Nationalsozialismus-Kaiserreich

Zum Begriff: (Kriegs-) Repressalie war eine feststehende völkerrechtliche Kategorie, wobei die Erfahrungen mit der Unzulänglichkeit der HLKO u.a. in das Genfer Abkommen für Kriegsgefangene mündete.

Die völkerrechtliche Zulässigkeit von Repressalien wurde hier vom Deutschen Reich ausgeschlachtet und gegen die Zivilbevölkerung gerichtet. Dabei gab es unbestritten viele Opfer, wie beschrieben.

Mit Vernichtungslagern - wie sie dann im Deutschen Reich im Zweiten Weltkrieg betrieben wurden - hatte das aber nichts zu tun. Davon hatte man 1914/18 keine Vorstellung.
 
Das Argumentarium von Frau Becker und unserem Mitdiskutanten ist m.E. tiefgreifender. Daß der I. WK nicht als Vernichtungskrieg geführt wurde und es keine massenhafte und geplante Ermordung von Millionen von Menschen gab, ist und wurde empirische nachgewiesen bzw. ist nachweisbar - eine gegenteilige Behauptung wäre einfach nur Mumpitz.

Viel gravierender ist das implizite Postulat, daß eine ideen- bzw. mentalitätsgeschichtliche Kontinuität resp. Kausalität konstruiert wird. Überspitzt formuliert, waren derartige Lager für Zivilisten, egal wie sie hießen, "Vergeltungslager", "Repressalienlager" etc., gleichsam die Blaupause für das ns KZ-System abgab?

Aus meiner Sicht ist das ahistorisch und mir fällt auch keine Literaturbelegstelle, noch nicht einmal eine Fußnote ein, wo darauf Bezug genommen wurde.

M.
 
Sehe ich auch so.

Zum einen geht es um die Frage der ideengeschichtlichen Kontinuität. Hier gibt es, und darauf hat auch Gandolf hingewiesen, durchaus Diskussionen über das Ausmaß einer Kontinuität.

Zum anderen - nur darauf wollte ich abstellen - ist es ein Problem der Begrifflichkeiten in der heutigen Diskussion, sozusagen ein Metaproblem. Es wird mit Begriffen hantiert (hier zB Repressions- bzw. Venichtungslager), denen mit heutigem Wissen über die späteren Abläufe 1933/45 begegnet wird.

Bloße Begriffskontinuitäten sollten vor dem Hintergrund der "Besetzung der Bedeutung" durch den NS kritisch hinterfragt werden, und taugen erstmal nicht für den Nachweis ideengeschichtlicher Kontinuitäten.
 
da es anschließend um diverse Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg ging, wurde das eigentliche Thema etwas aus dem Blick verloren.

Etwas ist gut. Ich würde meinen, das wir mittlerweile bei einen neuen Thema angekommen
sind.
Diskussion ist schwierig, wenn der User @Isleifson eigentlich auf Gegenargumente erst gar nicht eingeht. Stattdessen wird etwas Neues präsentiert.
 
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Das Argumentarium von Frau Becker und unserem Mitdiskutanten ist m.E. tiefgreifender. Daß der I. WK nicht als Vernichtungskrieg geführt wurde und es keine massenhafte und geplante Ermordung von Millionen von Menschen gab, ist und wurde empirische nachgewiesen bzw. ist nachweisbar - eine gegenteilige Behauptung wäre einfach nur Mumpitz.

Viel gravierender ist das implizite Postulat, daß eine ideen- bzw. mentalitätsgeschichtliche Kontinuität resp. Kausalität konstruiert wird. Überspitzt formuliert, waren derartige Lager für Zivilisten, egal wie sie hießen, "Vergeltungslager", "Repressalienlager" etc., gleichsam die Blaupause für das ns KZ-System abgab?

Aus meiner Sicht ist das ahistorisch und mir fällt auch keine Literaturbelegstelle, noch nicht einmal eine Fußnote ein, wo darauf Bezug genommen wurde.

M.

Nun, ich habe das umfangreiche Werk der Annette Becker nun in groben Zügen soweit durch genommen.

Zuerst einmal, ich kannte die Historikerin vor dieser Diskussion nur dem Namen nach.Man muss auch sagen das ein Historiker in Frankreich kaum mehr erreichen kann als die Becker.Die Liste der Titel,Ehrentitel,Fellowships,füllt eine Seite.Alle wichtigen Werke sind ins Englische übersetzt.Keines ins Deutsche.
Sie ist aber eine Hauptquelle von Gerd Krumeich.

