Rauh: Rückzug vor Moskau - Legenden und Mythen zum WK 2

Die auch online (Silesia wies darauf hin) lesenswerte Studie von Hartmann:

Wehrmacht im Ostkrieg: Front und militärisches Hinterland 1941/42 - Christian Hartmann - Google Bücher

Ergänzt durch Guderian (bes. S. 220- 240) und Philippi /& Heim (bes. S. 90-106).

Und auch durchaus kritische Beurteilung bei R. Hofmann: Die Schlacht von Moskau 1941 in Entscheidungsschlachten des zweiten Weltkriegs, Jacobsen & Rohwer, S. 139 - 183)

@Silesia: Für mich ist die Darstellung von Hartman insofern durchaus plausibel auf der Divisionsebene als an ihr bereits das absurde Verhältnis von operativem Ziel und der Mittel deutlich wird. Die Umfassung von Tula scheiterte, weil noch ca. 30 !!! einsatzbereite Panzer einer Division nicht mehr ausgereicht haben für die südliche Umfassung von Moskau.

Zu einer Zeit als durch einen Kältesturz Anfang Dezember 41 in dieser Region zwischen 35 und 40 Grad unter Null an eine effektive Nutzung von Panzern, Fahrzeugen und Waffen nicht mehr zu denken war. Geschweige denn an eine Einsatzbereitschaft - im normalen Sinne des Wortes - nicht zu denken war.

Da wirkt der Anfang der "Weisung 39" vom 08.12.41: " Der überraschend früh eingebrochene strenge Winter im Osten und die dadurch eingetretenen Versorgungsschwierigkeiten zwingen zur sofortigen Einstellung aller Angriffsoperationen und zum Übergang zur Verteidigung" (Hubatsche:Weisungen..., S. 171).

Es ist fast verwunderlich, dass nicht ein zweites Zitat von Hitler kolportiert wurde, nach dem Motto: "Hätte ich gewußt, dass es in Russland so kalt werden kann, dann hätte ich nicht angegriffen." Ähnlichkeiten mit ähnlich gelagerten Äußerungen zu Einschätzungen von Panzerpotentialen sind rein zufällig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Märchen vom überraschend extremen Winter ist breit gestreut worden. Tatsächlich lagen die klimatischen Verhältnisse im Bereich des Erwarteten (Siehe: Militärgeographische Beschreibungen - OKH - Europäisches Russland - kann ich bei Bedarf hier einstellen).

Bei der "Divisionsebene" habe ich mich verkürzt geäußert: der Ansatz von Hartmann ist völlig berechtigt, teilweise zielführend. Für die Betrachtung der Operationsebene ist das aber mE zu tief angesetzt, würde man an eine Studie der Winterkampagne 1941/42 denken. Bewegungen und Entwicklungen sind eben zT nur aus der Korps- und Armeeebene verständlich, so diverse "planmäßige", ebenso wie diverse chaotische Rückzüge. Es fehlt Analyse wie die ideologiefreie Aufarbeitung des sowjetischen Quellenmaterials, etwa analog der jeweils beiden Smolensk- und Stalingrad- Bände von Glantz.

Nachtrag

... und man sollte bei dem Thema die Flanken berücksichtigen:

a) Links: Tichwin und Waldai-Höhen/Demjansk
b) Rostov-Mius-Donez
 
Zuletzt bearbeitet:
- 0. Phase: Erschöpfung der eigenen Kräfte, durch massiven russischen Widerstand und durch das "Versickern" der eigenen Potentiale durch klimatische Faktoren und durch die Aufgabe, die nicht mit den zur Verfügung stehenden Kräften in Übereinstimmung stand
- 1. Phase: partielles zurückweichen gegenüber den Gegenangriffen
- 2. Phase: chaotische Ausweitung gegenüber benachbarten Bereichen, die den Kontakt zum "Nachbarn" verloren hatten
- 3. Phase: Pragmatische Ausnutzung der örtlichen Gegebenheiten und Aufbau von Positionen, die verteidigt werden können.
- 4. Phase: Planmäßige Verstärkung der vorhandenen Position, die gerade in der "Mitte" und auch im "Norden" für eine gewisse Zeit zu einer statischen Kriegsführung führten.

