Moin,
vermutlich liest du hier noch nicht sooo lange mit, oder nicht entsprechend alle möglichen Threads, die dieses Thema schon mehrfach hatten. Immer wieder und wieder.
Empfanden die Norditaliener die römische "Besetzung" als "Segen", als sich diese dahin ausdehnten? Oder die Völker der ägäischen Küsten, als diese von den Griechen "kolonisiert" wurden? Oder die spanischen Einwohner, als die Westgoten dieses Gebiet "besetzten"? Was ist denn mit den Slawen, die den Balkan irgendwann mal "besetzten"? Haben die das mit Blumen-Girlanden getan?
Ich frage mich nur, wer hier im Forum von einem "osmanischen Segen" spricht?
Und für wen? Für die Adeligen des Balkans, die öfters aus ihren Bauern pressten, was sie konnten? Dieses natürlich nach der Eroberung der Osmanen so nicht mehr tun konnten. Oder für die ukrainischen Bauern, bzw. Leibeigene, die zu einer bestimmten Zeit diverse Male auf osman. Territorium (z.B. heutiges Ungarn und Rumänien) zogen/flüchteten, weil sie dort weniger Abgaben, also als Christen unter Muslimen, zahlen mussten, als unter christl. Herrschaft? Oder ins OR flüchtende Protestanten? Oder der griech. orthodoxe Geistliche, der u.U. mehr kirchliche Macht akkumulieren konnte, als noch zu byzantin. Zeiten? Oder der bulg. Orthodoxe, der unter den Repressalien der griech. Orthodoxie litt, manchmal sogar seine Kirchen angezündet wurden, durch seine griech. orth. "Brüder"?
OK, genug der nächtlichen Polemik, das Thema ist vielschichtig, richtig ist, dass allgemein die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen auf dem Balkan in dem letzten Jahrhundert osm. Herrschaft immer angespannter wurde. Dieses trifft aber nicht immer auf sämtliche 400 Jahre zuvor zu!
Die meisten Aufstände hatten keine "nationalen" oder "protonationalen" Gründe. Es waren meist dieselben Gründe, warum es in abendländischen Reichen oder durch osm. Muslime (auch Türken) betriebene ebenso viele Aufstände gab.
Selbst, als lokale mächtige "Derebeyis"/Talfürsten in osmanischen Krisenzeiten autonome Bestrebungen zu haben scheinen (faktisch mit eigener Armee, usw. zeitweilig autark von Istanbul waren), wollten sie letztlich nicht wirklich das multiethnische multireligiöse Imperium verlassen, die "göttliche Ordnung" zerstören. Diese Vorstellung war noch weit verbreitet bis tief ins 19. Jahrhundert hinein, erst recht bei der einfachen Bevölkerung, weniger bei den gebildeten Eliten des Balkans, wo der Gedanke des Nationalstaates im 19. Jh. zunehmend Fuß fasste.
Insgesamt postulierst du oben "willige Aufständische" griechischer, serbischer, bulgarischer, usw. Zunge, die im Sinn hatten, ein griech. Reich mit Basileos, ein bulg. Reich mit Zar, usw. zu errichten. Dieses muss aber erstmal belegt werden, wenn in den Quellen zu den "Aufständen" dazu nichts gesagt wird, wenn Hungersnöte Räuberbanden anschwellen lassen, die die Staatsmacht herausfordert, und dieses dann von nationalen Geschichtsschreiber des Balkans rückwirkend als "Freiheitskampf" stilisiert wird, dann sollte man genau aufpassen, was Interpretation ist, und was in den Archiven belegt ist.
Ich habe jedenfalls in meiner Lit. kaum mal was von "Freiheitskämpfen" gelesen, die an Braveheart erinnern würden. Im Gegenteil, nach Auswertung der griech.-osman. Archive spricht man inzwischen gar von einer "Silbernen Epoche" (aber keine "Goldene Epoche") in Griechenland im 16. Jh. Leider haben die Vernichtungen im Zeitalter der Werdung der Nationalstaaten wohl wenig Zeugnisse davon übrig gelassen.
Also kurz: Das 19. Jh. hat seine Freiheitskämpfe, diese waren auch durchaus "legitim", manchmal aber selbst dann nicht ideologisch begründet oder gefestigt, sondern z.B. wegen zu harter Besteuerung, wenngleich selbst da der Kampf meist keine Massenbewegung war, und ausschließlich durch die Unterstützung der abendländischen Großmächte erfolgreich wurde, so schwach war der "Freiheitssturm" gegen die ohnehin schwache osm. Armee.
Und so ein schönes Modell auch der Mensch abgibt, mit Geburt, Jugend, Blüte, Niedergang, Zerfall, so ist man inzwischen im 21. Jh. in der Historik davon abgekommen, so simpel Reiche zu betrachten oder in Phasen zwanghaft einzuordnen denn meistens waren die Phasen eben nicht so wie beim Menschen. Es waren auch beim Osm. Reich mehrere Geburten, mehrere Blüten, Niedergänge, usw.
Keine Kurve wie in der Gaußschen Normalverteilung.
Lies am besten nochmals die vorigen Seiten dir durch, oder andere Threads, z.B. zur Historiographie der Nachfolgestaaten des OR, dort hatten wir schon mal Aufstände, usw.
Ich bin da mittlerweile recht skeptisch geworden, dachte früher allerdings genauso, wegen Aufständen, usw., die ich in der Wiki so gelesen hatte, aber inzwischen möchte ich es schon genauer wissen, ist das wirklich ein Aufstand, wie man ihn sich so vorstellt, oder wurde er von nachfolgenden Historikergenerationen besonders auf dem Balkan dazu umstillisiert.
(PS: Gleiches gilt auch für etlich türk. Geschichtsschreiber, ich lese daher recht selektiv nur diejenigen, von deren Seriosität ich von anderer (nichttürk.) Quelle las)
So, mal sehen ob ich noch zur Seefahrt komme...