Neues Buch: Russlands Weg in den Ersten Weltkrieg

Das Buch habe ich auch gelesen. Es ließt sich wie ein Krimi und ist recht intelligent geschrieben.
Es ist nicht nur bloße vorsichtige Wiederholung bekannter Themen.
Letztlich ist es so, dass Sasonow ein extrem gefährliches Spiel gespielt hat. Dass er in seinen Memoiren auch noch Grey die Hauptschuld zugewiesen hat (.. nur ein Wort von Grey und wir hätten anders reagiert) ist schon ein starkes Stück. War es doch Sasonow, der die Briten mehrfach extrem unter Druck gesetzt hat.
 
Letztlich ist es so, dass Sasonow ein extrem gefährliches Spiel gespielt hat. Dass er in seinen Memoiren auch noch Grey die Hauptschuld zugewiesen hat (.. nur ein Wort von Grey und wir hätten anders reagiert) ist schon ein starkes Stück.

Wo schreibt er das denn und in welchem Kontext wird das angeblich von ihm formuliert? Dir leigt sicherlich "Fatefull Years" vor.
 
Hierzu:
Die These von McKeekin ist nicht so neu, wie immer getan wird. Schon Jules Isaac hatte vertreten, dass durch die russische Mobilmachung der Krieg unvermeidlich wurde. Und dieser hatte bestimmt keinen Grund ein besonders ausgeprägter Freund Deutschlands zu sein.

@ thanepower:
Entschuldige, dass ich die Quelle gerade nicht zur Hand habe, dass müsste ich jetzt raussuchen.
 
Letztlich ist es so, dass Sasonow ein extrem gefährliches Spiel gespielt hat. Dass er in seinen Memoiren auch noch Grey die Hauptschuld zugewiesen hat (.. nur ein Wort von Grey und wir hätten anders reagiert) ist schon ein starkes Stück. War es doch Sasonow, der die Briten mehrfach extrem unter Druck gesetzt hat.

1. Ein "extrem gefährliches Spiel" haben alle gespielt, da "War by timetable" im Falle von Mobilisierungen alle unter Druck gesetzt hat.

2. Ein extrem gefährliches Spiel haben alle gespielt, da sie im Rahmen der "langen Wege" die Rüstungsspirale eskaliert haben.

3. Hauptschuld zuweisen ist sehr phantasievoll und nicht zutreffend formuliert. Sazonow geht mit Bezug auf die zweite Marokko-Krise des Jahres 1911 auf die Unterstützung Frankreichs durch GB ein (S. 40). Und verlängert diesen Gedankengang dahingehend, dass wenn GB frühzeitig in 1914 eine ähnlich starke Solidarität mit Frankreich und Russland Richtung dem DR signalisiert hätte, die Weichenstellungen in Berlin andere hätten sein können. Und so der Konflikt zumindest im August 1914 so nicht hätte stattfinden müssen.

Damit spielt er auf die generell geäußerte Kritik an GB an, dass es nicht erkennbar gegenüber dem DR eine "Abschreckungsfunktion" wahrgenommen hat und so die politischen Entscheider sich nicht sicher waren, ob GB in einen Krieg eintreten würde. Eine Diskussion, die auch unter Historikern geführt wurde, aber welcher Historiker da welche Position vertritt kann ich im Moment mangels tieferem Wissen nicht referieren.

4. Das Wort "extrem" scheint extrem wichtig für Deine sprachliche Dramaturgie zu sein. Ob Sazonov GB "extrem" unter Druck gesetzt hat, halte ich eher für unwahrscheinlich. Er wird seine Position formuliert haben und entsprechende eindeutige Signale aus London erwartet haben. So ähnlich wird auch Paris agiert haben. Und das dürfte wohl in der Sprache eher dem Stil der damaligen Diplomatie entsprochen haben.

Sazonov, Serge (2008, 1928): Fateful Years 1909 - 1916. The Reminiscences of Serge Sazonov. Bronx New York: Ishi Press International.
 
Bin bei der Arbeit,
deswegen nur kurz:
Mir ging es hier nicht um eine Rechtfertigung bestimmter Personen, sondern nur um einen Einordnung.
Ich bin der Meinung, bei Sean McKeekin wären bestimmte Nachrichten von Sasonow an Grey erwähnt.
Dort stand, dass Sasonow Grey mehrfach gedroht hatte, dass russische Reich könnte GB erhebliche Probleme bereiten, wenn es jetzt nicht an der Seite Russlands stehen würde.
 
