Quarantäne-Rede von Roosevelt

In # 5 hast Du Deutschland mit angesprochen gesehen. In # 9 hast du dann geschrieben, die Quarantäne-Rede sei im Kern eine "Japan-Rede". Letzere Wertung halte ich nach wie vor für falsch.
...
Der Anlass für FDRs Quarantäne-Rede stellte in der Tat die Jap.-Chin.-Krise dar.
Schön, dass diese Wertung nun verstanden wurde. Um mehr ging es mir nicht. Im Anlaß stimmen wir also überein.

Bleibt der Inhalt der Rede, der nach Deiner Auffassung von der Rooseveltschen Perzeption Hitlerscher Politik oder Ziele getragen worden ist. Hier haben wir unverändert eine unterschiedliche Bewertung. Verstehe ich das richtig: der Anlass war Japan (nun wollen wir Italien mit dem Spanischen Bürgerkrieg nicht vergessen), der Inhalt war aber Kontra-Hitler und befürchteter Eskalation deutscher Politik?

Der Inhalt der Rede kann mE in der Würdigung nicht vom Anlass (und vom Zeitpunkt, s.o.: nach den Kriegserfolgen der Japaner und vor der Konferenz) getrennt werden. Blockadevisionen für Europa (für die in Europa kein realistisches Szenario zu diesem Zeitpunkt vorlag, siehe Gibbs/Butler) sind damit anlaßbezogen auch den Blockade- oder Boykottüberlegungen für Fernost nachrangig. Hinzu kommt das konkrete Ringen, und die zeitweisen Rückschläge und Niederlagen um das Neutralitätsgesetz, bezogen auf China.

Ich würde die Rede daher weniger unter visionären Befürchtungen, als vielmehr unter pragmatischen Anlässen (jetzt etwas tun "müssen") einordnen. Entsprechend groß war auch seine Enttäuschung über die Reaktionen, auch die Brüsseler Konferenz endete nebenbei im Nichtstun für Fernost.

Abseits eurozentrischer Betrachtungen war mE für Roosevelt das Problem japanischer Aggression mindestens ebenso klar erkannt und - solange GB in Europa nicht kriegerisch verwickelt ist - auch das größere amerikanische Problem aufgrund der Flotte (die ersten USA-Rüstungsbemühungen zeigen doch klar, wohin/wogegen die Reise ging!). Die "Neue Ordnung" durch Japan wurde zwar erst mit dem Konoye-Statement Dez. 1938 publiziert, entsprach aber den langjährigen us-amerikanischen Analysen der japanischen Bedrohung und der gezogenen Schlüsse aus dem chinesisch-japanischen Konflikt.

Natürlich kann man alles immer visionär und prinzipiell begründen:
"to keep alive to the Japanese and to our own peeple our continued belief in certain fundamental principles which we are convinced furnish the only basis for healthy relationsships among nations. we believe in those principles, we can´t ignore theri disregard in one half of the world, and we consider that they should be regarded as applicable to all parts of the world."
(Die USA-Außenpoltik war jahrzehntelang bereits von diesen Prinzipen - auch vor Roosevelt - und der Intervention bei ökonomischen Bedrohungen/Gefährdungen der Freihandels-Grundsätze geprägt).
nach Kaehler, Die Rolle des amerikanischen Botschafters in Tokyo, Joseph C. Grew, u.a. S. 22+23.

Ach ja:
Du scheinst noch nie eine FDR-Biografie gelesen zu haben...
... "Viele Amerikaner" interessierten sich nicht für Europa, ihr Präsident schon ("wenn auch Roosevelt selbst seit 1933 Hitlers Politik kritisch verfolgte").
Musst Du dieses Niveau bemühen? Bislang war die Diskussion doch interessant, oder?

Sorry, wenn Dich die Zuspitzung auf "Mein Kampf" in Rage gebracht hat. Ich wollte damit natürlich keine Komplexitätsreduktion Deiner Aussagen betreiben, sondern den grundsätzlichen Unterschied beleuchten. Das war tatsächlich als Zuspitzung auf die Frage gemeint, ob die Rede eher visionären (Bezug Hitler) oder eben doch pragmatisch-anlassbezogenen Hintergrund (Bezug Japan/Italien) hat.

Zur Umformulierung der Rede: wieso sollte die Rede vom Brückenbau zur Außenpoltik wechseln? (solltest Du das tatsächlich oben so gelesen haben?)
Eine außenpoltisch zahme Rede wurde vielmehr zu einer Ruck-Rede umformuliert. Die Fähigkeiten dazu solltest du Roosevelt auf Grund der gelesenen Biographien zutrauen.


EDIT:
Eine weiteren Bezugpunkt wollte ich noch erwähnen und hatte ich oben ausgelassen:
Die Krisen-Wirtschaftspolitk der USA basierte wesentlich auf der Vorstellung, dass Exporte die 1937 wieder sprunghaft angestiegene Arbeitslosenzahl (plus 5-6 Mill.) durch Auslastung des Produktionsstockes besetigen können (paradox: 1936 wurde genau das durch Reduzierung des Staatsdefizites und durch die Mindestreservepolitk konterkariert). In der Sanierung spielte somit der "Freihandel" und Störungen desselben eine große Rolle für die USA und Roosevelt. Damit (natürlich nur u.a.) können auch die Sensibilitäten in Bezug auf Südamerika, als auch bezüglich China-Fernost zu diesem Zeitpunkt und in dieser Lage der USA besser verstanden werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
@G.d.Ä.: Vielen Dank! Könntest Du mir bitte noch die konkrete Seite zur Quarantäne-Rede zeigen?
silesia schrieb:
Musst Du dieses Niveau bemühen? Bislang war die Diskussion doch interessant, oder?
Ich will es mal so sagen: es ist nicht ungewöhnlich, das konkrete politische Handeln eines Politikers in einen Kontext zu seiner Biografie und seinem bisherigen politischen Handeln zu setzen. Wenn Du bereit wärest, dies bei FDR zu tun, würde das Niveau dieser Diskussion erheblich steigen.
Silesia schrieb:
Sorry, wenn Dich die Zuspitzung auf "Mein Kampf" in Rage gebracht hat. Ich wollte damit natürlich keine Komplexitätsreduktion Deiner Aussagen betreiben, sondern den grundsätzlichen Unterschied beleuchten. Das war tatsächlich als Zuspitzung auf die Frage gemeint, ob die Rede eher visionären (Bezug Hitler) oder eben doch pragmatisch-anlassbezogenen Hintergrund (Bezug Japan/Italien) hat.
Keine Sorge, Du hast mich nicht in Rage gebracht.

Aber Du hast auch nicht die Komplexität meiner Argumentation reduziert sondern diese leider völlig entstellt wiedergegeben, was freilich nicht akzeptabel ist.:motz:
silesia schrieb:
Verstehe ich das richtig: der Anlass war Japan (nun wollen wir Italien mit dem Spanischen Bürgerkrieg nicht vergessen), der Inhalt war aber Kontra-Hitler und befürchteter Eskalation deutscher Politik?
Nein, Du verzerrst mal wieder meinen Beitrag. Auch darunter leidet leider das Niveau dieser Diskussion.

Der formelle Anlass war die Eröffnung einer Brücke. Das stand jedenfalls in den Einladungskarten für das Publikum.

Im unmittelbaren Vorfeld der Rede gab es Probleme mit Japan. Das könnte man als inhaltlicher Anlass bezeichnen. ABER es gab auch Probleme mit anderen Staaten, die eine aggressive Außenpolitik verfolgten (D und Ita), nur halt nicht im zeitnäheren Vorfeld der Rede. Nun von der zeitlichen Nähe oder von der Statistik der im Weißen Haus vor der Rede auf Japan verwendeten Arbeitsstunden auf eine „Japan-Rede“ zu schließen halte ich für eine äußerst zweifelhafte Methode den „Kern“ dieser Rede zu bestimmen. Seit wann kommt es denn bei der Bewertung einer Rede gar nicht mehr auf deren INHALT an?

Die Rede selbst ging weit über Japan hinaus und wendete sich ganz grundsätzlich dem seit mehreren Jahren zu beobachtenden Problem umsiechgreifenden Völkerrechtsbrüche und Aggressionen zu, mit vielen Anspielungen auch auf Deutschland und Italien. Berücksichtigt man nun noch den grundsätzlich von FDR bestehenden und auch nachweisbaren Fokus auf die deutsch-europäische Frage (wie sich die deutschen Verhältnisse auf Europa auswirkten und diese veränderten Verhältnisse auf die USA) wird schon deutlicher, dass es sich bei der Rede in Chicago eben nicht „im Kern“ um eine „Japan-Rede“ handelte (Silesia #9) sondern eben um eine ganz „grundsätzliche Standortbestimmung“ (meine Bewertung # 4).
silesia schrieb:
Natürlich kann man alles immer visionär und prinzipiell begründen:
Man kann aber schon erkennen, ob eine Rede grundsätzlich angelegt ist oder sich „im Kern“ auf eine konkrete Krise in einer bestimmten Region der Welt (z.B. China) bezieht.
silesia schrieb:
Zur Umformulierung der Rede: wieso sollte die Rede vom Brückenbau zur Außenpoltik wechseln? (solltest Du das tatsächlich oben so gelesen haben?)
Wie sollte ich es denn sonst verstehen? Du schreibst doch nur vage von Unformulierungen und nicht davon, was da konkret umformuliert worden sein soll.
silesia schrieb:
Eine außenpoltisch zahme Rede wurde vielmehr zu einer Ruck-Rede umformuliert. Die Fähigkeiten dazu solltest du Roosevelt auf Grund der gelesenen Biographien zutrauen.
Im Gegenteil: aufgrund der gelesenen Biografien weiß ich, wie sehr FDR an seinen Reden feilte. Und wer jemals eine Rede dieser Länge geschrieben hat, kann abschätzen, dass eine so grundsätzlich angelegte Rede wie die Quarantäne-Rede, nicht durch ein paar Umformulierungen ihren grundsätzlichen Charakter oder ihre Schärfe bekommen konnte.

Vielleicht gab es tatsächlich ein paar Umformulierungen in letzter Minute. ABER diese dürften den durch den Entwurf bereits angelegten Charakter allenfalls betont haben und nicht den Charakter der Rede von „zahm“ zu „scharf“ verändert haben. Das ist einfach zu weit hergeholt.