Und ja,Sie hat überhaupt keine Hemmungen im WK1 den Vorläufer aller späteren Katastrophen zu sehen.

Besonders beeindruckend ist die Biographie des Soziologen Maurice Halbwachs.Sie zeigt nach,das Halbwachs den WK1 richtig analysiert hat.Dann aber das eigene Werk ignoriert hat,die eigenen Warnungen nicht befolgt hat und damit mit dem Leben bezahlt hat.
 
Zum einen geht es um die Frage der ideengeschichtlichen Kontinuität. Hier gibt es, und darauf hat auch Gandolf hingewiesen, durchaus Diskussionen über das Ausmaß einer Kontinuität.
welche ideengeschichtliche Kontinuität soll denn zur Einrichtung von Auschwitz*) geführt haben?

es mag sein, dass der "preussische" Kadavergehorsam, den freilich nicht nur preussische und später auch nicht nur kaiserreichliche Armeen praktizierten, durch einerseits rigoros gehandhabte Befehlsstrukturen und andererseits dank eines mehr oder weniger gesellschaftlich akzeptierten Militarismus gehörig dazu beitrug, dass 1914-18 Massenheere in vorher wohl noch nicht in diesem Ausmaß erflogter totaler Brutalität aufeinander losgingen - in diesem Sinne kann "Militarismus" zu einer der Ursachen solcher absurd verheerender Maßnahmen wie dem "ausbluten des Gegners" (Verdun) geführt haben. Doch auch hier halte nicht viel von einer plan monokausalen Herleitung, denn (salopp gesagt) hat "Militarismus" zu keiner Zeit einzig und allein "alles totmachen, koste es was es wolle" bedeutet.

wenn diese Überlegung richtig ist, dann folgt daraus, dass Militarismus allein noch nicht zwingend zu Materialschlachten (zu denen immer zwei Seiten gehören, die das mitmachen (müssen)) führen musste - wie soll unter dieser Voraussetzung der Teilaspekt**) "Militarismus" dann zur rassistischen Nazi-Ideologie und industriellen Umsetzung des Massenmords geführt haben?

man verzeihe mir, aber ich kann weder im 19. noch im frühen 20. Jh. irgendwelche "Ideen" noch "Mentalitäten" sehen, denen ich guten Gewissens das Etikett "Ursache der KZs" ankleben könnte.

Bloße Begriffskontinuitäten sollten vor dem Hintergrund der "Besetzung der Bedeutung" durch den NS kritisch hinterfragt werden, und taugen erstmal nicht für den Nachweis ideengeschichtlicher Kontinuitäten.
sehr richtig - und schon diese "Besetzung der Bedeutungen" demonstriert sprachlich und damit inhaltlich eine Veränderung!! Es sind also 1933-45 nicht mehr dieselben Begriffe wie 1871-1918 und damit auch nicht mehr dieselben Werte und Vorstellungen, und folglich auch nicht dieselben Handlungen.
@silesia: eine kleine Schikane ist die Frage, wie eine ideengeschichtliche Kontinuität denn zu einer Änderung ihrer zentralen Begriffe und Werte führen kann ;)



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*) Auschwitz als Sammelbegriff für alle KZ der Nazis
**) man kann das Kaiserreich nicht einzig und allein auf Militarismus reduzieren
 
Und ja,Sie hat überhaupt keine Hemmungen im WK1 den Vorläufer aller späteren Katastrophen zu sehen.
ich habe notfalls keine Hemmungen, für alles den Sündenfall verantwortlich zu machen ;):winke:
Spaß beiseite: was verstehst du unter "späteren Katastrophen"? Die Frage ist deshalb relevant, weil sich zwar Materialschlachten/Belagerungen wie Verdun und Leningrad vergleichen lassen, aber Vergeltungslager und KZ lassen sich nunmal nicht vergleichen.
 
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....

Und ja,Sie hat überhaupt keine Hemmungen im WK1 den Vorläufer aller späteren Katastrophen zu sehen....

@Isleifson

Kann man sicher und da ist Frau Becker nicht alleine ("Urkatastrophe des 20. Jh.") . Nur es macht einen Unterschied, ob Du ein geschichtsphilosophisches, ideengeschichtliches Gedankengebäude, das einen hohen Abstraktionsgrad aufweist, auf empirisch nachzuweisende historische Untersuchungsgegenstände gleichsam transponierst; ohne empirische Untersuchungen vorzulegen.

M.
 
