Ritterlichkeit: Interpretation und Biographien

muck

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Einleitung

Das Mittelalter ist eine Epoche voller Widersprüche. Einer davon hat mich stets mehr fasziniert als die meisten: der Kontrast zwischen dem weit verbreiteten romantischen Bild von Ritterlichkeit und der verbürgten Realität mittelalterlicher Kriegsführung. Ich möchte diesen Beitrag nutzen, um mich dem Phänomen zu nähern, und die Frage aufwerfen, ob es sich wirklich um einen Widerspruch handelt.

Wohlgemerkt, dieser Text soll natürlich keine wissenschaftliche Arbeit werden, das überstiege meine Möglichkeiten und meinen Anspruch. Hauptsächlich möchte ich ein paar Gedanken ohne Gewähr auf Richtigkeit in den Raum werfen und das Echo hören, und nebenbei ein paar Leseempfehlungen teilen.

Vielleicht ist ja der eine oder andere ebenfalls an der Thematik interessiert.

Natürlich werde ich hier auch keine bahnbrechenden Erkenntnisse – oder auch nur einen halbwegs vollständigen Überblick – abliefern können, deswegen soll das Folgende vor allem als Einleitung für den eigentlichen Sinn und Zweck dieses Fadens dienen: Ich möchte Kurzbiographien zu Personen sammeln, die zeitgenössischen Quellen entweder als besonders ritterlich oder unritterlich galten. So kann sich jeder selbst ein Urteil dazu bilden, was Ritterlichkeit war – oder auch: nicht war.

Denn manchmal versteht sich die Meinung der Zeitgenossen fast von selbst (so bei Pierre du Terrail, auf den die Phrase "ohne Fehl und Tadel" gemünzt war), während der gute Ruf des unumgänglichen Richard Löwenherz nicht leicht nachzuvollziehen ist. Und in wieder anderen Fällen kommt uns Propaganda in die Quere: Wie kam z.B. Johannes Duns Scotus dazu, den damals unerfahrenen Robert Bruce als "zweiten Ritter der Christenheit" zu bezeichnen (direkt nach Kaiser Albrecht I.)?

Widersprüche

Zunächst etwas zu diesem hypothetischen "Kodex" des Rittertums, der längst eine so feste Größe in unserer Popkultur geworden ist, und seiner Widersprüchlichkeit.

Zwar gibt es aus meiner Sicht keinen vernünftigen Grund zur Annahme, dass Kriege im Mittelalter brutaler geführt worden seien als in den Jahrhunderten davor oder danach. Doch machen übertrieben düstere Bilder die offensichtlich schönfärberischen Darstellungen vieler zeitgenössischer wie auch nachgeborener Autoren nicht richtiger. Ihr Bild von Rittertum und Ritterlichkeit erscheint uns oft naiv.

So gibt es für den Troubadour Bertran de Born keinen "lieblicheren" Ort als das Schlachtfeld. Der große Chronist des 14. Jahrhunderts, Jean Froissart, bringt es gar fertig, die Verheerung ganzer Landstriche als "edle Unternehmung" zu bezeichnen. Und der Historienroman kannte lange Zeit gefühlt sowieso keine romantischere Ära als das Mittelalter mit seinen edlen Rittern und holden Damen.

Die Abweichung zwischen ihrer Darstellung des Rittertums und der Realität scheint Froissart und Konsorten wenig zu stören, nicht einmal die Kriegserfahrenen unter ihnen. Der Hunger und die Seuchen, unter denen die Heere im Feld oft litten, kommen bei ihnen ebenso selten zur Sprache wie das Leid einer Bevölkerung, deren Lebensgrundlage in Kriegszeiten gewohnheitsmäßig vernichtet wurde.

Nachwehen dieser romantischen Verklärung finden wir sogar noch in der älteren Forschung, etwa in Johan Huizingas (trotzdem) großartigem 'Herbst des Mittelalters'. Sein Bild von Rittern und Ritterlichkeit ist meiner Meinung nach von den Statuten des Ordens vom Goldenen Vlies beeinflusst.

Und hier stoßen wir bereits auf Interpretationsschwierigkeiten. Denn zwar hatte der Orden wirklich einen Verhaltenskodex und nahm ihn überaus ernst, wie das Beispiel der öffentlichen Bestrafung wegen Ehebruchs beweist, die Herzog Karl der Kühne von Burgund 1468 in strikter Befolgung der Statuten gegen seinen Lieblingshalbbruder Anton aussprach. Andererseits lässt sich anhand solcher Anekdoten nichts über das Rittertum im Allgemeinen aussagen, sondern nur über diesen Orden.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts scheint sich das bis zur Romantik vorherrschende Bild des Rittertums völlig ins Gegenteil verkehrt zu haben, so jedenfalls mein Eindruck. Ob es so etwas wie einen Ritterkodex gab, diese Frage stellt sich vielen Fach- und Romanautoren nicht mehr.

Für David S. Bachrach versteckt sich hinter dem Begriff "code of chivalry" kaum mehr als Fan Fiction, vom Adel zur Selbstüberhöhung fabriziert. Frühere Historiker, findet er, hätten zu oft in der Artussage geschmökert und zu selten in zeitgenössischen Tatsachenberichten und archäologischen Quellen.

(Allerdings sei in diesem Zusammenhang erwähnt: Bachrach betont an anderer Stelle auch, fiktive Werke würden durchaus als Quellen taugen, da sie dem Leser plausibel erscheinen und also die Realität als Richtschnur akzeptieren mussten, um sein Interesse zu wecken.)

Die gleiche Ablehnung zeigt sich auch in neueren populärwissenschaftlichen und belletristischen Werken, über die man annehmen könnte, sie wären eher bereit, an beliebten Klischees festzuhalten.

So urteilt der Autor und Amateurhistoriker Shad M. Brooks auf seinem reichweitenstarken YouTube-Kanal Shadiversity, es habe niemals einen "Kodex" der Ritterlichkeit gegeben. Ein guter Ritter sei nach den Normen der Zeit schlicht einer gewesen, der tat, was man ihm abverlangte, morality be damned.

Und was den historischen Roman anlangt, genügt wohl zu wiederholen, was der Historiker Bernd Schneidmüller einmal zu mir über Bernard Cornwell gesagt hat, den heute weltweit meistgelesenen Autor des Genres: "Unter einem Absatz Blut pro Seite macht er's halt nicht."

Welcher Standpunkt ist nun zutreffend?

Und was meine ich, wenn ich behaupte, die oft völlig entgegengesetzte Realität widerspricht nicht notwendigerweise der Existenz eines Ideals von Ritterlichkeit?

Orientieren wir uns doch an den Eliten unserer Zeit, und denken z.B. an Leonardo DiCaprio. Der mit dem Privatjet zu einer Preisverleihung fliegt, um eine Rede über die Gefahren des Klimawandels zu halten. Was sagt er damit über sich aus: Vertritt er opportunistisch Werte, die er nicht beherzigt? Glaubt er, dass Regeln, die er für wichtig hält, für ihn nicht gelten? Ist er bloß faul?

Was auch immer davon zutreffen mag – im Tun aller Menschen klafft hin und wieder ein Riss zwischen moralischem Anspruch und schnöder Wirklichkeit. Und dieser Riss wird bei den Mächtigen oft zur Kluft.

Damit ist freilich noch nichts über die Existenz und Gültigkeit des verfehlten Ideals ausgesagt. Und streng genommen nicht einmal über die Aufrichtigkeit der Überzeugung dessen, der das Ideal propagiert, ihm aber nicht gerecht wird. Zunächst sehen wir nur, dass das Ideal schwer zu erreichen ist.

Zu den großen Missverständnissen in diesem Zusammenhang zählt außerdem die Annahme, es müsse – nach den Maßstäben seiner Zeit – überhaupt einen Widerspruch darstellen, wenn ein Ritter hier ein Prinz Eisenherz war und dort der Schlächter eines Weilers. In der ständischen Ordnung des Mittelalters war es alltäglich, einer Personengruppe Privilegien zuzugestehen, die man einer anderen verweigerte.
 
Ritterlichkeit

Zur Klärung der Frage, ob es eine Art Kodex der Ritterlichkeit gab, will ich mich zunächst an einen Versuch wagen, den Begriff zu definieren. Dabei fällt als Erstes auf, dass er in zeitgenössischen Quellen zweimal inflationär gebraucht wird: während der Kreuzzüge, und dann wieder im ausgehenden Spätmittelalter.

In der ersten Phase begegnen uns die Minnesänger, die ihre Protagonisten gottgefällige Abenteuer im Kampf für den Glauben oder um die Liebe einer holden Dame bestehen lassen. Ebenfalls hat hier der Ritter als Soldat Gottes seine Hochzeit, gipfelnd in der Gründung der monastischen Ritterorden.

(Diese waren von Anfang an starren Verhaltenskodizes unterworfen, machten aber nur einen kleinen Teil der Ritterschaft in ihrer Gesamtheit aus und sollen daher hier nicht weiter betrachtet werden. Ohnehin vertraten die Templer, Deutschherren und wie sie alle hießen in ihrer Doppelrolle als Kleriker ein eigenes Wertesystem.)

Ab dem 14. Jahrhundert entstehen jedoch nicht nur säkulare Ritterorden, der Ritter an sich wird profan: Er ist nun zuerst Diener seines Herrn und bezieht seinen Ruhm daraus, wie gut er ihm dient.

Konkrete Verhaltensregeln, die am ehesten dem "Ritterkodex" des historischen Romans entsprechen, tauchen recht spät auf. Laut Huizinga begegnet uns sogar erst im 15. Jahrhundert überhaupt zum ersten Mal dasjenige Bild von Rittern und Ritterlichkeit, das die Jahrhunderte überdauern wird.

Man könnte also Bachrach zustimmen wollen, schließlich fällt diese Entwicklung zeitlich mit dem allmählichen Bedeutungsverlust des Ritterstandes zusammen. Und ausgerechnet hier, in der Spätphase, begegnen uns in den Quellen die meisten "großen" Ritter.