Schließlich kannst Du ja bei Lübken nachlesen, dass FDR die Rede ganz bewusst in Chicago hielt, um sich vom Isolationismus und Neutralismus zu verabschieden (was zunächst einmal scheiterte). So einen Versuch in einem durch und durch isolationistisch eingestellten Land und dann auch noch in der Hauptstadt des Neutralismus und vor dem Tower DER isolationistischen und republikanistischen Zeitungen aller Zeitungen der USA unternimmt man nicht spontan sondern erst nach intensiver Vorbereitung.
silesia schrieb:
EDIT:
Eine weiteren Bezugpunkt wollte ich noch erwähnen und hatte ich oben ausgelassen:
Die Krisen-Wirtschaftspolitk der USA basierte wesentlich auf der Vorstellung, dass Exporte die 1937 wieder sprunghaft angestiegene Arbeitslosenzahl (plus 5-6 Mill.) durch Auslastung des Produktionsstockes besetigen können (paradox: 1936 wurde genau das durch Reduzierung des Staatsdefizites und durch die Mindestreservepolitk konterkariert). In der Sanierung spielte somit der "Freihandel" und Störungen desselben eine große Rolle für die USA und Roosevelt. Damit (natürlich nur u.a.) können auch die Sensibilitäten in Bezug auf Südamerika, als auch bezüglich China-Fernost zu diesem Zeitpunkt und in dieser Lage der USA besser verstanden werden.
Schön, dass Du Bezugspunkte erwähnen möchtest. Leider lässt Du bei Deiner Darstellung den Niedergang des deutsch-amerikanischen Verhältnisses und die sich hieraus ergebenden Implikationen auf die Verhältnisse in Europa und in Lateinamerika aus... – Warum eigentlich?
 
Sinnvoll ist sicher, das Umfeld der Roosevelt-Rede 1937 zusammen zu fassen. Während es um das Deutsche Reich mit Ausnahme des (gegenüber Italien nachrangigen) Engagements in Spanien etwas ruhiger war, lagen übrige deutsche/Hitlersche "Ambitionen" in der Luft: Österreich, Danzig, Tschechoslowakei, Memel, ggf. Ungarn. Die Rahmenbedingungen:

1. die ökonomischen Probleme der USA verschärften sich 1937 erneut. Sie bewirken insofern einen außenpolitischen Reflex, als amerikanische Exporte als Faktor in der Beseitigung der Wirtschaftskrise von der Regierung Roosevelt angesehen worden sind

2. Italien: ein Gespräch Dieckhoff-Dodd erläutert, wohin die amerikanischen Überlegungen zu Mussolini und seinem Engagement in Spanien gingen: im Dezember 1936 wurde darüber diskutiert, ob es in Deutschland gern gesehen werden könnte, wenn „Mussolini die Taten eines Julius Caesar in Spanien und Frankreich wiederhole.“. Im Verlauf 1937 kristallisierte sich nun heraus, dass Italien kaum noch eine Verstärkung seiner Position in Spanien erreichen könne, andererseits, dass die Lage sich für Franco günstig entwickelte. Aufschlussreich ist auch ein Eintrag bei Ciano vom 7. und 8.10.1937: „Die Japaner beginnen, bei uns Flugzeuge zu kaufen. … Unterdessen hat die Spannung zugenommen. Es besteht kein Zweifel, dass die spanische Frage zu einer internationalen Krise führt: entweder Bruch oder Klärung. Viele Kräfte des Antifaschismus arbeiten für die erste Alternative.“ Diese Entwicklung war bereits in den letzten Wochen vor der Roosevelt-Rede greifbar und wird hier nur zusammengefasst.

3. Kurz vor der Roosevelt-Rede sind zwei Ereignisse bemerkenswert, die seine Besorgnisse für die Zukunft vertiefen konnten: einerseits der pompöse Mussolini-Besuch in Berlin, der das Paktieren zwischen beiden Ländern dokumentierte und die früheren Gegensätzlichkeiten nach außen beendete. Dem Deutschen Reich wurden, aus einer Vielzahl von Anzeichen, Ambitionen in Richtung Österreich-Ungarn zugeschrieben. Am 12.7.37 hatte der österreichische Botschafter ernste Besorgnisse über die Zukunft seines Landes an die amerikanische Diplomatie adressiert. Neben den Mussolini-Besuch ist der Parteitag in Nürnberg zu stellen, der Signale aussandte: bei der von Gauleiter Wagner verlesenen Proklamation an die Gauleiter schwelgte man wie üblich im Gigantismus, der aber auch handfeste Formen annahm: „Es möge sich aber niemand darüber täuschen: einer Volksgemeinschaft, der es gelingt, eine gewaltige Armee aufzubauen, einen riesigen Arbeitsdienst zu mobilisieren …Es ist daher die Forderung nach einem den Reich gehörenden Kolonialbesitz …Dabei ist aber Deutschland heute nicht isoliert, sondern in einer Freundschaft verbunden mit mächtigen Staaten. … Interessengemeinschaft des nationalsozialistischen Deutschlands und des faschistischen Italiens … Unser Abkommen mit Japan dient der gleichen Aufgabe, zusammenzustehen in der Abwehr eines Angriffes auf die Kulturwelt…“ (Domarus II, S. 716). Den Schluss bildeten „rassetheoretische“ Bemerkungen, die natürlich ebenso in den USA für Beunruhigung sorgten.

4. Fernost: seit Mitte August 1937 liefen die japanischen Operationen gegen Shanghai. Die der US-Regierung übermittelte Haltung des DR nach dem 12.7.37 war unverändert, nämlich dass man Sympathien sowohl für China als auch für Japan habe und keiner Seite helfen werde. Am 13.9.1937 hatte Hitler den Bruder des Kaisers Hirohito zum Gedankenaustausch empfangen, ebenfalls am 13.9. äußerte er sich zum „Bündnis gegen den Weltbolschewismus“, und zur westeuropäischen Kritik bzgl. der Gefahr einer italienisch-deutschen Besetzung von Spanien im Zuge des Bürgerkrieges (wobei er dem das Bild einer sowjetischen Besetzung Spaniens entgegen hielt). Das Ganze gipfelte in Hitlers Bild des Germanischen Reiches deutscher Nation während des Parteitages.

5. Roosevelts Stimmung in diesen Wochen lässt sich in dem Bericht über das Gespräch mit Dodd am 19.10.1937 zusammenfassen: „Der Präsident ließ seine Besorgnis über die internationale Situation erkennen. Er erörterte den Konflikt zwischen Japan und China und sprach von den Möglichkeiten der Brüsseler Friedenskonferenz. Eines beunruhigte ihn: könnten die Vereinigten Staaten, England, Frankreich und Russland nicht zusammen arbeiten? Wenn das möglich wäre, könnten die Japaner gestoppt und die Diktatoren in Europa endlich zu einer friedlichen Haltung gebracht werden. Da England sich bis jetzt geweigert hat … sehe ich kaum eine Möglichkeit für eine reale Zusammenarbeit. … Besuch Friedensinitiative: Diese Verteidiger des Friedens – etwa zwanzig – erklärten ihre Zustimmung zu der Rede Roosevelts, in der er kürzlich in Chicago fast den Krieg befürwortete, um den Japanern in China und den Italienern in Spanien Einhalt zu gebieten.“ (letzteres ist die Wertung von Dodd, S. 478 – Dodd war bis 1938 Botschafter der USA in Berlin).

Quellen: Domarus, Ciano (Tagebücher 1937-38), Schmidt, Weizäcker-Papiere, Dodd (Diplomat auf heißem Boden), Churchill (der die Besorgnisse der USA auch auf Europa bezieht, hier mit dem Anlaß Spanien) und sich eingehend mW erst mit der diplomatischen Initiative von Roosevelt im Januar 1938 beschäftigt.

Eine Würdigung der Rede findet sich auch bei Celovsky, Das Münchener Abkommen von 1938, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 3: Die Rede sollte Roosevelt während seines Besuches im Mittleren Westen halten, sie war angeblich von Hull/Davies initiert, um die „Gelegenheit des chinesisch-japanischen Konfliktes zur Wendung gegen den Isolationismus zu nutzen. Das State Department hatte den Text der Rede vorbereitet, die der Präsident wesentlich verschärfte. Die Rede wurde im Zentrum des amerikanischen Isolationismus vorgetragen, was Roosevelt vorschwebte, ist ungewiss. Wahrscheinlich dachte er an eine extreme Form von Sanktionen gegen einen Angriff. Konkret meinte er gewiss Japan, aber auch Italien und das in den spanischen Bürgerkrieg verwickelte Deutschland. Die Ausführungen gingen selbst engsten Mitarbeitern viel zu weit. China war begeistert, Moskau hoch erfreut, genf enthusiastisch, Frankreich dankbar, Tschechoslowakei zuversichtlich, England zeigte sich reserviert (Chamberlain hatte im Juli 1937 den Plan einer gemeinsamen amerikanisch-britischen Aktion im Fernen Osten unterbreitet, Roosevelt hatte nicht reagiert)." Reaktion von Chamberlain: Verbitterung darüber, dass sein Vorschlag nicht aufgegriffen wurde, und stattdessen nur Worte (die Rede) gefolgt seien.


EDIT:
Schön, dass Du Bezugspunkte erwähnen möchtest. Leider lässt Du bei Deiner Darstellung den Niedergang des deutsch-amerikanischen Verhältnisses und die sich hieraus ergebenden Implikationen auf die Verhältnisse in Europa und in Lateinamerika aus... – Warum eigentlich?
Sehr einfach: weil ich darüber nicht soviel gelesen habe, dazu eine Meinung abzugeben. Die Kontroverse, z.B. in Bezug auf Brasilien etc. (Mexiko hatte ich oben zitiert) ist mir bekannt, einige Wochen vor der Rede lagen mW brasilianisch-amerikanische Handelsvereinbarungen zur Sicherung der Exporte. Wie weit das auf die Rede ausstrahlte, möchte ich gern bei Lübke auf Deinen Hinweis nachlesen.

