Religionsfreiheit in Europa im 15. Jh.

Portugreece

Mitglied
Wie war die Religionsfreiheit in Europa im Mittelalter (so zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert)?
Durfte man in den westeuropäischen Ländern Moscheen und andere nichtchristliche Gotteshäuser errichten? War Apostasie erlaubt?
Ich weiß nur, dass in Frankreich unter Ludwig dem IV. noch weniger Religionsfreiheit existierte als heute in Saudi Arabien. Unter dem König war schon allein das Sein, also die bloßes Existenz eines Andersgläubigen illegal. So hieß es: "Jeder, der unseren Glauben nicht trägt, soll das Land verlassen!"
Und in heutigem Andalusien (Südspanien) sah die Kirche den Islam als ein Teil des Teufels, den es von der ibirischen Halbinsel zurück nach Marrokko zu drängen gelte.
 
Die endgültige Vertreibung der Muslime aus Spanien fand erst 1608/09 statt. Wobei sie spätestens ab 1499 wachsenden Repressalien ausgesetzt waren, was zu einer Ent-Arabisierung der Muslime einerseits, zu Aufständen andererseits führte. Juden waren ja 1492 aus Spanien ausgewiesen worden und hatten auch in Portugal einen schweren Stand. In beiden Ländern sahen sich Neu-Christen unter dem stetigen Verdacht, es mit dem Christentum nicht allzuernst zu meinen.
Ein Land, das als sehr tolerant gilt, während überall die Konfessionskriege tobten, ist Polen. Das änderte sich als Polen die 'blutige Sintflut' erlebte, als Polen von den protestantischen Schweden einerseits und den orthodoxen Russen andererseist besetzt wurde. Außerdem war man mit den muslimischen Osmanen verfeindet und damals, in der zweiten Hälfte des 17. Jhdts. setzte sich die Auffassung durch, dass der Katholizismus mit dem Polentum unmittelbar verbunden sei.
 
Hallo,
Deine Fragen lassen sich im wesentlichen schlicht mit "nein" beantworten. Individuelle Religionsfreiheit gab es nicht, das ist eine moderne Vorstellung. Die Zeit heißt, mit Blick auf Deutschland, ja auch das konfessionelle Zeitalter oder auch Zeitalter der Glaubenskriege.
Gruß, Peterchen
 
Ich bin der Überzeugung dass man das Mittelalter und das Leben in der Zeit nicht verstehen kann ohne den Glauben der Leute zu verstehen. Der Christliche Glaube durchzog das gesamte Leben. Die Dörfer und Städte waren, zumindest in Norddeutschland, in Kirchspiele organisiert. Es gab, gerade vor dem Investiturstreit, keine Trennung von Staat und Kirche. Das wichtigste ist aber, dass die Gesellschaft, per Definition Christlich war. Alle Angehörige der Gesellschaft waren Christen. Daher das festhalten an der Kindertaufe, auch nach der Reformation und daher auch die Sonderregeln und daraus resultierend die Missgunst und Ausgrenzung gegenüber den Juden.
Was mir aber immer wieder auffällt, dass man innerhalb der Kirche bis zur Reformation relativ gelassen mit andersdenkenden Christen umging, solange man nicht zu mächtig wurde, wie z.B. wie die Konziliaristen, konnte man sogar recht offen den Papst kritisieren.
Unser heutiges Bild einer Intoleranten Kirche mit ihrer Verfolgung Andersdenkender und der Inquisition, entspricht eher der Zeit nach der Reformation.
 