Und es liegt immer noch im ideologischen Sichtwinkel des Betrachters, ob eine Bewegung erzwungen oder freiwillig ist. Bestenfalls auf einer sprachlichen Ebene wird man eindeitige Abgrenzungen vornehmen können.

Man findet übrigens alle angesprochenen Formen in jeder Phase, wenn man der Phaseneinteilung von Hartmann folgt:

1. Forcierter Rückzug 6.12. bis 26.12.1841
2. Unbedingter Haltebefehl 26.12.41 bis 15.1.42
3. Teilweiser Rückzug 16.1. bis März 1942

Damit wird es nun klarer. Danke dafür. Man muss also ein differenzietes Bild betrachten.

Allerdings ergibt sich hier schon wieder ein Widerspruch:

Zu einer Zeit als durch einen Kältesturz Anfang Dezember 41 in dieser Region zwischen 35 und 40 Grad unter Null an eine effektive Nutzung von Panzern, Fahrzeugen und Waffen nicht mehr zu denken war. Geschweige denn an eine Einsatzbereitschaft - im normalen Sinne des Wortes - nicht zu denken war.

Da wirkt der Anfang der "Weisung 39" vom 08.12.41: " Der überraschend früh eingebrochene strenge Winter im Osten und die dadurch eingetretenen Versorgungsschwierigkeiten zwingen zur sofortigen Einstellung aller Angriffsoperationen und zum Übergang zur Verteidigung" (Hubatsche:Weisungen..., S. 171).

Das Märchen vom überraschend extremen Winter ist breit gestreut worden. Tatsächlich lagen die klimatischen Verhältnisse im Bereich des Erwarteten (Siehe: Militärgeographische Beschreibungen - OKH - Europäisches Russland - kann ich bei Bedarf hier einstellen).

"Der überraschend früh eingebrochene strenge Winter im Osten..." Märchen = Schutzbehauptung = Lüge?

Was wirklich nett wäre, wäre, wenn du endlich einfach auf Grundlage seriöser, fundierter wissenschaftlicher Literatur diskutieren würdest/könntest. Dass die Thesen von Herrn Rauh mehr als fragwürdig sind, das wirst du doch auch so langsam einsehen. Argumente und Belege sind dir ja überaus reichhaltig präsentiert worden.

Mehrere Antworten hierzu:

1. Geht es in diesem Thread nicht primär um "Rauh". Die Überschrift stammt nicht von mir und ich habe mich von der Umfirmierung bereits distanziert.

2. Es gehört zu meinen grundsätzlichen Anliegen, immer wieder Thesen zur Diskussion zu stellen, die von vornherein fragwürdig sind bzw. gerade von als fragwürdig angesehenen Autoren stammen. Nur so kommt Pfeffer in die Suppe.

..., du hast ja schon im Forum Kaiserreich eine Endlosdebatte... losgetreten,...

3. Auch hier waren bis zu diesem meinem Beitrag bereits 43 Wortmeldungen zu verzeichnen. Vielleicht sollte ich es mir nicht als Verdienst anrechnen, ich kann es aber auch nicht als Fehler ansehen, wenn meine Beiträge auf Interesse stoßen.

... zu wissenschaftlich anerkannten Werken greifen würdest.

4. Wie ich schon im "Forum Kaiserreich" ausführte und wie an meiner nicht kontinuierlichen Mitarbeit hier unschwer zu erkennen ist, fehlt mir für systematisches Studium anerkannter Werke die Zeit. So weit ich nicht zufällig selbst auf ein "anerkanntes" Werk zurückgreifen kann, freue ich mich über Zitate aus den anerkannten Werken durch diejenigen Diskussionsteilnehmer, die sie kennen.

Grüße, Holger
 
Damit wird es nun klarer. Danke dafür. Man muss also ein differenziertes Bild betrachten.

Allerdings ergibt sich hier schon wieder ein Widerspruch:
"Der überraschend früh eingebrochene strenge Winter im Osten..." Märchen = Schutzbehauptung = Lüge?

Da liegt kein Widerspruch.