Ansonsten haben sich unsere Beiträge überschnitten, den Rest lese ich mir erstmal in Ruhe durch.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bei Deiner Zusammenfassung des "Umfeldes" der Quarantäne-Rede fehlt mir der Blick auf den Niedergang der deutsch-amerikanischen Beziehungen 1933-37 und eine Beleuchtung der Frage, was diese Entfremdung zur "Mitte Europas" für die amerikanischen Interessen in Europa und in der Welt 1937 zu bedeuten drohte:

1933 liess Hitler in einem Alleingang die Abrüstungskonferenz scheitern. Hierdurch beendete er die seit 1921 bestehende außenpolitische Kooperation zwischen den USA und D. Diese Kooperation war für beide Seiten profitabel gewesen. Freilich stand die amerikanische Unterstützung für die deutschen Revisionsbemühungen des Versailler Vertrages von vorneherein unter dem Vorbehalt, dass Deutschland den Fieden bewahrt ("peaceful change"), keine Alleingänge unternimmt, sich an die abgeschlossenen Verträge hält, etc. Die in Chicago 1937 ausgesprochenen Forderungen nach internationalem Frieden, Rechtssicherheit von Verträgen, Unantastbarkeit nationaler Angelegenheiten, etc. haben also in den deutsch-amerikanischen Beziehungen ihre Vorgeschichte und 1937 ihren Wiedererkennungseffekt.

1934 setzte Hitler dem amerikanischen Freihandelsmodell, das auf wechselseitiger wirtschaftlicher Verflechtung beruhte, seinen nach Autarkie strebenden "Neuen Plan" entgegen. Für FDR, ein Anhänger der Freihandelsidee, ein weiteres Anzeichen dafür, dass Hitler sein Land auf einen Krieg vorbereitete.

1935 kündigte Deutschland den dt.-amerik. Handelsvertrag. Ab 1936 gab es keine offiziellen Handelsbeziehungen mehr zwischen Deutschland und den USA. Wenn es D gelingen würde auch noch andere Staaten in seinen Einflussbereich zu ziehen, müssten die Amerikaner in diesen Staaten befürchten ebenfalls ihre Handelsbeziehungen zu verlieren. Ab 1934 war ein intensives Werben der Deutschen um bessere Handelsbeziehungen zu Lateinamerika zu beobachten. Drohendes Szenario: Deutschland gelingt es Einfluss in der "amerikanischen Hemnisphäre" zu gewinnen; Gefahr eines faschistischen Putsches in LA?

1936 besetzte Hitler das Rheinland und brach hierdurch den Versailler Vertrag. Problem für FDR: die USA hatten den Versailler Vertrag nicht ratifiziert. Er kann gegen den Vertragsbruch nicht direkt vorgehen. Entscheidend ist das Verhalten Englands und Frankreichs. GB ist jedoch nicht bereit Frankreich zu unterstützen - mit destabilisiserenden Auswirkungen auf Osteuropa: dort war vor allem Frankreichs Sicherheitspartner Polen im Falle eines dt.-poln. Krieges auf eine rasche Invasionsmöglichkeit Frankreichs in das Dt. Reich angewiesen, die nunmehr durch die hingenommene Rheinlandbesetzung verspielt war.

November 1936 bildet sich die Achse Berlin/Rom und es kommt zum gegen die SU gerichteten Antikomminternpakt zwischen Deutschland und Japan. Dessen Zusatzprotokoll (wohlwollende Neutralität im Falle eines Krieges mit der SU) wird FDR Ende 1936 bekannt. Nunmehr erscheint Deutschland als Staat mit weltweiten Machtansprüchen und Partnern und somit eben als eine GLOBALE HERAUSFORDERUNG.

Zwei Szenarien beschäftigen 1937 die US-Admin.:

1) GB erscheint von D/Ita/Jap an drei Fronten angreifbar zu sein: Nordatlantik, Mittelmeer, Asien. Dies könnte GB veranlassen, in Europa gegenüber Hitler zu weiteren Zugeständnissen bereit zu sein, so dass die Lage Frankreichs/Polen weiter geschwächt wird.

2) Polens antikommunistisch eingestellte Führung könnte angesichts der Schwäche Frankreichs in den deutschen Einflussbereich geraten. Deshalb ab 1937 Zunahme der Reiseaktivitäten der amerikanischen Regierung nach Polen.

Mit dem Angriff Japans auf China am 7.7.37 verschärt sich das biser beschriebene Lagebilde. Mit seinem Angriff lenkte Japan die britische Aufmerksamkeit nach Asien (Shanghai, Hongkong), so dass zu erwarten war, dass dessen Möglichkeiten, sich in Europa Hitlers aggressiver Revisionspolitik entgegenzustellen, schrumpften. Damit aber erhöhte der Angriff Japans auf China dessen Chancen a) bei der Revision des Versailler Vertrages, insb. bei der Ausweitung seines Machtbereiches (die Begehrlichkeiten um Österreich, Tschechei, den Korridor waren bekannt), aber auch b) beim Ausbau seiner Einflussphäre durch Annäherung weiterer europäischer Staaten an den D/Italien (z.B. Polen?).

Vor diesem Hintergrund ist Hulls Aufruf zu einer weltweiten Friedensinitiative vom Juli 1937 zu verstehen. Auch dieser Aufruf enthielt bereits die altbekannten amerikanischen Forderungen nach Rechtssicherheit der Verträge, Frieden, Unantastbarkeit nationaler Angelegeneiten, Nichtanerkennung militärischer Okkupation, etc. Warnung des deutschen Botschafters Dieckhoff nach Berlin (15.10.37): Die USA haben ihren Mitgestaltungsanspruch nicht aufgegeben. Sollten Initiativen zustandekommen, würden sich diese zweifellos gegen Deutschland und Japan richten.

18 Tage vor der Quarantäne-Rede: FDR hielt Rede vom 17.7.37 zum 150. Geburtstag der US-Verfassung. Die Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit) der Nationen bedingten es unausweislich, dass ausseramerikanische Ereignisse Wirkungen auf die USA zeigten. Die USA hätten die Pflicht, für demokratische Prinzipien einzustehen, nicht nur innenpolitisch auch außenpolitisch, da diese Prinzipien international bedroht würden. - Reaktion des Völkischen Beobachters vom 19.7.37: FDR wurde direkt angegriffen, was ohne Genehmigung Goebbels nicht möglich war. Die Gegensätze in der Welt seien groß genug, sie würden durch "demagogische Schlagworte und feindselige Behauptungen noch weiter" vertieft. Man fühlte sich von FDR angesprochen.

5.10.37: FDR hielt in Chicago die sog. "Quarantäne"-Rede.

6 Tage danach: FDR betonte am 11.10.37 das besondere amerikanisch-polnische Verhältnis und die Zugehörigkeit Polens, ein autoritäres Militärregime, zur westlich-demokratischen Welt. Im November 37 besuchte Hull Warschau. Die USA ging nunmehr offensiv gegen politische Interessen Deutschlands in Europa vor.


Kann man da noch sagen, dass die Quarantäne-Rede im Kern eine "Japan-Rede" war?
 
Hallo Gandolf,

diese Rede wurde in mehreren Geschichtsdiskussionen angesprochen, zuletzt bei der Diskussion um Schulte Ronhoff.

Die Lügen des Gerd Schulze Ronhof - politikforen.de

Beachte hier u.a. die Beiträge 39, 45 und 47 von "mister ragtime"

Gruß,

Andreas
Hallo Andreas,

vielen Dank für den konkreten Link, auch wenn ich dort nun nichts zur Quarantäne-Rede gefunden habe, ausser den üblichen Verdächtigungen (Bavendamm).

Zu Gerd Schultze-Rhonhofs Buch "1939. Der Krieg, der viele Väter hatte" gibt es übrigens eine auch unter dem Gesichtspunkt der Unterhaltsamkeit sehr lesenwerte Rezension der FAZ. - Ausschnitt: "Gerd Schultze-Rhonhof hingegen gibt frank und frei zu, er erhebe gar nicht den Anspruch, "die Tausende von Büchern gelesen und verarbeitet zu haben, die zum Thema meines Buchs bereits geschrieben worden sind". Dabei hätten doch schon wenige genügt! Denn bei der Genese des Zweiten Weltkriegs handelt es sich um ein Thema, das gut erforscht ist. Trotzdem sucht man selbst die Namen der wichtigsten Autoren in einem Literaturverzeichnis von etwas über neun Seiten vergebens. Anstelle eines Hermann Graml, Walther Hofer, Klaus Hildebrand oder Andreas Hillgruber finden sich etwa der "dtv-Atlas zur Weltgeschichte", ein Schulbuch für Gymnasien, das Werk von Urs Schwarz mit dem Titel "Strategie - Gestern, heute, morgen" und politisch höchst bedenkliche Traktate von David Hoggan und Erich Kern."
 
Zuletzt bearbeitet:
Kann man da noch sagen, dass die Quarantäne-Rede im Kern eine "Japan-Rede" war?

Ich meine ja, und in Gewichtung absteigend und unter Hinzufügung Italien (Spanien/Abessinien) und Deutschland (perspektivisch).

Vielen Dank für Deine Zusammenstellung zu Deutschland, dass sehe ich genauso. Im Kern haben wir damit eine Differenz der Prioritäten, die sehe ich 1937 eben in der ostasiatischen Bedrohung in der akuten Krise (wie oben dargestellt und mit Bezug u.a. auf Dodds) und der für die USA unmittelbar empfundenen Bedrohungslage. Gerade das kommt in Deiner Zusammenstellung, die auf europäische Mächtekonstellationen bezogen ist, nicht zum Ausdruck, wir reden also über unterschiedliche Schwerpunkte: es ist keine "europäische Rede", die Rede ist mE ohne das japanische Vorgehen und (schwächer) das italienische Vorgehen in Abbessinien und Spanien nicht denkbar. Nicht unbeachtet bleiben sollte die Lücke in der deutschen "Negativliste" seit Ende 1936: mit ausnahme der Juniorpartnerschaft ggü. Italien im Spanischen Bürgerkrieg. Dieckhoffs Analyse vom 15.10. ist daher perspektivisch: auch DR wird es treffen bei entsprechendem Verhalten (was logisch ist). Wenig Initiativen sind daher von US-Seite auch für 1938 in Europa bemerkbar, erst die Besetzung der Resttschechei führt nach der Quarantäne-Rede wieder zu einem greifbaren Ergebnis: dem Roosevelt-Brief an die bedrohten Länder.

Ein Blick auf die weitere Entwicklung hellt das weiter auf: in Fernost werden die USA laufend diplomatisch und militärisch tätig, bis später hin zum Öl- und Stahlembargo. In Europa beschränkt sich die Initiative auf Vorschläge an GB/F, die nicht im erwünschten Umfang aufgegriffen werden. Die Bedrohung in Fernost führte zudem zu den ersten Rüstungsentscheidungen, die später - erst mit den Aggressionen des DR gegen die Nachbarn, zur "vollen" 2-Ocean-Navy erweitert worden sind. Aus der Marinesicht, und das ist die in der amerikanischen Rüstung als Antwort auf die Kriegsgefahren zu werten, beherrschten die 2 Monate nach der japanischen Aggression und die folgenden 2 Jahre in Fernost die Entscheidungen: Morison, History US Navy, III. Die Rüstungsstufen sind (wie später hinsichtlich USAAF) immer Antworten auf die bzw. Folgen der Schwerpunkte der Bedrohung gewesen.
 
