Das ist ja mal wieder eine schöne an-einander-vorbei-Diskussion. Wenn die Fragestellung hier ist, ob ein Attentat politisch wirksam ist, ist es ABSOLUT IRRELEVANT ob man nun Allende für einen Tyrannen hält (was auch ich nicht aus dem Beitrag gelesen habe) oder nicht. [...] Es kann nur um die völlig wertfreie Beleuchtung der Frage gehen, ob es WIRKSAM ist.
Niemand hier in der Diskussion hat Allende für einen Tyrannen gehalten. Es handelte sich um ein Missverständnis zweier Teilnehmer. Die Frage lautete aber anders: Nicht, ob ein politisches Attentat
wirksam sei, sondern ob es
vertretbar sei. Natürlich kann man die Wirksamkeitsdiskussion hier einbauen, denn nur dann, wenn man überzeugt ist, dass ein Attentat
wirksam ist, kann es nach überpositivem Recht auch
vertretbar sein.
Insofern verstehe ich auch Quijotes erneute Zitate aus dem Grundgesetz hier nicht. Ist das nun die Bibel für uns? Das Grundgesetz ist für den Historiker ein historisches Dokument wie alle anderen auch. Schwärmen ist unwissenschaftlich.
Das GG steht nicht isoliert im Raum, sondern ist das Produkt einer historischen Erfahrung und einem aus der Erfahrung abgeleiteten philosophischen Standpunkt, der in juristische Formen gegossen wurde. Insofern hat dass GG, ohne "die Bibel für uns" zu sein durchaus etwas in dieser Diskussion zu suchen.
Nun muss man eine Besonderheit der tunesischen Verfassung kennen: Der Staatspräsident regiert auf Lebenszeit, es sei denn er tritt zurück oder wird von einer Reihe wichtiger Ärzte für meschugge erklärt. In diesem Fall wird der Premier automatisch Staatspräsident auf Lebenszeit - eine charmante Regelung. Nach ein paar Wochen hatte Ben Ali, der nun Premier geworden war, die nötigen Ärzte zusammen, ließ Ben Bourghiba für mentus captus erklären und wurde somit Präsi for Life. Und nun geschah etwas wirklich bemerkenswertes: Ben Ali ließ fast alle politischen Gefangenen frei. Er wusste wohl, dass es nicht nötig war, diese Leute verschimmeln zu lassen. Das nenne ich wirkungsvoll.
Das ist ein wirklich interessantes Beispiel. Auch ohne Gewaltanwendung lassen sich also in verfassungsgemäß schwierigen Lagen die Köpfe auswechseln. Aber auch dies ist ein Beispiel dafür, dass die Anwendung von körperlicher Gewalt eben nicht notwendig war, um den Führungswechsel zu vollziehen. Der geschah in diesem Beispiel aus dem innersten Zirkel der Macht. Das ist beim Attentat anders. Hier ist es i.d.R. nicht der innerste Zirkel der Macht, von dem das Attentat ausgeht. Dies ist meist eher in Regierungsformen der Fall, die auf dem dynastischen Prinzip beruhen (was dann aber Mord ist, ergo niemals vertretbar).
Nikolaus von Rußland. Wer tot ist kann nicht restauriert werden. Der Mord am Zaren und seiner nächsten Familie hat die Herrschaft der Räte wesentlich gefestigt. Der Adel konnte sehen, was einem blühen würde der sich regt. Die, die den Adel hassten, wurden ermutigt alles gegen ihre Feindbilder zu tun, was sie nur wollten.
Die Frage ist natürlich, ob man hier noch von einem Attentat sprechen kann. Der Zar und seine Familie waren Gefangene. Hier handelt es sich nicht um ein Attentat im eigentlichen Sinne, sondern um Mord durch die Machthaber. Wenn dieser auch in der Bürgerkriegslogik (ohne ihn damit schönreden zu wollen) nachvollziehbar ist.
ein politisches Attentat auf eine Einzelperson wird nur dann eine Wirkung erzielen, wenn diese Einzelperson besonders herausragt und sei es nur durch Charisma. Oder wenn diese Einzelperson unersetzlich für das herrschende System ist.
Die Frage ist halt, ob das wirklich funktioniert. Nehmen wir Hitler: Als der Krieg endlich aufhörte, war dieser schon eine Woche tot. Obwohl Deutschland eigentlich schon längst endgültig geschlagen war. D.h. das nationalsozialistische System funktionierte auch nach dem Tod der Figur auf die es zugschnitten war, bei aller Kriegsmüdigkeit weiter.
Ohne das hier zu vertiefen kann man natürlich mögliche Gründe dafür finden, etwa die Wirkung der antisowjetischen Greuelpropaganda.
Aus dem Mittelalter wurde kein Beispiel genannt, kann es da keins geben, weil alle poltischen Umstürze gescheitert sind? Oder war die Hinrichtung Müntzers im heutigen Sinn auch ein politisches Attentat?
Da ging es eben nicht um den Wechsel eines Systems, sondern meist um (inner)dynastische Interessen.
Ein mittelalterliches Attentat, erschütterte die römisch-katholische Welt derart, dass es noch hundert Jahre später die Dichter (hier den Tannhäuser) anregte zu dichten.
Ez sluoc ein wip ir man ze tode und al ir kint geswinde
sluoc si ze tode, seht, daz was dem man unmazen zorn.
ze tode sluoc er si herwider und allez ir gesinde
sluoc er ze tod, doch wurden sider kint von in geborn.
Got hiez werden einen man,
der nie geboren wart von frouwen libe.
diu vater noch muoter nie gewan,
die nam er im ze wibe.
Dar nach ein hunt erbal,
daz alle liute, die do lebten, horten sinen schal.
Diu erde ist hoher danne der himel, daz hant die wisen meister wol befunden
hie vor bi manegen stunden.
Ein kint daz sluoc den vater sin, do'z in der muoter was,
do er den andern kinden sanc von got und in die rehten warheit las.
Patrem progenies occidit matris in alvo.
In diesem Rätsel geht es um die Ermordung Thomas Beckets.
Hitler für einen austauschbaren Funktionsträger zu halten finde ich schon speziell.
Der Mann war der Motor der Bewegung, für die er stand. Seine folgenreichsten Untaten hatten wenig mit sozial oder national zu tun, sondern wohl eher mit seinen psychischen Defekten.
Nun kann man sich fragen, ob die "gläubigen Nationalsozialisten" in Schlüsselfunktionen eher danach ausgesucht waren, dass sie ähnliche Wahnideen hatten wie Hitler, oder ob Hitler es eher vermocht hatte, sie von seinen Wahnideen zu begeistern. Ich tippe auf die zweite Variante, weil Wahnideen dazu neigen, einem einzelnen kranken Hirn zu entspringen. Ist dieses Hirn aber charismatisch - was man Hitler wohl oder übel zugestehen müssen wird - so kann es andere von den eigenen Ideen begeistern, besonders wenn diese den Nerv der zeit treffen. Und das war offensichtlich der Fall, wenn man sich die Vielzahl der nationalistischen faschistoiden Bewegungen jener Zeit anschaut.
Hitler war zwar sicherlich ein "defizitärer Charakter", aber er stand da eben nicht allein. Das Problem ist doch, dass "potentiell faschistische Individuen" (eine Wendung Adornos) in Deutschland und Österreich zur Genüge bereit standen, um einen autoritären und totalitären Staat aufzuziehen und mit diesem einen Krieg zu führen und dabei einen Massenmord zu organisiseren, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. das auf Hitlers psychische defekte zurückzuführen ist die Entschuldungsstrategie der 50er und 60er Jahre.