Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg

Einiges war eigentlich nicht so "rückwirkend". Deutschland hatte den Kellog-Briand Pakt unterzeichnet, der Krieg völkerrechtlich ächtete. Von daher waren Anklagen wegen "Führen eines Angriffskriegs" nicht völlig nachträglich konstruiert.
 
lili schrieb:
Außerdem wurde der Grundsatz "nullum crimen, nulla poena sine lege" verletzt, da Angeklagte z.T. für Verbrechen verurteilt wurden, die zum Tatzeitpunkt noch gar nicht verboten waren.
Ich sehe keinen "Schnitzer" darin, dass sich der IMT 1945 weigerte, den strafrechtlichen Grundsatz "nulla poena sine lege" (keine Strafe ohne vorheriges Gesetz) zu beachten. Der nulla-poena-Grundsatz gehört zu entwickelten Strafrechtsordnungen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie kodifiziert sind, detaillierte Definitionen der Straftatbestände und der zu verhängenden Strafen enthalten und so umfangreich ausgestaltet sind, dass sie als abgeschlossen gelten können. Das Völkerrecht des Jahres 1945 hingegen bestand überwiegend aus Gewohnheitsrecht und war in vielen Bereichen ziemlich löchrig. Nun ausgerechnet einen Rechtsgrundsatz, der eine entwickelte Rechtsordnung voraussetzt, auf eine nur wenig entwickelte Rechtsordnung übertragen zu wollen, halte ich für gar nicht sachgerecht.

Zudem weiß man einfach, dass bestimmte Taten wie zum Beispiel Mord, Totschlag, Misshandlung, etc, zur Schwerkriminalität gehören. Dennoch haben sich die in Nürnberg Verurteilten auch an solchen Handlungen beteiligt. Gibt es eigentlich einen vernünftigen Grund anzunehmen, dass diese Handlungen unterlassen worden wären, wenn diese zuvor durch internationale Konventionen unter Strafe gestellt worden wären?
Einiges war eigentlich nicht so "rückwirkend". Deutschland hatte den Kellog-Briand Pakt unterzeichnet, der Krieg völkerrechtlich ächtete. Von daher waren Anklagen wegen "Führen eines Angriffskriegs" nicht völlig nachträglich konstruiert.
Der Kriegsächtungspakt stand dem "Kampf um Lebensraum im Osten", der Erschaffung der neuen "völkischen Raumordnung", fundamental entgegen. Dementsprechend erregten sich die regimetreuen deutschen Völkerrechtler der NS-Zeit über dieses Vertragswerk. Sie beklagten, die vom Kriegsächtungspakt gegenüber dem Angreifer ausgehende diskriminierende Wirkung und dass der Angriffskrieg in der "neueren völkerrechtlichen Literatur" als "criminal international" bezeichnet wurde.

Zudem war den Zeitgenossen der 30er Jahre durchaus klar, dass ein neuer Krieg "total" sein würde und verheerende Formen annehmen konnte. Da schon nach dem Ersten WK seitens der Alliierten die Auslieferung des Kaisers gefordert wurde, um diesen als Kriegsverbrecher aburteilen zu können, konnte man sich 1939 an den fünf Fingern ausrechnen, dass die Sieger nach einem abermals verlorenen Weltkrieg, ein Strafgericht durchführen würden. Freilich dachte man 1939 nicht so sehr an eine Niederlage; dafür sprach man aber 1945 umso mehr von "Siegerjustiz".
 
Ich finde ihr Vorgehen im Falle des Massakers von Katyn sehr fragwürdig, zudem wirft der Hitler-Stalin-Pakt ein doch eher ernüchterndes Bild auf die Politik der SU.

Ja aus heutiger Sicht ist es ein ernüchterndes Bild.

Wobei man muss schon sehen, dass der Hilter-Stalin-Pakt den Amerikaner, Briten und Franzosen bekannt war. Sie stuften das Thema auch als heikel ein. Das kann man nachlesen bei Telford Taylor, Die Nürnbergerprozesse, S. 234, 361, 389,

Es war den russischen Ankläger auch unangenehm über dieses Abkommen zu sprechen, Taylor, S. 410

Hier eine interessante Rezension:

http://www.sehepunkte.de/2006/11/6764.html


Ich finde es aber trotzdem legitim, dass die Sowjetunion einen Teil der Anklage übernahm. Schliesslich geschah auf russischem Boden mehrere Kriegsverbrechen und die Anzahl der Opfer (alleine in Lenningrad 1 Million) sprechen für sich.


Hier noch wie das Tribunal mit dem Massaker umging:
http://www.h-ref.de/tricks/katyn/katyn.php

Zitat aus dem Link, T. Taylor, Die Nürnberger Prozesse, S.738f:

Damals gab es zwar noch keinen klaren Beweis dafür, daß dafür eher die Russen als die Deutschen verantwortlich waren; aber viele dachten sich das schon, und damit hatte der Gerichtshof ein weiteres heißes Eisen. Klugerweise gestattete er sowohl den Russen wie den Deutschen, über das Massaker für Katyn ihre Aussagen abzugeben, erwähnte jedoch den ungeheuren Vorfall in der Urteilsbegründung mit keiner Silbe.