Von der Inquisition zu sprechen halte ich für problematisch. Da hast du einerseits die Inquisition in Südfrankreich in Verbindung mit dem Albigenserkreuzzug im frühen 13. Jahrhundert, auch in Norditalien. Dann hast du die spanischen und römischen Inquisitionen im 16. Jhdt. ff., wobei die spanische Inquisition mehrere Zehntausend Menschen das Leben kostete und darauf ausgelegt war, eine möglichst homogene Untertanenschaft zu schaffen, wohingegen die römische Inquisition verhältnismäßig milde war und dem Volk teilweise als "zu judenfreundlich" galt. Als ein Bischof mal die Kinder einer jüdischen Familie entführen ließ, um sie zu taufen, wollten die Inquisitoren als Schutzmacht der Juden die Kinder zurückholen und ihrer Familie zurückgeben. Das führte zu einem regelrechten theologischen Disput darüber, ob man einmal getaufte Kinder wieder in die Renegation fallen lassen dürfe. Am Ende einigte sich die Inquisition mit dem Bischof auf einen Kompromiss - der natürlich aus Sicht der jüdischen Gemeinde und besonders der betroffenen Familie als recht faul wahrgenommen werden muss: Die Hälfte der Kinder durfte zu den eltern zurückkehren, die andere Hälfte blieb in der Obhut des Bischofs.
Während also gleichzeitig in Spanien die Spanische Inquisition auf Neu-Christen wegen des impliziten Generalverdachts, dass es sich um Kryptojuden handele, einen ungeheuren Verfolgungsdruck aufbaute (gegen offen zum Judentum stehende hätte auch sie nichts ausrichten dürfen, aber offizielle Juden gab es in Spanien ja nicht mehr), ahndete die römische Inquisition Vergehen, die sich gegen die Juden richteten. Wobei es zeitgleich auch Vertreibungen von Juden aus dem Kirchenstaat, mit Ausnahme von Rom und Ancona gab.
Die römische Inquisition ist natürlich im kollektiven Bewusstsein eher als mit allem anderen mit dem "Maulkorb" für Galileo Galilei oder mit Justizmorden wie dem an Giordano Bruno verbunden.
 
Wie war die Religionsfreiheit in Europa im Mittelalter (so zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert)?
Durfte man in den westeuropäischen Ländern Moscheen und andere nichtchristliche Gotteshäuser errichten? War Apostasie erlaubt?
Ich weiß nur, dass in Frankreich unter Ludwig dem IV. noch weniger Religionsfreiheit existierte als heute in Saudi Arabien. Unter dem König war schon allein das Sein, also die bloßes Existenz eines Andersgläubigen illegal. So hieß es: "Jeder, der unseren Glauben nicht trägt, soll das Land verlassen!"
Und in heutigem Andalusien (Südspanien) sah die Kirche den Islam als ein Teil des Teufels, den es von der ibirischen Halbinsel zurück nach Marrokko zu drängen gelte.

Ludwig IV von Frankreich? Der lebte im 10. Jahrhundert! :confused: Ist wohl der Sonnenkönig Ludwig XIV gemeint?

Mit dem https://de.wikipedia.org/wiki/Edikt_von_Fontainebleau wurde unter Ludwig XIV der Katholizismus als Staatsreligion erklärt und damit den anderen christlichen Konfessionen die Existenzgrundlage entzogen. Für diese anderen Konfessionen (zumeist Kalvinisten) hieß es entweder konvertieren oder auswandern. Der ein oder andere mehr oder weniger freiwillig konvertierte Neukatholik mag im insgeheimen an seiner alten Konfession festgehalten haben. Eine Ausnahme bildete das seit 1648 französische Elsaß, wo bedeutende protestantische Gemeinden noch existieren konnten.

Aber die Frage bezieht sich auf die anderen Relgionen, wie Islam und Judentum. Das Judentum hatte nach der Ausweisung der Juden 1394 aus Frankreich nur eine sehr geringe Bedeutung. In einigen Gebieten Frankreichs konnten sich jüdische Gemeinden halten. Islamische Gemeinden in Frankreich im Spätmittelalter oder in der frühen Neuzeit sind mir nicht bekannt. Angesichts der Tatsache, dass Frankreich auch nicht im Gegensatz zu Spanien islamisch bzw. arabisch beherrscht wurde, und auch keine Emigration aus islamischen Ländern gab und aufgrund der restriktiven Relgionspolitik kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es islamische Gemeinden dort gab.