1. Ein "extrem gefährliches Spiel" haben alle gespielt, da "War by timetable" im Falle von Mobilisierungen alle unter Druck gesetzt hat.
2. Ein extrem gefährliches Spiel haben alle gespielt, da sie im Rahmen der "langen Wege" die Rüstungsspirale eskaliert haben.
Ich kann nicht beurteilen, ob die langen Wege der Rüstungsspirale*) auf der Ebene der Diplomatie eine Rolle spielten, ob sie parallel insgeheim, quasi unbemerkt oder aktiv verschleiert/verborgen abliefen - wie gut die militärische Geheimhaltung (Festungsrayon-Gesetze) wirklich funktionierte, ist schwer zu beurteilen. Nachdem militärisch Port Arthur ausgewertet war und zu einer Neubeurteilung des Festungs- und Stellungskriegs führte, wurde überall nach 1905 vehement und hektisch modernisiert. Ich glaube nicht, dass das alles nur im Verborgenen stattfand: z.B. die Brockhaus Ausgaben Anfang der 20. Jhs. kannten Nowogeorgiewsk als moderne Großfestung, wenn auch nicht im Detail (um nur eines der russischen Großprojekte zu nennen)
Hierbei waren es wirklich nicht nur Kaiserreich, Frankreich (eiserner Riegel), Russland: man denke an die um 1900 modernisierten britischen Gürtelfestungen um die Kriegshäfen, auf Alderney, sogar auf den Scilly Islands (betonierte Küstenbatterien) - Spanien modernisierte ab 1890 die balearischen Küstenforts - Dänemark, Schweden, Norwegen, Belgien setzten ebenso auf Panzerfortifikation, dito die Niederlande - sogar in den USA entstanden ein paar (eigentlich sinnlose) riesige Gürtelfestungen (wer kennt den Fortgürtel von New York?)

Ich kann nicht beurteilen, ob und welche Rolle das in den diplomatischen Verwicklungen spielte, habe aber den Verdacht, dass man immer quasi als Trumpf in der Hinterhand den Fortschritt der Rüstung im Auge behielt.

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*) vereinfacht gesagt ab 1890 bis 1914 rüsteten alle (!) Großmächte enorm:
- überall massiver Festungsbau
- überall Rüstungsindustrie samt Zulieferern
- überall Ankauf und/oder Entwicklung/Weiterentwicklung moderner Artillerie
- überall Flottenbauprogramme
- Militarisierung - immer größere Massenheere
 
Es war klar, dass das Deutsche Reich auch das Wettrüsten zu Lande verlieren würde, wenn die russischen Planungen voll umfänglich realisiert werden würden. Das war sowohl Moltke als auch Bethmann bekannt.

Und aus diesem Grunde spielte dies, die kommende gewaltige personelle und materielle russische Übermacht, in den deutschen Überlegungen eine Rolle. Besser früher als später, wenn die Lage noch nicht so schlecht ist.
 
1. Die Bedeutung der Festungen hat sich im WW1 gezeigt. Dennoch hat bereits Moltke d.Ä. nicht dem Festungsbau, sondern der Stärkung der Eisenbahninfrastruktur die höchste Priorität zugewiesen.

Die Bedeutung der Offenive und die Verschiebung von Streitkräften waren die zentralen Anforderungen. Ist ja ausführlich im Forum diskutuiert worden.

2. Es war gar nichts klar. Weil keine Prognose seriös wäre, die die diplomatische Konstellation für das Jahr 1920 in Friedenszeiten hätte vornehmen können.

Es waren ja gerade die westorientierten Politiker in Russland, die die einmalige Chance sahen, dass ein autokratisch regiertes, zaristisches Russland zusammen mit den westlichen Demokratien in einen Krieg gegen die Monarchien Ö-U und das DR sich im Krieg befand.

Eine Situation, die in Russland von konservativen Kreisen und in den Demokratien von den sozialistischen und liberalen Parteien als problematisch angesehen worden ist.

3. Bei einer "geschickten" Diplomatie hätte sich das DR problemlos aus der selbst verschuldeten Isolierung befreien können. Und die Frage der Rüstung von Russland wäre deutlich relativiert worden.