Und hier findet man auch noch einen Prozessbericht:
http://www.shoa.de/content/view/349/53/
 
Zuletzt bearbeitet:
Manchmal denke ich, vielleicht wäre für den Osten eine eigene Reihe von Przessen nötig gewesen, die klar auf den Vernichtungskrieg und den Holocaust fokussiert gewesen wären.

Was ich auch sehr bitter finde, sind die vor allem in den Nürnberger Nachfolgeprozessen ausgesprochenen Strafmilderungen.. das spottet zum Teil jeder Beschreibung.
 
Nürnberger Prozesse und die Öffentlichkeit

Hat jmd vielleicht gute Links zum Thema Nürnberger Prozesse und wie sie von der Öffentlichkeit aufgenommen worden sind??

Auch Infos über die jeweiligen Berichte zu den Prozessen wären mehr als willkommen!
 
Hat jmd vielleicht gute Links zum Thema Nürnberger Prozesse und wie sie von der Öffentlichkeit aufgenommen worden sind??

In der deutschen Öffentlichkeit wurde der Prozess kaum war genommen.

Topographie des Terorrs schrieb:
Wahrnehmung des Prozesses in der deutschen Öffentlichkeit


Der Prozeß stieß zumindest in der Anfangs- und Schlußphase auf ein umfangreiches Medieninteresse. Zeitweise wurde er von mehr als 200 Pressevertretern aus aller Welt verfolgt. Deutsche Journalisten waren dabei in der Minderzahl. Lediglich sieben Plätze waren im Gerichtssaal für deutsche Pressevertreter vorgesehen, die sowjetische Delegation gab fünf ihrer eigenen Presseplätze an deutsche Journalisten aus der sowjetischen Besatzungszone ab.

Da nur wenigen Deutschen erlaubt wurde, als Zuhörer an dem Verfahren teilzunehmen, fand der Prozeß und die mit ihm verbundenen Fragen von Schuld und Verantwortung in der breiten deutschen Öffentlichkeit nur wenig Widerhall. Die Aufmerksamkeit der Bevölkerung galt in erster Linie den schweren Herausforderungen des Nachkriegsalltags, die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit wurde weitestgehend in den Hintergrund gedrängt. Für viele Deutsche war es ein Prozeß der Alliierten.

Hier findest du Prozessberichterstattungen:

http://www.topographie.de/imt/index.html

Vielleicht hast du das ja auch schon:

Ansgar Diller (Hrsg.): Berichterstattung über den Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46, Potsdam 1998

Gerd R. Ueberschär: Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943 - 1952

http://www.dir-info.de/literatur/ns_vor_gericht.shtml
 
Danke Euch.

Wie ich inzwischen nach ein bissl Recherche herausgefunden habe, hilft einem hier das Netz nicht wirklich weiter.

Ein bißchen verblüfft hat mich der extreme Meinungswandel zu den Prozessen, so stand nach Umfragen ein guter Teil der Deutschen dem Prozeß und vor allem einem fairen Ablauf desselbigen ja positiv ggüber.

"Wenig" später wandelt sich dieses Bild radikal, denn in den Vordergrund treten nun Bestrebungen, das Geschehene möglichst zu verdrängen und zu vergessen, auch unter Hinnahme von Strafmilderungen von erwiesenen und berüchtigten NS-Verbrechern.
Besonders bitter finde ich hier die Rolle der Kirchen, die sich - so etwa die EKV - auch für eine Amnesie von Verbrechen einsetzen.

Dem Prozeß sind wohl am ehesten

A) die Kollektivschuldthese
B) der Vorwurf der Siegerjustiz

in die Quere gekommen.

Und zum Teil läßt sich die Kritik am Prozeß durchaus gut nachvollziehen.

Jedoch ist die Abneigung (oder überkritische Haltung) auch - so zumindest aus meiner Sicht - eine Art vorgeschützte Trotzhaltung, denn hätte sich jmd nach eine Auseinandersetzung mit dem Geschehenen nicht fragen müssen, was die eigene Rolle oder Verwantwortung in diesem System war?
Waren die schockierenden Enthüllungen, die sicher eine gewisse Wucht entwickelten, wirklich so neu? Hat man wirklich nichts gewußt oder wollte mann nichts wissen?

Die Reaktionen der Deutschen, die sich entwickelnde heftige Abneigung gg Nürnberg lassen für mich jedenfalls auf ein durchaus vorhandenes Schuldbewußtsein schließen, die Heftigkeit der Ablehnung ist für mich hier ein Indiz.

Allerdings ändert dies jedoch wenig daran, daß Nürnberg trotzdem einen Meilenstein in der Geschichte des Rechts, darstellt.