1. Du kannst den Winter 1939/40 (vor dem Rußlandfeldzug) betrachten, der klimatisch ähnlich streng verlieg.

2. Die "Militärgeographischen Beschreibungen" des OKH von Weißrußland, Zentralrußland, Ukraine und Moskau (jeweils einzelne Hefte) enthalten Klimaangaben. Für Moskau/Zentralrußland ergibt sich danach
a) geschlossene Schneedecke im Winter durchschn. 120-140 Tage p.a. (Dezember-März, Tauwetter ab April)
b) Dauerfrost (Tages- und Nachttemp. unter 0°): 120-140 Tage p.a.
c) Durchschnittstemperatur unter 0°: 160 Tage p.a.

Scharfe Wintereinbrüche werden ab November prognostiziert, massige Schneefälle und Temperaturstürze auf minus 30° ab Dezember.

Das OKH selbst kalkulierte diese Frostperiode ein, wie die Absichten zur "Wiederaufnahme" der im Schlamm ab Mitte Oktober 1941 festgelaufenen Offensive verraten. Dabei ist der wichtige Aspekt noch nicht angesprochen worden (Reinhardt, Hartmann), dass es zu einem völligen Versagen der Feindaufklärung kam.
 
Zum Mythos der Winterschlacht gehören auch die Verlustbetrachtungen, resp. die Verlustprognosen, aus Haltebefehl und Rückzügen. Oben ist angeklungen, dass die mögliche Vernichtung der Ostfront von Akteuren skizziert worden ist. Dazu die Fakten (Hildebrandt, Das Heer III, sowie Eichholtz, Kriegswirtschaft II):

228.000 Erfrierungsfälle (ohne Todesfolge), davon 40% nach 3 Monaten, 70% nach 6 Monaten, 85% nach 12+ Monaten in erneuten Heereseinsatz. Weitere 10% mit beschränkter Verwendungsfähigkeit (Heimateinsatz), 5% keine Verwendungsfähigkeit.

Fehlbestand bis Juli/Nov 1941 nach den Kesselschlachten: 340.000 Mann, zusätzliche Fehlbestände Dez41/März41 336.300 Mann. Das Anwachsen der Fehlbestände pro Monat im Winter entspricht etwa den vorherigen Monaten.

Materialverluste ( a)bis 30.11.41 - b)bis 30.1.42 - c)Anstieg gerundet):
gepanzerte Fahrzeuge: 3.290 - 4.241 - plus 1000
lFH/sFH: 1005 - 1942 - plus 940
lIG/sIG: 949 - 1.419 - plus 470
MG: 17.676 - 24.247 - plus 6.600
Pferde: 120.494 - 179.132 - plus 58.600

Die Verluste wogen schwer: allein die Artillerie entsprach der Voll-Ausstattung von 20-25 Divisionen.

Die Relationen zeigen allerdings
a) die Fortsetzung der Monatsverluste Jul/Nov.41, zT mit Steigerungen
b) die insgesamt erhöhten Durchschnittsverluste entsprachen grob denen des Sommerfeldzuges 1942, in dem sich die Wehrmacht in der Offensive befand.

Ergebnis:
Die Verluste im Winter 1941/42 weichen (bei krisenhafter Lage, angeblich kurz vor dem Zusammenbruch und der totalen "Auflösung" der Front - Vergleiche mit Napoleon und der Beresina 1812 wurden angeführt) nicht signifikant von den Vormonaten der Offensivtätigkeit der Wehrmacht bei günstigeren Klimabedingungen und nicht signifikant von den durchschnittlichen Monatslusten April/Nov.42 in der Sommeroffensive ab.

Hier zeigt sich lediglich, dass die Wehrmacht sich im Winter 1941/42 bereits im bis dato verlustreichsten Feldzug des Krieges befand. Eine völlig andere Frage ist, ob die bis Dez41/Jan42 kumulierten Monatsverluste - und dabei trägt die verlustreiche Sommeroffensive Jun/Nov41 ihren Anteil bei - dazu geführt haben können, dass sich die Ostfront kurz vor dem Zusammenbruch befand. Wenn dieser Argumentation gefolgt wird, ist allerdings der große Anteil der Sommeroffensive bis zum Kulminationspunkt nicht zu übersehen.

