Norddeutscher Bund aber kein Kaisertitel?

Immerhin war der Reichskanzler bzw. die Reichsregierung gezwungen, im Reichstag ggf. wechselnde Mehrheiten zu suchen, um Gesetze zu erlassen. Die Möglichkeit, den Reichstag aufzulösen, um dann auf Neuwahlen zu setzen, in der Hoffnung, dann eine tragfähige Mehrheit zu erreichen, ist zumindest gewagt. Es kann funktionieren oder auch nicht.

Das Risiko ist für den einzelnen Abgeordneten größer.
Wenn der Reichskanzler keine Mehrheit findet und den Reichstag neu wählen lässt, hat er schlimmstenfalls auch im neuen Reichstag keine Mehrheit.
Für den Abgeordnete steht im Fall von Neuwahlen die politische Existenz auf dem Spiel.
Das kann das Abstimmungsverhalten beeinflussen, auch wenn keine handfeste Drohung im Raum steht.
 
Beweggründe des Reichs wofür?
Kein Reichsgesetz zu beschließen.

Beweggründe brauche ich, wenn ich etwas bewegen will.
Wenn es nichts zu bewegen gibt, macht es keinen Sinn, nach Beweggründen zu fragen.

Wozu hätte sich das Reich mit der Aufnahme neuer Länder befassen sollen?

Hab mich da ein wenig eingelesen:

„Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. Hrsg. von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. München 1995.

Offensichtlich haben sich weder Sachsen-Coburg noch Sachsen-Gotha jemals darum bemüht, als neues Land anerkannt zu werden.

Es gab aus Coburger Sicht eigentlich nur drei ernstzunehmende Optionen:
- Anschluss an das noch zu gründende Land Thüringen
- Anschluss an Preußen
- Anschluss an Bayern

Ein Zusammenschluss Gotha-Coburg war nur aus Gothaer Sicht eine Option, für die Coburger kam das nicht in Frage.
 
Beweggründe brauche ich, wenn ich etwas bewegen will.
Wenn es nichts zu bewegen gibt, macht es keinen Sinn, nach Beweggründen zu fragen.

Wozu hätte sich das Reich mit der Aufnahme neuer Länder befassen sollen?

Hab mich da ein wenig eingelesen:

„Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft“. Hrsg. von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. München 1995.

Offensichtlich haben sich weder Sachsen-Coburg noch Sachsen-Gotha jemals darum bemüht, als neues Land anerkannt zu werden.

Es gab aus Coburger Sicht eigentlich nur drei ernstzunehmende Optionen:
- Anschluss an das noch zu gründende Land Thüringen
- Anschluss an Preußen
- Anschluss an Bayern

Ein Zusammenschluss Gotha-Coburg war nur aus Gothaer Sicht eine Option, für die Coburger kam das nicht in Frage.

Eben. Das Reich hat einfach den Intentionen von Coburg und Sachsen-Gotha entsprochen. Genauso meinte ich es mit Beweggründen. Ich denke, das weißt du auch. ;)
 
Eben. Das Reich hat einfach den Intentionen von Coburg und Sachsen-Gotha entsprochen. Genauso meinte ich es mit Beweggründen. Ich denke, das weißt du auch. ;)

Mir war in der Tat nicht klar, wie die Formulierung "Denn das Reich hatte die Trennung Sachsen-Coburgs von Gotha im April 1919 nicht anerkannt" genau zu interpretieren ist und wie Du sie interpretiert hast. Liest man das Zitat im Kontext und in der Zusammenschau mit den anderen relevanten Texten nach, ergibt sich:

- Der Staatsvertrag vom 12. April 1919 geht davon aus, dass die beiden Staaten "nach der Reichsverfassung dem Reiche gegenüber als ein Staat zu gelten haben", insofern blieb aus Sicht des Reiches alles beim alten.

- Die Weimarer Verfassung, die am 14. August 1919 in Kraft trat, bestimmt in Artikel 18: "
Die Änderung des Gebiets von Ländern und die Neubildung von Ländern innerhalb des Reichs erfolgen durch verfassungsänderndes Reichsgesetz. Stimmen die unmittelbar beteiligten Länder zu, so bedarf es nur eines einfachen Reichsgesetzes."


- Ein Reichsgesetz über die Neubildung des Staats Sachsen-Coburg wurde nie beantragt.


- Das "Reichsgesetz, betreffend die Vereinigung Coburgs mit Bayern" wurde am 23./26. März 1920 beantragt und am 23. April 1920 in der Deutschen Nationalversammlung beschlossen.
 
Zu letzterem kann ich nur zustimmen. Bei ersterem ist mir noch nicht ganz klar, inwiefern es in der Reichsverfassung des Kaiserreichs geregelt war. Dass diese bis zum Beschluss der Weimarer Verfassung fortgalt, ist mir klar. Genau wie, dass die Veränderung, die durch die Weimarer Verfassung erfolgte, eben die von dir genannte war: Zustimmung durch Reichsgesetz nach Antrag.
 
Bei ersterem ist mir noch nicht ganz klar, inwiefern es in der Reichsverfassung des Kaiserreichs geregelt war. Dass diese bis zum Beschluss der Weimarer Verfassung fortgalt, ist mir klar. Kannst du mich da aufklären?

Zu letzterem kann ich nur zustimmen. Die Zustimmung des Reiches durch ein Reichsgesetz war notwendig. Eine de facto Anerkennung der aktuellen Länderstrukturen galt nicht (Sonst wäre die Trennung auf Reichsebene anerkannt worden). Ist das so richtig?