Könnte das ganze Brimborium um Ritter und Ritterlichkeit vielleicht wirklich nur ein Versuch sein, gegen den Strom der Zeit anzuschwimmen? Oder wird unsere Perspektive durch den ebenfalls in dieser Zeit stattfindenden Quellenboom (z.B. dank des Buchdrucks) verfälscht, und hatten also viele große Ritter früherer Zeiten einfach nur nicht das Glück, in der Überlieferung zu überleben?

Doch immerhin, mindestens ab Zwölfhundertund tauchen in den Quellen greifbare Ideale auf, die sich vielleicht in den folgenden Eigenschaften zusammenfassen lassen: Mut, Treue, Ehre, Bescheidenheit, Großzügigkeit, Mäßigung, Standesbewusstsein und Frömmigkeit.

Courage betrachtet der hochmittelalterliche Philosoph Raimundus Lullus als Schlüsseltugend des Ritters und empfiehlt, sie durch Loyaute (Loyalität) zu beweisen. Ehre gewinnt der Ritter, indem er sich als loyal und mutig erweist, und sich sein Ansehen unbefleckt erhält. Allein darauf kommt es an. Den eigenen Besitz oder gar das Leben kann man getrost verlieren, aber ohne Ehre ist der Ritter sozial vernichtet (und mitunter arbeiteten noch seine Enkel daran, den Ruf der Familie wiederherzustellen).

So ziemlich alle Quellen kommen darin überein, dass ein Ritter nichts Schlimmeres tun konnte, als sein Wort zu brechen oder vor einem Feind zu fliehen. König Franz I. von Frankreich, noch ganz und gar unter den Vorzeichen des Rittertums sozialisiert, fasst diese Mentalität im Anschluss an seine Niederlage vor Pavia 1525 mit den Worten zusammen: "Alles ist verloren, nur die Ehre bleibt".

Die wichtigste Rittertugend abseits des Schlachtfelds ist für Raimundus Bescheidenheit. Die empfiehlt auch Sir Thomas Malory in seiner tudorzeitlichen Bearbeitung der Artus-Sage, meint damit aber etwas anderes. Für ihn ist Largesse, selbstvergessene Großzügigkeit, die höchste "zivile" Tugend des Ritters. Löhne, Belohnungen und Almosen soll er freimütig verteilen, und lieber morgen hungern, als heute sein letztes Geld für morgen aufsparen.

Ins gleiche Horn stieß schon Jahrhunderte zuvor der Troubadour Raimbaut de Vaqueiras in seinem Loblied auf Bonifatius I. von Montferrat, den Führer des Vierten Kreuzzugs. Er gibt viele und sehr konkrete Empfehlungen: Verköstigt der Ritter einen Gast, soll er stets die besten Speisen auftragen, auch an Wochentagen. Leiht er jemandem ein Reitpferd aus, muss es das beste Pferd im Stall sein. Und so weiter. Sein Bild von Ritterlichkeit umfasst eigentlich alle Tugenden, die ein Mann nur haben kann.

Zur Largesse ruft Frossairt ebenfalls auf, indes ohne das Gebot der Bescheidenheit zu untergraben. In seinen Chroniken widmet er sich z.B. ausführlich den Eigenschaften des Sir John Chandos, eines berühmten englischen Ritters und Diplomaten aus dem Gefolge Edwards von Woodstock (des "Schwarzen Prinzen"). Als beispielhaft für alle Ritter nennt Frossairt Chandos' Mesure, d.h. Maßhaltung.

Aus dem Kontext wird ersichtlich, was er damit meint: Selbstdisziplin. Der Ritter soll sich nicht auf Affären mit Frauen einlassen, unnötiges Gerede vermeiden, freigebig sein, aber niemals andere durch Protzerei beschämen … Er verbindet dies mit dem Begriff Franchise, den Varvaro als "Standesbewusstsein" übersetzt: Der Ritter soll sich seiner Standeswürde entsprechend benehmen.

Als überraschend unergiebig erwies sich meine Suche nach religiösen Standards für das (säkulare) Rittertum. Natürlich wird allenthalben betont, der Ritter habe fromm und der Kirche gehorsam zu sein, doch kann ich keinen nennenswerten Unterschied zu den üblichen "Christenpflichten" erkennen.

Interessanterweise findet sich durchaus die eine oder andere Ermahnung, sich vor Fanatismus zu hüten. Read zitiert eine Predigt des Iacobus Vitriacensis an die Templer. Darin warnt der Kardinal davor, es mit der Gottesfurcht zu übertreiben und entwirft spöttelnd das Bild eines "Herrn Wasser und Brot", der so viel gefastet und sich so heftig kasteit hat, dass er zu schwach ist, um sich im Sattel zu halten.

Falls sich jemand auch die Frage nach regionalen Unterschieden hinsichtlich dessen gestellt hat, was als "ritterlich" galt – ich zumindest konnte keine finden. Mir fiel nur ein roter Faden durch die Jahrhunderte auf, von Raimundus Lullus bis Henryk Sienkiewicz, wonach die besten Ritter aus Frankreich gekommen sein sollen. Vielleicht verdankt sich dieser Nimbus den französisch dominierten Kreuzzügen.

Kurioserweise scheinen sogar die vielen dummen Niederlagen französischer Ritter (wie Crecy, Poitiers, Nikopol, Azincourt) ihrem Ruf nicht geschadet zu haben – was uns wohl auch Rückschlüsse auf die Gedankenwelt ihrer Zeitgenossen erlaubt: Ein echter Ritter geht lieber tollkühn zugrunde als zu kneifen!

Keinen Hinweis finden konnte ich auf die in historischen Romanen so beliebten langatmigen Schwüre, die Knappen bei ihrer Erhebung in den Ritterstand angeblich zu leisten hatten (Witwen und Waisen zu schützen, niemals zu lügen, und so weiter). Ungefähr vergleichbar sind allenfalls die Regeln der weltlichen Ritterorden, Ritterbünde und Turniergesellschaften ab dem 14. Jahrhundert, die regelmäßig karikative und gesellschaftliche Pflichten festlegten: Soundsoviele Arme zu speisen, für öffentliches Fluchen soundsoviele Pfennige zu spenden, und so weiter. Sie sind aber kein Alleinstellungsmerkmal.

Bleibt noch ein Letztes: Denn was wäre ein Tristan ohne seine Isolde, ein Ivanhoe ohne seine Rowena? Entwickelt wurden die Konventionen der höfischen Liebe wahrscheinlich im 12. Jahrhundert in der Provence. Als erster großer Troubadour gilt Wilhelm IX. von Aquitanien, ein mittelalterlicher Don Juan und Großvater der berühmten Eleonore, die sich ihrerseits gern mit Charmeuren umgab.

Sein Werk veranlasste Andreas Capellanus (möglicherweise ein Kleriker am französischen Hof), mit 'De Amore' eine Art Vademecum der Minne zu verfassen. Darin erklärt er die "wahre" Liebe zwischen Mann und Frau zum unerreichbaren, schmerzlich-schönen Mysterium. Und macht damit das Streben nach der unerfüllbaren Liebe einer edlen Dame zur großen Konstante der Ritterkultur.

Aus dem französischen Sprachraum schwappt das Phänomen in die deutschen Länder über und etabliert sich schließlich in ganz Westeuropa. Es findet aber durchaus nicht nur in theatralischen Inszenierungen höfischen Lebens statt. Noch nach 1470 werden in Burgund Pas d'Armes veranstaltet, wo halb spielerisch, halb ernst um die Gunst edler Damen gekämpft wird.

Der Troubadour Bernart de Ventadorn vergleicht die Beziehung zwischen dem Ritter und "seiner" Dame explizit mit der Lehnsbande zwischen Herr und Vasall. Bemerkenswert ist, wie bereitwillig die patriarchalische Gesellschaft des Mittelalters damit Frauen Macht über Männer einräumt. Denn dass es den Rittern mit ihrer Unterwerfung ernst ist, beweist nach Meinung von Charles Phillips der Versuch der Kirche, die höfische Liebe zu unterdrücken und durch die Marienverehrung zu ersetzen.
 
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Schlussfolgerung

Der Begriff der Ritterlichkeit, das Konzept klarer Verhaltensregeln für Ritter, taucht in vielen Textgattungen und Primärquellen auf. Ich kann keinen Grund erkennen, es rundheraus zu verwerfen.

Aufgrund von Bachrachs eigener Aussage zur Tauglichkeit fiktiver Werke kann ich mich auch nicht seiner Meinung anschließen, Texte wie Malorys 'Le Morte d'Arthur' würden uns keine Rückschlüsse auf die Zeit des Autors erlauben. Da nicht-fiktive Werke (wie die Chroniken Frossairts) eine ähnliche Erwartungshaltung gegenüber Rittern formulieren, sehe ich mich in dieser Haltung bestätigt.

Auch glaube ich, dass Brooks irrt, wenn er meint, Ritterlichkeit wäre einfach nur gleichbedeutend mit Gehorsam und frei von moralischer Konnotation. Zwar mangelt es nicht an Beispielen für Mistkerle mit Ritterschlag, die durch eine einzelne "ritterliche" Tat in unverdient guter Erinnerung bleiben durften.

Andererseits gab es auch Männer wie Ulrich von Kapellen, der während der Schlacht auf dem Marchfeld 1278 von König Rudolf den Befehl erhielt, Ottokar von Böhmen aus dem Hinterhalt heraus anzugreifen, und sich gleich bei den Anwesenden dafür entschuldigte, dass er sich zu einer solch unritterlichen Tat wie einem Hinterhalt hatte breitschlagen lassen.

Auch wenn diese Entschuldigung erst nachträglich erfunden wurde, wie Schneidmüller anzunehmen scheint, zeigt sie doch, dass Ulrich Kritik befürchten musste. Und das wiederum zeigt wohl, dass seine Zeitgenossen durchaus eine Vorstellung davon hatten, was ein Ritter zu tun und zu lassen hatte.

Wie konkret diese Vorstellung war – ob man aus Ordensstatuten, Chroniken und Ritterromanen wirklich eine Art "Ritter-Knigge" destillieren kann –, steht auf einem anderen Blatt.

Da sich aber auch in den Quellen definierte Begriffe wie Courage und Largesse nicht als Alleinstellungsmerkmale des Ritterstands darstellen – mutig sollte jeder Mann sein, freigebig jeder Christ, etc. pp. –, stellt sich mir nicht so sehr die Frage, ob es den Ritterkodex gab, sondern ob er nicht vielmehr deckungsgleich war mit den Verhaltensregeln, die die ständische Gesellschaft insgesamt kannte.