Vielleicht läßt sich durch diese Betrachtungen einmal differenzierter in die Analyse der Lage, das Verhalten der Akteure, und die Rezeption der Nachkriegsliteratur, inkl. Memoiren, einsteigen. Die Darstellung sollte dafür nur den Einstieg bieten, und ist um differenzierte regionale und verbandsbezogene Betrachtungen wie bei Hartmann zu ergänzen.
 
Zuletzt bearbeitet:
... "Der überraschend früh eingebrochene strenge Winter im Osten..."

vs.

Das Märchen vom überraschend extremen Winter ist breit gestreut worden. Tatsächlich lagen die klimatischen Verhältnisse im Bereich des Erwarteten...

ist doch wohl ein Widerspruch!:pfeif:

Ich will jetzt hier nicht Wortklaubereien vertiefen. Mir ging es darum, die von Thanepower angeführte Verlautbarung als Desinformation einzuordnen.


Vielleicht läßt sich durch diese Betrachtungen einmal differenzierter in die Analyse der Lage, das Verhalten der Akteure, und die Rezeption der Nachkriegsliteratur, inkl. Memoiren, einsteigen. Die Darstellung sollte dafür nur den Einstieg bieten, und ist um differenzierte regionale und verbandsbezogene Betrachtungen wie bei Hartmann zu ergänzen.

Und daraus resultiert dann was? Ein neues historisches Werk? Viel Vergnügen, wenn Du Dich daran machen willst!:inarbeit:

Grüße, Holger
 
...ist doch wohl ein Widerspruch!:pfeif:
Ich will jetzt hier nicht Wortklaubereien vertiefen. Mir ging es darum, die von Thanepower angeführte Verlautbarung als Desinformation einzuordnen.

Den Hinweis auf "Widerspruch" habe ich missverstanden. Natürlich sind die Ausführungen Propaganda, Exkulpationen für die gescheiterte Konzeption. Das Märchen von der Überraschung und den klimatischen Ursachen (statt der logistischen Katastrophe, die schon vor dem Wintereinbruch bestand, und dem Überschreiten des Kulminationspunktes im Angriff gegen eine sich ständig verstärkende Verteidigung) wurde auch anfang 1942 dem japanischen Botschafter Oshima, den übrigen Verbündeten, später Finnland, und natürlich zeitnah der deutschen Bevölkerung aufgetischt.

Historische Werke und Material liegen genügend vor. Mit den regionalen und verbandsbezogenen "Differenzierungen" meinte ich vor allem diese Diskussion.
 
Das bedeutete vielmehr, dass der Rückzug dort auf Druck stattfand, wo nichts zu halten war. Wo kein hinreichender sowjetischer Druck vorhanden war, erfolgte auch kein Rückzug. .

Die Heeresgruppe Mitte hingegen war am physisch vollkommen am Ende. Die Ausrüstung ließ aufgrund der erheblichen logistischen Schwierigkeiten zu wünschen übrig.

Die Schwäche einer Studie wie der von Reinhardt liegt schließlich darin, dass sie die Gegenseite nur rudimentär, auf unzureichender und zT überholter Quellenbasis betrachtet. .

Hier zeigt sich lediglich, dass die Wehrmacht sich im Winter 1941/42 bereits im bis dato verlustreichsten Feldzug des Krieges befand.

Die Liste der obigen Befunde verweist darauf, dass die Situation vor Moskau ein relativer Endpunkt eines bereits seit der Schlacht um Smolensk eingetretenen massiven Abnutzungskrieges war.

Barbarossa Derailed: The Battle for Smolensk 10 July - 10 September 1941 ... - David M. Glantz - Google Bücher

Die sowjetische Strategie im Sommer und Herbst zielte darauf ab, nicht "Raum gegen Zeit", sondern "Verluste gegen Zeit" zu tauschen. Bereits einen massiven Abnutzungskrieg gegen die Flanken der Vorstöße der WM zu führen.

In der Darstellung von Glantz wird aber auch deutlich, wie massiv und wie teils schlecht koordiniert die RKKA die WM angriff. Die zu diesem Zeitpunkt bereits überdehnt war, die Angriffe zwar, in der Regel erfolgreich, abweisen konnte, aber die Grenzen der Blitzkriegstrategie bereits zu diesem frühen Zeitpunkt deutlich wurden, wie auch Halder Mitte/Ende August in sein KTB schrieb und bereits das Eingeständnis eines möglichen Scheiterns implizierte.

