Ostung mittelalterlichen Kirchen

Kann man über die Ausrichtung von Gebäuden unabhängig von Religion und Glauben Aussagen machen, hier wären die Architekten gefragt?
Gibt es heute eine optimale Gebäudeausrichtung?
Ich habe daran gedacht, weil ich mal 5 Jahre in einem Nord-Ost-Eckhaus gewohnt habe, was mich ziemlich deprimiert hat, da ich die Sonne selten sah. Vorher hätte ich immer gesagt, ist doch egal, in welcher Richtung die Fenster sind, seit der Erfahrung achte ich aber strikt auf die Ausrichtung und lebe jetzt in einer Ost-West-Wohnung, wie die Kirchen. Küche, Bad, Schlafzimmer im Osten, Wohn/Esszimmer im Westen, d.h. ab mittags bis in den späten Abend ist da Sonne.
Für meinen Geschmack ist das optimal und es kommt mir so vor, dass die meisten Häuser so ausgerichtet sind, ich kann mich aber täuschen.
 
Ich glaube mich zu erinnern, dass kirchliche Würdenträger mit dem Kopf gegen Osten bestattet werden? Bloss das gewöhnliche Volk liegt gegen Westen.

Nehmen wir das Petrusgrab in Rom, welches vermutlich archäologisch echt ist. Unter dem Petersdom befinden ich heute noch unter der allgemeinen Papstgruft antike Katakomben, die nicht originär christlich waren. Eine Art Totenstadt, wie man sie vielfach in Rom findet. In dieser transtiberischen Totenstadt befand sich eben auch das Grab des Apostesl Petrus, sein Kopf ist allerdings an anderer Stell (ich erinnere mich nicht mehr ganz genau, warum, meine aber, dass das mit dne Sarazeneneinfällen im 9. Jahrhundert zusammenhängt, St. Peter war ja extra muros. Die um das Petrusgrab herum gruppierten Gräber, die sich in ihrer Schlichtheit von den umliegenden Gruften abhoben, waren nicht nach Himmelrichtung, sondern in Richtung auf das Petrusgrab selbst ausgerichtet. Die dahinterliegende Vorstellung - ich hab das nciht überprüft! - soll sein, dass man dachte, wenn Jesus wiederkehrt, wird er als erstes die Gräber der Apostel und Märtyrer aufsuchen und diese quasi aus dem Grab ziehen. Man erhoffte sich also, wenn man selber nahe bei einem Apostel oder Märtyrer bestattet lag, gleich mit diesem aus dem Grab gezogen zu werden.
Langer Rede, kurzer Sinn: Die Ostung der Gräber ist keineswegs immer und überall im Christentum praktiziert worden.
 
Daher ist es für mich nicht so entscheidend, ob bei besonderen Kathedralen der Grundstein nach einer mathematischen Formel gelegt wurde, der Pfarrer vom Dorf aber nur zum Sonnenaufgang guckte und die Gemeinde "über den Daumen" geostet hat.

Sowas kann auch rein praktische Gründe gehabt haben. Schauen wir uns z.B. den berühmten Bamberger Dom an.......

Der Vorgängerbau des heutigen Bamberger Doms, der so genannte Heinrichsdom, wurde im Jahr 1004 von Kaiser Heinrich II. dem Heiligen, dem Gründer des Bistums Bamberg, in Auftrag gegeben. Der Bau wurde auf einer Anhöhe über den Fundamenten der Kapelle und des Friedhofs der ehemaligen Babenburg, die Heinrich von seinem Vater Heinrich dem Zänker geerbt hatte, errichtet. Dieser Vorgängerbau hatte keine exakte Ost-West-Ausrichtung und da sich die künftigen Bauten immer an dem bereits Vorhandenen ausrichteten, hat sich die Ausrichtung von Nordost nach Südwest tausend Jahre lang erhalten.

Bamberger Dom ? Wikipedia
 
Sowas kann auch rein praktische Gründe gehabt haben. Schauen wir uns z.B. den berühmten Bamberger Dom an.......