Es fällt mir z.B. auf, dass die Statuten der weltlichen Ritterorden ihren Mitgliedern im Großen und Ganzen nichts abverlangten, das nicht auch die Trinkgesellschaften der Patrizier oder sogar die Zünfte von ihren Angehörigen erwarteten. Freilich ist es möglich, dass sich jene dabei die Wertvorstellungen der Ritter aneigneten, wie sie auch sonst dem Adel nacheiferten, ich kann das nicht beurteilen.

Aber im Endeffekt bliebe es wohl dabei, dass auch der Kaufmann oder Schmied einen hypothetischen "Ritterkodex" inhaltlich auf sich beziehen konnte. War es mithin noch ein Ritterkodex? Nicht einmal das in diesem Zusammenhang häufig genannte Privileg auf ein Lösegeld war wirklich ein "ritterliches", sondern kam allen Adligen zu, auch solchen ohne Ritterschlag.

In der Praxis war nicht einmal blaues Blut vonnöten, im Gegenteil scheint es alltäglich gewesen zu sein, auch Klerikern, Kaufleuten und Akademikern die Auslöse anzubieten; sogar reiche Freibauern kamen bisweilen in diesen Genuss. Und warum nicht, denn wer verzichtet schon auf leicht verdientes Geld? Zum Sterben liegen ließ man jene, die nichts besaßen oder die man besonders verachtete.

Alles in allem habe ich den Eindruck, dass es keinen "Ritter-Knigge" gab, keinen allgemeingültigen Kodex mit zeitlosen Regeln. Allerdings glaube ich durchaus, dass ein Ritter in den Augen der Gesellschaft – und umso mehr in den Augen seiner Standesgenossen – jene Anforderungen übererfüllen musste, die an "Ehrenmänner" gestellt wurden. Mit anderen Worten: dass der Begriff der "Ritterlichkeit" nicht mehr und nicht weniger als den vollkommenen Ehrenmann charakterisiert.

Dabei scheinen sich zeitweise Trends herausgebildet zu haben, die in den Quellen dann besonders betont werden. Sir Thomas Malory etwa redete der Largesse in einer Zeit das Wort, als die Ritter bereits um ihre Einkünfte bangen mussten und allen Grund hatten, den gesellschaftlichen Wandel durch Zurschaustellung von Macht und Reichtum zu verleugnen.

An seinem Beispiel könnte sich zeigen, dass Bachrach wohl insofern Recht haben mag, dass das viel zitierte Ideal von Ritterlichkeit auch die Funktion hatte, Standesunterschiede zu schärfen. Was aber nicht heißt, dass es nicht tatsächlich angestrebt wurde. Ich würde sogar sagen: Die folgenden Kurzbiographien zeigen uns Männer, die sich tüchtig ins Zeug legten, um als ritterlich zu gelten.

Oder dabei kläglich versagten.

Verwendete Quellen (alphabetisch)
  • Bachrach, Bernard S. und David S.: Warfare in Medieval Europe c.400–c.1453, New York 2022
  • Brooks, Shad M. (20.01.2016): “The Truth about Chivalry and the Knight”, YouTube (Link aus bekannten Gründen nicht)
  • Budin, Stephanie Lynn: Le Morte d'Arthur: King Arthur and the Knights of the Round Table, San Diego 2015
  • Hollegger, Manfred: Maximilian I., Herrscher und Mensch einer Zeitenwende, Stuttgart 2005
  • Huizinga, Johan: Herbst des Mittelalters, Stuttgart 1975
  • Loo, Bart van: Burgund: Das verschwundene Reich, München 2021
  • Pastoureau, Michel und Castelbajac, Jean-Charles de: Das große Wappenbuch der Ritter vom Goldenen Vlies, Darmstadt 2018
  • Phillips, Charles: Die Berühmtesten Ritter, Fränkisch-Crumbach 2011
  • Read, Piers Paul: Die Geschichte der Tempelritter, des geheimnisvollen Ordens der Kreuzzüge, Hamburg 2009
  • Schneidmüller, Bernd (Hrsg.): König Rudolf I. und der Aufstieg des Hauses Habsburg im Mittelalter, Darmstadt 2019
  • Varvaro, Alberto: Jean Frossairt: Chroniques de France et d'Angleterre, Brüssel 2015
 
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Ritterliche und unritterliche … Ritter

Wer auch Kurzbiographien eintragen möchte – sehr gerne! Allerdings möchte ich darum bitten, der Übersichtlichkeit halber das begonnene Schema halbwegs einzuhalten: Name; Lebensdaten, soweit bekannt; Grund für die Aufnahme in die Liste; Quelle (grobe Angabe genügt).

Den Anfang meiner Sammlung machen zwei Ritter der Rosenkriege. Der eine ging als größter Ritter Englands in die Geschichte ein, der andere immerhin als größter Feigling.

Name: Sir James Butler, Graf von Ormonde, Graf von Wiltshire
Geboren: 24. November 1420
Gestorben: 01. Mai 1461
Berühmt für: seine notorische Feigheit


Sir James Butler (in der englischen Geschichtsschreibung Wiltshire) war ein mächtiger anglo-irischer Peer und Anhänger des Hauses Lancaster zu Beginn der Rosenkriege. Er hatte zwei Brüder, die ihm als Grafen von Ormonde nachfolgten, sowie zwei Schwestern. Der englische Heerführer John Talbot, Graf von Shrewsbury, war sein Schwager. Neben seinen Titeln hielt Wiltshire ab 1451 hohe Staatsämter inne, war Statthalter in Irland und Schatzmeister von England. 1459 wurde er zum Ritter geschlagen.

Zeitgenossen galt Wiltshire als der attraktivste Mann der britischen Inseln und zunächst als eine Art neuer Stern am politischen Himmel. Doch das änderte sich während der Rosenkriege rasch. Hatte er 1449 noch als Belohnung für seine standhafte Treue zu König Henry VI. den Titel eines Grafen von Wiltshire erhalten, erwarb er sich bald den Ruf, alles zu sein, nur nicht treu und standhaft.

Desmond Seward sieht ihn ihm gar den "größten Feigling seiner Generation". Denn an Henrys großer Niederlage in der Ersten Schlacht von Saint Albans 1455 hatte Wiltshire entscheidenden Anteil: Anstatt den König zu beschützen, lehnte er gleich zu Beginn des Angriffs das ihm anvertraute Königsbanner an eine Hauswand und floh. Der verwundete Henry fiel in die Hände seines Feindes Richard von York.

Der Chronist und Londoner Bürgermeister William Gregory, mit vielen Teilnehmern der Schlacht auf Du und Du, spottete, Wiltshire habe manly with the helys gekämpft, "mannhaft mit den Fersen", for he was aferyd of lesynge of beute, "denn er fürchtete den Verlust seiner Schönheit". Das wog umso schwerer, als William über den als Schwächling verachteten Henry berichtete, dieser sei im Kampf hys owne propyr person gewesen (vgl. Franchise) – heute würden wir sagen, Henry stand seinen Mann.

Nach der Schlacht ging das Gerücht, Wiltshire sei in einer Mönchsrobe aus Saint Albans geflohen, spätestens ab da war sein Ruf restlos dahin. Die Yorkisten übergossen ihn mit Spott, und auch die wenigen neutral gebliebenen adligen oder bürgerlichen Großen in England mieden seine Gesellschaft.

Das zumindest konnten die Lancastrianer sich nicht leisten, unter ihnen blieb er – der mächtigste der wenigen pro-lancastrischen Großen Irlands – weiterhin ein wichtiger Mann. Wiltshire revanchierte sich, indem er Henry immerzu irische Truppen zuführte. Im Februar 1461 wurde er daher als Anführer des irischen Kontingents bei Mortimer's Cross wieder unter Henrys Banner in eine Schlacht verwickelt – und ergriff prompt erneut die Flucht, sobald sich das Blatt gegen die Rote Rose zu wenden begann.

Und Ende März war er auf dem Feld von Towton zugegen, wo er, man errät es, zum dritten Mal desertierte. Angesichts der vernichtenden Niederlage von Henrys Armee war das eine kluge Entscheidung, aber ein Ritter des Hosenbandordens – geistiger Erbe der Männer, die unter Edward III. Frankreich unterworfen hatten –, hatte nun mal nicht zu fliehen. Auch nicht vor einem Massaker.

Nach der Schlacht wurde Wiltshire von den siegreichen Yorkisten gestellt und am 1. Mai in Newcastle upon Tyne enthauptet. Zum Zeitpunkt seines Todes war er vierzig Jahre alt. Seine englischen Besitzungen und Titel wurden eingezogen.

Verwendete Quellen
  • Seward, Desmond: A Brief History of the Wars of the Roses, London 2007​
  • die dort erwähnten Passagen aus MS Edgerton 1995 habe ich mithilfe von Gerhard Köblers Althochdeutschem Internet-Wörterbuch übersetzt​
Name: Sir John Cheney, Baron Cheney, genannt "der starke Ritter"
Geboren: vermutlich 1442
Gestorben: 30. Mai 1499
Berühmt für: seine Tapferkeit, Körperkraft und Rolle auf dem Feld von Bosworth


Sir John Cheney entstammte dem kentischen Kleinadel. Als nachgeborener Sohn offenbar für die Anwaltslaufbahn vorgesehen, schlug er sich während der Rosenkriege auf die Seite des Hauses York, anders als sein gleichnamiger Vater, über den sonst nicht viel bekannt ist. 1465 wurde er anlässlich der Krönung von Königin Elizabeth Woodville zum Ritter geschlagen.

Zunächst betraute ihn Edward IV. mit diplomatischen Missionen, vielleicht aufgrund seiner juristischen Ausbildung. In Dänemark erwarb er sich den Beinamen vigorous knyght, "der starke Ritter", und zwar mit gutem Grund: Untersuchungen seiner sterblichen Überreste haben ergeben, dass Cheney um 205 cm groß gewesen sein muss – ein unglaubliches Maß für die damalige Zeit.