Dieser Prozess der Abnutzung der WM wird noch zu dem Zeitpunkt verstärkt, zu dem die Panzerverbände der HG Mitte nach Süden eindrehen und den Kessel von Kiew unterstützen.

In der Folge stehen die Infantrieverbände der HG Mitte den Angriffen der RKKA (Timoshenkow etc.) im Rahmen eines frontalen Abringens gegenüber, das eher an 14-18 erinnert und weniger an Blitzkrieg. Diesen Prozess beschreibt Glantz bereits als relativ früh einsetztenden Prozess des Ausblutens der Infantrieverbände der WM.

Und es sind diese "ausgebrannten" Verbände, wie oben ausführlich in den einzelnen Zitaten beschrieben, denen nicht ausreichend Ersatz zugeführt werden konnte, die vor Moskau in den Befestigungen "hängen" geblieben sind, wie es Carruthers im "Systems of Defenses Before Moscow" beschreibt.

Wehrmacht Combat Reports - The Russian Front (Eastern Front from Primary Sources) eBook: Bob Carruthers: Amazon.de: Kindle-Shop
(habe es bei Google nicht gefunden, sorry!!!)

Die Probleme der WM setzten nicht erst vor Moskau ein, sondern war auch auf eine massive Gegenwehr von Seiten der RKKA zurückzuführen. Viele der Schlachten, die Glantz auch analytisch unter "forgotten battles", subsumiert.


 
Zuletzt bearbeitet:
Treffende Analyse!

... Und guter Hinweis auf den Komplex "Verluste gegen Zeit", was für Stalin wohl auch im Fall Kiew galt, als er Budjonny mit der gesamten Südwestfront stehenließ und opferte.
 
Dabei ist der wichtige Aspekt noch nicht angesprochen worden (Reinhardt, Hartmann), dass es zu einem völligen Versagen der Feindaufklärung kam.

Eine punktuelle Aussage von Erickson (The Road to Stalingrad, S. 270/171). Zu Lage der RKKA schreibt Oberst Kinzel (FHO) in seinem Report: Die Kriegswehrmacht der UdSSR (Stand Dezember 1941), dass sie über keinerlei Offensivkapazität im Winter 41/42 mehr verfügen würde. Interessiert hätte mich, ob er das wirklich geglaubt hat (was durchaus sein konte, da es wenige Russlandspezialisten bei FHO - erstaunlicherweise - gab, oder er einfach - karrieretechnisch motiviert - das geschrieben hat, was man von ihm hören wollte.

OT: Was ich persönlich vermute, wenn ich so meine eigene Erfahrung über den Umgang mit neutralen Fakten und Analysen im Zuge einer gruppendynamischen Bewertung im Unternehmen zugrunde lege.

Die gleichzeitig anlaufenden Angriffsvorbereitung der RKKA, beispielsweise die 1. Schok-Armee, wurden von Piloten der Luftwaffe durhaus erkannt, aber in der Bewertung der Feindlage heruntergespielt bzw. ignoriert.

Und jetzt kommt etwas (für "Marne-Aktivisten":cool:) bekanntes: "This was, like the Marne, a battle to the last battalion and in the opinion of the German command, these were allready in the field" (S. 271).

Wenn das Ergebnis nicht für viele deutsche Soldaten (und natürlich auch für Russen!) sehr tragisch geendet hätte, dann hätte man fast über diese Form der Wiederholung der Geschichte lachen können.:nono:
 
Zuletzt bearbeitet:
Und jetzt kommt etwas (für "Marne-Aktivisten":cool:) bekanntes: "This was, like the Marne, a battle to the last battalion and in the opinion of the German command, these were allready in the field" (S. 271).

Das muss im November 1941 tatsächlich in Umlauf gewesen sein. Ich meine, dass dieser Bataillons-Vergleich wörtlich in den Tagebüchern von Bock oder Halder auftaucht. Typisch für den Kulminationspunkt.