4. Und nicht zuletzt sind keine Prognosen möglich wie sich die revolutionäre Stimmung in Russland, die bereits 1914 vorhanden war, in der Folge entwickelt hätte.

Aber das ist an anderer Stelle im Forum bereits literaturgestützt ausführlich dargestellt worden.
 
2. Es war gar nichts klar. Weil keine Prognose seriös wäre, die die diplomatische Konstellation für das Jahr 1920 in Friedenszeiten hätte vornehmen können.

Es waren ja gerade die westorientierten Politiker in Russland, die die einmalige Chance sahen, dass ein autokratisch regiertes, zaristisches Russland zusammen mit den westlichen Demokratien in einen Krieg gegen die Monarchien Ö-U und das DR sich im Krieg befand.

Eine Situation, die in Russland von konservativen Kreisen und in den Demokratien von den sozialistischen und liberalen Parteien als problematisch angesehen worden ist.

Fetter Hervorhebung: Versuche doch nach den ganzen Jahren deine Animosität mir gegenüber abzulegen oder nicht immer wieder durchscheinen zu lassen. Versuche es doch mal; kostet auch nichts.

Die Herren Moltke und Bethmann, auf die kommt es in meinem Betrag an, war es klar.

3. Bei einer "geschickten" Diplomatie hätte sich das DR problemlos aus der selbst verschuldeten Isolierung befreien können. Und die Frage der Rüstung von Russland wäre deutlich relativiert worden.

Das ist doch gar nicht das Thema; davon abgesehen habe ich mich dazu gerade eindeutig in einem anderen Thread, "ruhiges Zuwarten des Deutschen Reiches....", geäußert gehabt.

4. Und nicht zuletzt sind keine Prognosen möglich wie sich die revolutionäre Stimmung in Russland, die bereits 1914 vorhanden war, in der Folge entwickelt hätte.

Aber das ist an anderer Stelle im Forum bereits literaturgestützt ausführlich dargestellt worden.
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Es wurde damals so wahrgenommen; zumindest auf deutscher Seite.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es war klar, dass das Deutsche Reich auch das Wettrüsten zu Lande verlieren würde, wenn die russischen Planungen voll umfänglich realisiert werden würden.

2. Es war gar nichts klar. Weil keine Prognose seriös wäre, die die diplomatische Konstellation für das Jahr 1920 in Friedenszeiten hätte vornehmen können.

Interessant, dass wenn man Dir inhaltlich im Hinblick auf eine "Was wäre wenn Frage" zur Entwicklung der russischen Rüstung ohne einen WW1, inhaltlich widerspricht, das als "Animosität" gewertet wird. Zumal ich noch eine inhaltliche Begründung dafür liefere, warum eine Prognose sehr unzuverlässig gewesen wäre.

Kein Problem werter Turgot. Ich werde auch keinen einzigen Deiner Postings mehr antworten. Dann brauchst Du Dich nicht mehr angegriffen fühlen.
 
Dennoch hat bereits Moltke d.Ä. nicht dem Festungsbau, sondern der Stärkung der Eisenbahninfrastruktur die höchste Priorität zugewiesen.
Ja, den immensen Ausbau der Bahnlinien habe ich vergessen zu erwähnen, Pardon. ...und den Bau eigener Festungsbahnen (z.B. friesische Inseln, Köln, Mainz*) u.a.) habe ich auch vergessen (und das passiert ausgerechnet dem Festungsfreak...) ;)

Die russische Fortifikation 1880-1914 war verknüpft mit den zunehmend erweiterten Bahnlinien und Flußsystemen, große Festungen allesamt an Bahnknoten und relevanten Flußquerungen (Bug-Narew Linie (Ossowiec-Lomca-Zegrze-Modlin), Weichsel (Warschau, Deblin)) wobei Richtung Westen bewußt nur wenige Bahnlinien gebaut wurden, damit diese im Fall der Fälle dem Gegner nicht viel nützen (man denke an die Sprengung der Warschauer Weichselbrücke)

Kaiserreich "Kanonenbahn" (von Berlin kommend) Koblenz-Thionville-Metz, Schwarzwaldbahn mit Anschluß nach Istein, Straßburg, Mutzig, Rheintalbahn (Mainz-Koblenz-Köln) Bahnlinien friesische Küste, Bahnnetz um Kiel usw.

wie das in Frankreich mit der Bahn war, weiß ich nicht, nehme aber an: ähnlich.