Eine Religionsfreiheit, also in dem Sinne, dass man seine Religion frei wählen und ausüben durfte, ist erst ein Produkt des späten 18. Jahrhunderts.
 
Eine Religionsfreiheit, also in dem Sinne, dass man seine Religion frei wählen und ausüben durfte, ist erst ein Produkt des späten 18. Jahrhunderts.

Noch ein Nachtrag:

im Heiligen Römischen Reich bestand m. W. die Religionsfreiheit (im Sinne von Wahl der katholischen oder lutheranischen Konfession) in den freien Reichsstädten:

[Regelung für die Reichsstädte]
§ 27. Nachdem aber in vielen Frey- und Reichs-Städten die beede Religionen, nemlich Unsere alte Religion und der Augspurg. Confession-Verwandten Religion ein zeithero im Gang und Gebrauch gewesen, so sollen dieselbigen hinführo auch also bleiben und in denselben Städten gehalten werden und derselben Frey- und Reichs-Städt Bürger und andere Einwohner, geistlichs und weltlichs Stands, friedlich und ruhig bey- und neben einander wohnen und kein Teil des andern Religion, Kirchengebräuch oder Ceremonien abzuthun oder ihn darvon zu dringen unterstehen, sonder jeder Theil den andern laut dieses Friedens bey solcher seiner Religion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Ceremonien, auch seinen Haab und Gütern und allem andern, wie hie oben beeder Religion Reichs-Ständ halben verordnet und gesetzt worden, ruhiglich und friedlich bleiben lassen.

Internet-Portal "Westflische Geschichte" / 1555-09-25: Augsburger Reichsabschied ["Augsburger Religionsfrieden"]

Ich bin mir allerdings unsicher, ob damit auch ein individuelles Recht des Bürgers der Freien Reichsstädte gemeint sein könnte, vom Katholizismus zum Augsburger Bekenntnis (Lutheraner) oder umgekehrt zu konvertieren. Interessant wäre es, wie bei Eheschließungen zu verfahren wäre. Müßte dann ein Ehepartner (vermutlich die Frau) zur Konfession des anderen wechseln oder dürften sie weiterhin in ihrer Konfession bleiben?

Zur Frage der Konversion zwischen den Religionen habe ich noch etwas zu Konvertierungen vom Christentum zum Judentum gefunden:

Eine besondere Rolle für das vorliegende Thema spielt die Stadt Amsterdam, wo
bereits im 17. Jahrhundert eine relativ weitgehende Religionsfreiheit herrschte, die
Konversionen zum Judentum zuließ und zur Entstehung eines eigenen Millieus von
Konvertiten, Philosemiten und sogenannte „Judaizantes“ führte, das Hans Joachim
Schoeps in mehreren Arbeiten untersucht hat. Wie das Schicksal des erwähnten
Moses Germanus verdeutlicht, folgte daraus aber noch nicht unbedingt auch eine
erfolgreiche Integration in eine der bestehenden jüdischen Gemeinden.
http://www.forum-juedische-geschichte.de/ForumBericht04.pdf

Einfacher war allerdings der freiwillige und unfreiwillige Übertritt vom Islam oder Judentum zum Christentum. Allerdings gab es im frühen 17. Jhdt. in Spanien eine Ausweisung der sog. Morisken, also der vom Islam zum Christentum konvertierte Mauren, die noch heimlich ihren alten Glauben pflegten. Hier stellt sich für mich die Frage, wie es nachzuweisen war, dass sie ihren alten Glauben noch weiterhin pflegten, oder ob sie unter Generalverdacht alle ausgewiesen worden sind, die von Moslems abstammten. Aber dafür mache ich wohl besser ein neues Thema auf.
 