Die Nicht-Aufklärung der anwachsenden Offensivkapazität der Roten Armee war Allgemeingut bei HG Mitte, OKH und FHO.

Die Liste der obigen Befunde verweist darauf, dass die Situation vor Moskau ein relativer Endpunkt eines bereits seit der Schlacht um Smolensk eingetretenen massiven Abnutzungskrieges war.

Barbarossa Derailed: The Battle for Smolensk 10 July - 10 September 1941 ... - David M. Glantz - Google Bücher

Gerade ist auch der 2. Band von David Glantz zu Smolensk erschienen, zusammen nun rund 1300 Seiten Darstellung der entscheidenden Abläufe im Sommer 1941.
 
Zuletzt bearbeitet:
Besten Dank für den Hinweis!

David Glantz wird außerdem seine Smolensk-Reihe mit Band 3 und 4 (Dokumente und Karten) im Frühjahr 2013 abschließen. Sie sollen zeitgleich mit dem Abschluss der Stalingrad-Triologie (dort Band 3) erscheinen; dieser Band hängt vermutlich wegen des großen Umfangs schon seit 2010 in der Luft.

Zu hoffen wäre, dass er sich vor seinem Ruhestand in dem detaillierten Umfang dieser beiden Werke (Glantz scheint einen erstklassigen Zugang zu den russischen Quellen zu haben und ihm wird offenbar sehr effektiv zugearbeitet) anschließend mit Moskau 1941 beschäftigt.
 
Straße nach Moskau

Zetterlin beschäftigt sich in "Drive to Moscow 1941 mit der "Operation Taifun". Er betrachtet die Periode sowohl aus der deutschen und aus der russischen Sicht. Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich ein relativ plastisches Bild der Periode von September 1941 bis Ende 41.

Bei den Quellen stützt er sich in starkem Maße auf die Kriegstagebücher (Bock und Halder) oder Autobiographien, ergänzt durch die entsprechenden Dokumente der jeweiligen Militärarchive. Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich m.E. eine kritische Sicht auf die unterschiedlichen Quellen, deren Verläßlichkeit er an einzelnen Punkten exemplarisch diskutiert, wie beispielsweise die Anzahl der beteiligten Kombattanten auf diesem Schauplatz vor Moskau.

Er wechselt bei der Darstellung aus der „Feldherrenperspektive“ in die der betroffenen Soldaten, fern von jeglicher „Landser-Romantik“ und illustriert die Probleme der deutschen und der sowjetischen Kriegsführung auch an diesen Darstellungen.

An einem Punkt wurde mir erneut sehr deutlich, warum die Rote Armee so hoffnungslos mit diesem Krieg überfordert war und der Form der Kriegsführung der Wehrmacht. Zetterling schildert eine Szene, in der ein Verbindungsoffizier einem Armeebefehlshaber in einem gepanzerten Fahrzeug einen wichtigen Befehl überbringt. Und verweist auf den Anachronimus, dass 1812 lediglich das Pferd als Fortbewegungsmittel diente und die Form der Befehlsübermittlung ähnlich schleppend verlief. Die Rote Armee führte einen modernen Bewegungskrieg mit den Führungsmethoden der Napoleonischen Kriege.

Bei der Beurteilung der Gründe für den Erfolg der Wehrmacht bis Mitte Oktober 1941 und dem sich daran abzeichnenden Mißerfolg präsentiert er solide Militärhistorie. Als Gründe für den Erfolg der Wehrmacht führt er als Rahmenbedingung die Natur des Schlachtfeldes an, die aufgrund ihrer Dimension die Schwerpunktbildung durch den Angreifer grundsätzlich bevorzugt.

Dieser geographische Vorteil wird ergänzt durch die Mobilität der WM bei der Dislozierung ihrer mobilen Verbände, der Koordination ihrer Aktionen auf allen Ebenen, der Initiative des Führungspersonal der WM und der Geschwindigkeit bei der Ausführung ihrer Aktionen. Zusätzlich ist noch der generelle hohe Grad der Professionalität des militärischen Personals (vgl. Creveld: Kampfkraft) und die entsprechende militärische Doktrin einer mobilen Kriegsführung zu nenen.