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*) die beiden Ringbahnlinien der "Selztalstellung" wurden ganz besonders akribisch "entfestigt" 1920, da war man ganz extrem gründlich (!)
 
Kurt Riezler notiert in seinem Tagebuch unter dem Datum des 20.07.1914 das Folgende:
"Abermals über die ganze Lage. Russlands wachsende Ansprüche und ungeheure Sprengkraft. In wenigen Jahren nicht mehr abzuwehren, zumal wenn die europäische Constellation bleibt."

Das gibt klar und deutlich Auskunft wie ein Bethmann über Russlands kommende Macht dachte.
 
"Wir sind bereit, und je eher, desto besser für uns." Mit diesen Worten spricht sich am 1. Juni 1914 Moltke der Jüngere für einen raschen Präventivkrieg aus.
 
Interessant, dass wenn man Dir inhaltlich im Hinblick auf eine "Was wäre wenn Frage" zur Entwicklung der russischen Rüstung ohne einen WW1, inhaltlich widerspricht, das als "Animosität" gewertet wird. Zumal ich noch eine inhaltliche Begründung dafür liefere, warum eine Prognose sehr unzuverlässig gewesen wäre.

Kein Problem werter Turgot. Ich werde auch keinen einzigen Deiner Postings mehr antworten. Dann brauchst Du Dich nicht mehr angegriffen fühlen.

Du weißt genau was gemeint ist; mit Widerspruch als solches hat das rein gar nichts zu tun.
 
wobei Richtung Westen bewußt nur wenige Bahnlinien gebaut wurden,

So einfach ist das nicht. Es ging um die schnelle Mobilierung der russischen Armee und deren kriegsmäßige Dislozierung in Richtung DR. Ein generelles Problem aller Großmächte, die Taylor auf die Formel gebracht hatte "War by Timetable: How the First World War began). Diese Forderung in Richtung russischer Armee wurde entschieden von französicher Seite bei den Besuchen von Joffre (vgl. Bourachot: Marshall Joffre) in Russland thematisiert. Nur die schnelle Mobilisierung der russischen Streitkräfte an der Grenze zum DR konnte sicher stellen, dass ein deutscher Sieg im Westen über Frankreich verhindert wird.

Vor diesem Hintergrund veränderte sich die Mobilisierungsplanung in Russland deutlich und durch gezieltes Ausbauen von militärisch wichtigen Aufmarschrichtungen mit Hilfe von Eisenbahnstrecken sollte eine schnelle Mobilisierung und der Transport sicher gestellt werden. Dazu bewilligte Frankreich für Russland einen sehr hohen Kredit über 2,5 Mrd Rubel ab 1914 mit 5 Jahre Laufzeit. (Sidorov, S. 272).

Dieser strategischen Schwäche in Bezug auf das eigene Eisenbahnnetz und der Fähigkeit zur schnellen militärischen Schwerpunktbildung war man sich in Russland bewußt. So formulierte der russische Kriegsminister Kuropatkin im Jahr 1900: "it is urgently neccesary for us to increase the carrying capacity of railroads which retain strategic significance, and no less neccesary is the further development of rail nets leading to the western frontiers." (Menning, S. 117)

Für die unterschiedlichen Staaten auf dem Territorium von Russland galt und gilt, dass die Projektion von Großmacht nicht unebdingt mit den notwendigen Tiefenstrukturen einer Großmacht einherging. Und das gilt für das Zarenreich in besonderem Maße.

Menning, Bruce W. (1992): Bayonets before bullets. The Imperial Russian Army; 1861 - 1914. Bloomington: Indiana Univ. Pr (Indiana-Michigan Series in Russian and East European studies).
Sidorov, Arkadij L. (1975): Zur Finanzlage Russlands vor 1914: Staatshaushalt und Staatsschulden. In: Dietrich Geyer (Hg.): Wirtschaft und Gesellschaft im vorrevolutionären Russland. Köln: Kiepenheuer und Witsch (Neue wissenschaftliche Bibliothek, 71, Geschichte), S. 252–276.