Häufig war das Verhalten der Autoritäten ganz pragmatisch und orientierte sich am Verhalten der Gläubigen. Franz von Waldeck war beispielsweise Bischof von Minden, Osnabrück und Münster.
Im Bistum Minden gab es keine Reformation. Da war seine Position als Bischof unangefochten.
In Münster predigte Bernd Rottmann zunächst lutheranische Thesen, später dann täuferische und holte 1533 Täufer aus den Niederlanden nach Münster. Die münstersche Kurie wurde vertrieben und zog sich nach Dülmen zurück, die Autorität des Bischofs war in Frage gestellt. Irgendwann war die Ratsmehrheit in Münster mehrheitlich protestantisch, aber die katholischen sowie lutheranischen Räte wurden aus der Stadt vertrieben und die Täufer übernahmen die Macht in Münster. Sie führten die Erwachsenentaufe und später auch die Vielweiberei und Gütergemeinschaft ein (wobei es dann wieder Leute gab, die gleicher waren als die anderen. Es kam dann zu einer knapp einjährigen Belagerung Münsters durch die Truppen des Bischofs Franz von Waldeck. Jan Matthis, der Prophet der münsterschen Täufer (die münsterschen Täufer hatten sich wohl gegenüber den Gemeinden in Amsterdam, Leiden etc. radikalisiert) machte Ostern 1535 einen Ausfall aus der belagerten Stadt, denn er hatte der Bevölkerung den Weltuntergang vorausgesagt. Jan Bokelson/van Leiden übernahm dann die Macht in der Stadt und erklärte als der Weltuntergang ausblieb, diesen zu einem inneren Weltuntergang. Naja, am Ende stürmten die Truppen des Bischofs die Stadt und die führenden Täufer wurden zu Tode gemartert.
In Osnabrück wieder lief es anders. Entsprechend der lutheranischen Obrigkeitshörigkeit sprachen die Protestanten Osnabrücks ganz freundlich beim Bischof vor, dass er ihnen einen Raum für ihre Gottesdienste gewährte. Dies tat Franz von Waldeck. Insofern war die Reaktion der geistlichen Obrigkeit vielfach auch vom Verhalten der reformatorisch Gesinnten abhängig.
 
Ich bin mir allerdings unsicher, ob damit auch ein individuelles Recht des Bürgers der Freien Reichsstädte gemeint sein könnte, vom Katholizismus zum Augsburger Bekenntnis (Lutheraner) oder umgekehrt zu konvertieren. Interessant wäre es, wie bei Eheschließungen zu verfahren wäre. Müßte dann ein Ehepartner (vermutlich die Frau) zur Konfession des anderen wechseln oder dürften sie weiterhin in ihrer Konfession bleiben?
Konversionen und Ehen zwischen konfessionsverschiedenen Paaren kamen vor, waren aber selten.
Wer seine Konfession "verriet", hatte mit sozialen Konsequenzen zu rechnen:

Konfessionelle Grenzen zwischen Auflösung und Verhärtung
 
Hier stellt sich für mich die Frage, wie es nachzuweisen war, dass sie ihren alten Glauben noch weiterhin pflegten, oder ob sie unter Generalverdacht alle ausgewiesen worden sind, die von Moslems abstammten. Aber dafür mache ich wohl besser ein neues Thema auf.

Im Quijote gibt es eine wunderschöne Stelle über das Einsalzen von Schweinefleisch durch Dulcinea. Es wird nur gesagt, dass sie es einsalzt, nicht dass sie es auch isst...

Tatsächlich unterschieden sich die Nachnamen von Altchristen und Neuchristen voneinander. Die Altchristen trugen Patronyme (Bsp.: Fernández), die Neuchristen trugen Herkunftsnamen (Bsp.: de Cartagena). Es war also leicht, Neu- und Altchristen zu unterscheiden. Wenn man einen Konflikt hatte, musste man nur behaupten, dass jemand die jüdischen gebote einhielt oder sich zum Freitagabend in sein Haus einschloss und man seltsame Gesänge hörte, schon hatte derjenige ein ernsthaftes Problem.