Diesen Stärken der Wehrmacht verstärkte die Führung der RKKA (Budjenny und Konev) unbewußt auf vielfältige Weise, nicht zuletzt durch eine problematische Dislozierung z.B. der "Reserve Front" und einer teilweise mangelhaften Kommunikation über Bdrohungspotentiale.

Diesen Punkten kontrastiert er die Gründe für das Scheitern der WM vor Moskau. Als einen zentralen Punkte benennt er die mangelhafte strategische Aufklärung durch „Fremde Heere Ost“, die zu keinem Zeitpunkt ein angemessenes Bild der „Militär-Ökonomie“ der UdSSR und ihrer Potentiale gezeichnet hat. Passend dazu die überhebliche Fehleinschätzung durch die deutsche Generalität inklusive Hitler (siehe z.B. "Tischgespräche") und NS-Funktionäre (vgl. Tagebuch von Goebbels), auch aufgrund der militärischen Erfolge, dass die Rote Armee am Ende ihrer Widerstandskraft sei.

Weitere Aspekte sind natürlich die Dimension des Schlachtfeldes und die widrigen Wetterverhältnisse mit der Regen- bzw. Schlammperiode und den extrem niedrigen Temperaturen ab November. Aspekte, die sich ebenfalls, wie bereits ausführlich diskutiert, gravierend auf die Logistik ausgewirkt haben.

Und natürlich nicht zuletzt scheiterte der Angriff an dem Willen von Stalin zum Widerstand und an der Fähigkeit der Roten Armee, auch begünstigt durch klimatische Verhältnisse, den Widerstand zu organisieren. Wie bei Dunn dargestellt.

Stalin's Keys to Victory: The Rebirth of the Red Army - Walter S. Dunn, Jr. - Google Books

Insgesamt liegen somit mittlerweile eine Reihe von aktuellen Publikationen vor, die die Periode von Juni bis Dezember 1941 beschreiben.

In Ergänzung zu dem wichtigen Band von Glantz zu den Grenzschlachten ein Buch von Kamenir, das sich im wesentlichen mit der Vernichtung der sowjetischen Panzerwaffe im Bereich der Heeresgruppe Süd in 1941 beschäftigt.

The Bloody Triangle: The Defeat of Soviet Armor in the Ukraine, June 1941 - Victor Kamenir - Google Books

Auf die wichtigen Arbeiten von Glantz im Rahmen von "Barbarossa derailed" wurde bereits hingewiesen. Und von Stahel wird der Bogen fortgeführt, indem er die Schlacht um Kiev beleuchtet, die auch zeitlich der unmittelbare Vorgänger für die Operation Taifun bildet.

Kiev 1941: Hitler's Battle for Supremacy in the East - David Stahel - Google Books

 
Zuletzt bearbeitet:
Offen bleibt wohl, welche Rolle den Akteuren zukam. Hier denke ich v.a. an Halder (Orscha) und v.Bock (weiterer Vormarsch), auch die Frage, ob ein "betriebsblinder" Ehrgeiz oder die Furcht vor dem Fehlschlag (der von thane beschriebene rechtzeitige Übergang zur Defensive) eine Rolle spielte. Manche interpretieren v.Bock als Getriebenen, andere als Treiber.

Zu dem Treffen in Orschas gibt es vom Altmeister Ziemke eine grundlegende Darstellung:

Franz Halder at Orsha, The German General Staff seeks a Consensus.
MA 1975, S. 173-176 auf Grundlage der Niederschriften, die über HG Nord, Süd und AOK 18 ("Merkpunkte aus der Chefbesprechung 13.11.1941") erhalten sind.

Im Nachgang zu dem Thema ist mir nun der von Ziemke besprochene Aktenvermerk Halders vom 7.11.1941 verfügbar (die OKH-Akten sind verbrannt, Ziemke verwendete eine (komplette?) Fassung, die beim AOK18 erhalten geblieben ist).

Hierin bestätigt sich in zwei Szenarien Halders, dass der weitere Verlauf Nov./Dez. 1941 ausschließlich auf Halder zurückgeht, und nicht auf v.Bock als "Treiber". Hier erste Seite sowie letzte Seite mit Abzeichnung und Verteilerkreis.

