterschied zwischen dem Regime Napoléons und dem aufgeklärten Absolutismus ist doch, dass zumindest nach außen hin Napoléon eine Art von Mitsprache der Bevölkerung suggerierte.
Was darauf schließen lässt, dass Napoléon die republikanische Ideologie als fundamental und nützliches Legitimationsinstrument ansah.
Er selber war wohl monarchisch gesinnt und scheint mit dem republikanischen System nicht viel angefangen zu haben.
Was davon abhängt, wie man "republikanisch" definiert. Viele Publikationen aus der Zeit Napoléons sahen in seinem Regime ein republikanisches System, da immerhin seine Herrschaft auf der mehr oder wenig ehrlichen Zustimmung der Mehrheit der Bürger (und nicht "Untertanen") des Kaiserreiches beruhte.
Die modernere Geschichtsschreibung (wie letztens Napoleon und Bayern) bewertet auch Napoléons Verhalten sehr differenzierter. Es ist wahrscheinlich eine Sisyphosarbeit Napoléons Regime mit dem franz. Ancien Régime (wie es auch N.s Zeitgenossen taten) und obendrein den zahlreichen Staatsmodellen in v.a. Mitteleuorpa in ein Verhältnis zu setzen. Aber nur das führt zu einem stimmigen, sinnvollen Gesamtbild.
Gibt es denn ein Gesamtwerk, dass eine solche detaillierte Kleinstanalyse durchführt? Oder muss man sich das mühevoll aus verschiedensten Quellen zusammenlesen, wie ich es bisher getan habe?