Von Hieronymus Münzer gibt es einen Bericht, dass er in Sevilla auf der Suche nach einem Arzt gewesen sei und dabei erfuhr, dass die Morisken selbst des Arabischen nicht mehr mächtig waren.
 
Im Quijote gibt es eine wunderschöne Stelle über das Einsalzen von Schweinefleisch durch Dulcinea. Es wird nur gesagt, dass sie es einsalzt, nicht dass sie es auch isst...

Nein, nein, welch schreckliche Vorstellung. - Nie würden ihre zarten Hände Schweinefleisch pökeln, geschweige denn es auch noch essen. Die echte Aldonza Lorenzo schon eher. Sancho Pansa kennt sie mit durchdringender Stimme, kräftigen Oberarmen fürs Einpökeln und "Haaren auf den Zähnen". Ihr hat das Schweinefleisch sicher sehr geschmeckt.
 
Meint ihr, dass man mit dem christlichen Europa vor der Aufklärung im 18. Jh. eine Analogie zur heutigen Islamischen Welt im Bezug auf fehlende Religionsfreiheit herstellen kann? Befindet sich der Islam also lediglich in einem anderen Entwicklungsstadium, das das Christentum schon durchlaufen hat? Oder meint ihr, dass die Verfolgung von religiösen Minderheiten in den islamischen Ländern ein spezifisches Problem ist, das andere Ursachen hat als die religiöse Verfolgung in Westeuropa vor der Aufklärung.
Wobei zu beachten ist: Religiöse Verfolgung ist nicht = keine Religionsfreiheit. In vielen islamischen Staaten existiert mittlerweile formal Religionsfreiheit.
 
Der Schutz der Dhimma (das sind in erster Linie Juden und Christen aber auch aus pragmatischen Gründen auch Zoroastrier) war immer ein zentraler Bestandteil des islamischen Staatsverständnisses. Vor dem 20. Jhdt. waren Verfolgungen dieser drei Religionen eher die Ausnahme als die Regel. So z.B. in den Jahren 1008/09 durch den Fāṭimidenkalifen al-Ḥākim oder 1066 in Granada. Die militante Intoleranz des Wahhabitismus und Salafismus gegenüber religiösen Minderheiten oder gegenüber Homosexuellen hat im Islam keine Tradition. Sie ist rezent.
 
Ich bin der Überzeugung dass man das Mittelalter und das Leben in der Zeit nicht verstehen kann ohne den Glauben der Leute zu verstehen. Der Christliche Glaube durchzog das gesamte Leben. Die Dörfer und Städte waren, zumindest in Norddeutschland, in Kirchspiele organisiert. Es gab, gerade vor dem Investiturstreit, keine Trennung von Staat und Kirche. Das wichtigste ist aber, dass die Gesellschaft, per Definition Christlich war. Alle Angehörige der Gesellschaft waren Christen. Daher das festhalten an der Kindertaufe, auch nach der Reformation und daher auch die Sonderregeln und daraus resultierend die Missgunst und Ausgrenzung gegenüber den Juden.
Was mir aber immer wieder auffällt, dass man innerhalb der Kirche bis zur Reformation relativ gelassen mit andersdenkenden Christen umging, solange man nicht zu mächtig wurde, wie z.B. wie die Konziliaristen, konnte man sogar recht offen den Papst kritisieren.
Unser heutiges Bild einer Intoleranten Kirche mit ihrer Verfolgung Andersdenkender und der Inquisition, entspricht eher der Zeit nach der Reformation.