Der Vorgängerbau des heutigen Bamberger Doms, der so genannte Heinrichsdom, wurde im Jahr 1004 von Kaiser Heinrich II. dem Heiligen, dem Gründer des Bistums Bamberg, in Auftrag gegeben. Der Bau wurde auf einer Anhöhe über den Fundamenten der Kapelle und des Friedhofs der ehemaligen Babenburg, die Heinrich von seinem Vater Heinrich dem Zänker geerbt hatte, errichtet. Dieser Vorgängerbau hatte keine exakte Ost-West-Ausrichtung und da sich die künftigen Bauten immer an dem bereits Vorhandenen ausrichteten, hat sich die Ausrichtung von Nordost nach Südwest tausend Jahre lang erhalten.

Bamberger Dom ? Wikipedia

Wie ist denn die ungefähre Ausrichtung, ist der Chor auf der Nordostseite? Man hat später 2 gotische Türme angebaut, hat man dabei auch die Gebetsrichtung geändert?
Diese praktischen Gründe würde ich für nachgotische Kirchen ebenso annehmen.
Gestern kam ich an einer neogotischen Gründerzeitkirche vorbei, die nach dem Krieg wiederaufgebaut wurde, die hat Türme und Eingang nach Nordwesten und Chor/Apsis nach Südosten. Da es ein Eckgrundstück ist, mußte die Kirche aus Gründen der Grundstücksnutzung schräg gestellt werden, nehme ich an. Aber immerhin hat man sie nicht ganz umgedreht also die Apsis nach Nordwesten gedreht, was von den Wichtigkeit der beiden Erschließungsstraßen sogar logischer gewesen wäre.
Es muß auch später diese ungefähre Ausrichtung nach der Gebetsrichtung noch gegeben haben.
 
Grüezi

Ich möchte noch einmal auf die Bestattungsriten zurück kommen.
Irgendwo habe ich gelesen, dass bis um etwa 1500 die Gräber, wenn immer möglich nach Osten ausgerichtet wurden. Mit dem Reliquienkult ab dem 16. Jahrhundert war es den Leuten zunehmend wichtiger ihre Gräber zur Reliquie/Altar hin auszurichten. Und noch segensreicher war es, möglichst nahe bei der Reliquie bestattet zu werden. Begehrt war ein Grab nahe an der Kirche, am liebsten ganz an der Kirchenmauer. Und für die Wohlhabenden und die kirchlichen Würdenträger gab es manchmal sogar ein Grab in der Kirche.

Gruss Pelzer



Beispiel: Das Früh- bis hochmittelalterliche Gräberfeld Büren-Oberbüren Kanton Bern
Quelle: Universität Bern

Die "Schwarzen" sind die Männer, die "Weissen" die Frauen. Mehrheitlich sind die Gräber geostet. Interessant ist die neuere, radiale Anordnung der Gräber. Und die vereinzelten "Querlieger"...
 

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Beispiel: Das Früh- bis hochmittelalterliche Gräberfeld Büren-Oberbüren Kanton Bern
Quelle: Universität Bern

Die "Schwarzen" sind die Männer, die "Weissen" die Frauen. Mehrheitlich sind die Gräber geostet. Interessant ist die neuere, radiale Anordnung der Gräber. Und die vereinzelten "Querlieger"...

Ich kann leider nur weniger Weisse erkennen oder an anderen Stellen als ich sie erwartet hätte, es sieht ein bißchen nach Geschlechtertrennung aus, kann das sein?
Und stellt der Strich meist rechts neben dem Punkt den Körper dar?
 
...Und stellt der Strich meist rechts neben dem Punkt den Körper dar?
Ja. Der Punkt ist der Kopf, der Strich der Körper. Die Kleinen sind Kinder und die Schwarz/weissen Unbestimmte.

Eine durchaus berechtigte Frage, wo sind die Frauen? Ich sehe mehrheitlich Männer...

