Reitergrabsteine und Mantelteilung

El Quijote

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In den vergangenen Tagen behauptete ein als Theologe gekennzeichneter Experte, dass die Mantelteilung des Hl. Martinus die aus einem Missverständnis herrührende Uminterpretation römischer Reitergrabsteine sei, auf denen ihre Gegner niederreitende römische Soldaten dargestellt seien. Soweit so (zunächst) plausibel. Er behauptete jedoch fürderhin, dass die Uminterpretatoren die Darstellung des vom Schwert triefenden Blutes für die Darstellung der Teilung des Mantels hielten. An dieser Stelle bin ich ausgestiegen, weil mir kein einziger Grabstein mit derlei Splattermoviequalitäten bekannt ist, wo überhaupt Blut dargestellt ist, erst recht nicht in einer triefenden Quantität, die man ernstlich mit einer Mantelteilung verwechseln könnte.

Schauen wir uns trotzdem ein paar Belegexemplare an:

Bassus.jpg Gromanius.jpg Insus.jpg Sextus Valerius.jpg Tancinus.jpg

Man sieht eher selten Reiter, die mit dem Schwert in der Hand ihre Gegner niederreiten, die spatha wird am Gürtel getragen und stattdessen die leichte Reiterlanze benutzt.

Zudem wird ja auch auf den Inschriften mitgeteilt, wer dargestellt ist, was zudem die Fehl-Identifikation mit der dargestellten, ihre Gegner niederreitenden römischen Kavalleristen mit Martinus unwahrscheinlicher macht.

Hinzu kommt aber, dass bereits in der frühen Martinusüberlieferung, bereits bei dessen Zeitgenossen Sulpicius Severus, die Geschichte überliefert ist:
Einmal, er besaß schon nichts mehr als seine Waffen und ein einziges Soldatengewand, da begegnete ihm im Winter, der ungewöhnlich rauh war, so daß viele der eisigen Kälte erlagen, am Stadttor von Amiens ein notdürftig bekleideter Armer. Der flehte die Vorübergehenden um Erbarmen an. Aber alle gingen an dem Unglücklichen vorbei. Da erkannte der Mann voll des Geistes Gottes, daß jener für ihn vorbehalten sei, weil die andern kein Erbarmen übten. Doch was tun? Er trug nichts als den Soldatenmantel, den er umgeworfen, alles Übrige hatte er ja für ähnliche Zwecke verwendet. Er zog also das Schwert, mit dem er umgürtet war, schnitt den Mantel mitten durch und gab die eine Hälfte dem Armen, die andere legte er sich selbst wieder um. Da fingen manche der Umstehenden an zu lachen, weil er im halben Mantel ihnen verunstaltet vorkam. Viele aber, die mehr Einsicht besaßen, seufzten tief, daß sie es ihm nicht gleich getan und den Armen nicht bekleidet hatten, zumal sie bei ihrem Reichtum keine Blöße befürchten mußten.

Quodam itaque tempore, cum iam nihil praeter arma et simplicem militiae vestem haberet, media hieme, quae solito asperior inhorruerat, adeo ut plerosque vis algoris exstingueret, obvium habet in porta Ambianensium civitatis pauperem nudum: qui cum praetereuntes ut sui misererentur oraret omnesque miserum praeterirent, intellegit vir Deo plenus sibi illum, aliis misericordiam non praestantibus, reservari. quid tamen ageret? nihil praeter chlamydem, qua indutus erat, habebat: iam enim reliqua in opus simile consumpserat. arrepto itaque ferro, quo accinctus erat, mediam dividit partemque eius pauperi tribuit, reliqua rursus induitur. interea de circumstantibus ridere nonnulli, quia deformis esse truncatus habitu videretur: multi tamen, quibus erat mens sanior, altius gemere, quod nihil simile fecissent, cum utique plus habentes vestire pauperem sine sui nuditate potuissent.
https://www.unifr.ch/bkv/kapitel2033-3.htm
Fassen wir zusammen: Bereits in der frühen Martinusüberlieferung beschreibt der erste der Hagiographen die Geschichte von der Mantelteilung. Das sollte nicht als Beleg für die Historizität der Begebenheit missverstanden werden, ABER dürfte ein Beleg dafür sein, dass die Uminterpretation von Grabsteindarstellungen kaum die Schablone für die Geschichte geboten hat, da die Geschichte von einem Zeitgenossen sowohl Martinus' als auch der Sitte solche Grabsteine aufzustellen, der also vor einer derartigen Missinterpretation gefeit war, bereits existierte. Zudem - entgegen dem Bild, was wohl die meisten von uns von dieser Geschichte haben - ist hier nicht die Rede davon, dass Martin beritten unterwegs war als er den Mantel teilte.