Ich finde, dass Glaube in der historischen Darstellung oft überbetont wird. Auch wenn es nicht überall eine Inquisition gab, die Leute wurden von Pfarrern geschlagen und unterdrückt. Sie mussten für die Kirchenbauten aufkommen, den Lebenswandel der Kleriker aufkommen und waren bis weit ins Mittelalter hinein heidnischen Bräuchen viel eher verpflichtet als der christlichen Lehre. Die katholische Kirche, aber auch später einige protestantische Kirchen, kannten keinen Toleranzgedanken, sondern v.a. Machtgedanken. Eine Trennung von Staat und Kirche gab es schon deshalb nicht, weil es keinen "Staat" im modernen Sinn gab.

Das Osmanische Reich war bis zu einem gewissen Grad m.W. gegenüber Christen relativ tolerant, aber auch das nicht im heutigen Sinn von "Toleranz", eher im Sinne von einem absoluten Mindestmaß an Duldung.
 
Ich finde, dass Glaube in der historischen Darstellung oft überbetont wird. Auch wenn es nicht überall eine Inquisition gab, die Leute wurden von Pfarrern geschlagen und unterdrückt. Sie mussten für die Kirchenbauten aufkommen, den Lebenswandel der Kleriker aufkommen und waren bis weit ins Mittelalter hinein heidnischen Bräuchen viel eher verpflichtet als der christlichen Lehre. Die katholische Kirche, aber auch später einige protestantische Kirchen, kannten keinen Toleranzgedanken, sondern v.a. Machtgedanken. Eine Trennung von Staat und Kirche gab es schon deshalb nicht, weil es keinen "Staat" im modernen Sinn gab.

Das scheint mir nun doch etwas verkürzt und teilweise ahistorisch argumentiert. "Die Leute wurden von Pfarrern geschlagen und unterdrückt" ist im Grunde eine wenig sinnvolle Verallgemeinerung, die kaum die unterschiedlichen Formen und die Veränderungen spätmittelalterlicher Religiosität abdeckt. In vielen Städten waren beispielsweise die Klöster der Dominikaner(innen) und Franziskaner(innen) viel prägender als die Leutpriester der jeweiligen Stadtkirchen.

Auch der Bau einer Kirche war nicht notwendigerweise auf den Druck von Geistlichen zurückzuführen. Es konnte durchaus - wie etwa beim Ulmer Münster - ein Zeichen für den Reichtum und das Selbstbewusstsein einer Kommune sein.

Man wird darüber hinaus mit dem aufklärerischen Gedanken der "Trennung von Staat und Kirche" (samt staatlicher Aufsicht über die ihm unterstellten Glaubensgemeinschaften) dem SMA kaum gerecht, weil die Stellung des Staates als Institution über allen anderen Gemeinschaften auf seinem Territorium sich erst allmählich herausbildete. Auch die Reformatoren haben nicht versucht, den Glauben aus der Mitte des Lebens zu verbannen. Und gerade in den freien Reichsstädten wurde die Reformation oftmals als gemeinschaftliches Anliegen der Bürgergemeinde eingeführt - eine Trennung in geistliche und weltliche Belange war in diesem Fall gar nicht mehr sinnvoll möglich.

Das alles spricht dafür, dass man das spätmittelalterliche Europa (und auch das der Frühen Neuzeit) durchaus als eine sehr von der christlichen Religion in ihren verschiedenen Formen geprägte Gesellschaft ansehen kann.
 
Auch die Reformatoren haben nicht versucht, den Glauben aus der Mitte des Lebens zu verbannen.

Im Gegenteil. Unter der schottischen Spielart des Calvinismus hat man sogar den sozialen Druck auf die Gläubigen, ja zur Kirche und den anschließenden Bibellektüren zu kommen und dabei zu bleiben mit einer Art Sitten- und Glaubens"polizei" erhöht. Wer nicht in den Gottesdienst oder zu den Lektürestunden kam, musste sich für sein Fernbleiben rechtfertigen.