Gruss Pelzer

.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe mal eine nicht repräsentative Umfrage gemacht.
Kathedrale, Dom, Münster in diversen Städten:

Köln ja
Bern ja
Strassburg nein
Zürich nein
Achen ja
Freiburg iB ja
Pisa ja.
Trier nein
Basel nein
Colmar nein
Wien nein.
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Das Resultat zeigt ganz deutlich; die einen sind geostet, andere nicht.
Warum? Wird ja kein Zufall sein...
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Gruss Pelzer
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Ich sehe das bei einigen Städten anders: Zwar zeigt Strasbourg stark nach Nordosten (ähnlich Basel, da würde ich mich, allerdings nicht festlegen) aber Trier nur leicht nach Südosten (nicht die Konstatinbasilika verwechseln, die war ursprünglich keine Kirche sondern Teil des Kaiserpalastes). Die Ausrichtung des Stephansdoms in Wien scheint mir der aus der Römerzeit hergebrachten Straßenführung geschuldet zu sein. Innerhalb dieser ist der Stephansdom dann aber doch noch geostet (Eingang nach Westen, Altar nach Osten).
Ich lege wohl etwas großzügiger aus.
 
Hab mal gelesen das die Ost-Ausrichtung Jerusalem geschuldet wäre. Weis aber leider nicht mehr wo. Auf alten Karten war der Mittelpunkt der Welt glaube ich auch Jerusalem.

Schöne Feiertage

Apvar
 
Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, dass bereits im 12. Jh. der Kompass zur Ostung von Kirchen in Skandinavien eingesetzt wurde. Leider hat sich noch kein Wissenschaftler um die Frage bemüht, was diese Erkenntnis für die Frage der Ersterfindung des Kompasses bedeuten könnte. Denn bislang galt als eine Textstelle bei Alexander Neckham aus dem Jahr 1195 als der älteste Hinweis auf den Gebrauch der Magnetnadel in Europa.

EVIDENCE FOR CHURCH ORIENTATION BY MAGNETIC COMPASS IN TWELFTH-CENTURY DENMARK: Wiley InterScience :: Session Cookies
 
...verändert sich ja auch bloss um 70° im halben Jahr!
Und wenns Berge hat, kann die Veränderung auch 90° und mehr sein. Im Winter ist das dann nicht mehr Osten, sondern Süden.

Gruss Pelzer

.
Es ist tatsächlich so, dass die Gotteshäuser den Altar immer im Osten haben was aber mit der Ostung nichts zu tun hat. Die Ausrichtung der Kirchenachse wurde immer auf Ost-West gelegt, auf den Punk an dem die Sonne am Tag des Kirchenpatrons aufging. Im Fall des Stephansdoms zu Wien also auf den 26. Dezember mit der obigen Abweichung von Ost.

Worüber ich aber gern mehr wissen möchte, ist was das mit dem "Goldenen Schnitt" auf sich hat. Das soll ein bestimmtes Verhältniss zwischen den Ausdehnungen sein.
Gruß
Guni
 
Es ist tatsächlich so, dass die Gotteshäuser den Altar immer im Osten haben was aber mit der Ostung nichts zu tun hat.
Die Ausrichtung der Kirchenachse wurde immer auf Ost-West gelegt, auf den Punk an dem die Sonne am Tag des Kirchenpatrons aufging.
Nein nicht immer. Wirf mal nen Blick auf diverse römische Kirchen oder schau dir Kirchenbauten der Neuzeit an, da wirst du das nicht finden. Auch die Sache mit dem Patrozinium trifft lediglich in Ausnahmefällen zu.

Worüber ich aber gern mehr wissen möchte, ist was das mit dem "Goldenen Schnitt" auf sich hat. Das soll ein bestimmtes Verhältniss zwischen den Ausdehnungen sein.
Auch der Goldene Schnitt trifft nicht auf alle Kirchen zu. In einigen wurde ausschließlich nach dem Goldenen Schnitt gebaut in anderen nur zum Teil und in wieder anderen gar nicht.
 
Die Ost-Westorientierung ist älter als christliche Traditionen. bereits im alten Ägypten haben wir mit der unterschiedlichen Funktion von Ost- und Westufer des Nils diese Orientierung,die sich auch in den bauten )z.B.AbuSimbel, Hatschepsuttempel,etc=) fortsetzt.
Das ganze hat einen praktischen Hintergrund,der in der allgemeinen kultischen Dramaturgie zu sehen ist. Ein Sonnenaufgang im Rücken des Altars macht nunmal allemal mehr her,als schnödes Seitenlicht.
 
Das ganze hat einen praktischen Hintergrund,der in der allgemeinen kultischen Dramaturgie zu sehen ist. Ein Sonnenaufgang im Rücken des Altars macht nunmal allemal mehr her,als schnödes Seitenlicht.