Eine punktuelle Aussage von Erickson (The Road to Stalingrad, S. 270/171). Zu Lage der RKKA schreibt Oberst Kinzel (FHO) in seinem Report: Die Kriegswehrmacht der UdSSR (Stand Dezember 1941), dass sie über keinerlei Offensivkapazität im Winter 41/42 mehr verfügen würde. Interessiert hätte mich, ob er das wirklich geglaubt hat (was durchaus sein konte, da es wenige Russlandspezialisten bei FHO - erstaunlicherweise - gab, oder er einfach - karrieretechnisch motiviert - das geschrieben hat, was man von ihm hören wollte.

OT: Was ich persönlich vermute, wenn ich so meine eigene Erfahrung über den Umgang mit neutralen Fakten und Analysen im Zuge einer gruppendynamischen Bewertung im Unternehmen zugrunde lege.

Es scheint so zu sein, dass das tatsächlich Meinung im OKH und bei FHO war. Der oben zitierte Halder-Vermerk stellt die These auf, basierend auf diesen Analysen, dass die RKKA nur noch in der Lage sein werde, rd. 50 Divisionen neu aufzustellen.

Für diese Unterschätzung - die aus dem "Abstand" zur Front und dem Versagen der Aufklärung erklärbar ist - spricht auch die Vorstellung von Halder zum noch im Winter zu gewinnenden "Operationsraum". Er zieht hier eine zu gewinnende Linie 50-100 km östlich Moskau! Mit den Realitäten hatte das nichts mehr zu tun.
 

Anhänge

  • T313 R69 F0324.jpg
    T313 R69 F0324.jpg
    117,7 KB · Aufrufe: 648
  • T313 R69 F0334.jpg
    T313 R69 F0334.jpg
    136,2 KB · Aufrufe: 616
Die hatten ja jetzt genug Zeit zum Sortieren,- da werden es wohl die richtigen Archive sein. :rolleyes:

Ein wenig hilfreiches Statement!

Vielmehr kann man unterschiedliche Phase erkennen, in denen der Zugang schwerer oder leichter war. Bis Glasnost generell schwer bis unmöglich. Nach Glasnost eine höhere bis hohe Bereitschaft zur Kooperation und es kamen viele wichtige Archive / Dokumente in die Forschung, wie beispielsweise folgende publizierte "Stalin`s Letters to Molotov", "The Lost Politburo Transcripts" oder "The Stalin-Kaganovich Correspondence". Ein großer Teil der Dokumente gelangte in den Westen und wurden beispielsweise in den "Annals of Communism" archiviert und zugänglich gemacht. Und das Verständnis des Stalinismus deutlich erhöht haben.

In der Folge wurde der Zugang allerdings wieder restriktiver gehandhabt. So weit mir die Historie des Zugangs als nicht-Insider über die entsprechende Fachliteratur geläufig ist. Deswegen war die Ankündigung von Putin "interessant" und man stellt sich die Frage, welche Archive davon betroffen sein werden.

Fitzpatrick (2015 a) resümiert den Zustand wie folgt:

The opening of formerly closed and classified archives following the collapse of the Soviet Union in 1991 was a remarkable experience for historians working in this field. Our data base abruptly expanded in a quantum leap, changing our situation from one roughly comparable to that of researchers on early modern Europe (working with the limited range of sources generated by a relatively unambitious state with a small literate population) to that of researchers on any other developed twentieth‐century state (working with the huge array of records generated by a modern bureaucratic state and literate society).

Einen generellen Überblick über wichtige Archive und den Zugang haben die Autoren im Reader von Fitzpatrick und Viola (2015 b) gegeben. Eine verständliche Einführung in die Problematik der Archive Stalins im Kreml gibt beispielsweise Besymenski. (Stalin und Hitler, S. 7-19)

Fitzpatrick, Sheila (2015 a): Impact of the Opening of Soviet Archives on Western Scholarship on Soviet Social History. In: The Russian Review 74 (3), S. 377–400.
Fitzpatrick, Sheila; Viola, Lynne (Hg.) (2015 b): A researcher's guide to sources on Soviet social history in the 1930s. London: Routledge.

 
Zurück
Oben