Zur Rüstung insgesamt:
Broadberry, Stephen; Harrison, Mark (Hg.) (2005): The economics of World War I. Cambridge, New York: Cambridge University Press. (vgl. Kapitel 8: Poor Russia, poor show: mobilising a backward economy for war, 1914-1918)
Herrmann, David G. (1997): The arming of Europe and the making of the First World War. Princeton, N.J.: Princeton University Press.
Stevenson, D. (2004): Armaments and the coming of war. Europe, 1904-1914. Oxford, New York: Clarendon Press; Oxford University Press.

Ausführlich hier diskutiert:
Russland 1914: Historische Voraussetzung und der Eintritt in den WW1
 
Zuletzt bearbeitet:
Noch etwas zu Moltke.
Ich erlaube mir hier aus Afflerbachs Aufsatz „Die militärische Planung des Deutschen Reiches“ zu zitieren.

„Frankreich wurde, trotz seiner Rüstungsanstrengungen, die 1913 in der Einführung der dreijährigen Dienstzeit gipfelten, die ihren Wert und ihre Kampfkraft im Weltkrieg beweisen sollte, in der deutschen militärischen Planung unterschätzt. Hingegen wurde Russland und vor allem das russische Aufrüstungsprogramm überschätzt. Moltke hatte im Frühjahr 1914 mit nervösen Warnungen vor der massiven russischen Aufrüstung im übrigen erheblich dazu beigetragen, die Kriegsbereitschaft Bethmanns zu erhöhen.“
 
hier auch noch was dazu: Eisenbahnen und Festungen im Ostkrieg 1914/17

Vor diesem Hintergrund veränderte sich die Mobilisierungsplanung in Russland deutlich und durch gezieltes Ausbauen von militärisch wichtigen Aufmarschrichtungen mit Hilfe von Eisenbahnstrecken sollte eine schnelle Mobilisierung und der Transport sicher gestellt werden.
Gewiß, die Mobilisierungsplanung änderte sich, die geografischen Bedingungen aber nicht. Wie das hinter der ehemaligen polnisch-russischen Grenze mit der Ausbau der Bahnlinien ablief, habe ich nie nachgeschaut. Cum grano salis an dieser ehemaligen Grenze liegen an relevanten Verkehrsknoten die Großfestungen wie Brest, Kaunas, Grodno - ganz anders stellt sich die Situation im russischen Teil Polens dar: dieser ragte wie ein Dreieck, wie eine vorwitzige Bastion gen Westen. Beinahe an der Spitze dieses russischen "Dreiecks" das unbefestigte Lodz, dahinter die nord-süd sperrende Weichsel mit den Festungen Deblin, Warschau, Moblin, und geradezu monströs anzuschauen die Festungskette entlang des Narew von Grodno über Osowiec, Lomza usw. bis Modlin-Zegrze-Warschau*) wo Bug, Narew und Weichsel zusammenfließen.
in diesem Beitrag eine Karte: #99
Die Festungskette bündelte und schützte die zentrale Aufmarschlinie, die Bahnlinie von Grodno nach Modlin. In Modlin als zentralem, massiv fortifizierten Bahnknoten, teilte sich diese Bahnlinie auf: - in Richtung Lodz-Posen - in Richtung Warschau-Deblin - in Richtung Plock-Thorn. Eine weitere, kleinere Bahnlinie verband Breszsc mit Deblin.
Eisenbahnen konnte das russ. Imperium bauen, man denke nur an die Transsib. Und es baute welche, z.B. auch die vornehmlich militärisch genutzten Bahnlinien entlang des Bug-Narew Systems, nach Warschau -- und wie beim pro und contra bzgl. der Fortifikation baute man nicht genügend (wg der Möglichkeit, dass sie einem schnell vordringenden Feind zeitweilig nützen könnten)
??? was hat das mit dem Aufmarsch, mit den logistischen Problemen 1914 zu tun? Es beschreibt den Sonderfall der russischen Bedingungen***) für einen großen Aufmarsch: auf Grund der geografischen Bedingungen (weite Räume, wenige zentrale Bahnlinien) und der gen Westen strukturierten Fortifikationsketten hielt man einen weitaus größeren Zeitrahmen für unproblematisch, da man auf den Schutz der Weiträumigkeit und der Festungssysteme und der eher wenigen Bahnlinien vertraute
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*) Modlin/Zegrze/Warschau/Fort Beniaminow (mit Fortkette nach Warschau) bis 1905 noch als riesiges Festungsviereck projektiert (Legionowo als Kommandozentrale in der Mitte), aber davon rückte man ab, die Fortkette wurde nicht gebaut, nur Modlin selber als Festung erster Klasse, die "Feste" Zegrze dito, der Ausbau von Warschau wurde gestoppt
 
Es war klar, dass das Deutsche Reich auch das Wettrüsten zu Lande verlieren würde, wenn die russischen Planungen voll umfänglich realisiert werden würden. Das war sowohl Moltke als auch Bethmann bekannt.