Da ich kein Jurist bin, kannst du mich über die rechtlichen Regelungen aufklären? Denn wenn ich das richtig schlussfolgere, dann wären, wenn das Grundgesetz keinerlei Regelungen bezüglich der Länder getroffen hätte, die Änderungen, die seit dem 2. Weltkrieg nicht anerkannt und berücksichtigt worden. So würden in dem Fall dann immernoch die Länder aus der Vorkriegszeit im Bundesrat vertreten sein. Oder? :confused:
 
Denn wenn ich das richtig schlussfolgere, dann wären, wenn das Grundgesetz keinerlei Regelungen bezüglich der Länder getroffen hätte, die Änderungen, die seit dem 2. Weltkrieg nicht anerkannt und berücksichtigt worden. So würden in dem Fall dann immernoch die Länder aus der Vorkriegszeit im Bundesrat vertreten sein. Oder? :confused:

Das Grundgesetz von 1949 hat erst einmal die Länder definiert:
"Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern".

Das war auch zwingend notwendig, denn die Länder aus der Vorkriegszeit existierten so nicht mehr. Bei den genannten Ländern handelt es sich um Neugründungen aus den Jahren 1945/1946. Andere wie z. B. Preußen waren endgültig untergegangen.

Die Frage: "Was wäre, wenn das Grundgesetz keinerlei Regelungen bezüglich der Länder getroffen hätte?", kann man nur beantworten mit: Dann hätte es auch kein Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegeben.

Mit der Situation 1918/1919 ist das nicht zu vergleichen. Damals bestanden zunächst alle Bundesstaaten fort. (Elsass-Lothringen, das erst seit 1911 zu den Bundesstaaten gezählt hatte, allerdings nur sehr kurz.)

Bei ersterem ist mir noch nicht ganz klar, inwiefern es in der Reichsverfassung des Kaiserreichs geregelt war.
Sofern Du den Satz aus dem Staatsvertrag "... nach der Reichsverfassung dem Reiche gegenüber als ein Staat..." meinst - das hatten wir eigentlich doch schon geklärt, oder? Siehe Beitrag 47.
Sachsen-Coburg-Gotha ist in der Verfassung als ein Staat definiert, und der Staatsvertrag zwischen den Freistaaten Coburg und Gotha geht von dieser Definition aus: Nach außen gibt es nach wie vor eine gemeinsame Vertretung.
Man kann jetzt die "Was-wäre-gewesen-wenn"-Frage stellen: Was wäre gewesen, wenn Coburg und Gotha damals vereinbart hätten, sich komplett zu trennen und nach außen hin als zwei Staaten aufzutreten?
Ich vermute, dass dem Reich nichts anderes übriggeblieben wäre, als die beiden Staaten anzuerkennen.
Da aber die beiden Staaten vereinbart hatten, dem Reich gegenüber wie ein Staat aufzutreten, blieb dem Reich nichts anderes übrig, als die beiden Staaten wie ein Staat zu behandeln.
 
Im Frühjahr 1870 geisterte das Gerücht von der beabsichtigten Annahme des Kaisertitels durch den König von Preußen durch die diplomatische Welt. Hohenlohe, Friesen und Sir Robert Morier wußten davon zu berichten.

Bismarck hatte im Frühjahr 1870 wohl bei den Großmächten sondiert, wie sie sich bei Annahme des Kaisertitels durch Wilhelm I., und zwar eines norddeutschen Kaisertums, verhalten würden. Bismarck äußerte sich in einer Unterredung mit Berchem: " England habe im vergangenen Jahr den Vorschlag gemacht, durch Realisierung der Kaiseridee des status quo definitiv zu fixieren und dadurch die Kriegsgefahr abzuwenden." (Historische Zeitschrift, Aufsatz Platzhoff, Band 127).

In einer Audienz, die der englische Außenminister Clarendon dem preußischen Botscchfter Bernstorff am 11.Januar 1870 gewährte, brachte Clarendon sein Bedauern zum Ausdruck, da der König von Preußen nicht sofort nach dem Kriege 1866 den Kaisertitel angenommen habe, wo jedermann dies erwartet habe und niemand dagegen Opposition dagegen gemacht haben würde.[...] Die Annahme des Kaisertitels würde in Wien zwar nicht gefallen, könnte aber durch Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen erleichtert werden.
Auch in Paris würde die Annahme nicht gefallen; er habe den englischen Botschafter beauftragt, auf die französischen Minister dahin zu wirken, dass sie nicht durch unüberlegte Äußerungen in den Kammern die öffentliche Meinung aufregen, sondern dem französischen Publikum begreiflich machten, dass das deutsche Volk nur das tue, was das französische und andere Nationen längst getan haben und wozu es selbst ein volles Recht habe."

Am 27.Januar hatte Bernstorff eine weitere Audienz bei Clarendon. Lord Clarendon hatte inzwischen seine Meinung, offenbar unter dem Eindruck der Nachrichten aus Paris, geändert. "Er habe sehr viel und ernsthaft die Frage überlegt und durchdacht und sei nach Abwägung aller einschlagenden Betrachtungen und Rücksichten zu dem Resultat gelangt, dass er von seinem allgemeinen Gesichtspunkt aus einen jetzt plötzlich zu tuenden Schritt wie den in Rede stehenden doch nicht für opportun halten könnte." Das französische Ministerium habe über die neue Organisation des Berliner Auswärtigen Amtes und der Vertretung des Norddeutschen Bundes "etwas Emotion" empfunden, da es darin einen Schritt weiter in der Unifikation erblicke, die Annahme des Kaisertitels, wenn auch nur des norddeutschen, würde es noch stärker emotionieren."
 
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