Was meint ihr?
 
Zudem - entgegen dem Bild, was wohl die meisten von uns von dieser Geschichte haben - ist hier nicht die Rede davon, dass Martin beritten unterwegs war als er den Mantel teilte.

Das nicht, aber einen Gardereiter stellt man sich halt gern mit Pferd unterm Hintern vor.

"Martinus selbst ergriff in seiner Jugend das Waffenhandwerk und diente in der Gardereiterei unter Kaiser Constantius, dann unter Kaiser Julian."
 
Natürlich. Aber auch ein Gardereiter bewegt sich auch mal anders, als nur mit dem Zossen.

Wenn der Gardereiter den Bettler am Stadttor getroffen hat, dann wird er wohl entweder von auswärts gekommen sein oder er wollte aus der Stadt hinaus.
Außerhalb der Stadt unterwegs - mit Waffen, aber ohne Pferd?
 
Da haste natürlich mal wieder Recht. (Wobei ich auch noch ne faule Ausrede in petto hätte, Sulpicius sagt ja ausdrücklich, dass Martin vor lauter Askese und Spendenfreudigkeit eigentlich nur noch eine Garnitur besaß. Der hatte also gar nix anderes mehr anzuziehen ;))
 
Seine erste Blüte erlebte der Martinskult in der Merowingerzeit. Die Franken kannten die römische Kavellerie nicht nur aus eigener Anschauung, sie waren die spätrömische Kavellerie. Die typischen Ausrüstunggsgegenstände des Reiterheiligen waren noch immer aktuell. Spatha, Clamys usw. waren im Frühmittelalter so weit verbreitet, dass eine Verwechselung oder Fehlinterpretation zu dieser Zeit ausgeschlossen werden muss.

Um einen ernstzunehmen Vergleich anzustellen, müsste man natürlich besonders alte Abbildungen des Heiligen Martin betrachten und die Entwicklung der Ikonografie über die Jahrhunderte untersuchen.

Man sieht eher selten Reiter, die mit dem Schwert in der Hand ihre Gegner niederreiten, die spatha wird am Gürtel getragen und stattdessen die leichte Reiterlanze benutzt.
Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass Martin nicht der einzige Reiterheilige war. Der Heilige Georg reitet den Drachen nieder und bearbeitet ihn mit der Lanze.

Einen Sinnzusammenhang sehe ich auch zu anderen Soldatenheiligen, die zur gleichen Zeit und in der gleichen Gegend wie Martin populär wurden. Ich meine die zahllosen Märtyrer der (angeblichen) Thebaischen Legion. Die Darstellung als Reiter ist allerdings bei Mauritius und Co nicht so stark im Fokus wie bei Martin und Georg.

Heilige zu Pferd, bewaffnet mit Schwertern und Lanzen waren der Trend im Gallien der Spätantike, besonders beliebt bei Franken und Burgunden.
 
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Einen Sinnzusammenhang sehe ich auch zu anderen Soldatenheiligen, die zur gleichen Zeit und in der gleichen Gegend wie Martin populär wurden. Ich meine die zahllosen Märtyrer der (angeblichen) Thebaischen Legion. Die Darstellung als Reiter ist allerdings bei Mauritius und Co nicht so stark im Fokus wie bei Martin und Georg.

Was natürlich auch daran liegt, dass ihren Legenden zurfolge die Märtyrer ja gerade deshalb Märtyrer wurden, weil sie ihrem Beruf zum Trotz mit der Konversion zu Pazifisten wurden bzw. ihre Befehle verweigerten.
 
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Wahrscheinlich handelt es sich um eine frühe Form der Translatio. Römische Soldaten werden zu christlichen Märtyrer. Diese pazifistischen Märytrer wie Mauritius und Georg werden dann aber vom fränkischen Adel zu Soldaten und Rittern umgedeutet. Aus den Pazifisten der Heiligenlegenden werden so wie Idole der Kreuzfahrer.
Wobei Martin von Tours anders als seine Vorgänger kein Märtyrer war.