Während Edwards Regierungszeit kämpfte Cheney wahrscheinlich in der Schlacht von Tewkesbury und stieg zum Stallmeister und Leibwächter des Königs auf. 1475 fungierte er als Geisel, um den Vertrag von Picquigny zu garantieren, der Edwards Angriff auf Frankreich beendete.

Obwohl zweifellos wohlhabend und wahrscheinlich ein Freund Edwards, blieb er in dieser Zeit doch "nur" ein Mitglied der Gentry. In den Mittelpunkt der englischen Geschichte rückte er erst nach Edwards Tod und der Usurpation der Krone durch dessen Bruder Richard III. im Jahr 1483.

In jenem Jahr beteiligte sich Cheney an einem Komplott mit dem Ziel, die von Richard enterbten Söhne Edwards (die "Prinzen im Tower") zu befreien. Doch scheiterte die Verschwörung, und der starke John, des Hochverrats angeklagt und enteignet, musste über Umwege in die Bretagne fliehen.

Dort schloss er sich Henry Tudor an, dem letzten lancastrischen Prätendenten, der ihn zu seinem Leibwächter machte. Das erwies sich in der entscheidenden Schlacht von Bosworth 1485 als Glücksgriff.

Denn im Versuch, den Kampf mit einem fulminanten Schlag gleich zu Beginn zu entscheiden, führte Richard III. persönlich einen Angriff von bis zu tausend Rittern gegen Henrys Standort. Dabei tötete er Henrys Bannerträger – historische Beispiele zeigen, dass bereits damit die Schlacht hätte gewonnen sein können – und gelangte wahrscheinlich bis auf Waffenreichweite an Henry heran.

Cheney hob das gefallene Banner vom Boden auf, brachte sich zwischen die Rivalen und verwickelte den König in einen Zweikampf. Richard fegte ihn mit der Lanze aus dem Sattel. Vermutlich ins Reich der Fiktion ist die Legende zu verweisen, Cheney habe dabei seinen Helm verloren und notgedrungen einen Rinderschädel aufgesetzt, doch fest steht, dass er Richard und dessen Begleiter lange genug aufhielt, damit Henrys Leibgarde sich neu formieren konnte. Richard wurde erschlagen.

Nach der Schlacht und Henrys Thronbesteigung überhäufte dieser Cheney mit Ehren. Er durfte an der Krönung mitwirken, wurde zum royalen Bannerträger ernannt und mit einträglichen Sinekuren bedacht. Auch in der letzten Schlacht der Rosenkriege, bei Stoke 1487, war er zugegen und konnte den Prätendenten Lambert Simnel gefangen nehmen. Zum Dank berief Henry ihn ins Oberhaus.

Doch anstatt in die Politik zu wechseln, blieb der frisch gebackene Lord John Cheney seinem Beinamen treu und kämpfte in der Bretagne gegen Frankreich. Erst 1495 hängte er sein Schwert an den Nagel und zog sich nach Berkshire zurück, wo er 1499 im Alter von etwa 57 Jahren verstarb.

Verwendete Quellen
 
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Keinen Hinweis finden konnte ich auf die in historischen Romanen so beliebten langatmigen Schwüre, die Knappen bei ihrer Erhebung in den Ritterstand angeblich zu leisten hatten (Witwen und Waisen zu schützen, niemals zu lügen, und so weiter).

"Der Eid wurde von ihm geschworen,
dass er für die heilige Christenheit
allezeit kämpfen wolle
und der Schaden des Reiches ihm verhasst sei,
nach den aufgeschriebenen Kaiserrechten,
auch dass er Witwen und Waisen
allezeit verteidigen wolle
und sie vor Gefahr schützen
und dem frevelhaften Unrecht Einhalt gebieten,
dass er den Ketzern und ungläubigen Heiden
und den anderen schlechten Christen
Leid zufügen
und keinen von ihnen gerne schonen wolle."

Der Ritterspiegel

Der Rittelspiegel
 
Ritter des Mittelalters...

Ritter hat ja vor allem mit dem Krieg zu tun. Der Ritter war ja ein Soldat seines Herrschers.

Tugenden:
· staete,
· mâze und
· hövisch.

Staete -> mittelhochdeutsch -> Festigkeit, Beständigkeit, Dauer.

Mâze -> Mittelhochdeutsch -> Maßhalten, Mäßigung was u.a. beutet: „zuht“ (lenslange Selbsterziehung, lebenslanges Lernen, sinnvolle Lebensführung.

Hövisch -> Mittelhochdeutsch -> Man muss eine vornehme Abstammung haben, dazu eine edle Gesinnung, dazu gute Umgangsformen, auch körperliche Schönheit ist gefragt, auch ritterliche Tugenden und einen frommen Charakter.
 
Es gibt ja unzählig viele Ritter des Mittelalters.
Der eine oder andere hat da so seine Favoriten.
Man kennt ja auch so manchen aus historischen Filmen.
Hier empfiehlt aber auch oft im Netz ein „Nach-Googeln“.

Jeder hat da so seine lokalen und auch überregionalen Favoriten denen man ritterliche Tugenden oder auch nicht nachsagt.

Ich habe mir zu diesen Beitrag 2 Ritter ausgewählt. Einen Tugendhaften (Überregional) und einen weniger Tugendhaften (Regional:

1. Tugendhaften
Zu den Tugendhaften Ritter zähle ich William Wallace (1270 – zu seiner Hinrichtung 1305) der in Selkirk/Schottland zum Ritter geschlagen wurde.

2. weniger Tugendhaften – Regional –
Ritter Dietrich von Staupitz.
Seine Lebensdaten findet man leider nicht. Gelebt hat er aber in Döbeln/heutiges BL Sachsen im 15. Jahrhundert.
Er überfiel 1415 die Burg in Kriebstein und nahm den Burgherrn Dietrich v. Beerwalde und sein Gefolge gefangen. Es entand in diesem Zusammenhang dabei auch die „Legende von der edlen Frau des Dietrich v. Beerwalde".
 
"Der Eid wurde von ihm geschworen,
dass er für die heilige Christenheit
allezeit kämpfen wolle
und der Schaden des Reiches ihm verhasst sei,
nach den aufgeschriebenen Kaiserrechten,
auch dass er Witwen und Waisen
allezeit verteidigen wolle
und sie vor Gefahr schützen
und dem frevelhaften Unrecht Einhalt gebieten,
dass er den Ketzern und ungläubigen Heiden
und den anderen schlechten Christen
Leid zufügen
und keinen von ihnen gerne schonen wolle."

Der Ritterspiegel

Der Rittelspiegel
Danke für die Empfehlung! Dieser Text war mir nicht bekannt. Ich werde versuchen, ihn in das größere Ganze einzuordnen.
Ich habe mir zu diesen Beitrag 2 Ritter ausgewählt. Einen Tugendhaften (Überregional) und einen weniger Tugendhaften (Regional:

1. Tugendhaften
Zu den Tugendhaften Ritter zähle ich William Wallace (1270 – zu seiner Hinrichtung 1305) der in Selkirk/Schottland zum Ritter geschlagen wurde.
Danke!

Bei William Wallace stellt sich freilich schon die Frage nach seiner Tugendhaftigkeit, nicht wahr?

Die besten Berichte über ihn, die nicht aus der Zeit des schottischen Unabhängigkeitskrieges stammen (und damit entweder extrem pro-Wallace oder anti-Wallace sind), sind sehr viel jüngeren Datums (vgl. Blind Harry).

Wallace geriet wahrscheinlich wegen einer Straftat in Konflikt mit der pro-englischen schottischen Justiz (genannt wird u.a. der Mord an einem Diener), und in seinem Feldzug gegen die Engländer und deren schottische Verbündete war er sogar nach den Maßstäben seiner Zeit nicht zimperlich.

Das Kloster von Scone ließ er 1297 überfallen und die Mönche dort töten, weil sie sich in den Dienst der Engländer gestellt hatten. Er war offenbar auch ein sehr cholerischer Mann, ein nicht gerade ritterlicher (noch auch nur christlicher) Charakterzug. Als er von den Verhandlungen hörte, die zur Unterwerfung der Schotten bei Irvine führten, soll er z.B. das Haus seines größten Gönners, des Bischofs von Glasgow, niedergebrannt haben – "with loss of life".

Aber gerade darauf will ich in diesem Faden ja auch hinaus. Nicht alle "großen" Ritter erscheinen uns heute notwendigerweise tugendhaft.
2. weniger Tugendhaften – Regional –
Ritter Dietrich von Staupitz.
Seine Lebensdaten findet man leider nicht. Gelebt hat er aber in Döbeln/heutiges BL Sachsen im 15. Jahrhundert.
Er überfiel 1415 die Burg in Kriebstein und nahm den Burgherrn Dietrich v. Beerwalde und sein Gefolge gefangen. Es entand in diesem Zusammenhang dabei auch die „Legende von der edlen Frau des Dietrich v. Beerwalde".
Danke! :)

Interessanter Fund, über ihn werde ich mehr herauszufinden versuchen, dann kommt er auf die Liste.
 
Dass die vielgepriesene „Ritterlichkeit“ mehr Schein als Sein war, war natürlich auch Zeitgenossen schon klar. Es wurden aber auch die „ritterlichen“ „Werte“ bereits von Zeitgenossen kritisch hinterfragt.
Ich verweise dazu etwa auf die Schrift „Liber ad milites templi de laude novae militiae“ („Buch an die Tempelritter über das Lob des neuen Rittertums“) von Bernhard von Clairvaux, in der er (nach ursprünglicher Skepsis gegenüber den Ritterorden) die Tempelritter verteidigte und rechtfertigte und den weltlichen Rittern, denen und deren „Idealen“ er nichts abgewinnen konnte, gegenüberstellte.
Liber ad milites templi de laude novae militiae (Wortlaut) – kathPedia
 
Guillaume le Maréchal

Guillaume le Maréchal (1147 – 1219) war ein Krieger, welcher der mittelalterlichen Rittervorstellung wohl tatsächlich nahe kam. Er galt jedenfalls als «grösster Ritter» seiner Zeit, dessen Biographie beinahe alle idealtypischen Stationen eines mittelalterlichen Ritters enthält. Von kleinadliger Herkunft arbeitete er sich als fahrender Turnierritter, als Gefolgsmann verschiedener Herren, als Söldner und Hofritter die Hierarchie hoch, diente dem englischen Königshaus, war mit Richard Löwenherz und Eleonore von Aquitanien befreundet, arbeitete bei der Aushandlung des Textes der Magna Charta mit und verteidigte noch im Alter von 70 Jahren England gegen eine französische Invasion.