Ja ,der Satz vom alten de Gaulle,den alle kleinen Gallier in der Schule gelernt haben.

"Der jetztige Krieg,ist nur die Fortsetzung vom Ersten.Es ist der neue Dreissigjährige Krieg"
 
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Und siehe da,mein Standpunkt scheint in Deutschland gar nicht so ungewöhnlich zu sein.
erstaunlich: ich habe beide links nachgelesen undfinde in keinem die Behauptung, dass speziell die Internierungs- und Vergeltungslager des Kaiserreichs die direkten Vorläufer der Kzs der Nazis seien -- also was meinst du überhaupt mit deinem Standpunkt?

und dass die Rezeption unterschiedliche Perspektiven haben kann, dass ist nun nirgendwo eine Besonderheit...
 
@Isleifson

Kann man sicher und da ist Frau Becker nicht alleine ("Urkatastrophe des 20. Jh.") . Nur es macht einen Unterschied, ob Du ein geschichtsphilosophisches, ideengeschichtliches Gedankengebäude, das einen hohen Abstraktionsgrad aufweist, auf empirisch nachzuweisende historische Untersuchungsgegenstände gleichsam transponierst; ohne empirische Untersuchungen vorzulegen.

M.

Schaut man sich dann die Quellen und Fußnoten vom Krumeich an,findet man einen alten Bekannten-Marcel Savart.Der als Erster nach dem WK2 wieder Nachforschungen über das Bagne de Sedan gemacht hat.

Marcel Savart. Épisodes de l'occupation 1914-1918. Le Bagne de Sedan : 2de contribution à l'histoire de l'occupation en pays envahis: Amazon.fr: Marcel Savart: Livres
 
und daraus:
Die Verhältnisse in dem Lager erinnern an die Konzentrationslager der Nationalsozialisten:

  • die menschenverachtende Behandlung und Unterbringung,
  • der doppelte Stacheldraht und die schlechte hygienische und medizinische Versorgung,
  • der grausame und schikanöse Umgang des Wachpersonals mit den Gefangenen,
  • der entwürdigende Arbeitseinsatz und Lagerdienst,
  • die unzureichende Ernährung und Bekleidung,
  • der Hunger, die Eiseskälte und die Strafen,
  • die Entpersönlichung und Degradierung des Menschen zur Nummer.
...allerdings gibt es da ein paar wesentliche Unterschiede, die nicht aufgezählt werden:
- niemand wird wegen seiner Religion vergast
- auch nicht millionenweise

ehrlich gesagt, habe ich keine Lust, aufzuzählen, was die Charakteristika eins KZs sind: ich setze das eigentlich als bekannt voraus -- und da entsetzt mich die unreflektierte Art und Weise, in der über die relevanten Unterschiede hinweg verglichen wird. *)

ach ja: wer üble "Lagerzustände" im 19. Jh. mal kennen lernen will, der lese Dostojewski (Aufzeichnungen aus einem toten Haus) und Cechov

(und was den zitierten Katalog der vermeintlichen Ähnlichkeiten betrifft: im Bagno ist es noch weniger gemütlich zugegangen...)

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*) freilich handelt es sich um keine wissenschaftliche zitierfähige Publikation, sondern um eine Gemeinschaftsarbeit der Klassenstufe 11 an einer Gesamtschule, insofern sind ein paar Holprigkeiten und auch Fehleinschätzungen nicht allzusehr auf die Goldwaage zu legen -- allerdings als Quelle, als Beweis für irgendeine These, würde ich diese Arbeit eher nicht einsetzen...
 
Zuletzt bearbeitet:
Kannst Du angeben, wo das bei Krumeich zu finden ist? Ich finde das nicht.
da findet sich das nicht.

da findet sich was ganz anderes: dass der erste furchtbare Krieg in gewissem Sinne in den zweiten, noch furchtbareren geführt habe - aber da sind Internierungslager nicht als Indizien oder Beweise angeführt, sondern die Entmenschlichung des industriell betriebenen Massenkriegs.
 

Ganz schön heftig.

Insgesamt kommt mit allerdings bei solchen Aussagen:
zitat o.g. Link schrieb:
  • die von der OHL auf dem Rückzug der deutschen Truppen 1917/18 angeordnete Verwüstung Nordfrankreichs, die verbunden war mit der systematischen Ersäufung von Kohlebergwerken, der planmäßigen Zerstörung von Obstplantagen und der Umwandlung eines etwa 1800 km2 umfassenden Geländestreifens in eine tote, öde Wüste bei gleichzeitigem Abtransport der Bewohner dieses Gebiets;
  • die noch im Oktober 1918 von der OHL befohlene Sprengung und Ersäufung aller Bergwerke der Departements du Nord und Pas de Calais und damit die Vernichtung der Existenzbedingungen von Hunderttausenden von Menschen.


sofort eines in den Sinn.