Na toll, morgens blendet es die Zuschauer bzw. Andächtigen und zu allen anderen Tageszeiten ist die Wirkung weg.
 
Na toll, morgens blendet es die Zuschauer bzw. Andächtigen und zu allen anderen Tageszeiten ist die Wirkung weg.

Nicht zwangsläufig. Wenn sich die Fenster nicht direkt hinter dem Altar sondern im Obergaden befinden, blendet es nicht. Außerdem sollte man ja auch frühmorgens zur Andacht kommen und nicht erst, wenn auch der letzte ausgeschlafen hat. ;)
 
Pelzer, 11.12. 2008, 20:23 <?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:eek:ffice:eek:ffice" /><o:p></o:p>
Frage über Ostung.<o:p></o:p>
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Habe einmal gehört, daß auch vorchristliche Heiligtümer astronomisch geostet waren. Die christlichen Nachfolgebauten übernahmen oft diese Fundamente. <o:p></o:p>
Dann gab es eine Periode, in der die Achse auf den Sonnenaufgang am Kalender-Festtag des Patrons ausgerichtet wurde. Hauptsächlich war der Altar im Osten des Gebäudes; es gibt aber auch „verkehrte“ Kirchen, bei denen sich der Altar im westlichen Teil befindet. <o:p></o:p>
Dunkel kann ich mich erinnern: Es soll ein Verbot der „Mode“ des Ausrichtens auf den Sonnenaufgang gegeben haben. Die Kirchen sollten vielmehr genau geostet werden. Ob das in der Barockzeit war, weiß ich nicht. Moderne Kirchen, deren Gründung im bereits verbauten Gebiet erfolgte, richten sich oft nach den örtlichen Gegebenheiten. <o:p></o:p>
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Im Lauf der Jahre fielen mir auch Kirchen oder Kapellen auf, die offenbar eine bestimmte geographische Richtung angeben sollen. Ich bin mir da nicht ganz sicher, aber zwei Beispiele geben mir zu denken.<o:p></o:p>
Die St. Anna Wallfahrtskirche in Kreuzberg / Freyung dürfte auf die Linie vom Külmitzberg bei Altenkunstadt, Lichtenfels / Bayern - zum Gipfel des Ötschers in Niederösterreich bei Scheibbs ausgerichtet sein. <o:p></o:p>
Die Kapelle Trpnouze / Hranice bei Nové Hrady (Gratzen) scheint die Richtung zur Burgruine Prandegg bei Freistadt / Oberösterreich anzugeben. Diese Kapelle wurde erst im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts gebaut, anstelle eines großen Holzkreuzes. Falls die Richtung gewollt festgelegt wurde, so müßte zu dieser Zeit der Sinn dieser Ausrichtung noch bekannt gewesen sein. <o:p></o:p>
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Über die Ostung der Wiener Stephanskirche erinnere mich an Folgendes: Der Grundstein wurde an einem freien Platz mit freier Sicht nach Osten gelegt. Die Verbauung stammt aus jüngerer Zeit. Die Orientierung wurde von Maria G. Firneis und Christian Köberl untersucht. Der Befund lautet: Ausrichtung auf den Stephani-Tag, nicht auf die WSW. Das Ergebnis ist bemerkenswert, weil das tägliche Fortschreiten des Sonnenaufgangs-Punktes zu dieser Zeit sehr gering ist. Leider habe ich keine Literaturangaben. Maria Firneis hat mit C. Köberl auch die wiederentdeckte „Virgilkapelle“ untersucht, die neben dem Stephansdom beim U-Bahnbau angeschnitten wurde. Es gibt auch Untersuchungen der Autorin über alte ländliche Kirchen. Z.B.: Firneis, M. und Köberl, C. (1982) Untersuchungen zur astronomischen Orientierung der Kirchen von Unterfrauenhaid und Pilgersdorf (Burgenland). Sitzungsberichte d. Österr. Akademie d. Wissenschaften, math.-nat. Kl. 191, 479-94. <o:p></o:p>
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Leider habe ich die Frage erst jetzt beim Stöbern gefunden. Doch vielleicht sind meine Hinweise noch brauchbar.<o:p></o:p>
Viele Grüße an Alle, ErnstK. <o:p></o:p>
 
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