Hallo Marbod,
da wir uns neulich noch gegenseitig positive Bewertungen gaben, nun allerdings wohl anderes tun würden, sollten wir unseren kleinen Konflikt beenden.
(Ich kann Dir nur raten, das Friedensangebot Roms anzunehmen, ansonsten werde ich bis zu Deiner völligen Vernichtung den Kampf fortsetzen.
ceterum censeo etc...)
Im Prinzip sind wir ja einer Meinung und streiten uns nur über Detailfragen.
Ich möchte allerdings noch meine Antwort geben:
Ich bin der Ansicht, dass ein römischer Statthalter ein hohes Bedürfnis an Bequemlichkeit hatte und deshalb keineswegs den Sommer im Zelt eines Marschlagers verbracht hätte (schon gar nicht im feuchten Germanien). Das Sommerlager des Varus muss deshalb eine schon existierende Station gewesen sein, die dem Statthalter und seinem Stab einen gewissen Komfort in Form von Holzbauten bot. Dieses Lager verfügte außerdem über Ausrüstungen, Depots und Verpflegung für eintreffende Truppen und war ganzjährig von einer kleinen Besatzung bewacht. Jene Heere müssen nicht in direkter Nachbarschaft ihre (Marsch-) lager errichtet haben, sondern wählten günstige Standpunkte in der Umgebung. Der ganze Komplex wird also als „Sommerlager“ verstanden.
Der eigentliche Sommersitz des Varus, man könnte auch sagen seine „Sommerresidenz“, wird aus bereits genannten Gründen kein Dreilegionenlager gewesen sein. Wenn der Stattthalter dort residierte und Gericht hielt, reichte eventuell eine Leibwache von einer Legion oder weniger (es war schließlich Frieden im Sommer des Jahres 9). Ein Land zu erobern ist eine Sache, es zu besetzen und zu kontrollieren eine ganz andere (wie die US-Truppen im Irak es leider derzeit erfahren müssen). D.h., die Legionen des Varus bekamen zum einen die Aufgabe, für Ruhe im Land zu sorgen, also polizeilicher Art, aber auch Wege auszubauen bzw. anzulegen oder einfache Holzbrücken über Flüsse zu errichten. Sie hatten schließlich die Aufgabe, das Land für eine Kolonisierung vorzubereiten. All diese Dinge kosten natürlich Geld, das Varus von der Germanen in Form von Steuern verlangte (für ihn selbst blieb dabei auch etwas übrig...)
Hätte Varus seine drei Legionen den ganzen Sommer im Lager verharren lassen, so hätten ihn die meisten Germanen gar nicht zur Kenntnis genommen. Da seine Truppen jedoch zu den Stämmen zogen, um dort Judikative und Exekutive in einem zu übernehmen und noch dazu Steuern zu erheben, machte sich Missmut unter den Germanen breit. Eine Besatzungsmacht, die das Land kontrollieren will, muss sich einmischen und macht sich dadurch unbeliebt.
Tib. Gabinius hat recht, wenn er meint, eine Aufsplittung der Truppen wäre strategisch nicht sinnvoll. Dieses gilt allerdings für den Krisen- bzw. Kriegsfall. Im Frieden ist das Heer jedoch Besatzungstruppe und kein Kampfverband. Das gilt auch heute noch.
Zu den Umständen der Varusschlacht lässt sich keine verlässliche Aussage treffen, da die Quellen widersprüchlich sind.
Es stehen sich zwei Hauptthesen gegenüber:
1. Die „Überrumpelung“ des Varus im Sommerlager.
Das schließt ein, dass sich auf keinen Fall die gesamten drei Legionen im Lager aufhielten, da die Erstürmung eines derart großen Lagers den Germanen wohl kaum gelungen wäre. Folglich hat sich im Sommersitz des Varus nur ein Teil der Truppen aufgehalten, während die anderen Teile separat im Lande vernichtet wurden. Tacitus lässt den Marbod im innergermanischen Konflikt 17 n.Chr. den Arminius verhöhnen, er habe die Truppen des Varus geschlagen, als sie „außer Dienst“ standen. Damit könnte der Teil gemeint sein, der mit dem Lagerdienst beauftragt war, während die anderen Teile im Lande ihren Dienst taten. Die Synchronisierung der Vernichtung dieser im Lande verteilten Truppen wäre jedoch eine logistische Meisterleistung gewesen, in Anbetracht der Geheimhaltung des Aufstandes.
2. Die zweite Hypothese geht von einer Schlacht auf dem Marsch aus.
Demnach habe Arminius mit der Nachricht eines angeblichen Aufstandes den Varus dazu veranlasst, seine Truppen zu sammeln und abzumarschieren. Arminius habe daraufhin eine topographisch günstige Situation gewählt, an der dort bereitstehende germanische Krieger den römischen Zug angriffen und vernichteten.
Ältere Quellen lassen auf Version 1 schließen, während die jüngere, von Cassius Dio, Version 2 beschreibt.
Welche letztendlich den tatsächlichen Ereignissen entspricht, lässt sich heute leider (noch) nicht klären.
Das Vorgehen der Römer zur Provinzialisierung Germaniens sollte in folgenden Phasen stattfinden:
1. Der militärische Sieg und der Abschluss von „Bündnisverträgen“, die man auch als „Unterwerfungsverträge“ bezeichnen kann. Bei hartnäckigen Gegnern zuweilen auch Umsiedlung oder totale Vernichtung.
2. Besetzung des Landes und Errichtung von Standlagern an strategisch günstigen Stellen. Ausbau des Wegesystems durch Besatzungstruppen.
3. Gründung von Siedlungen im Schutze der Standlager. Einrichtung des römischen Rechts- und Steuersystems. Verteilung von Gütern an Veteranen.
Im Jahre 9 n. Chr. befand man sich zwischen Phase 2 und Phase 3. Der folgende Schritt wäre wahrscheinlich die Errichtung von Standlagern an der Weser gewesen. Dorthin hätte man wohl auch die Legionen aus den Rheinlagern verlegt. Bei günstigem Fortschreiten der Ereignisse hätte man eventuell gleich die Truppenstandorte bis zur Elbe vorgeschoben. Durch die Varusschlacht wurden diese Planungen allerdings vereitelt, so dass man 14 n.Chr. wieder mit Phase 1 beginnen musste.