Hallo Andreas,

vielen Dank für den konkreten Link, auch wenn ich dort nun nichts zur Quarantäne-Rede gefunden habe, ausser den üblichen Verdächtigungen (Bavendamm).

Zu Gerd Schultze-Rhonhofs Buch "1939. Der Krieg, der viele Väter hatte" gibt es übrigens eine auch unter dem Gesichtspunkt der Unterhaltsamkeit sehr lesenwerte Rezension der FAZ. - Ausschnitt: "Gerd Schultze-Rhonhof hingegen gibt frank und frei zu, er erhebe gar nicht den Anspruch, "die Tausende von Büchern gelesen und verarbeitet zu haben, die zum Thema meines Buchs bereits geschrieben worden sind". Dabei hätten doch schon wenige genügt! Denn bei der Genese des Zweiten Weltkriegs handelt es sich um ein Thema, das gut erforscht ist. Trotzdem sucht man selbst die Namen der wichtigsten Autoren in einem Literaturverzeichnis von etwas über neun Seiten vergebens. Anstelle eines Hermann Graml, Walther Hofer, Klaus Hildebrand oder Andreas Hillgruber finden sich etwa der "dtv-Atlas zur Weltgeschichte", ein Schulbuch für Gymnasien, das Werk von Urs Schwarz mit dem Titel "Strategie - Gestern, heute, morgen" und politisch höchst bedenkliche Traktate von David Hoggan und Erich Kern."

@Gandolf,

es sind eben diese Verdächtigungen, weshalb ich wissen wollte, was eigentlich in dieser Rede gesagt wurde!

Ich kann ja nur gegenargumentieren, wenn ich weiss, was diese Leute ansprechen und meinen!

Gruß,

Andreas
 
es sind eben diese Verdächtigungen, weshalb ich wissen wollte, was eigentlich in dieser Rede gesagt wurde!

Eine dieser Verdächtigungen ist eben die Betonung des "deutschen Bezugs" der Rede, dazu hatten wir oben diskutiert.

Bei aller Gegensätzlichkeit kann man wohl festhalten, dass die äußeren Anlässe China und Spanien sowie innenpolitisch der Kampf gegen den Isolationismus mindestens (dem kann wohl auch Gandolf zustimmen) drei von vier (neben dem Deutschen Reich) Einflußfaktoren der Rede waren.

Von einer Kriegserklärung kann hier keine Rede sein, vielmehr von der Suche nach Bundesgenossen in der Abwehr der von Japan, Italien und Deutschland (und der Sowjetunion, die ist aber wohl nicht angesprochen) verursachten/getriebenen/unterstützten Krisen bzw. Kriege und der Ankündigung des Widerstandes gegen die Diktaturen.
 
Guten Abend, Gandolf,

deine Aufzählung der Gründe für FDRs Verstimmung über die dt. Politik zwischen 1933 und 1937 hat mich neugierig gemacht und meine Recherchen haben weitere Fragen aufgeworfen. Im einzelnen:

1935 kündigte Deutschland den dt.-amerik. Handelsvertrag. Ab 1936 gab es keine offiziellen Handelsbeziehungen mehr zwischen Deutschland und den USA.

Ich nehme an, du beziehst dich auf den deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag vom 8.12.1923. Diesen Vertrag hat Deutschland in der Tat zum 13.10.1935 gekündigt. Sucht man nun nach dem Grund für diese Kündigung, stößt man in ZAOERV 1935/05, S. 159 ff. auf folgendes:

Der Kongreß der Vereinigten Staaten hat am 12. Juni 1934 eine Zusatzakte zu dem Tariff-Act vom Jahre 1930 beschlossen, die den Präsidenten der Vereinigten Staaten für einen Zeitraum von drei Jahren zum Abschluß von Handelsverträgen ohne Mitwirkung des Kongresses ermächtigt und ihm zu diesem Zweck die Vollmacht gibt, die geltenden Zollsätze bis zu 50 % ihrer gegenwärtigen Höhe zu erhöhen oder herabzusetzen. Damit wird der Grundsatz der Zollautonomie, der der bisherigen Handelspolitik der Vereinigten Staaten das Gepräge gegeben hat, aufgegeben.
...
Die deutsche Regierung hat den zwischen dem Deutschen Reich und den Vereinigten Staaten am 8. Dezember 1923 abgeschlossenen Freundschafts-, Handels-. und Konsularvertrag am 13. Oktober 1934 gekündigt, um eine Abänderung des Art. VII. dieses Vertrages herbeizuführen, in dem sich die Vertragsstaaten die bedingungslose gegenseitige Meistbegünstigung in Handel, Schiffahrt und Zollregelung eingeräumt haben. Der Vertrag läuft noch bis zum 13. Oktober 1935.

Diese im letzten Satz als Grund angegebene Absicht, den Vertrag anzupassen - also eine Änderungskündigung -, finde ich bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist umgesetzt. Am 3.6.1935 haben die Parteien die Fortführung des Vertrages mit Wirkung zum 14.10.1935 unter Wegfall im wesentlichen der Meistbegünstungsklausel vereinbart.

Veröffentlicht ist dies im RGBl. 1935 II, S. 743, und zu finden in der Österreichischen Nationalbibliothek unter: ÖNB-ANNO+/Deutsches Reichsgesetzblatt Teil II 1867 - 1945

Die Kündigung scheint mir nach diesen zugegeben rudimentären Erkenntnissen gerade nicht von einem Willen getragen zu sein, die Handelsbeziehungen mit den USA einzustellen oder zu erschweren, sondern vielmehr, sie unter Beachtung der neuen amerikanischen Handelspolitik fortsetzen zu können. Ich muß dabei einräumen, daß mir noch nicht ersichtlich ist, ob diese neue amerikanische Handelspolitik der Durchführung alter Handelsverträge im Wege stand.

Der Ausgangsvertrag vom 8.12.1923 ist jedenfalls im RGBl. 1925 II, S. 795-810 veröffentlicht und zu finden unter: ÖNB-ANNO+/Deutsches Reichsgesetzblatt Teil II 1867 - 1945

Auch nach Streichung der Absätze des Art. VII bleibt noch einiges an Vereinbarungen bestehen, die ein Weiterführen von Handelsbeziehungen ermöglicht hätten.

Gandolf, in deinem zitierten Beitrag nennst du die Kündigung und den Wegfall aller deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen quasi in einem Atemzug. Besteht nach deiner Kenntnis oder Überzeugung tatsächlich ein unmittelbarer Zusammenhang? War etwa der Ausgangsvertrag durch die Beendigung der Meistbegünstigungsklausel derart ausgehöhlt, daß die Beziehungen wirtschaftlich uninteressant werden mußten? Und letztlich, siehst du gegebenenfalls die Initiative zur Beendigung oder Behinderung vor dem Hintergrund eher auf deutscher oder auf amerikanischer Seite, daß beide Parteien von Stund an die Bilateralität auf- und Meistbegünstigungen abwerteten?

Und, ja, mit der Ausgangsfrage dieses Strangs nach dem Hauptadressaten der Quarantänerede hat mein Beitrag herzlich wenig zu tun.
 
Ich meine ja, und in Gewichtung absteigend und unter Hinzufügung Italien (Spanien/Abessinien) und Deutschland (perspektivisch).
Die Rede ist grundsätzlicher Natur. Deshalb ist es etwas albern, über Gewichtung oder derartigem nachzudenken.

FDR ging es darum seine Landsleute in Richtung Gefahrenwahrnehmung zu "erziehen", so dass diese dann auch die Bereitschaft entwickeln, etwas gegen diese Gefahren zu unternehmen. Vielleicht war hierfür eine zeitliche Nähe zu einer Asienkrise sogar besser geeignet als die zeitliche Nähe zu einer Europakrise. Denn die europäischen Verhältnisse galten in den USA ja seit George Washington als besonders "suspekt", aus denen man sich besser heraus halten sollte.

ABER wenn man schon der Frage nachgehen will, welche Verhältnisse für die USA wichtiger waren, die asiatischen oder die europäischen, kommt man nicht an zwei Umständen vorbei:
- die Sicherheit der USA hing vor allem von der Sicherheit der britischen Seemacht ab und diese wiederum von den Verhältnissen in Europa und
- die USA verdienten mehr Geld in und mit Europa als in und mit Asien.

Beide Aspekte wurden durch die deutschen Verhältisse nachteilig beeinflusst: 1993 entfiel der bisherige deusche Kooperationspartner, 1934 der deutsche Markt, Italien geriet in Hitlers Einflussbereich, Spanien kippte in Richtung Faschismus, die für Amerikas Sicherheit so wichtige Seemacht GB musste Zugeständnisse an Deutschland machen, Polen drohte zu kippen... - gleichzeitig tauchten die Deutschen in Lateinamerika (Handelspolitik) auf und auch noch als Bündnispartner der Japaner. - Und das alles wurde von einem Ostküsten-Präsidenten beobachtet, der die europäischen Verhältnisse aus eigener Anschauung kannte, der als letzter Präsident der USA deutsch sprach, als stellv. Marineminister schon einen Krieg gegen Deutschland mitgeführt hatte, dem Naziregime schon 1933 äusserst ablehnend gegenüberstand, durch das Naziregime das "fair play" missachtet sah, der auf einen Regimewechsel in Deuschland setzte, etc...
Eine dieser Verdächtigungen ist eben die Betonung des "deutschen Bezugs" der Rede, dazu hatten wir oben diskutiert.
Der "deutsche Bezug" ist keine revisionistische Position, wohl aber das Ausblenden der Unterschiede zwischen Hitlers Angriffsplänen und Roosevelts Versuch, seine Landsleute auf eine instinktiv wahrgenommene, drohende Konfrontation vorzubereiten.
 
Die Rede ist grundsätzlicher Natur. Deshalb ist es etwas albern, über Gewichtung oder derartigem nachzudenken.
Viele historische Ereignisse bekommen eine komische Note, wenn man sie nur partiell betrachtet (die deutschen Themen setzen wir mal als bekannt voraus, sie sind breit dargestellt und werden von mir natürlich auch nicht "ignoriert"). Ich habe oben vielmehr die „Brennpunkte“ der letzten 6-8 Wochen vor der Rede aus US-Sicht ergänzend dargestellt (selbst die waren, bezogen auf Themen China und Spanien, bisher nur grob gerastet, bei Bedarf mehr). Ansonsten sind Gewichtungen auch bei Grundsätzen nie albern.