Maréchals Erfolge können bis zu einem gewissen Ausmass mit seinen persönlichen Qualitäten erklärt werden. Auf militärischem Gebiet hatte er aufgrund seiner körperlichen Stärke einen naturgegebenen Vorsprung. Seine herausragenden Fähigkeiten als Reiter liessen ihn zudem zu einer beherrschenden Figur auf dem Turnierfeld werden, und die Kriegserfahrungen, die er unter Anführern wie den englischen Königen Heinrich II Kurzmantel und Richard I Löwenherz gesammelt hatte, machten aus ihm einen hochqualifizierten Kommandanten und Strategen. Im Unterschied zu vielen Standesgenossen war Guillaume ausserdem in der Lage, bei Hof sein Temperament zu zügeln. Er besass die Fähigkeit, sich, was das Zeigen von Gefühlen anging, eisern im Griff zu haben, und sein politisches Gespür war so ausgeprägt, dass er Konfrontationen vermied und stattdessen eher auf kalkuliertes Intrigieren setzte.

Guillaume le Maréchals Verhalten war von den Grundsätzen des Rittertums geprägt und z.T. auch konditioniert. Seine Entscheidung, dem ritterlichen Ehrenkodex entsprechend zu handeln, gründete sich allerdings oft auf dem Bewusstsein dessen, was sozial von ihm erwartet wurde. Seine Treue (Vasallentreue) war unerschütterlich, aber nicht frei von Eigennutz, sich einen guten Namen zu sichern.

Maréchal war ein engagierter und äusserst ehrgeiziger Charakter, der seine Ruhm als Ritter durchaus auch dazu einsetze, um seine eigenen materiellen Interessen zu priorisieren. 1188 ging Guillaume den englischen König Heinrich II ständig um Belohnungen an. Während der Herrschaft Richard Löwenherz verhielt er sich ausweichend, was die Frage seiner Beziehung zu Johann ohne Land betraf, um sich seinen Anspruch auf Leinster nicht zu verscherzen. Und im Jahr 1205 arbeitete Maréchal im Zusammenhang mit seinem Lehnseid gegenüber dem französischen König Philipp II Augustus mit einer gehörigen Portion Doppelzüngigkeit, um seine Rechte auf die Herrschaft über das normannische Longueville nicht zu verlieren.

Name: Guillaume le Maréchal, William Marshall
Geboren: 1147
Gestorben: 14. Mai 1219
Berühmt für: Galt als grösster Ritter seiner Zeit. Für viele war er ein Ritter par excellence, ein zum Leben erwachter Lancelot. Maréchal diente offenbar vielen Verfassern mittelalterlicher Artusliteratur als Vorbild. Tatsächlich handelt es sich möglicherweise bei dem Comte Guillaume, dem Marie de France ihre Übersetzung der Äsop’schen Fabeln widmete, um Guillaume le Maréchal. In Shakespeares Drama «König Johann» tritt er als Nebenfigur Pembroke auf.


Die Stationen der Biographie von Guillaume le Maréchal sind so umfangreich, dass ich sie nur stichwortartig wiedergeben kann (eine detailiertere Zusammenfassung übersteig die verfügbaren Zeilenzahl)

1147: Geburt. Guillaumes Beiname «le Maréshall» bezieht sich auf seinen Vater, der u.a. Obermarschall am Hof des englischen Königs Heinrich I war.

1152: Geisel (als Fünfjähriger) Stephans von Blois im englischen Bürgerkrieg zwischen Stephan und Blois und Mathilde von England.

Um 1160 bis ca. 1166: Page und Knappe im Dienst des Barons Guillaume von Tancarville, Kämmerer der Normandie

1166: Ritterschlag (noch in der Form der Schwertleite), Ritter im Gefolge von Tancarville im Krieg um Grenzkonflikte zwischen Herzogtum Normandie, Grafschaft Flandern, Grafschaft Ponthieu und Grafschaft Boulogne. Anschliessend erste Erfahrungen als fahrender Turnierritter in der Normandie

1167/1168: Ritter im Gefolge seines Onkels Patrick von Salisbury. Beteiligung am Feldzug des englischen Königs Heinrich II gegen die aufständischen Adligen Aquitaniens.

1168/1169: Ritter im Gefolge Eleonores von Aquitanien. Beteilung am Krieg gegen die Lusignans.

1170: Ritter im Gefolge Eleonores von Aquitanien, Rückkehr nach England, Waffenlehrer von Heinrich «the young king» (Sohn und Erbe von Heinrich II)

Bis 1175: Teilnahme an der Revolte von Heinrich dem Jüngeren gegen Heinrich II

1176 – 1182: Fahrender Turnierritter im Gefolge von Heinrich dem Jüngeren und alleine. Zahlreiche Turniersiege besiegeln Maréchals Ruhm als «grösster Ritter». Neben einem internationalen glänzenden Ruhm bringen ihm die Turniersiege auch beträchtlichen Reichtum ein.

1182: Zerwürfnis zwischen Heinrich dem Jüngeren und Guillaume aufgrund einer Hofintrige.

1183: Guillaume kämpf an Seite Heinrichs des Jüngeren in der Belagerung von Limoges durch Heinrich II und Richard Löwenherz

1183 – 1186: Reise nach Jerusalem um stellvertretend das Kreuzzugsgelübde des verstorbenen Heinrich dem Jüngeren zu erfüllen

1186: Maréchal wird Hofritter im Gefolge von Heinrich II, Anführer von Plünderzungszügen im Auftrag Heinrichs III

1188: Kriegerischer Konflikt zwischen Heinrich II und Richard Löwenherz. Maréchall bleibt Heinrich II treu und erhält die Vormundschaft des Kronmündels Isabel von Clare.

1181: Maréchal zeichnet sich Handgemenge bei der Belagerung von Le Mans durch Richard und Philipp II aus. Direkte Konfrontation zwischen Maréchal und Löwenherz, Maréchal verschont Löwenherz, Tod von Heinrich II, Maréchal wird in das Gefolge von Löwenherz aufgenommen

1190 - 1196: Maréchal beteiligt sich nicht am Dritten Kreuzzug, er heiratet sein Mündel Isabe von Clare und wird Grundherr von Stringuil (heutige Burgruine Chepstow) in den Walsh March, Richard verkauft das Amt des Sheriffs von Gloucester an Maréchal. Maréchal beginnt ein eigenes Gefolge aufzubauen. Beteiligung an der Niederschlagung des Aufstands von Johann ohne Land. Als Justiziar besetzt Maréchal königliche Burgen und greif Bristol Castle an. Maréchal gehört zu den obersten Befehlshabern von Löwenherz’ Truppen im Krieg gegen Philipp II

1197: Maréchal erobert die Festung Milly in der Region Beauvais.

1199: Maréchal wird Gefolgsmann von Johann ohne Land und Earl von Pembroke.

1200 - 1206: Wechselnde Verhältnisse in der Beziehung mit Johann ohne Land. Maréchal wird Lord von Leinster in Irland.

1207 - 1214: Konflikte mit Johann ohne Land, Sieg über die Truppen Johanns in Irland

1215: Trotz den Konflikten mit Johann bleibt Maréchal beim Aufstand der Barone dem König treu. Er ist der wichtigste Vertreter des Königs bei den Verhandlungen, die zur Magna Charta führen. Maréchal erscheint als Erster der namentlich genannten englischen Magnaten auf der Magna Charta.

1216: Johann ohne Land stirbt. Maréchal wird Vormundsregent von England für Heinrich III. Die Franzosen und die aufständischen engl. Barone halten Ostengland und London.

1217: Als Regent von England besiegt Maréchal die anglofranzösische Armee vor Lincoln. Die französische Flotte wird bei Sandwich vernichtet. Die Reste der franz. Armee unter dem Dauphin Ludwig kehren nach Frankreich zurück.

1218 – 1219: Maréchal sichert die Herrschaft Heinrichs III und stellt wieder eine funktionierende Herrschaftsstruktur her. Er stirbt am 14. Mai.

Verwendete Quellen

Asbridge, Thomas: The Greatest Knight: The Remarkable Life of William Marshal, the Power Behind Five English Thrones
Die Hauptquelle des Autors ist eine Abschrift der kurz nach 1226 Biografie über Guillaume le Maréchal, die kurz nach dessen Tod von einem Mitglied der Maréchal-Familie in Auftrag gegeben und von einem ansonsten unbekannten anglo-französischen, in England arbeitenden Chronisten namens Jean verfasst worden war.

Der Autor meint folgendes zur Biographie:
Die „Histoire“ ist eine Zelebration der erstaunlichen Taten von Guillaume le Maréchal. Sie präsentiert ihren Helden als den vollkommenen Ritter und ist insofern schamlos voreingenommen. Auf ihren Seiten wird Guillaume fast zur realen Verkörperung des mythischen arturischen Ritters Lancelot – einem der wichtigsten Helden der zu Maréchals Lebzeiten entstehenden Populärliteratur. Viele Angaben der „Histoire“ können durch andere Quellen bestätigt werden, aber es kommt vor, dass der Biograf unbequeme Details auslässt, die zu Maréchals Aufstieg zum Ruhm gehören, von seiner Beteiligung an den Aufständen gegen die Krone bis hin zu seinen Mauscheleien mit König Johann, Englands verrufenstem Monarchen. In gewisser Hinsicht ist die Voreingenommenheit der „Histoire“ nützlich, bietet sie doch einen Einblick in die zeitgenössischen Sensibilitäten. Der Biograf überzog seinen Helden mit löblichen Eigenschaften, und natürlich erwartete er von seinen Lesern, dass sie von Maréchals Charakter tief beeindruckt waren. Einige dieser Eigenschaften – Tapferkeit, kriegerischer Heldenmut, Treue und Ehrgefühl – sind genau das, was von einem idealisierten mittelalterlichen Ritter erwartet wird. Andere wiederum – Gerissenheit, Doppelzüngigkeit und kruder Materialismus – gehören ganz sicher nicht dazu.
 
