Pseudonyme in der Wissenschaft

Amalaswintha

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Bekanntermaßen können Namen eine Bürde bedeuten. Aus Literaten- und Künstlerkreisen sind Pseudonyme als gängig vertraut, doch wie sieht es in der Wissenschaft aus? Gibt oder gab es da auch Träger von Pseudonymen?

Bin da selbst total überfragt und freue mich hier auf Eure Beiträge :winke:
 
Es kam in der Neuzeit durchaus öfter mal vor. Wissenschaftler konnten rasch in die Fallstricke der Fürstenpolitik geraten, verwendeten daher bei tendenziell umstrittenen Werken Pseudonyme.

Dies kenne ich besonders von diversen Staatsrechtlern; ein bekanntes Beispiel ist Samuel Pufendorf:

Zu großer und schon zeitgenössischer Bekanntheit brachte es außerdem seine Charakterisierung der Verfassung des Heiligen Römischen Reichs als einem „irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körper“ (irregulare aliquod corpus et monstro simile).[8] Dieses Urteil, zu welchem er in einer großen Studie über den Zustand des Reiches kommt (De statu imperii Germanici von 1667) machte ihn rasch zum bedeutendsten aber auch umstrittensten Denker der Reichspublizistik, obgleich er seine Reichsverfassungsschrift zu Lebzeiten nur unter Pseudonym (Severinus de Monzambano) veröffentlicht hatte.

Samuel von Pufendorf ? Wikipedia
 
In der Buchhandlung habe ich heute Nicolas Bourbaki erspäht – im französischen Orginal wohlgemerkt! Bourbaki, der Wikipediaartikel beschreibt es ja, war das Pseudonym eines frankophonen Autorenkollektivs, das eine Reihe gleichermaßen berüchtigter wie stilbildender Mathematiklehrbücher verfasst hat. Hier findet man dazu auch noch einen recht kurzweiligen FAZ-Artikel.

Ein ähnlicher Fall ist L.T.F. Gamut. Das ist ein Pseudonym niederländischer Logiker, die eine bekannte zweibändige Einführung in die Logik (Logica, taal en betekenis , bzw. engl.Übersetzung Logic, language and meaning) veröffentlicht haben.

Das gibt es in der Moderne also auch abseits von Fürstenpolitik .
 
Ich bin begeistert und überrascht zugleicht! :yes:

Vor vielen Jahren hatte ich nämlich einmal gehört, dass die Verwendung von Pseudonymen in der Wissenschaft verpöhnt und geradezu tabu sei, aber das ist ja dann wohl nicht ganz so richtig gewesen.
Ich frage mich aber weiter, ob das in der heutigen Zeit mit seiner medialen Vermarktung von Wissenschaft überhaupt noch möglich wäre und ob hier Wissenschaftler noch die Aura des Geheimnisumwitterten und Incognitobehafteten aufrecht erhalten könnten, wenn schon die Verlage auf die Klarnamen drängen würden...

Für die Verwendung von Pseudonymen könnte man vielleicht anführen, dass dies eher einer Wissenschaft 2.0 entspräche, wo wir uns doch zusehends in einer Welt aus Avataren und Scheinidentitäten bewegen :cool:.

Aber toll ist es allemal!
 
Wobei hier wohl zwischen Geistes und Naturwissenschaft unterschieden werden muss. Und wenn Du Dir die Liste der Latinisierten und der Gräzisierten Namen anguckst, wurde das meist auch nur bis in die Renaissance gemacht.
Es sieht also eher so zu sein das Geisteswissenschaftler sich "Künstlernamen" zugelegt haben. Wobei hier ja auch die Gefahr für den einzelnen höher war, bzw., wenn ich die Chemie und Physik sehe, deren große Zeit begann erst kurz vor der französischen Revolution.

Apvar
 
Seit etwa zehn Jahren macht ein gewisser Christoph Luxenberg Furore, der sein Pseudonym wohl an den Physiker und Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799) angelehnt hat. Wer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, ist unbekannt. Die unter diesem Pseudonym veröffentlichten Thesen stehen in der Kritik (wobei der Wikipedia-Artikel überaus wohlwollend ist, die Kritik beinahe ausspart).
 
Es gab Emigranten, die ihre Namen in ihren Emigrationsländern änderten. Aus dem in Wien geborenen Kulturhistoriker Peter Fröhlich wurde in den USA Peter Gay, aus dem aus München stammenden Religionswissenschaftler Fritz Rosenthal in Palästina Schalom Ben-Chorin.
 
Pseudonym:
Albategnius / Albategnus / Albateny / Mohammed ibn-Dschahir
bürgerlicher Name:
Al- Battani
Gebiet:
arabischer Astronom und Mathematiker des 9. Jh.

Pseudonym:
Nicolas Bourbaki
bürgerliche Namen:
Henri Cartan, Claude Chevalley, Jean Delsarte, René de Possel, Jean Dieudonné, André Weil
Gebiet:
Gruppenpseudonym französischer Mathematiker

Beispiele aus Wiki
 
Seit etwa zehn Jahren macht ein gewisser Christoph Luxenberg Furore […]
Einige kurze Anmerkungen dazu, weil sich bei eigentlichen Threadthema gerade nicht so viel tut und Du das Thema zur Not abtrennnen kannst.

Beim Thema Luxenburg bin ich ziemlich zwiegespalten. Auf der einen Seite habe ich erhebliche Zweifel an der Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit. Auf der anderen Seite kann man nicht absprechen, dass seine Arbeit keinen Einfluss auf die Wissenschaft gehabt hat und ich meine nicht unbedingt auf negative Weise.