Vielleicht war hierfür eine zeitliche Nähe zu einer Asienkrise sogar besser geeignet als die zeitliche Nähe zu einer Europakrise. Denn die europäischen Verhältnisse galten in den USA ja seit George Washington als besonders "suspekt", aus denen man sich besser heraus halten sollte.
Siehe oben, Grew. Das ist selbstverständlich. Immerhin reden wir nun fortschreitend über beide Krisen. Die europäische ist Mitte 1937 eine spanische, nach dem Zusammenbruch der Nordfront, der Zweiteilung der Beherrschungszonen und die Überlegenheit 1,5:1 für den kommenden Abnutzungskrieg.

ABER wenn man schon der Frage nachgehen will, welche Verhältnisse für die USA wichtiger waren, die asiatischen oder die europäischen, kommt man nicht an zwei Umständen vorbei:
- die Sicherheit der USA hing vor allem von der Sicherheit der britischen Seemacht ab und diese wiederum von den Verhältnissen in Europa und
- die USA verdienten mehr Geld in und mit Europa als in und mit Asien.
Dieses verkennt für 1937 die Einschätzungen der militärischen und wirtschaftlichen Kräfte. Eine potentielle militärische Bedrohung der USA wurde 1937-1939 ausschließlich im Pazifik gesehen, was zur Flottenrüstung führte und 1939/40 modifiziert wurde, als erste Bedrohungsszenarien von Osten den Aufbau der AAF bestimmten und die echte 2-Ocean-Navy bewirkte. Die Szenarien setzen eine deutsche Basis in Westafrika voraus und analysierten die militärischen Bedrohungen für Südamerika. Diese Planungen waren konkret. Das Argument mit der britischen Seemacht ist aufgrund der Faktoren 5:5:3:1,75:1,75 falsch und durch die mögliche Flottenrüstung überholt, als sich die Faktoren faktisch änderten.

1934 der deutsche Markt, Italien geriet in Hitlers Einflussbereich, Spanien kippte in Richtung Faschismus, die für Amerikas Sicherheit so wichtige Seemacht GB musste Zugeständnisse an Deutschland machen
Den ersten beiden würde ich 1937 hinzufügen, bei Letzerem gilt 100:35 und somit wenig beunruhigend. Damit galt quasi 5:5:3:1,75:1,75:1,75 bzw. 11,75:6,5, Hauptgefahr: unverändert Pazifik. Die Aussage müßte modifiziert werden: die Sicherheit der USA wird im Pazifik nur durch die eigene Flotte dargestellt, um den Atlantik mußte man sich mit britischer Präsenz nicht kümmern. Das ist eine andere Gewichtung. Im Mittelmeer garantierte die frz.-brit. Präsenz eine Überlegenheit über die italienische Flotte.

Beide Aspekte wurden durch die deutschen Verhältisse nachteilig beeinflusst: … 1934 der deutsche Markt,
Dass ist interessant und sollte gewichtet werden. Dazu ein Blick auf die ökonomischen Daten:
Welthandel Einfuhr in Milliarden Reichsmark (bereinigt) 1929 - 1936 - 1937 - 1938:
DR: 13,4 – 4,2 – 5,5 – 5,4
USA: 18,1 – 5,9 – 7,6 – 4,8
Welthandel Ausfuhr in Milliarden Reichsmark 1929 - 1936 - 1937 - 1938:
DR: 13,5 – 4,8 – 5,9 – 5,3
USA: 21,7 – 6,0 – 8,2 – 7,6
Die Kette zeigt erstens die Gewichtung und das Ausmaß der Weltwirtschaftkrise in Bezug auf die Bewertung deutscher Importe und amerikanischer Exporte 1937 aus US-Sicht. Der Rückgang der USA beträgt 14,1 im Export, mehr als deutsche Im- und Exporte im Volumen zusammen und zeigt ökonomische (1929) und politische (1937) Risiken in Relation. Der amerikanische Einbruch im Im- und Export 1937 ist hausgemacht, wesentlich verursacht durch wirtschaftspolitische Fehler (s.o.). Zu den deutschen Zahlen ist die Beschränkung aufgrund der Devisenknappheit erwähnenswert, der Handelsüberschuss (1937 rückläufig) deckte nur rd. die Hälfte des Zahlungsbilanzdefizites (der Rest ging zu Lasten der Devisenreserven). Die US-Entwicklung 36 nach 37 war eines der besten Ergebnisse der Industrieländer. Von einer Bedrohung des „europäischen“ Marktes (wie 1940 völlig überraschend erfolgt) konnte man in den USA nicht ausgehen, u.a. wegen der Bindungen an GB/F etc.

Der "deutsche Bezug" ist keine revisionistische Position, …
Natürlich nicht, die Reduzierung auf deutsche Aspekte der Rede ist nur in den Schriften häufig anzutreffen und falsch.

Warnung des deutschen Botschafters Dieckhoff nach Berlin (15.10.37): Die USA haben ihren Mitgestaltungsanspruch nicht aufgegeben. Sollten Initiativen zustandekommen, würden sich diese zweifellos gegen Deutschland und Japan richten.
Es hat mich gewundert, dass Du nun doch Dieckhoff, aber nunmehr sehr verkürzt und vielleicht sekundär zitierst. Hast Du den ganzen Vermerk gelesen? Eine sehr detaillierte Analyse wurde nach Berlin geschickt, hier ein kleines Resümee:
„… Eines steht jedenfalls fest: die scharfe Zuspitzung der Rede in Chikago ist nur auf die Verschärfung des ostasiatischen Konfliktes zurückzuführen, die Rede wäre in dieser Form nicht gehalten worden, wenn nicht die Nachrichten aus Shanghai und von den anderen chinesischen Kriegsschauplätzen gerade in den Tagen vor Chicago so ernst gelautet hätten, kurz – der scharfe Passus der Rede war ganz überwiegend gegen Japan gerichtet. Gewiß enthält die Rede auch einige Wendungen genereller Art, die sich auf andere Länder beziehen können … Deutschland war mit den Bemerkungen über die Angreiferstaaten nicht gemeint, sondern dieser Passus bezog sich nur auf Japan, allenfalls auf Italien, dessen Verhalten in Abbessinien, in Spanien und im Mittelmeer hier auf Kritik gestoßen ist.“ Dieckhoff führt übrigens noch als Bezug u.a. die vorherige Westküstenreise von Roosevelt mit antijapanischen Proklamationen an.
Entsprechende Wertung erfährt die Rede in der Literatur, die sich mit China/USA/Japan beschäftigt. Die „Nachrichten“ aus China lösten im August und September 1937 antijapanische Wellen in den USA aus (Tuchmann). Bezug auch kurz zB bei: Long-hsuen Hseu, History of the Sino-Japanese War.

Das Roosevelt es im Interesse des notwendigen Aufrüttelns nicht so ganz genau nimmt, zeigt in einer Bio die Darstellung einer Senatanhörung mW Januar 1939 (hier könnte es um die Marinerüstung gegangen sein, ist aber meine Spekulation): Demnach hätten ihm zuverlässige Informationen über einen Weltherrschaftsplan von Japan, DR, und Italien seit drei Jahren vorgelegen. Das ist angesichts des Verhältnisses des DR zu Italien/JP Anfang 1936 unglaubwürdig.

Etwas Komisches am Rande: im August 1937 wird bei einem Gespräch zwischen Dodd und dem phillippinischen Diplomat (?) dessen Wunsch an die amerikanische Regierung herangetragen, dem DR die Kolonien im Pazifik zurück zu geben, um ein Gegengewicht zu Japan herzustellen: ein Einblick in (völlig absurde, aber ängstliche) Gedanken der Anrainer zum chinesisch-japanischen Konflikt, zu Befürchtungen über die Aggression der japanischen Armeespitze und zur Bewertung japanischer Hegemonialbestrebungen.


Alles in allem sehe ich das häufig anzutreffende "deutsche Gewicht" der Rede als falsch an. Die deutschen Anknüpfungspunkte sind nachrangig gegenüber den weiteren Weltkrisen, etwas überspitzt formuliert wurde die Rede in dieser Hinsicht in Deutschland mystifiziert, vielleicht vor dem Hintergrund von 1939. Sie ist weit realitätsbezogener als allgemein dargestellt und hat eine klare Stoßrichtung zur Eindämmung der Konflikte. Insoweit ist sie zugleich widersprüchlich, als Noten GBs bereits im Juli die USA zur Reaktion aufforderten, die dazu - wie die Folge zeigte - nicht bereit waren und bis zum 5.10. keine antwort gaben. Der (für Fernost logische) Partner GB wurde schließlich aufgrund des Zögerns sogar unter dem Eindruck des europäischen Krieges gezwungen, die japanische Truppenkonzentration in China als temporär notwendig zu bezeichnen und die Burmastraße zu schließen, über die die Versorgung der chinesischen Verteidigung lief.


EDIT: lesenswert zur Ökonomie, allerdings auch auf die deutsche Beziehung zentriert:
Economic Appeasement. Zur britischen und amerikanischen Deutschlandpolitik vor dem Zweiten Weltkrieg, Hans-Jürgen Schröder, VfZ (1982), 82-97.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Silesia, @Hrubesch:

Ich werde auf Eure letzten Beiträge vermutlich erst am Montag antworten können, da ich bis Sonntag Besuch haben werde. Ich bitte um Verständnis.

Gruß Gandolf
 
Lass Dir Zeit.
Dann kann ich inzwischen noch ein Telegramm von Dieckhoff über ein Gespräch mit Sumner Wells vom 21.10.1937 nachschieben:

Die diplomatischen Gespräche über die Lösung der Fernost-Krise liefen auch kurz nach der Roosevelt-Rede weiter auf Hochtouren. Gegenstand war die Brüsseler Neun-Mächte-Konferenz und die Frage, ob Deutschland dazu eingeladen werden sollte. Dieses war jedenfalls auch die amerikanische (mit den Briten wohl abgestimmte) Position. Dem DR war das gar nicht so recht, da es im chinesisch-japanschen Krieg, dessen Brutalität rasend schnell zunahm, zwischen den Stühlen saß und sich zu entscheiden hatte. Waffenlieferungen wurden inzwischen an China gestoppt, Japan äußerte sich reserviert gegenüber dem DR, war gegen eine deutsche Teilnahme an der Konferenz und begann sogar mit deutschsprachiger Rundfunkpropaganda.