Name: Sir Edward Woodville, genannt "Lord Scales"
Geboren: um 1455
Gestorben: 28. Juli 1488
Berühmt für: seine Tapferkeit und Verkörperung zeitgenössischer ritterlicher Ideale


Sir Edward Woodville (als Lord Scales bekannt) war ein englischer Ritter, der im späten 15. Jahrhundert europaweit Anerkennung genoss. Väterlicherseits entstammte er dem Kleinadel, mütterlicherseits dem jüngeren Haus Luxemburg. Als Schwager König Eduards IV. und Sohn des unter dessen Herrschaft ausgesprochen mächtig gewordenen Richard, Graf Rivers, gehörte er zum innersten Kreis der Yorkisten. Sein Bruder Anthony, Baron Scales, war ebenfalls ein berühmter Ritter seiner Zeit.

Seine Sporen verdiente sich Scales während des Krieges mit Schottland von 1482, der in der zeitweiligen Einnahme Edinburghs durch den späteren Richard III. gipfelte. Richard erhob ihn für seinen Mut zum Knight Banneret, dem höheren Rang des englischen Ritterstandes. Scales' Biograph Wilkins sieht darin den Beweis für eine redlich verdiente Auszeichnung, da Richard die Woodvilles hasste.

Nach Eduards Tod entging Scales' dem Schlag des neuen Königs gegen sein Haus, weil er nach Southampton gereist war, um den Befehl über die Flotte zu übernehmen. Er selbst scheint die von seinem getöteten Vater und Bruder ererbten Titel nicht geführt zu haben, dennoch wird er in England fortan meist als Lord Scales (und auf dem Kontinent als Seigneur d'Escalis) bezeichnet.

Auf Richards Proklamation hin nahm Scales ein Angebot Heinrich Tudors an und begab sich mit anderen enttäuschten Yorkisten in dessen bretonisches Exil. Dort muss er Eindruck gemacht haben, denn Herzog Franz II. gewährte ihm eine Rente wie sonst nur den Hochadeligen unter den Exilanten.

Spätestens ab dieser Zeit pflegte er das Bild des fahrenden Ritters. Er galt als ausgesprochen höflich, freigebig und schüchtern im Umgang mit Frauen, aber auch als tapferer Krieger. Wilkins fasst die überall in Europa zirkulierenden zeitgenössischen Berichte von seinen Taten mit der Formulierung zusammen, Scales sei zugleich stereotype […] and the real thing gewesen, also sozusagen "unwirklich ritterlich".

Ein weniger schmeichelhaftes Bild zeichnet freilich der italienische Mönch Domenicus – Autor von 'De Occupatione Regni Anglie per Riccardum Tercium', und zum Zeitpunkt der Usurpation durch Richard III. in England. Domenicus wirft Scales vor, die Ausschweifungen und den ungesunden Lebensstil des Königs gefördert und auf diese Weise zu seinem Tod beigetragen zu haben.

1485 begleitete Scales Heinrich zurück nach England und kämpfte bei Bosworth. Über seine Rolle in der Schlacht ist nichts Genaues bekannt, doch belohnte der nunmehrige Heinrich VII. seine Dienste großzügig mit der Herrschaft über die Isle of Wight, die im 15. Jahrhundert vor allem an Verwandte des Königs vergeben worden war (und nach Scales' Tod mit der Krone vereinigt wurde).

1486 bereiste Scales die Iberische Halbinsel, um ein Kreuzzugsgelübde zu erfüllen und in der Reconquista zu kämpfen. Er kommandierte das englische Kontingent während der Eroberung Grenadas und zeichnete sich bei der Schlacht um Loja aus. Dort führte er persönlich die Erstürmung der Mauern an, wurde von einem Stein im Gesicht getroffen und verlor die Schneide- und Eckzähne.

Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon besuchten ihn an seinem Krankenlager, was die ihm entgegengebrachte Wertschätzung erahnen lässt. Auf ihre Versuche, ihm Trost zu spenden, soll Scales geantwortet haben, er nehme den Verlust gelassen, denn "Gott dem Herrn hat es gefallen, ein Fenster in diese seine Schöpfung zu öffnen, um der Welt zu zeigen, was sich darin verbirgt." [Meine Übersetzung.]

Nach seiner Genesung und einigen weiteren Scharmützeln, in denen er stets tapfer kämpfte und sich insbesondere Isabellas Wertschätzung verdiente, kehrte Scales nach England zurück und kämpfte 1487 bei Stoke gegen den Versuch einer York-Restauration durch den Prätendenten Lambert Simnel und John de la Pole, den Erben Richards III. 1488 wurde er in den Hosenbandorden aufgenommen.

Im Sommer desselben Jahres griff das Königreich Frankreich das seinerzeit halbunabhängige Herzogtum Bretagne an. England wurde von seinen traditionellen Verbündeten um Hilfe gebeten, die Heinrich jedoch nicht gewährte – auch nicht auf Scales' Bitten hin, der sich den Bretonen gegenüber wegen des gewährten Asyls in der Pflicht sah. Darum stellte er eigenmächtig auf der Isle of Wight ein Entsatzheer auf und kam Franz II. mit einigen dutzend Rittern und 700 Langbogenschützen zur Hilfe.

Das bretonische Heer, das sich auf ausländische Kontingente abstützte, traf am 28. Juli 1488 bei Saint-Aubin-du-Cormier auf eine starke französische Armee. Hier spielte Scales zunächst eine zentrale Rolle bei einer Kriegslist des bretonischen Befehlshabers Jean de Rieux, der seine Männer mit dem englischen Georgskreuz ausstaffieren und unter Scales' Befehl stellen ließ, um so den Eindruck zu erwecken, Heinrich habe seine Meinung geändert und sich doch hinter die Bretagne gestellt.

Rieux war jedoch zu sehr auf die Durchführung dieses Plans fixiert und ließ eine günstige Gelegenheit zu einem von Scales vorgeschlagenen Frontalangriff verstreichen. Als Scales endlich losschlagen durfte, führte er die bretonische Vorhut persönlich an. Doch gelang es den Franzosen, Rieuxs Hauptmacht zurückzuwerfen. Scales wurde abgeschnitten, umzingelt und fiel mit allen seinen Männern, nachdem er ein Kapitulationsangebot des französischen Befehlshabers Louis de la Trémoille ausgeschlagen hatte.

Verwendete Quellen
  • Wilkins, Christopher: The Last Knight Errant: Sir Edward Woodville and the Age of Chivalry, London 2008
  • Seward, Desmond: A Brief History of the Wars of the Roses, London 2007
 
Dass die vielgepriesene „Ritterlichkeit“ mehr Schein als Sein war, war natürlich auch Zeitgenossen schon klar.
Eben. Dieser Guillaume le Maréchal scheint ein Vertreter jener Ritter zu sein, die nach außen die ritterlichen Eigenschaften zeigen, aber wenn man genauer hinschaut, findet man bei ihnen wenig Schmeichelhaftes: „kalkuliertes Intrigieren“, „Anführer von Plünderzungszügen“- das sind 2 Zitate aus dem obigen Posting von @Armer Konrad.

Zweifellos hat der ältester Sohn Guillaume le Maréchals mit der in Auftrag gegebenen Historie über seinen Vater, dessen spätere Rezeption stark beeinflusst. Ein Turnierheld, der später oft im richtigen Moment an richtiger Stelle das Richtige tat, das ist alles, was man mit einiger Sicherheit über Guillaume le Maréchal sagen kann. Er war ein Liebling der Troubadoure und der Ritterfräuleins – jede Epoche braucht einen Helden. Und wenn über einen Ritter schon zu seinen Lebzeiten so viel gesungen wird, dem können sich auch die späteren Generationen kaum entziehen: Verklärung ist die Folge.

Das Hochmittelalter war moralisch nicht besser als Früh- oder Spätmittelalter, aber in der Rezeption der späteren erscheint es mir als über den beiden stehend.

In dieser Beziehung war Walter Scott Opfer und Täter zugleich. Beeinflusst durch die höfische Dichtung der Troubadoure setzte es in seinen Romanen und Geschichten noch eins drauf: Er idealisierte und romantisierte das Mittelalter so erfolgreich, dass auch andere ihn nachahmten, was sich letztlich in ein wahres Mittelalterrausch steigerte, die weiten Kreise der damaligen Gesellschaft erfasste und gegen Ende des 19. Jahrhundert z.B. in der sogenannten Neugotik gipfelte.
 
Idealisierte Walter Scott das Mittelalter wirklich? Sicher, der Held ist gewöhnlich der Ritter ohne Furcht und Tadel und kriegt seine Dame, und jemand, wie Richard Löwenherz darf halt sympathischer Volksherrscher sein ("Der Talisman" und besonders "Ivanhoe"), aber das war es dann eigentlich schon. Das Turnier im "Ivanhoe" ist sicher kein strahlendes Event, da gibt es zu viele ironische und zynische Untertöne. Der Herzog von Burgund hat in ""Quentin Durward" den tollsten Hof, aber als Politiker ist er eine 0 und allzu galant zu Damen ist er auch nicht. Der Held kriegt seine Dame nicht, weil er die Bedingung erfüllt und den "Oberschurken" ritterlich tötet, sondern weil der, der ihn getötet hat, zu seinen Gunsten verzichtet. Der Akt dieses edlen Ritters, der verzichtet, verliert allerdings einiges an seinem Glanz, denn erstens ist es sein Onkel und zweitens geht er lieber in die Schenke und hat gar nichts dagegen, dass der Neffe für den Weiterbestand der Familie sorgen darf. Eigentlich habe ich mir da romantisches, idealisiertes Mittelalter ganz anders vorgestellt.;)
 
[Dass die vielgepriesene „Ritterlichkeit“ mehr Schein als Sein war, war natürlich auch Zeitgenossen schon klar., muck] Eben. Dieser Guillaume le Maréchal scheint ein Vertreter jener Ritter zu sein, die nach außen die ritterlichen Eigenschaften zeigen, aber wenn man genauer hinschaut, findet man bei ihnen wenig Schmeichelhaftes: „kalkuliertes Intrigieren“, „Anführer von Plünderzungszügen“- das sind 2 Zitate aus dem obigen Posting von @Armer Konrad.