Es handelte sich um einen Volkskrieg, wie er bis dahin noch nie geführt wurde. Hier einseitig die Gräueltaten Deutscher anzuprangern halte ich für falsch, denn in diesen Krieg hat sich keine Nation der anderen etwas geschenkt.

Beispiel:
Mr. Runciman und Mr. Hurst, Justitiar im Foreign Office, haben Kröller erklärt, daß Deutschland ausgehungert werden müsse und wenn der Krieg drei Jahre dauert.
Carl Gneist, 3.September 1914

Und die Verschleppung bzw. die Geiselnahme (Deportation klingt in dem Zusammenhang unwirklich, da die Personen nicht im Sinne einer staatlichen Verbringung nach Litauen gebracht worden, sondern als Geisel dienen sollten) von 600 Personen ist in keinsterweise mit den Aktionen im Holocaust zu vergleichen. Weder in der politischen Begründung oder ideologischen Anschauung, noch in der planerischen und strukturierten Aktion und insgesamt in der Dimension.

Natürlich möchte ich damit nichts relativieren, schon garnicht diese Art von Umgang mit der Bevölkerung in besetzten Gebieten im 1. WK, die natürlich zu verabscheuende verbrecherische Aktionen darstellen, doch wie schon erwähnt, dies auf der Basis einer Art, die nach Revanchismus klingt aufzuführen und zu erörtern, ist zu einseitig und entspricht in etwa der Geschichtsschreibung einer subjektiven politisch oder ideologisch bedingten historischen Ausblendung der Gesamtheit aller Dinge.
 
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*) freilich handelt es sich um keine wissenschaftliche zitierfähige Publikation, sondern um eine Gemeinschaftsarbeit der Klassenstufe 11 an einer Gesamtschule, insofern sind ein paar Holprigkeiten und auch Fehleinschätzungen nicht allzusehr auf die Goldwaage zu legen -- allerdings als Quelle, als Beweis für irgendeine These, würde ich diese Arbeit eher nicht einsetzen...[/QUOTE]


Das sollte nicht nur als Fußnote erscheinen.
 
Kannst Du angeben, wo das bei Krumeich zu finden ist? Ich finde das nicht.

Ich habe gerade in Krumreichs jüngstes Werk nachgeschlagen, die in Zusammenarbeit mit Jean-Jaques Becker entstanden ist, und dort finde ich keinen Herrn Marcel Savart. Auch in Krumreichs Werk "Die Deutschen an der Somme 1914-1918" findet sich dieser Herr nicht.
 

Und die Verschleppung bzw. die Geiselnahme (Deportation klingt in dem Zusammenhang unwirklich, da die Personen nicht im Sinne einer staatlichen Verbringung nach Litauen gebracht worden, sondern als Geisel dienen sollten) von 600 Personen ist in keinsterweise mit den Aktionen im Holocaust zu vergleichen. Weder in der politischen Begründung oder ideologischen Anschauung, noch in der planerischen und strukturierten Aktion und insgesamt in der Dimension.
völlige Zustimmung!


Natürlich möchte ich damit nichts relativieren, schon garnicht diese Art von Umgang mit der Bevölkerung in besetzten Gebieten im 1. WK, die natürlich zu verabscheuende verbrecherische Aktionen darstellen, doch wie schon erwähnt, dies auf der Basis einer Art, die nach Revanchismus klingt aufzuführen und zu erörtern, ist zu einseitig und entspricht in etwa der Geschichtsschreibung einer subjektiven politisch oder ideologisch bedingten historischen Ausblendung der Gesamtheit aller Dinge.
sicher war diese Schülerarbeit nicht im Sinne von Rechanchismus intendiert - aber allgemein haben Argumentationsversuche, welche die Praxis der Nazi-KZs quasi rückdatieren oder pseudogenetisch*) herleiten wollen, einen wenig angenehmen Beigeschmack.

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*) es ist nicht die russische Mentalität, die zu den Gefangenenlagern in Sibieren zur Zarenzeit und zu den Gefangenenlagern in Sibirien zur Stalinzeit geführt hat - analog sieht es mit den Vernichtungslagern der Nazis aus
 
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