Das alles spricht dafür, dass man das spätmittelalterliche Europa (und auch das der Frühen Neuzeit) durchaus als eine sehr von der christlichen Religion in ihren verschiedenen Formen geprägte Gesellschaft ansehen kann.
Die Frage ist natürlich, was Peter mit "bis weit ins MA" meint. Meint er damit bis ins 9. Jhdt.? Oder meint er damit bis ins 13. Jhdt.? Die Merseburger Zaubersprüche oder das Sächsische Taufgelöbnis könnte man durchaus für ein Fortleben des Heidentums heranziehen. Deshalb erwarte ich ja mehr Präzisierung.
 
...die Leute wurden von Pfarrern geschlagen und unterdrückt. Sie mussten für die Kirchenbauten aufkommen, den Lebenswandel der Kleriker aufkommen und waren bis weit ins Mittelalter hinein heidnischen Bräuchen viel eher verpflichtet als der christlichen Lehre.

Ich denke das diese Schilderung im Mittelalter nicht der Normalfall war. Für das Spätmittelalter zeichnet Diarmaid MacCulloch in seinem Buch "Die Reformation" ein ganz anderes Bild. Die Gläubigen wollten ihr Bedürfnis nach Religiosität befriedigt wissen. Zu dem war die Angst vor ewiger Verdammnis tief in den Menschen verwurzelt, so dass sie sich freiwillig in das System einfügten.
Frömmigkeitsformen, wie die Devotio Moderna. Fanden viel Anklang bei den Gläubigen und wurden alles andere als von Oben diktiert.
MacCulloch schildert auch, dass Gemeinden, die mit dem Dienst ihres Pfarrers unzufrieden waren, Wandermönche zur Messe und zur Beichte in die Dörfer holten, was zu Spannungen zwischen Orden und Priestern führte.
Reiche Bürger, Zünfte, Bruder- oder Schwesternschaften spendeten ohne zwang Geld oder Arbeitskraft für Sakrale Bauten.
Natürlich gab es auch den von Oben diktierten, erzwungenen Glauben, aber man sollte das nicht pauschal für das ganze Mittelalter annehmen.
 
Zu dem war die Angst vor ewiger Verdammnis tief in den Menschen verwurzelt, so dass sie sich freiwillig in das System einfügten.

Genau das glaube ich so nicht, auch wenn es natürlich dem entspricht, was konventionell in den Geschichtsbüchern geschrieben steht. Die Angst vor ewiger Verdammnis ist eine zutiefst christliche, und in meinen Augen oktroyierte. Darauf muss man erstmal kommen, wenn man an sich pagan geprägt ist, auf eine solche "Hölle" und dergleichen.

Meine Argumentation ist eine andere: Diese Angst vor ewiger Verdammnis wurde von den Klerikern nachgerade erst geschaffen, um auf diese Weise die neuen, dann untertänigen Gläubigen christlichen Herrschaftsverhältnissen gewissermaßen geistlich zu unterwerfen und ihren angestammten "heidnischen" Stammeskulturen zu entreißen.

Ich beziehe mich aufs Frühe Mittelalter, nicht aufs Hochmittelalter und nicht aufs Späte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dass die Angst vor der Hölle keine Urmenschliche Eigenschaft ist und dass diese Angst gerne von den Klerikern ausgenutzt wurde ist denke ich klar. Ich denke aber dass man die Angst vor einer Göttlichen Strafe in den meisten Religionen findet, gerade die Germanischen Religionen werden da wohl keine Ausnahme gemacht haben. Die Untertanen tauschten also lediglich die Angst vor dem einen, gegen die Angst vor dem anderen Gott.
Auch wenn diese Angst, wie das meiste in unserem Leben, nur anerzogen ist, so war sie, denke ich, tief in den Menschen verwurzelt, weil, der Glaube an die Existenz eines Gottes ebenso tief verwurzelt war. Dran sieht man, dass ein Mittelalter ohne Gott, im großen, wie im kleinen, einfach nicht denkbar ist.
 
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