Mir tun sich in dieser Hinsicht Zweifel auf, und das ist der Grund, warum ich diesen Strang eröffnet und eingangs auch an das erinnert habe, was ich für einen roten Faden in der Menschheitsgeschichte halte, nämlich den ständigen Widerspruch zwischen moralischem Anspruch und tatsächlichem Tun.

Und mir ist klar, dass ein moralischer Anspruch entkräftet scheint, wenn derjenige, der ihn vertritt, daran scheitert, aber ist er auch entkräftet – z.B. die Tugend wertlos, weil der sie predigende Priester eine heimliche Geliebte hat, der Klimaschutz unwichtig, weil der Aktivist nach Bali in den Urlaub fliegt?

Wollen
wir nicht vielmehr den Anspruch entkräftet sehen, um seine Forderungen an uns abzuwehren, oder um unsere abweichenden Wertvorstellungen aufzuwerten? Und was historische Sachverhalte anlangt; müssen wir nicht die Zeitgenossen beim Wort nehmen, wenn sie keinen Widerspruch zu sehen vermeinten, doch wir aufgrund ihres überlieferten Anspruchs glauben, sie hätten genau das tun müssen?

Beispiel: die Schlacht von Azincourt 1415. Wie ich bereits an anderer Stelle unter Verweis auf Anne Curry schrieb, hatten die Franzosen zwar keine so haushohe Überlegenheit, wie Shakespeare später daraus machte, doch überlegen waren sie, und zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich drauf und dran, den Sieg zu erringen. Und da gab Heinrich V. den Befehl, die gefangen genommenen Franzosen zu töten.

Die Lage stellte sich ihm nämlich so dar, dass seine von der Ruhr geschwächte Armee mehrere tausend Franzosen vor sich hatte, aber auch einige hundert Gefangene im Rücken, die ihre Bewacher, gering an Zahl, jederzeit hätten überwältigen können. Uns heute erscheint Heinrichs Befehl grausam, verbrecherisch und zutiefst im Widerspruch zu den Werten, die uns als "Ritterlichkeit" überliefert wurden.

Doch von den Zeitgenossen wurde Heinrich nicht kritisiert, laut Curry äußerten sogar französische Quellen Verständnis. Seinem Ruf schadete sein Befehl nicht. Handelte der König demnach "unritterlich"? Oder ist es nicht eher so, dass unser Bild von Ritterlichkeit entweder falsch ist, oder wir es zumindest nicht richtig in das zeitgenössische Wertesystem integriert haben?
 
Mir tun sich in dieser Hinsicht Zweifel auf, und das ist der Grund, warum ich diesen Strang eröffnet und eingangs auch an das erinnert habe, was ich für einen roten Faden in der Menschheitsgeschichte halte, nämlich den ständigen Widerspruch zwischen moralischem Anspruch und tatsächlichem Tun.
Gerade das wollte ich mit meinem Beitrag betonen, als ich schrieb, das "Benehmen der Ritter" war weder besser noch schlechter als das der Menschen, die vor und nach ihnen lebten; oder auch das derjenigen, die heute leben.

Heute ist ein moderner Held, Franz Beckenbauer, gestorben, und wenn man die Machenschaften um die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 an Deutschland, die er mitzuverantworten hatte, nicht entdeckt hätte, wäre er ein makelloser Held geblieben. Für manche wird der "Kaiser" trotzdem ein Held, ja eine Lichtgestalt belieben, für andere jedoch, die bei der Beurteilung seiner Persönlichkeit alles einbeziehen, ist diese Frage nicht so einfach zu beantworten.

Um auf den besagten Guillaume le Maréchal zurückzukommen: Hätte sein Sohn nicht dafür gesorgt, dass nur die positiven Taten seines Vaters aufgeschrieben wurden, wäre dieser dem Vergessen anheimgefallen wie viele andere Ritter auch.

Aber wie gesagt: Jede Epoche braucht Helden. Und wenn es die nicht wirklich gibt, dann sorgen schon die nachfolgenden Generationen dafür, dass die Vergangenheit in hellerem Licht (samt Helden) erstrahlt, als sie wirklich war, so nach dem Motto: Früher war es besser als heute. Dies sagen Menschen, die ihr Leben als schwierig empfinden – und sich ein Leben in der Vergangenheit als leicht vorstellen, weil ihnen die damaligen Probleme als leicht, weil gelöst vorkommen.

In Wirklichkeit war das Leben für die jeweiligen Zeitgenossen schwer oder leicht zu bewältigen, abhängig davon, in welche gesellschaftliche Schicht man geboren wurde. Dem ist heute nicht anders.
 
Eben. Dieser Guillaume le Maréchal scheint ein Vertreter jener Ritter zu sein, die nach außen die ritterlichen Eigenschaften zeigen, aber wenn man genauer hinschaut, findet man bei ihnen wenig Schmeichelhaftes: „kalkuliertes Intrigieren“, „Anführer von Plünderzungszügen“- das sind 2 Zitate aus dem obigen Posting von @Armer Konrad.
Zweifellos hat der ältester Sohn Guillaume le Maréchals mit der in Auftrag gegebenen Historie über seinen Vater, dessen spätere Rezeption stark beeinflusst. Ein Turnierheld, der später oft im richtigen Moment an richtiger Stelle das Richtige tat, das ist alles, was man mit einiger Sicherheit über Guillaume le Maréchal sagen kann. Er war ein Liebling der Troubadoure und der Ritterfräuleins – jede Epoche braucht einen Helden. Und wenn über einen Ritter schon zu seinen Lebzeiten so viel gesungen wird, dem können sich auch die späteren Generationen kaum entziehen: Verklärung ist die Folge.
Das Hochmittelalter war moralisch nicht besser als Früh- oder Spätmittelalter, aber in der Rezeption der späteren erscheint es mir als über den beiden stehend.
In dieser Beziehung war Walter Scott Opfer und Täter zugleich. Beeinflusst durch die höfische Dichtung der Troubadoure setzte es in seinen Romanen und Geschichten noch eins drauf: Er idealisierte und romantisierte das Mittelalter so erfolgreich, dass auch andere ihn nachahmten, was sich letztlich in ein wahres Mittelalterrausch steigerte, die weiten Kreise der damaligen Gesellschaft erfasste und gegen Ende des 19. Jahrhundert z.B. in der sogenannten Neugotik gipfelte.

Grundsätzlich hast Du natürlich recht - dem Ritterideal wurde so gut oder so schlecht nachgelebt wie allen Idealen aller geschichtlicher Epochen. Aber wenn man beurteilen will, wie einzelne Ritter dem Ideal nachgelebt haben (und andere eben nicht) so muss dasjenige Ideal herangezogen, welches die zeitgenössischen Ritter des Mittelalters selbst definiert haben und nicht das, was wir heute als "Ritterliches Verhalten" interpretieren und auch nicht was Walter Scott oder andere "nichtmittelalterliche" Autoren dazu meinten.
Das "gültige" zeitgenössische mittelalterliche Ritterideal lässt sich durchaus ermitteln, z. B. aus dem "Ordene de chevalerie" eines unbekannt gebliebenen Autors, aus dem "Livre de chevalerie" von Geoffroy von Charny, aus dem "Libre del ordre de cavayleria" von Ramon Lull bis hin zu dem aus heutiger Sicht völlig absurden Werk über den Minnedienst, dem "Vrowen dienst" von Ulrich von Lichtenstein. Und auch die Minneliteratur kann, wie Du gesagt hast, zur Beurteilung herangezogen werden - aber nicht, was Walter Scott daraus gemacht hat.
Unterscheiden muss man dieses vermittelte Ideal zudem auch vom ebenfalls zeitgenössischen Ideal des "christlichen Ritters" - dieses Ideal wurde von der Kirche verbreitet, welche damit eine andere Intention verfolgte als die weltlichen Autoren d.h. als die eigentlichen "Erfinder" des Ideals.

Und auch nach dem zeitgenössischen Ideal galt Guillaume le Maréchal eben bereits als "grösster Ritter", und zwar nach Quellen die zu seinen Lebzeiten verfasst wurden und in keiner Verbindung zu seiner Biographie stehen. Auch nach diesen Quellen galt nicht nur sein kämpferisches Talent als Vorbild, sondern eben auch seine Treue. Er hat bis zum Schluss zu Heinrich dem Jüngeren gegen Heinrich II, bis zum Schluss zu Heinrich II gegen Richard Löwenherz und bis zum Schluss zu Johann ohne Land gehalten - als jeweils die meisten anderen Gefolgsritter das Lager gewechselt hatten. Natürlich lässt sich dabei erkennen, dass er dies auch aus der Berechnung gemacht heraus hat, um seinem Ruf als perfekter Ritter gerecht zu werden.
Und er hat natürlich auch immer um Belohnung (Geld, Landbesitz, Lehen, Titel) gequengelt, aber dies war nach dem zeitgenössischen Ritterideal nicht ehrenrührig, denn dieses war keine Einbahnstrasse. Auch der Herr musste sich ritterlich verhalten und Treue belohnen. Ein knausriger Herr machte sich der Verletzung seiner Ehre schuldig und entsprach ebenfalls nicht dem Ritterideal. Im Übrigen galten auch Plünderungszüge nach dem zeitgenössischen Verständnis nicht als unvereinbar mit dem Ideal des Rittertums - das ist eine modernere Sichtweise.

Dass es auch sonst Ritter gab, die zum Mindesten zeitweise versuchten, dem zeitgenössischen Ideal zu entsprechen, das demonstrieren einige - nicht allzuviele - Schlachten, in denen die Ritter aufgrund ihres Festhaltens am Ideal massive Niederlagen erlitten gegenüber einem Gegner welcher eher taktisch agierte (z.B. englische Bogenschützen, eidgenössische Reisläufer, deutsche Landsknechte, türkische Sipahis und Jantischaren).