Zurück zum Gespräch, protokolliert 21.10.1937:
"Sumner Wells ... ansprach mich auf die Neunmächte-Konferenz und fragte, ob schon eine Entscheidung der deutschen Regierung über eine Teilnahme vorläge. ...
Sumner Wells auseinandersetzte zunächst, dass nach Ansicht der Amerikanischen Regierung die Konferenz mit dem Völkerbund nichts zu tun habe und auch zusammengetreten wäre, wenn Genf keinen Beschluß gefaßt haben würde. Ferner bemühte er sich darzulegen, dass moralische Verurteilung einer Partei nicht erfolgt sei, wenn er auch zugab, dass großer Teil der amerikanischen Presse in den Kommentaren zur Roosevelt-Rede vom 5. 10. und zur Erklärung des Staatsdepartments vom 6.10. Eindruck einer Verurteilung Japans hervorgerufen hätte. In Wirklichkeit hätten der Präsident und die Regierung der Vereinigten Staaten nur erklärt, dass das Verhalten Japans mit dem Neunmächte-Abkommen in Widerspruch stehe.
...
Zum Schluß hervorhob Wells, dass Amerikanische Regierung großen Wert auf die Teilnahme Deutschlands lege und im gemeinsamen praktischen Zukunftsregelung der ostasiatischen Fragen dringend hoffe, dass die in den nächsten Tagen ergehende an Deutschland ergehende Einladung Annahme finde. ..."

ADAP D I, Nr. 502

Diplomatische Aktivitäten dieser Art im Umfeld der Rede hat es zahlreiche gegeben. Die Einladung Dutschlands wurde mit der Idee seines potentiell mäßigenden Einflusses auf Japan verbunden.
 
@Silesia, @Hrubesch:

Ich werde auf Eure letzten Beiträge vermutlich erst am Montag antworten können, da ich bis Sonntag Besuch haben werde. Ich bitte um Verständnis.

Gruß Gandolf

Das macht gar nichts. Das dt.-amerik. Handelabkommen von 1923 hat mich 43 Jahre lang nicht interessiert, da kommt es jetzt auf drei Tage wirklich nicht an.

Nebenbei möchte ich an dieser Stelle einmal meiner Hochachtung für Euren Kenntnisreichtum, Eure Quellenarbeit und Euren Diskussionsstil Ausdruck verleihen, Gandolf und Silesia! Vielen Dank dafür. :hoch:
 
Franklin Delano Roosevelt, Rede in Chicago am 5.10.1937 (sog. "Quarantäne-Rede")
Quelle: "Roosevelt spricht", 1945, Bermann-Fischer-Verlag, Stockholm


Es freut mich, dass ich wieder einmal nach Chicago kommen konnte, und ganz besonders, dass ich wieder Gelegenheit habe, an der Einweihung eines so bedeutenden gemeinnützigen Werkes teilzunehmen.

Auf meiner Reise kreuz und quer über den Kontinent habe ich viele Beweise dafür gesehen, was eine vernünftige Zusammenarbeit wischen den Kommunalbehörden und der Bundesregierung zuwege bringen kann. Zehntausende von Amerikanern haben mich begrüßt und mir mit jedem Blick und jedem Wort zu verstehen gegeben, dass in den letzten paar Jahren ihr materielles und seelisches Wohlbefinden große Fortschritte gemacht hat.

Aber als ich mit meinen eigenen Augen die blühenden Farmen, die prächtigen Fabriken und den lebhaften Eisenbahnverkehr sah, als ich das Glück und die Sicherheit und den Frieden sah, die in unserem großen Lande herrschen, war ich fast unvermeidlich gezwungen, unsere friedlichen Zustände mit recht anders gearteten Szenen zu vergleichen, die in anderen Gegenden der Welt sich abspielen.

Da das Volk der Vereinigten Staaten unter den heutigen Umständen, im Interesse seiner eigenen Zukunft, auch an die übrige Welt denken muß, habe ich als verantwortlicher Chef der Exekutive diese große Stadt im Zentrum des Landes und diesen feierlichen Anlaß gewählt, um über ein Thema zu sprechen, das für uns selber von wesentlicher Bedeutung ist.

Die politische Weltlage hat sich in der letzten Zeit immer mehr verschlimmert und ist nun geeignet, allen den Völkern und Ländern, die mit ihren Nachbarn in Frieden und Eintracht leben wollen, ernste Besorgnisse und Befürchtungen einzuflößen.

Vor etwa fünfzehn Jahren, als über sechzehn Nationen sich feierlich verpflichteten, nie mehr zur Förderung ihrer nationalen und politischen Ziele zu den Waffen zu greifen, stiegen die Hoffnungen der Menschheit auf eine dauerhafte Friedensära zu den höchsten Höhen. Die im Briand-Kellogg-Pakt verkörperten hohen Erwartungen und die durch diesen Pakt erweckten Friedenshoffnungen sind in der letzten Zeit einer schleichenden Angst vor kommenden Katastrophen gewichen. Das Gewaltregime und die internationale Gesetzlosigkeit, denen wir heute begegnen, haben eigentlich erst vor wenigen Jahre eingesetzt.

Es begann damit, dass man sich ohne Berechtigung in die inneren Angelegenheiten anderer Völker einmischte oder im Widerspruch zu geltenden Verträgen fremdes Gebiet besetzte, und nun ist ein Stadium erreicht, da die eigentlichen Grundlagen der Zivilisation ernstlich bedroht sind. Die Marksteine und Traditionen, die die Entwicklung der Zivilisation zur Gesetzlichkeit, Ordnung und Gerechtigkeit kennzeichneten, werden allmählich zerschlagen.

Ohne Kriegserklärung, ohne irgendwelche Warnung, ohne irgendwelche Berechtigung wird die Zivilbevölkerung, einschließlich der Frauen und Kinder, rücksichtslos durch Luftbombardements hingemordet. In sogenannten Friedenszeiten werden ohne Anlaß oder Warnung Schiffe von U-Booten angegriffen. Völker schüren den Bürgerkrieg – und ergreifen Partei – in fremden Ländern, die ihnen nie etwas zuleide getan haben. Völker, die für sich selber die Freiheit fordern, verweigern sie anderen.

Unschuldige Völker und Länder werden grausam hingeopfert für eine Machtgier und ein Herrschaftsbestreben, die kein Gerechtigkeitsgefühl und keine menschlichen Rücksichten kennen.

Wie neulich ein Verfasser schrieb: "Vielleicht gehen wir einer Zeit entgegen, da die Menschen schwelgend in der Technik des Mordens, mit solcher Raserei über die Welt hinwegstürmen werden, dass alle Kostbarkeiten in Gefahr sind, jedes Buch, jedes Bild, jede Harmonie, alle die Schätze, die unter zwei Jahrtausenden angehäuft wurden, alles Kleine, alles Zarte, alles Wehrlose – dass alles verloren geht, zerstört oder völlig ausgetilgt wird."

Wenn so etwas in anderen Gegenden der Welt passiert, dann soll niemand sich einbilden, dass Amerika entrinnen werde, dass es Pardon erwarten dürfe, dass die westliche Hemisphäre keinen Angriff zu befürchten habe, dass sie auch weiterhin ruhig und friedlich die Traditionen der Moral und der Zivilisation bewahren könne.

Wenn dieser Tag kommt, "dann wird man von den Waffen keine Sicherheit zu erwarten haben, keine Hilfe von den Behörden, keine Antwort von der Wissenschaft. Der Sturm wird so lange wüten, bis alle Blüten der Kultur zu Boden geschlagen und alle menschlichen Wesen in ein ungeheures Chaos aufgelöst worden sind."

Wenn dieser Tag nicht kommen soll – wenn wir eine Welt haben wollen, in der wir frei atmen können und in Eintracht leben, ohne Furcht -, dann müssen die friedliebenden Nationen sich gemeinsam anstrengen, um die Gesetze und Grundsätze aufrechtzuerhalten, die die einzigen sicheren Grundlagen des Friedens sind.

Die friedliebenden Nationen müssen sich gemeinsam bemühen, Front zu machen gegen die Vertragsbrüche und diese Verachtung für menschliche Gefühle, die einen Zustand der internationalen Anarchie und Unsicherheit schaffen, dem man nicht einfach durch Isolierung oder Neutralität entrinnen kann.

Alle, die ihre Freiheit lieben und ebenso ihren Nachbarn das Recht zubilligen, frei zu sein und in Frieden zu leben, müssen gemeinsam für den Sieg des Rechtes und der Moral wirken, damit Friede, Gerechtigkeit und Zuversicht in der Welt vorherrschen. Es muss wieder dahin kommen, dass man an das gegebene Wort und an den Wert eines unterzeichneten Vertrages glaubt. Es muß als eine Tatsache gelten, dass ein moralisches Verhalten für die Nation genauso wichtig ist wie für den einzelnen.

Neulich hat mir ein Bischof folgendes geschrieben: "Ich halte es für sehr notwendig, dass jemand im Namen der einfachsten Menschlichkeit gegen die neueste Methode protestiert, die Zivilbevölkerung, besonders Frauen und Kinder, den Schrecken des Krieges zu unterwerfen. Vielleicht werden viele, die sich Realisten nennen, einen solchen Protest für zwecklos halten. Aber sind nicht vielleicht die Herzen der Menschen so erfüllt von Entsetzen vor diesen überflüssigen Leiden, dass diese innere Kraft in genügendem Ausmaß mobilisiert werden könnte, um künftighin solche Grausamkeiten zu mildern? Wenn es auch, was Gott verhüten möge, vielleicht zwanzig Jahre dauern wird, bevor der gemeinsame Protest der zivilisierten Welt gegen diese Barbarei sich geltend macht, können doch sicherlich kraftvolle Stimmen den Tag näherrücken."

In der modernen Welt existiert, sowohl technisch wie auch moralisch, eine zwangsläufige Solidarität und gegenseitige Abhängigkeit, die es keinem Volk gestatten, sich von den wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen in der übrigen Welt völlig zu isolieren, besonders wenn diese Umwälzungen allem Anschein nach nicht einschlafen, sondern weitergehen. Weder im Innern eines Landes noch zwischen den Ländern können Stabilität und Friede herrschen, wenn nicht alle sich zu denselben Gesetzen und moralischen Richtlinien bekennen. Internationale Anarchie zerstört die Grundlagen des Friedens, gefährdet die unmittelbare oder künftige Sicherheit jeder einzelnen Nation, mag sie groß oder klein sein. Daher ist es für das amerikanische Volk von vitaler Bedeutung, dass man wieder dahin gelangt, die internationalen Verträge zu achten und die internationale Moral zu bewahren.