Eigentlich wollte ich Martin von Tours mit dem Reiterstand Marc Aurels vergleichen, dass im Mittelalter für Konstantin gehalten wurde.
Ich habe dann aber noch was besseres gefunden: Marc Aurel in Martinspose
Bei den Bettlern handelt es sich um Markomannen. Der triumphierende Kaiser zeigt sich milde.

Ein Kaiser in ähnlicher Pose ist auf dem Barberini-Diptychon abgebildet. Der Kaiser zu Pferd triumphiert über eine flehende Frau.
 
Ich schlage einen Moment des stillen Gedenkens vor für die Generationen von Pennälern, die gerätselt haben ob ein geteilter Mantel tatsächlich wärmen kann. Man stellte sich das natürlich vor wie einen richtigen Mantel, der dann von oben nach unten brüderlich geteilt wurde. Jeder einen Ärmel.

Ihr Spezis hier wusstet dagegen vermutlich bereits vor eurer ersten Religionsstunde, dass der Mantel ein Umhang war :hmpf:
 
In katholischen Landen wissen das schon die Kindergartenkinder, da es jährlich beim Martinsumzug nachgestellt wird. Auch wenn es heute oft eine Martina ist.

Edit: Ich war allerdings lange davon überzeugt, dass die Römer den Klettverschluss erfunden hatten.
 
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Könnte sein. Das Buch "die Heiden von Kumerow" spielt tatsächlich im eher protestantischen Norden, dort fand ich einen Disput wieder der mich an eigene Kindheitszweifel erinnerte. Die praktisch veranlagten Bauernkinder der Buchvorlage wunderten sich, warum der Mann nicht dem Bedürftigen eine schöne Decke abgeschnitten hat und selber eine Joppe behielt, statt dass beide einen halben Mantel tragen mussten.
 
Soweit ich weiß, sind die heiligen Reiter, eher eine Adaption alter Götter, die umfunktioniert wurden. Siehe thrakischer Reiter/Heros der mit einer Lanze gegen eine Schlange/Drache kämpft oder Odin auf Sleipnir
 
Wobei Odin auf dem Sleipnir anscheinend erst für das 8./9. Jhdt. belegt ist.

So weit wie Du muss man wohl gar nicht gehen. Dass ein Heiliger als "Reiterkrieger" für kriegerische Gesellschaften ansprechend wirkt, liegt auf der Hand.
 
Zumal Martin von Tours eine historische Gestalt ist. Ein sich dem Mönchtum zwendender Soldat/Söldner/Krieger ist dazu nicht so ungewöhnlich. Insbesondere in einer Zeit, als dies für die oberen Schichten eine gewöhnliche Lebensform für das Alter darstellte.

Nun halten heute viele diese Lebensform für so unattraktiv, dass sie die Freiwilligkeit eines solchen Schritts generell Verneinen. Das ist aber lediglich ein Rückfall in die Unart die eigene Mentalität zum Maß aller Dinge zu erheben und keinesfalls ein Argument gegen bis heute vielfach bezeugtes Verhalten.

Damit sind dann auch Ex-Soldaten in hohe kirchliche Ämter gelangt. Ein Teil davon waren sicher Ex-Reitersoldaten. Da nun Äbte und Bischöfe gerne zu Heiligen erklärt wurden, sind nun auch ehemalige Reiter unter die Heiligen gefallen.

Damit mag man zwar bei einzelnen Heiligen einer Vermischung mit oder gar Ableitung von einem Gott nachgehen, doch als Generalisierung oder Norm ist es lediglich ein Mythos.

Ob Legenden, Merkmale oder Darstellungsweise von heidnischen Aspekten beeinflusst wurden ist dann wieder eine andere Frage.

Und es gibt tauglichere Beispiele als Martin, um Legenden angezweifelt. Denken wir an Mauritius und die thebaische Legion. Die thebaische Legion wird in der Notitia Dignitatum erwähnt und es kann einen Offizier namens Mauritius gegeben haben. Kann, vielleicht. Denn die Legende an sich ist ausgedacht. Genauso gut können die Mönche sich ihren Heiligen also auch nach einem Grabmal ausgedacht haben. Oder einem Götterbild.

Der hl. Georg mag Märtyrer gewesen sein. Nicht endgültig zu beweisen und nicht endgültig zu widerlegen. Die Sache mit dem Drachen kam während der Kreuzzüge auf. Da kann auch so Manches am Anfang gestanden haben.

Aber das ist eben nicht regelmäßig so, sondern je nach Fall zu beurteilen.
 
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