Hinzu kommt, dass ritterliches Verhalten vornehmlich den Standesgenossen und erst in zweiter oder dritter Priorität Frauen, Kindern und Armen galt. So wurde nur der Ritter und damit nur der Adlige in der Schlacht, wenn er sich ergab, gefangen genommen (natürlich gegen Lösegeld). Die grosse Masse der Kriegsknechte wurde niedergemacht, wenn sich nicht fliehen konnte. Auch diesem Grund galten beispielsweise die eidgenössischen Reisläufer als unritterlich, nicht nur wegen ihrer Kampfesweise sondern auch deshalb, weil sie häufig keine Gefangenen machten. Das machten sie übrigens nicht, weil sie unritterlich sein wollten, sondern weil die Obrigkeit das gelgentlich verbot (unter Todesstrafe). Und die Obrigkeit verbot dies ebenfalls nicht aus moralischen Gründen um die Geldgier ihrer Knechte zu verurteilen, sondern die Knechte gefährdeten den Ausgang der Schlacht wenn sie Lösegeld erpressten und mit ihren Gefangenen desertierten.

Ritterliches Verhalten galt vor allem gegenüber Standesgenossen weil die Ritterehre eine Standesehre war. Eine
Anekdote dazu: Heinrich von Ramstein, ein aus einer Seitenlinie der Freiherren von Ramstein stammender Ritter, welcher im Turnier von Basel 1428 brillierte, war zwei Jahre vorher, 1426, im Turnier von Schaffhausen auf Verlangen adliger Damen fürchterlich zugerichtet worden, weil er mit einer Bürgerlichen verheiratet war.
 
Das "gültige" zeitgenössische mittelalterliche Ritterideal lässt sich durchaus ermitteln, z. B. aus dem "Ordene de chevalerie" eines unbekannt gebliebenen Autors, aus dem "Livre de chevalerie" von Geoffroy von Charny, aus dem "Libre del ordre de cavayleria" von Ramon Lull bis hin zu dem aus heutiger Sicht völlig absurden Werk über den Minnedienst, dem "Vrowen dienst" von Ulrich von Lichtenstein. Und auch die Minneliteratur kann, wie Du gesagt hast, zur Beurteilung herangezogen werden - aber nicht, was Walter Scott daraus gemacht hat.
Durchaus auch aus der epischen Literatur, die sich von Frankreich aus über Europa verbreitete, der Arthus-Sagenkreis, zudem über die Gralslegende auch der Perveval/Parzival gehört, oder der Sagenkreis um Karl den Großen und Roland, der ebenso große Wirkung entfaltete.
 
Interessant ist der Wandel, den der arthurianische Sagenkreis im 15. Jahrhundert durchläuft, als das Rittertum (v.a. ausgehend von Burgund) nochmals eine letzte Blüte erlebt. Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftige, desto mehr überzeugt mich Huizinga, der meinte, das in unsere Zeit überlieferte Bild von Rittern und Ritterlichkeit spiegele einen Trend des ausgehenden Spätmittelalters wider.

Da wäre z.B. 'Culhwch¹ ac Olwen', eine (seit dem 7. Jahrhundert mündlich überlieferte) Sage, deren älteste erhaltene Niederschrift auf das frühe 14. Jahrhundert zurückgeht. Sie will nicht recht passen zum Ritter-Ideal unserer Popkultur und unserem Bild der klassisch-kitschigen Artussage.

(Anmerkung: Es gibt zwei Abschriften. Ich beziehe mich hier auf die ältere, übertragen von Erich Ackermann. Die einige Jahrzehnte jüngere wertet Arthur und seine Ritter etwas auf, und gewährt ihnen mehr Handlungskompetenz, was aber meiner Ansicht nach wenig am grundlegenden Konflikt ändert.)

In der Sage geht es um Prinz Culhwch, der von seiner Stiefmutter verflucht wird, niemals zu heiraten, es sei denn Olwen, die Tochter des Riesen Yspaddaden². Culhwchs Vater – er hatte seine zweite Frau gekidnappt und ihre Familie getötet – gibt ihm den Rat, sich an seinen Vetter, König Arthur, zu wenden.

Eigentlich ist Culhwch der schönste, stattlichste, männlichste Jüngling aller Zeiten und hat alles, was er zu einer Karriere als Abenteurer benötigt: das schnellste Pferd, die prächtigsten Waffen, die dickste Reisekasse. Aber er denkt nicht daran, Olwen zu suchen, sondern begibt sich schnurstracks zu Arthurs Hof. Dort wird er zunächst nicht eingelassen und soll in der Herberge unterkommen.

Arthur lässt ihm ausrichten, Culhwch könne es sich auf seine Kosten gutgehen lassen wie ein König, er will ihm sogar "eine Frau anbieten, auf dass sie bei dir liege". Das sind wohl nicht gerade die Sitten, die bspw. Heinrich VIII. beseelten, als er die berühmte runde Tafel von Winchester in Auftrag gab.

Voller Stolz und mit Drohungen verschafft sich Culhwch dennoch Zutritt zu Arthurs Hof. Vor der versammelten Tafelrunde und vielen Gästen verlangt er als Gastgeschenk, dass Arthur ihm zu Olwen verhilft. Wenn nicht, so droht er, werde er Arthur in allen Winkeln Englands lächerlich machen.

Das Dumme ist, das niemand jemals von Olwen gehört hat. Arthur bittet Culhwch um Geduld und schickt Boten in alle vier Himmelsrichtungen aus. Culhwch gibt Arthur ein Jahr Zeit, Olwen zu finden, ansonsten verspricht er ihm: "Ich werde gehen und deine Ehre mit mir nehmen".

Doch die Boten kommen unverrichteter Dinge wieder. Ritter Kei kann Culhwch gerade noch davon überzeugen, er könne es Arthur schwerlich vorwerfen, ein Mädchen nicht gefunden zu haben, von dem kein Mensch weiß, wo es ist. Um Culhwch zu besänftigen, schickt Arthur eine veritable Heldentruppe aus, um Olwen gemeinsam mit ihm zu suchen.

Bemerkenswerterweise haben die Tafelrundenritter hier magische Eigenschaften, die etwa bei Marie de France bereits selten sind, und die Thomas Malory schon getilgt und durch klassische Tugenden ersetzt hat. So kann Kei neun Tage und Nächte unter Wasser bleiben, auf Wunsch lang wie ein Baum werden, von ihm zugefügte Wunden heilen nicht, er dient seinen Kameraden sogar als Lagerfeuer.

Verfügen gegen Ende des 15. Jahrhunderts nur noch die bösen oder wenigstens ambivalenten Charaktere über Magie, werden sie in 'Culhwch ac Olwen' als größter Vorzug der Tafelrundenritter gelobt.

Über kurz oder lang erreichen unsere Helden den Hof von Yspaddaden, murksen erst mal alles ab, was sich bewegt, und nehmen mit, was ihnen gefällt – ebenso kurzen Prozess machen sie auch in allen anderen Burgen und Schlössern, die sie betreten. Der Riese freilich will Olwen nicht hergeben, denn sobald sie heiratet, endet sein Leben. Nach kurzem Kampf muss er sich bereiterklären, tut es aber nur unter der Bedingung, dass Culhwch eine ellenlange Liste unmöglicher Aufgaben erfüllt.

Oft ist die Aufgabe mit der ausdrücklichen Auflage verbunden, dass Culhwch sie eigenhändig meistern muss. Culhwch tönt jedes Mal: "Wenn das dich schwer dünkt, für mich ist es eine Kleinigkeit." Auf die Aufgaben im Einzelnen will ich hier nicht eingehen, denn es handelt sich um das altbekannte Muster: eine Heldentat muss vollbracht werden, um die nächste vollbringen zu können, und so weiter.

Kurios ist, dass Culhwch immer nur nutzlos herumsteht. Obwohl es seine Queste ist, obwohl er selbst von einem Fluch befreit werden muss und die besten Voraussetzungen mitbringt, sein Schicksal wie ein Mann und Ritter in die eigenen Hände zu nehmen, lässt er die Ritter der Tafelrunde die ganze Arbeit machen und stellt niemals unter Beweis, dass sein Stolz an Arthurs Tafel gerechtfertigt war.

Schließlich muss Arthur selbst in den Krieg ziehen, um die wichtigste Aufgabe für Culhwch zu beenden: Es muss der wilde Eber Twrch Trwyth³ besiegt werden, der "soeben den dritten Teil von ganz Irland verwüstet" hat. Nachdem noch ein weiteres Fünftel und halb Cornwall dazugekommen sind, gelingt es auch endlich, den Eber ins Wasser zu treiben, ihm sein Kleinod abzunehmen und ihn zu verjagen.

Schließlich kehren sie zu Yspaddaden zurück. Der beschwert sich zwar, dass Culhwch die Drecksarbeit andere hat machen lassen, aber das scheint aus irgendeinem Grund keine Rolle mehr zu spielen. Der Riese wird getötet, Olwen in Culhwchs Bett geworfen, and they all lived happily ever after.

Der Kontrast zu Malorys 'König Arthurs Tod' (1485) oder 'Herr Gawain und der Grüne Ritter', entstanden wohl im späten 14. Jahrhundert am Hof des Ingelram von Coucy, könnte deutlicher kaum ausfallen. Das betrifft nicht nur die Magie, sondern z.B. auch die Rolle der Frau oder das sich verschiebende Verhältnis zwischen Kampfesmut und "ziviler" Tugend.

Zu Culhwchs Zeiten betätigt sich Arthur noch als Kuppler, die Frauen sind launische Geschöpfe und nicht sexuell passiv. Gawains Zweikampf mit dem Grünen Ritter aber, der dem Leser als Weg in seinen sicheren Tod erscheint, erweist sich am Ende nur als Teil einer Prüfung seiner Tugend. Die größte Prüfung besteht er nicht im Kampf, sondern im Bett, wo ihn die Frau des Grünen Ritters erfolglos bedrängt.

Und so weiter.

Dieser Wandel bietet viel Raum für lange Diskussionen. @Dion z.B. wird sicherlich die Frage aufwerfen wollen, was dieser wachsende Hang zum Moralisieren über die Macht der Kirche aussagt. Andere werden erkennen wollen, dass der Ritter sich im Spätmittelalter immer weniger als Krieger definieren kann, sondern zum Höfling werden muss, der sich durch Pli empfiehlt, nicht als Kopfkürzer.

¹) Lautmalerisch Kylluch
²) Lautmalerisch Isbaffaden
³) Lautmalerisch Tuhrrch Truiff
 
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