Die Völker und Länder der Welt in ihrer überwiegenden Mehrzahl wollen in Frieden leben. Sie wollen die Handelsschranken beseitigt sehen. Sie wollen in der Industrie, in der Landwirtschaft, im Geschäftsleben ihre Kräfte auf die Herstellung solcher Produkte konzentrieren, die den Wohlstand steigern und damit das Nationalvermögen – statt nach der Erzeugung von Waffen zu streben, von Kriegsflugzeugen, Bomben, Maschinengewehren und Geschützen, die nur den einen Zweck haben, Menschenleben und nützlichen Besitz zu zerstören.

In den Ländern, die sich nicht genug tun können in ihren Aufrüstungsbemühungen, weil sie mit Angriffsplänen umgehen, und ebenso auch in den anderen Ländern, die einen Angriff auf ihre Grenzen und auf ihre Sicherheit befürchten, wird ein großer Teil des Nationaleinkommens unmittelbar für die Rüstungszwecke verwendet, zwischen dreißig und fünfzig Prozent.

Für uns in den Vereinigten Staaten ist der Prozentsatz ein sehr viel geringerer – elf oder zwölf.

Wie glücklich müssen wir uns schätzen, dass die augenblicklichen Umstände es uns erlauben, unser Geld für den Bau von Brücken und Straßen, für die Errichtung von Dämmen, für die Wiederaufforstung, für Bodenmelioration und viele andere nützliche Arbeiten zu verwenden, statt gewaltige stehende Heere und riesige Kriegsvorräte zu schaffen.

Aber wir sind gezwungen, in die Zukunft zu blicken. Friede, Freiheit und Sicherheit für neunzig Prozent der Weltbevölkerung werden durch die restlichen zehn Prozent bedroht, die drauf und dran sind, die gesamte internationale Rechtsordnung zu zerschlagen. Die neunzig Prozent, die im Frieden leben wollen, im Einklang mit Gesetzen und moralischen Prinzipien, die im Laufe der Jahrhunderte fast allgemeine Geltung erlangt haben, können und müssen einen Weg finden, um ihren Willen durchzusetzen.

Die Probleme, um die es sich heute handelt, sind ohne Zweifel universeller Art. Hier geht es nicht nur um die Verletzung einzelner Bestimmungen in besonderen Verträgen, hier geht es um Krieg und Frieden, um das Völkerrecht und besonders um die Grundsätze der Humanität. Freilich sind eindeutige Vertragsbrüche vorgekommen, vor allem soweit es sich um die Bestimmungen des Völkerbundes, um den Briand-Kellogg-Pakt und den Neunmächtevertrag handelt. Aber es geht gleichzeitig auch um Probleme der Weltwirtschaft, der allgemeinen Sicherheit und der Humanität.

Freilich muss das Weltgewissen einsehen, wie wichtig es ist, Ungerechtigkeiten zu beseitigen und wohlbegründeten Beschwerden nachzugeben. Gleichzeitig aber gilt es, das Weltgewissen wachzurütteln, damit es begreift, wie unerhöht notwendig es ist, die Heiligkeit der Verträge zu schützen, die Rechte und Freiheiten der anderen zu achten und allen Angriffshandlungen ein Ende zu machen.

Es scheint leider zuzutreffen, dass die Epidemie der allgemeinen Gesetzlosigkeit immer mehr um sich greift.

Wenn eine anstrengende Krankheit sich auszubreiten beginnt, verordnet die Gemeinschaft eine Isolierung der Patienten, um die eigene Gesundheit vor der Epidemie zu schützen.

Ich bin entschlossen eine Politik des Friedens zu führen und alle zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden, um den Krieg von uns fernzuhalten. Es sollte eigentlich undenkbar sein, dass in dieser modernen Welt und angesichts aller bisherigen Erfahrungen ein Volk so töricht und rücksichtslos sein könnte, die Gefahr eines allgemeinen Weltkrieges heraufzubeschwören, indem es unter Missachtung aller Verträge das Territorium anderer Völker, die ihm eigentlich gar nichts angetan haben und die zu schwach sind, um sich entsprechend zu schützen, überfällt und besetzt. Aber gerade das ist es, was heute den Weltfrieden und den Wohlstand und die Sicherheit eines einzelnen Landes bedroht.

Eine Nation, die sich weigert, Nachsicht zu üben und die Freiheit und die Rechte anderer Völker zu respektieren, kann nicht auf die Dauer ihre Stärke behalten und das Vertrauen und die Achtung der anderen genießen. Keine Nation vergibt sich etwas oder schädigt die eigene Position, wenn sie bereit ist, alle Schwierigkeiten gütlich zu bereinigen, wenn sie große Geduld an den Tag legt und die Rechte anderer Nationen berücksichtigt.

Krieg – ob mit oder ohne Kriegserklärung – ist ansteckend. Er kann Staaten und Völker erfassen, die von dem ursprünglichen Kriegsschauplatz weit entfernt sind. Wir sind entschlossen, uns nicht in einen Krieg verwickeln zu lassen, aber es gibt keine wirksame Versicherung gegen die verheerenden Auswirkungen eines Krieges und gegen die Gefahr, mit hineingezogen zu werden. Wir treffen alle Maßnahmen, die geeignet sind, unser Risiko auf ein Mindestmaß zu reduzieren, aber in einer verwirrten Welt, in der das Vertrauen und die Sicherheit zusammengebrochen sind, kann es keinen vollständigen Schutz geben.

Wenn die Zivilisation weiterleben soll, müssen die Grundsätze des Friedensfürsten wieder zu Ehre kommen. Das erschütterte Vertrauen zwischen Volk und Volk muß wieder ins Leben gerufen werden.

Und das allerwichtigste ist: der Friedenswille der friedliebenden Völker muß sich so deutlich geltend machen, dass diejenigen Nationen, die in Versuchung geraten, ihre Verträge zu brechen und die Rechte anderer zu verletzen, von ihren Vorhaben abstehen. Positive Anstrengungen sind notwendig, um den Frieden zu bewahren.

Amerika verabscheut den Krieg. Amerika hofft auf Frieden. Deshalb ist Amerika nach Kräften bemüht, an der Sache des Friedens mitzuwirken.
 
Silesia # 31 schrieb:
Hrubesch # 32 schrieb:
Das macht gar nichts.
Da habe ich doch gleich noch ein paar freie Tage hinten dran gehängt. :D

@Querdenker: Ich habe mir mal die Zeit genommen, meine Disketten-, Festplatten- und "Stick"-Sammlung zu durchstöbern und dabei doch tatsächlich die Quarantäne-Rede in voller Länge und auf deutsch gefunden (siehe Beitrag oben). Ich hoffe, dass dies für Dich nicht zu spät kommt.
Hrubesch # 27 schrieb:
Und, ja, mit der Ausgangsfrage dieses Strangs nach dem Hauptadressaten der Quarantänerede hat mein Beitrag herzlich wenig zu tun.
1.

Meiner Meinung nach handelte es bei der Quarantäne-Rede um eine Grundsatzrede mit dem Zweck einer allgemeinen Standortbestimmung der amerikanischen Außenpolitik (vgl. # 4) und nicht um eine Japanrede (so @Silesia) oder Deutschlandrede.

FDR wollte dem "einfachen Mann" erklären, warum die Isolationspolitik/Neutralitätspolitik aufgegeben werden muss. Hauptadressat war demzufolge das amerikanische Volk.

Auf internationaler Ebene sprach FDR die friedliebenden "90 Prozent" der Staatenwelt an. Diese sollten gemeinsam Front machen gegen die den Weltfrieden störenden "10 Prozent". FDR war sich von vorneherein klar, dass sich kein "Gangster"-Staat durch eine bloße Rede beeindrucken lassen würde. Nur das gemeinsame Handeln der Staatengemeinschaft würde solche Staaten zum Einlenken zwingen.


2.

Wenn man sich mit dem Verlauf der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen (1933-36) beschäftigt, wird klar, dass diese FDR frühzeitig gezwungen haben, sich mit den außenhandelspolitischen bzw. außenpolitischen Vorstellungen Hitlers zu beschäftigen:

Die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen gerieten 1933-35 in einen Konflikt, weil beide Seiten gegensätzliche wirtschaftliche Konzeptionen verfolgten, hinter denen sich wiederum entgegenstehende außenpolitische Vorstellungen verbargen.

Die USA vertraten das Freihandelskonzept, wonach die Waren zwischen den USA und ausländischen Staaten unter wechselseitiger Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips verkehren durften. FDR verfolgte ab Mitte 1934 einen speziellen multilateralen Ansatz (Reziprozitätspolitik), wonach das Meistbegünstigungsprinzip wechselseitig für alle Staaten gelten sollte, die diesem Vertragssystem beitraten. Dem Freihandelskonzept lag auch die politische Idee zugrunde, dass der Freihandel zu einer größeren wechselseitigen Abhängigkeit der Industriestaaten führt und somit zwischen diesen Staaten das Interesse sinkt, Kriege gegeneinander zu führen, da man sich durch Kriege ja auch selbst schaden würde.

Das NS-Regime hatte an einem freien Waren- und Devisenverkehr kein Interesse. Um seine Aufrüstungsziele zu erreichen, war es grundsätzlich nur an der Einfuhr all jener Rohstoffe und Waren interessiert, die für die geplante Rüstungsproduktion benötigt wurden. Im übrigen aber bestand schon zur Sicherung des Devisenbestandes kein Interesse an der Einfuhr sonstiger Waren. Im Bereich der Ausfuhr freilich war das NS-Regime zur Erwirtschaftung von Devisen daran interessiert, möglichst viele Waren ungehindert und zu möglichst günstigen Einfuhrzoll-Konditionen auf fremde Märkte werfen zu können. Hinter dem Autarkieplan des Dritten Reiches steckte also ein nationalegoistisches Konzept der "Rosinenpickerei". Dieses Konzept konnte allein durch "vorteilhafte" bilaterale Verträge umgesetzt werden, die eine solche "Rosinenpickerei" zuließen. Roosevelts multilaterale Freihandelskonzeption stand diesem Ansatz diametral entgegen.

