Paläographie-Rätsel

El Quijote

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Ich schaue mir derzeit die Biblia Hispalense/den Codex Toletanus an, eine wohl in Sevilla im 10. Jhdt. entstandene lateinische Bibel in sogenannter westgotischer Schrift (das heißt, was sich -u- liest muss mit einiger Wahrscheinlichkeit als -a- gelesen werden). Mich interessieren zwar in erster Linie die von arabischer Hand eingefügten Glossen, aber mir ist auch etwas aufgefallen, was offenbar zum ursprünglichen Layout der Biblia Hispalense gehört, was ich aber nicht wirklich deuten kann.

Hispalense-Toletanus.jpg


Ich verstehe den Sinn dieser Gebilde nicht, sehe nur, dass hier Zahlen drin stehen.

Die ganze Bibel findet ihr unter Biblia hispalense, der von mir gewählte Ausschnitt stammmt von Seit 703, es handelt sich um den Text des 1. Petrusbriefes.
 
Schuppen von den Augen! Du hast Recht! Es handelt sich um Inhaltsanagben der Kapiteleinteilung des Petrusbriefes (oder der Petrusbriefe). Auch wenn das -s- ein wenig aussieht wie ein -r- in der karolingischen Schrift kann ich in der rechten Spalte (eigentlich mittleren, weil es drei Spalten sind) Petrus apostolus Iesu Christi electis advenis dispersionis Ponti Galatiae Cappadociae Asiae et Bithyniae halb entziffern und halb erraten (wobei ich hier aus dem Vulgata-Text kopiert habe und die Stelle mir doch vom Vulgata-Text abzuweichen scheint, z.B. steht da nicht Iesu Christi sondern xr:i Ihū (Kürzungszeichen nur sehr unperfekt wiedergegeben). Das ist mir auch schon an anderen stellen aufgefallen. Z.B. gibt es eine Interlinearglosse in Gen. 38, wo ein interlinearglossierende Schreiber filiū rubeū für filum rubens, 'roter Faden' und nicht filium rubrum ('Sohn, Brombeere') über coccinum (infantum unus protulit manum in qua obsetrix ligavit coccinum - ein Kind schob eine Hand heraus, die Hebamme band ihm ein Scharlach[bändchen] darum). Kontext: Es wird die Geburt der Brüder Perez und Serach beschrieben und um den Erstgeborenen zu markieren, bindet die Hebamme Serach das Band um das Handgelenk, der zieht aber seine Hand in den Mutterleib zurück und es ist Perez, der zuerst herauskommt. Der Interlinearglossierende konnte offenbar mit dem Begriff coccinum nichts anfangen und übersetzte ihn sich in seiner vulgärlateinisch-andalusisch-romanischen Sprache im Sevillaner Dialekt des 10. (oder 11.?) Jhdts. als 'roter Faden'.

filium rubeum.jpg
 
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Das ist sehr interessant sich durch die Seiten zu klicken. Es haben sicher verschiedene Schreiber an den roten Zusätzen gearbeitet. Könnten das persönliche Zeichen der Schreiber sein: Seite 640, 665.
Ist Seite 413 eine Art "Wörterbuch"?
Aufgefallen ist mir auch die eigene Schreibweise der römischen Zahlen. Auf Seite 142 gut zu sehen. Die 5 ist nicht V, sondern ein waagrechter Strich, rechts abgeschlossen durch einen senkrechten Strich.
Auch scheint man die 9 nicht als IX zu kennen. Das schreibt man hier mit der beschriebenen 5, plus 4 weitere senkrechte Striche. War das im Frühen Mittelalter so üblich?
 
Ist Seite 413 eine Art "Wörterbuch"?
Das ist der Stammbaum von Adam bis Abraham.

Aufgefallen ist mir auch die eigene Schreibweise der römischen Zahlen. Auf Seite 142 gut zu sehen. Die 5 ist nicht V, sondern ein waagrechter Strich, rechts abgeschlossen durch einen senkrechten Strich.
Auch scheint man die 9 nicht als IX zu kennen. Das schreibt man hier mit der beschriebenen 5, plus 4 weitere senkrechte Striche. War das im Frühen Mittelalter so üblich?
Ja, man hat eher addiert als subtrahiert.

Ich habe gestern noch mal paläographische Literatur gewälzt und bin dabei auf den Hinweis gestoßen, dass das Symbol Γ "Kapitel" heißt und vermutlich ein abstrahiertes C ist, was interessant ist, weil das lateinische C und G sich ja beide aus dem griechischen Gamma (Γ) entwickelt haben, das C hätte also in der mitt3lalterlichen Paläographie gewissermaßen eine Rolle rückwärts gemacht.
 
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