Zur Kritik: Ich glaube nicht, dass Luxenberg einen akademischen Abschluss im Bereich Semitistik hat. Dafür sind seine Fehler zu zahlreich, zu haarsträubend. Seine haupstächlichen Gewährsmänner sind Nöldeke und Brockelmann – die zu benutzen ja legitim ist –, praktisch vollständig fehlt aber Interaktion mit aktueller Literatur – was ein erheblicher Mangel ist. So habe ich nach wie vor keine Ahnung, wie er z.B. behaupten kann, das Nominalmuster faʿʿāl sei im Arabischen eine Aramäische Entlehnung[1] und nicht etwa ein gemeinsemitisches Erbe. Da kann er noch so sehr Nöldeke und Brockelmann bemühen; aktuelle Werke sagen etwas anderes. Imho zu Recht. Überhaupt erklärt er häufig gemeinsam ererbte Wörter im Arabischen und Aramäischen als Aramäische Lehnwörter. Seine Neudeutungen von Koranversen sind oft zwar ausgegenommen kreativ, aber auch ebenso unplausibel. Dazu nervt sein unentwegter und unsachlicher polemischer Stil mitsamt seiner unwissenschaftlichen und unphilologischen Methodik. Umschriften wie beispielsweise "Engel" als malākē[2] zeugen auch nicht von besonderer Expertise des Syrischen. Wenn er ab und zu Plaubibles vorträgt – so z.B., dass ى mitunter für ā und nicht nur ī steht und Abrāhām wohlmöglich die bessere Lesart als Ibrāhīm[3] ist für ابرىم – geht Luxenburg äußerst sparsam mit Verweisen auf aktuelle Literatur um und arabische Traditionen um, die das auch postulieren. Bei Interesse und Zeit könnte man das auch noch ausführlicher darstellen.


Was im Zuge der Luxenbug-Diskussion aber wirklich positiv ist, dass die islamische Frühgeschichte wieder kritisch in den Blick gekommen ist. Schließlich wissen wir über den Ursprung des Islam, des Koran, über Muhammad kein bisschen mehr als über z.B. Jesus. Eher noch weniger. So stellt dann ein Gelehrter wie Fred Donner[4] fest:
Those of us who study Islam’s origins have to admit collectively that we simply do not know some very basic things about the Qur’an – things so basic
that the knowledge of them is usually taken for granted by scholars dealing with other texts. They include such questions as: How did the Qur’an originate? Where did it come from, and when did it first appear? How was it first written? In what kind of language was – is – it written? What form did it first take? Who constituted its first audience? How was it transmitted from one generation to another, especially in its early years? When, how, and by whom was it codified? Those familiar with the Qur’an and the scholarship on it will know that to ask even one of these questions immediately plunges us into realms of grave uncertainty and has the potential to spark intense debate.[5]

Und die Debatte eben wieder ein ganzes Stück weiter ins Bewusstsein gerückt zu haben, musst man Luxenburg wohl ein wenig zugestehen.


PS: Entschuldigung für die wahrscheinlich vielen Fehler. Das geht wenigtens Teilweise auch auf die Uhrzeit.

[1] Luxenberg, Die Syroaramäische Lesart des Koran, 2000, Berlin, S .35, Fußnote 43.

[2] Ebenda, S. 35.

[3] Ebenda, z.B. S. 71. Das Arabische soll den Rasm darstellen. Es ist mir im Moment zu spät die Unicodezeichen ganz ohne diakritische Zeichen zu suchen.

[4] Einer der führenden Wissenschaftler was frühislamische Geschichte betrifft. Und seine beiden Monographien The early Islamic conquests und Narratives of Islamic origins gehören zu den Klassikern im Fach. Sein aktuelles Werk Muhammad and the believers ist deutlich revisionistischer und bezeugt einen interessanten Wandel in der Diskussion.

[5] Donner, The Qur’ān in recent scholarship in The Qur’ān in its historical Context hrsg. von G. S. Reynolds, 2008, Oxford, S. 29.
 
Danke für den ausführlichen Beitrag zu Luxenberg.

Und die Debatte eben wieder ein ganzes Stück weiter ins Bewusstsein gerückt zu haben, musst man Luxenberg wohl ein wenig zugestehen.

Ich habe seit etwa zweieinhalb Monaten Jürgen Udolph (Hrsg.): Europa Vasconica - Europa Semitica? Kritische Beiträge zur Frage nach dem baskischen und semitischen Substrat in Europa. Hamburg 2013 bei mir liegen. Beinahe jeder Beitrag beginnt damit, dass Vennemann dafür gedankt wird, dass er mal wieder Schwung in die historiolinguistische Debatte gebracht hat. Danach wird er von quasi jedem der Autoren dieses Buches, von Indogermanisten, Baskologen, Semitisten, Slavisten und Genetikern verrissen. Tenor: Er hat keine Ahnung von Historiolinguistik, von der Semitistik, Baskologie, Keltologie etc., seine Herleitungen seien willkürlich, er widerspräche sich selbst, einmal von ihm aufgestellte Lautgesetze würden beim nächsten Wort wieder ignoriert, er missachte geographische Zentren etc.

Es ist also durchaus so, dass jemand mit wissenschaftlich nicht haltbaren Behauptungen in der Wissenschaft einen Prozess anstoßen kann.
 
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