Die Krise in den wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder spitzte sich bereits im Frühjahr 1933 zu, als die deutsche Seite sogenannte Marktzugangsberechtigungen (zunächst im Agrarbereich) einführte, mit denen eine Kontrolle der Einfuhren ermöglicht wurde. Damit war das 1923 in den deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen vereinbarte Meistbegünstigungsprinzip faktisch durchbrochen. Zudem wurde der Devisenverkehr zunehmend reglementiert und verschärft. 1934 führte diese Entwicklung schließlich zu einer völligen Einstellung des Zinstransfers für private Auslandsschulden (Höhepunkt: Devisenrepartierungsbeschluss der Reichsbank vom Juni 1934). Dies traf vor allem Gläubiger in den USA. Mit der Präsentation des zukünftigen Außenhandelsprogramms der Reichsregierung ("Neuer Plan") am 26.8.1934 wurde deutlich, dass das Dritte Reich – im Gegensatz zur amerikanischen Regierung - die Bilateralisierung des handelspolitischen Bereichs und die Etablierung eines staatlichen Außenhandelsmonopols anstrebte. Der neue Plan zog jedoch nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf den deutsch-amerikanischen Handel nach sich. Im November 1934 wurde auch noch deutlich, dass GB bereit war, die Prinzipien des Neuen Marktes anzuerkennen (deutsch-englisches Zahlungsabkommen vom 1.11.1934). Die amerikanische Regierung sah hierdurch den Erfolg ihrer Außenhandelspolitik ernsthaft gefährdet. Das war für FDR schon deshalb brisant, weil er den Erfolg von New Deal in Abhängigkeit vom Erfolg der amerikanischen Außenhandelspolitik abhing.

Gerade vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wenig stichhaltig @silesias Argumentation ist, FDR habe sich 1933-36 vor allem um den New Deal kümmern müssen und sich deshalb nur wenig mit Deutschland beschäftigen können. FDR sah den Erfolg von New Deal vom Erfolg seiner Außenhandelspolitik abhängen und dieser wiederum wurde von der deutschen Außenhandelspolitik aktiv in Frage gestellt. Es war somit genau umgekehrt wie von @Silesia dargestellt: Die konfrontative Wirtschaftspolitik des Dritten Reiches zwang FDR sich frühzeitig mit den außenhandels- und außenpolitischen Vorstellungen des Dritten Reiches zu beschäftigen. Und somit eben auch mit Fragen wie: Warum lehnte das Dritte Reich die Integration seiner Wirtschaft in die Weltwirtschaft und die daraus resultierende wechselseitige Abhängigkeit ab? Warum wollte es stattdessen wirtschaftlich autark bzw. unabhängig sein? Zu welchen Zwecken rüstete das Dritte Reich so enorm auf? Wie würde sich die deutsche Aufrüstung auf Europa auswirken? Welche anderen Staaten könnten bereit sein (zuerst) den außenhandelspolitischen und (dann auch) den machtpolitischen Vorstellungen Deutschlands nachzugeben? Wie würde sich diese Entwicklung auf die Verhältnisse in Europa insgesamt und auf die Rolle Amerikas in Europa auswirken?
hrubesch # 27 schrieb:
Die Kündigung scheint mir nach diesen zugegeben rudimentären Erkenntnissen gerade nicht von einem Willen getragen zu sein, die Handelsbeziehungen mit den USA einzustellen oder zu erschweren, sondern vielmehr, sie unter Beachtung der neuen amerikanischen Handelspolitik fortsetzen zu können.
1938 blickte man im Auswärtigen Amt auf die Kündigung des Handelsvertrages im Okt. 1934 wie folgt zurück: "Die Deutsche Botschaft in Washington hat seinerseits dringend vor dieser Kündigung gewarnt und schon damals mit Nachdruck auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass sie schwer verstimmen, uns wichtiger und nahe bevorstehender Zollermäßigungen berauben, die Gefahr der Diskriminierung des deutschen Handels und wahrscheinlich auch die Erhebung von Zuschlagzöllen auf die deutsche Wirtschaft nach den verschiedenen Dumpingbestimmungen heraufbeschwören würde. Die Aussichten, mit der Amerikanischen Regierung nachher wieder ins Gespräch zu kommen, wurden für absehbare Zeit als sehr unwahrscheinlich bezeichnet. Diese Warnungen der deutschen Botschaft haben sich leider restlos erfüllt" (Aufzeichnung im AA vom 11.3.1938 – zitiert nach Herbert Sirois [s.u.], S. 95/96).

Es war also 1935 so, dass die Deutsche Botschaft in Washington vor der Kündigung eindringlich warnte und dass diese Warnungen von Berlin in den Wind geschlagen wurden. In Berlin gab man sich der Illusion hin, dass die Amerikaner um den Wert des deutschen Marktes für das amerikanische Exportinteresse wissen und eben deshalb auch eher bereit sein würden, die deutschen außenhandelspolitischen Vorstellungen zu schlucken, als auf den deutsch-amerikanischen Handel zu verzichten. ABER die amerikanische Regierung konnte sich gar nicht auf die deutschen Vorstellungen einlassen, da diese in einem scharfen Gegensatz zu den eigenen außenhandelspolitischen Vorstellungen standen. Wenn die größte Wirtschaftsmacht der Welt bereit gewesen wäre, mit Deutschland auf der Basis von dessen Neuen Plan einen Handelsvertrag abzuschließen, wäre diesem Vertragsabschluß international eine Signalwirkung zugekommen. Die Amerikaner hätten durch einen solchen Vertrag ihr eigenes Außenhandelsmodell, Roosevelts (multilaterale) Freihandelskonzeption, zu Grabe getragen. Für FDR stand also vielmehr auf dem Spiel als nur die deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen.

Die deutsche Kündigung erfolgte übrigens gleichzeitig mit der Beschränkung des Zinsdienstes für Kapitalschulden, hiervon waren besonders die Dawes- und Young-Anleihen betroffen. Aus amerikanischer Sicht griff das Dritte Reich mit diesen Schritten die beiden ökonomischen Bereiche internationaler Handel und Schulden an. Wie sollten die Amerikaner diese Vorgehensweise verstehen? Als versuchte Erpressung (wir zahlen unsere Schulden erst dann zurück, wenn Ihr bereit seit, nach unseren Vorstellungen mit uns Handel zu treiben) oder gleich als wirtschaftspolitische Kampfansage?
Hrubesch # 27 schrieb:
Gandolf, in deinem zitierten Beitrag nennst du die Kündigung und den Wegfall aller deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen quasi in einem Atemzug. Besteht nach deiner Kenntnis oder Überzeugung tatsächlich ein unmittelbarer Zusammenhang? War etwa der Ausgangsvertrag durch die Beendigung der Meistbegünstigungsklausel derart ausgehöhlt, daß die Beziehungen wirtschaftlich uninteressant werden mußten? Und letztlich, siehst du gegebenenfalls die Initiative zur Beendigung oder Behinderung vor dem Hintergrund eher auf deutscher oder auf amerikanischer Seite, daß beide Parteien von Stund an die Bilateralität auf- und Meistbegünstigungen abwerteten?
Freilich hätte es noch Außenhandelsbeziehungen zwischen Deutschland und den USA geben können, wenn sich die größte Wirtschaftsmacht der Welt den deutschen Vorstellungen unterworfen hätte. Aber warum sollte die das tun?

Ich hoffe, dass aus obiger Darstellung deutlich wird, dass die deutsche Aufrüstung eine Lenkung der Außenhandelspolitik bedurfte, dass diese Lenkung der Etablierung eines staatlichen Außenhandelsmonopols Vorschub leistete und dass dieses Monopol der amerikanischen Freihandelspolitik diametral entgegenstand.


Quelle: Herbert Sirois, "Zwischen Illusion und Krieg. Deutschland und die USA 1933-41", Diss., 2000 - insbesondere der Abschnitt "Außenhandelspolitik als Systemdeterminante?" (S. 88 – 99).
 
silesia # 29 schrieb:
Viele historische Ereignisse bekommen eine komische Note, wenn man sie nur partiell betrachtet (die deutschen Themen setzen wir mal als bekannt voraus, sie sind breit dargestellt und werden von mir natürlich auch nicht "ignoriert"). Ich habe oben vielmehr die "Brennpunkte" der letzten 6-8 Wochen vor der Rede aus US-Sicht ergänzend dargestellt (selbst die waren, bezogen auf Themen China und Spanien, bisher nur grob gerastet, bei Bedarf mehr). Ansonsten sind Gewichtungen auch bei Grundsätzen nie albern.
Der Ansatz, den Fokus auf die letzten 6-8 Wochen vor der Quarantäne-Rede zu legen, erscheint mir wegen deren Charakter als Grundsatzrede verfehlt.

FDR verdichtet in seiner Rede bis dato von ihm gesammelte Einsichten und Erfahrungen zu allgemeingültigen Prinzipien (internationale Solidarität der friedliebenden Staaten, Eintritt für die Einhaltung der Verträge, Eindämmung der Friedensstörer, etc.). Die Zeitspanne "bis dato" umfasst das bisherige Leben von FDR, also mehr als 6 bis 8 Wochen.

Das erhöht freilich die Schwierigkeit einer "Gewichtung". Über Dieckhoff und seine Sicht der Dinge haben wir ja bereits diskutiert; auch über seine fehlerhaften Annahmen. Seine Bewertung, dass erst die Ostasienkrise die Quarantäne-Rede möglich gemacht habe, ist keine Gewichtung sondern lediglich eine Beschreibung dafür, dass die Ostasienkrise für FDR das Fass zum Überlaufen brachte. Gewichtung würde bedeuten, Fragen nachzugehen wie, welcher Tropfen der wichtigste war oder wie viele Tropfen sich bereits im Fass befanden und wie viele "aktuell" hinzu kamen, etc.

Solche "Tropfenzählerei" ist aber bei Prinzipien vergebliche Liebesmühe. Es liegt ja gerade im Wesen eines Prinzips, dass Anfang und Ende in ihm in eins zusammenfallen, weil dieses Eine das Zugrundliegende ist, der das Ende beherrschende Anfang.

In seiner Quarantäne-Rede stellt FDR dar, wie alles begann, welches Stadium gegenwärtig erreicht wurde und was möglicherweise noch droht. Das diese Entwicklung antreibende Prinzip benennt er: die um sich greifende Verletzung des Völkerrechts, die zur internationalen Anarchie führt. Auch sagt er, in welchen Teilen der Welt diese Probleme anzutreffen sind: "Die Probleme, um die es sich heute handelt, sind ohne Zweifel universeller Art."

Eine "Japan"-Rede?
 
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