Schade nur, daß in den folgenden Jahrzehnten so wenig daraus gemacht wurde.. und schade, daß es bis in die Sechziger Jahre dauerte, bis man die NS Vergangenheiten - wenn auch auf plakative Weise ("Unter den Talaren Muff von tausend Jahren") thematisierte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich finde es auch bemerkenswert,dass nur ein Teil der Hauptschuldigen angemessen für ihr vergehen bestraft wurden: Rudolf Hess hätte nach meiner Sicht nicht lebenslänglich sondern die Todesstrafe bekommen müssen,Albert Speer lebenslänglich usw.:grübel: Die Amerikaner wollten nur mit den Nürnbergernprozessen Geschichte machen und haben daher den Krieg als Hauptverbrechen gesehen,jedoch ist der Holocaust bzw.Shoa (so nennen es die Juden) ein härteres Verbrechen,was niemand entschuldigen kann und was es in der Geschichte noch nie gegeben hat! Krieg haben die Alliierten schon mehrere Male geführt und jeder Krieg ist ein totaler Krieg und geplanter Krieg;dies war auch beim Ersten Weltkrieg so!

Gruß und wink Victoria
 
Ich finde es auch bemerkenswert,dass nur ein Teil der Hauptschuldigen angemessen für ihr vergehen bestraft wurden: Rudolf Hess hätte nach meiner Sicht nicht lebenslänglich sondern die Todesstrafe bekommen müssen,Albert Speer lebenslänglich usw.:grübel:

Über das Strafmass lässt sich sicher diskutieren.

Die Amerikaner wollten nur mit den Nürnbergernprozessen Geschichte machen und haben daher den Krieg als Hauptverbrechen gesehen,jedoch ist der Holocaust bzw.Shoa (so nennen es die Juden) ein härteres Verbrechen,was niemand entschuldigen kann und was es in der Geschichte noch nie gegeben hat! Krieg haben die Alliierten schon mehrere Male geführt und jeder Krieg ist ein totaler Krieg und geplanter Krieg;dies war auch beim Ersten Weltkrieg so!

Gruß und wink Victoria

Ich bitte dich keine Polemik hier reinzubringen.

Es ging nicht nur um den Krieg. Hier sind die Anklagepunkte:

Anklagevertretung
- Anklageschrift
- Anklagepunkt 1: Verschwörung
- Anklagepunkt 2: Verbrechen gegen den Frieden
- Anklagepunkt 3: Kriegsverbrechen
- Anklagepunkt 4: Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Beim Punkt 4 ist der Holocaust drin.

Aus den Beweisvorträgen der Anklagebehörde
- Das Hoßbach-Protokoll
- KZ-Filme als Beweismaterial
- Die Schmundt-Notizen
- "Zwangsarbeit - wirtschaftliche Ausplünderung -
Verbrechen gegen die menschlichen Lebensgrundlagen"
- Zeugin Madame Vaillant-Couturier
- Oradour-sur-Glane
- Zeuge der Anklage:
Generalfeldmarschall Friedrich Paulus
- "Das Verpflegen von Kriegsgefangenen
ist eine mißverstandene Menschlichkeit"
- "Technik der Entvölkerung"
- "12 Gebote für das Verhalten der Deutschen
im Ostraum und die Behandlung der Russen"
- Lidice und andere
- Jüdische Babys in Auschwitz

Also bitte zuerst richtig informieren, dann schreiben.
 
Über das Strafmass lässt sich sicher diskutieren.

Naja, ich weiß nicht, ob es da wirklich etwas zu diskutieren gibt.
Vor allem die Herabsetzungen der Strafen in den Nürnberger Nachfolgeprozessen (1951) stellen für mich schon die Errungenschaften der Prozesse in Frage.. in jedem Fall hinterlassen diese "Milderungen" einen sehr bitteren Nachgeschmack. :(

Wenn es von Interesse ist, kann ich ja mal Tabellen mit den Verurteilungen und den anschließend tatsächlich verbüßten Strafen posten.. leider sehr ernüchternd.
 
Naja, ich weiß nicht, ob es da wirklich etwas zu diskutieren gibt.
Vor allem die Herabsetzungen der Strafen in den Nürnberger Nachfolgeprozessen (1951) stellen für mich schon die Errungenschaften der Prozesse in Frage.. in jedem Fall hinterlassen diese "Milderungen" einen sehr bitteren Nachgeschmack. :(

Wenn es von Interesse ist, kann ich ja mal Tabellen mit den Verurteilungen und den anschließend tatsächlich verbüßten Strafen posten.. leider sehr ernüchternd.

Es wird immer wieder über das Strafmass diskutiert, vor allem eben wie du schon angesprochen hast über die "Milderungen".

Wegen mir musst du die Tabelle nicht posten, ich bin darüber informiert. Aber vielleicht ist es ja für andere von Interesse.
 
Wenn es von Interesse ist, kann ich ja mal Tabellen mit den Verurteilungen und den anschließend tatsächlich verbüßten Strafen posten.. leider sehr ernüchternd.

Daran wäre ich sehr interessiert!

(Das "diskutieren" von ursi habe ich allerdings in der anderen Richtung verstanden, bereits auf zu milde Strafen in einigen Fällen)
 
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