Und aus diesem Grunde spielte dies, die kommende gewaltige personelle und materielle russische Übermacht, in den deutschen Überlegungen eine Rolle. Besser früher als später, wenn die Lage noch nicht so schlecht ist.
So wie ich es verstehe gingen Moltke und Bethmann davon aus, wie Du zutreffend schreibst und ihr Handeln war dadurch beeinflusst.
Aber klar war das nicht.
Schaut man sich die Entwicklung der Rüstungsausgaben an dann legt das DR vor dem Weltkrieg die deutlich steilste Kurve hin und hat auch eine größere Wirtschaftsmacht, ist technologisch weit voraus, eine relativ stabilere Gesellschaft, usw..
Russland ist Importeur von Rüstungsgütern, auch aus dem DR, ohne selbst als Waffen-Exporteur auftreten zu können.

Man hätte schon zum gegenteiligen Schluss kommen können.
Doch war die Vorstellung vom nun rasch erstarkenden Russland, die künftigen USA des Ostens, in anderen Staaten auch verbreitet.
 
Und aus diesem Grunde spielte dies, die kommende gewaltige personelle und materielle russische Übermacht, in den deutschen Überlegungen eine Rolle. Besser früher als später, wenn die Lage noch nicht so schlecht ist.

Stellt sich allerdings, wie ich meine, auch die Frage, ob man da nicht auch andere Möglichkeiten gehabt hätte zu reagieren, um diese Entwicklung abzufangen?

Immerhin man selbst zog nach wie vor, trotz nomineller Wehrpflicht de facto noch immer deutlich weniger Landeskinder zum Wehrdienst heran, als das etwa in Frankreich der Fall war.
Hier wären personelle Potentiale gewesen. Das durch den Reichstag zu bekommen, hätte sich angesichts der stärker werdenden Sozialdemokratie natürlich schwierig dargestellt, aber mit den richtigen Zugeständnissen wäre es möglicherweise drinn gewesen.

Auch hätte man versuchen können, im stärkeren Maße vermittels eigener Kredite die Österreichisch-Ungarische Armee schlagkräftiger zu gestalten und das österreichisch-ungarische Eisenbahnsystem ebenfalls umfassenden Modernisierungen zu unterziehen (respektive dafür Kredite zu vergeben), um den eigenen Verbündeten fitter für den Krieg zu machen.

Nachdem 1911 das Haber-Bosch-Verfahren aufkam, hätte man im strategischen Interesse auch beginnen können, den Ausbau entsprechender Produktionsstätten staatlich in größerem Stil zu subventionieren um in der Sprengstoffproduktion weitgehend autark zu werden und die eigenen Bestände zu erhöhen und die relativ sinkende Artillerie-Überlegenheit, im Besonderen im Osten durch steigenden Vorsprung bei der Munitionsbeschaffung auszugleichen.

Auch an anderer Stelle hätte man, wenn man etwas vorausschauender gewesen wäre, versuchen können die Dinge zu rationalisieren und fehlende Manpower durch Technik auszugleichen.

- Mehr Maschinengewehre
- Mehr Kommunikationsgeräte
- Mehr Flugzeuge, für Beobachtungs, aber auch für Kurierzwecke
- Forcierter Aufbau eines LKW-Parks um die Schiene zu entlasten und größere Truppen und Nachschubmassen schneller in Frontnähe bringen zu können.

Und selbiges hätte man auch bei den eigenen Verbündeten fördern können.

Ich denke, wenn Moltke und Falkenhayn hier vor allem auf nummerische und Industriepotentiale abstellten, wird man ihnen vorwerfen können, in ihrem Denken zu konservativ unterwegs gewesen zu sein und die neuen industriellen Potentiale auch im eigenen Lager verkannt zu haben.
 
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